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Einunddreißigstes Kapitel.
Noch eine Nacht in der Kewir.

Endlich sollte auch diese ewige Nacht ein Ende haben! Im Osten zeigte sich ein schwacher Lichtschein, und über das eben noch so dunkle Himmelsgewölbe breitete sich das bleiche Morgengrauen, das der Herold des neuen Tages ist. Die Kamele treten aus der Dunkelheit hervor, anfangs kaum erkennbar, dann immer deutlicher; sie marschieren dahin, wie sie es die ganze lange Nacht getan haben, und auch die Glocken läuten dieselbe eintönige Melodie. Nun aber kehren Umrisse und Farben wieder; man sieht die in der Morgenluft fröstelnden Männer, und man sieht auch die unerschütterlich ruhigen Augen der Kamele und ihre Beine, die bis an die Knie hinauf mit einer Kruste getrockneten, erstarrten Tones bedeckt sind.

Um ½7 Uhr ziehen wir an einem Gebiet vorüber, das aus dunkeln Streifen und seichten Ringen besteht, die mit unserm Wege einen rechten Winkel bilden. Sie ähneln alten Uferlinien und sind möglicherweise durch ungleich schnell fortschreitende Austrocknung entstanden oder auch Verschiebungen der weichen Kewirmasse zuzuschreiben.

»Hier haben wir den halben Weg zurückgelegt«, sagt Ali Murat. Das ist ja ein schöner Trost für einen vor Schlaflust halbtoten Menschen. Wir sind jetzt 12½ Stunden unterwegs, ohne andere Unterbrechung als die zehn Minuten am Feuer. Die Leute würden jetzt lagern, wenn sie nicht schlechtes Wetter befürchteten; wenn es jetzt regnete, würden die nächsten 10 Farsach sich in ein unpassierbares Moor verwandeln. Da beschleunigen sie lieber den Marsch, um weiterzukommen. Mit jedem Schritt, den wir nach Norden zurücklegen, haben wir größere Aussicht auf Rettung. Die Sonne geht auf, bleibt unsern Blicken aber unsichtbar, da sie durch drohende Wolken verdeckt wird. Im Süden, über Chur und Dschandak, ja über dem ganzen Südrande der Kewir, vielleicht auch noch eine Strecke weit in der Wüste selbst, gießt es geradezu; man sieht die dunkelgrauen Fransen, die ihr Wasser auf die Erde niederrieseln lassen; der Kewirgürtel im Süden der Salzscheibe ist jetzt gewiß ganz unpassierbar. Der Wind ist bereits zu einem halben Sturm angewachsen, das Wetter ist trübe, rauh und ungemütlich; eine Tasse heißen Tees wäre mir sehr willkommen, um mein Blut wieder in Bewegung zu bringen.

Mehr als 14 Stunden hindurch waren wir unterwegs gewesen, als ich endlich zu meiner Freude sah, daß die Jezdkarawane vor uns anhielt und sich zum Rasten anschickte. Das Stativ und die Burcha waren kaum aufgestellt und ausgebreitet, als auch schon strömender Regen auf die Erde prasselte. Es war schön, gleich unter Dach zu sitzen, aber auch betrübend, dieses Prasseln anzuhören, das sonst überall so willkommen ist, in der Kewir aber gehaßt und gefürchtet wird. Die Jezdleute machten unschlüssige Gesichter; sie stellten ihre Tätigkeit ein, hielten miteinander Rat und entschlossen sich zu bleiben. Während Gulam Hussein mir Tee bereitete, schrieb ich in meinem Tagebuch und nach dem Frühstück warf ich mich schnell dem Schlaf in die Arme. So schwer und tief war mein Schlaf, daß die andern sehr gut hätten abziehen können, ohne daß mich der Lärm geweckt hätte; ich wäre ruhig liegengeblieben und hätte immerzu weitergeschlafen.

Um 3 Uhr nachmittags beugte sich Gulam Hussein über mich und schrie mir in die Ohren: »Sa'ab, wir brechen auf«; ohne Erbarmen mußte ich aufstehen. Die Glocken der Jezdkarawane läuteten bereits, als ich ins Freie trat, und ich sah sie schon in schnellem Tempo nordwärts marschieren, immer weiter durch diese endlose Wüste. Ich hatte drei Stunden geschlafen. Der Himmel war mit dichten Wolken bedeckt, aber es regnete nicht mehr. Wir befanden uns in 709 Meter Höhe.

Beim Lager Nr. 22, in welchem wir so kurze Zeit zu Gaste gewesen sind, teilt sich der Weg; sein westlicher Ast geht nach Husseinan und Mehelleman, wohin es von hier aus 7 Farsach sind; von diesen sieben führen fünf durch Kewirgebiet und zwei durch hügeliges Land, das wahrscheinlich zum Rande der Schuttkegel und ihrer Abdachung nach der Wüste hin gehört. Der östliche Ast führt nach Pejestan, wohin man 9 Farsach auf ebenem Terrain zurückzulegen hat; acht dieser neun fallen auf die Kewir. Von Pejestan aus ist es nach Turut 2 Farsach näher, und da ich in Husseinan nichts zu suchen hatte und der östliche Weg außerdem den Vorteil bot, hinter der Jezdkarawane herziehen zu können, entschloß ich mich dazu, auch fernerhin mit unsern bisherigen Reisegefährten zusammenzubleiben.

Um unser Lager herum war die Oberfläche des Bodens sehr dünn mit kleinen, runden, weißen Steinen, nicht größer als Sagograupen, bestreut, die vielleicht in früherer Zeit einmal eine außergewöhnlich große Regenflut dorthin gespült haben mochte. Bald befanden wir uns auf einer neuen Salzscheibe, die aber ganz schmal war und in wenigen Minuten überschritten wurde. Ihrer Konsistenz nach ist diese Scheibe der frühern nicht ganz ähnlich. Das Salzfeld ist in polygonale Schollen zerrissen, und zwar gewöhnlich in Achtecke, die einen Meter Durchmesser haben und durch etwa 2 Meter hohe Wülste und Rücken getrennt sind. Nur diese Rücken sind weiß, alles Übrige haben Staub und Schlamm grau gefärbt. Auch inwendig ist das Salz sehr schmutzig; an einigen Stellen, wo ein Block durch starken Seitendruck geborsten ist, sieht man, daß die Mächtigkeit der obersten Salzschicht einen Dezimeter wenig übersteigt. Doch auch unter dieser Schicht findet man eine oder auch zwei solcher Salzschichten, so daß die Gesamtdicke einen halben Meter beträgt. Auch hier ruht die Salzdecke auf stark sumpfigem Boden, ist aber an der Oberfläche trocken. Vom Lager Nr. 22 an senkt sich der Boden etwa einen oder zwei Meter nach dem Rande der Salzscholle, ein Beweis dafür, daß diese Salzschichten sich in den flachen Depressionen der Kewir abgesetzt haben. Hierher strömt während der Regenzeit das Wasser; nachdem es verdunstet ist, wird die Salzschicht jedesmal ein wenig größer und wächst so im Laufe der Zeiten an.

Darauf folgt von neuem gewöhnliche Kewir, bald dunkelbraun, bald hellgelb, bald grau. Zwischen zwei Bergkegeln im Norden gibt es einen Tenge-i-Reschm genannten Durchgang, durch den eine Straße nach Guleki, Mehabad, Hassanabad, Turut, Demgan und Schahrud führt. In noch weiterer Ferne zeigt sich ein Gebirgskamm, der Kuh-i-kosar heißt. Auf der linken Seite lassen wir einen deutlich ausgeprägten Weg liegen, der über Husseinan und Mehelleman nach Reschm führt; er geht gerade nach Norden, während unser Pfad eine etwas östlichere Richtung hat. Vor uns sehen wir auf der linken Seite den Saum des Schuttkegels in rotgelbem Ton schillern, und ich glaube zu beobachten, daß der Boden sich, wenn auch nur langsam, in dieser Richtung hebt. Ohne Zweifel liegt die Kewir in ihren peripherischen Teilen ein wenig höher als in den zentralen. Es ist klar, daß das feine Verwitterungsmaterial, das das Wasser von allen umgebenden Gebirgen herabspült, sich um den Rand herum absetzen muß; wenn aber die Masse, die die ungeheure Senke ausfüllt, während des Winters und Sommers durch die Niederschläge erweicht wird, gerät sie in langsames Gleiten oder in eine allmähliche Verschiebung nach den tiefern zentralen Regionen hin. Sie bewegt sich wie jede andere zähflüssige Masse; sie bewegt sich wie »fließende Erde« oder wie ein Lavastrom. Wenn aber eine glühendheiße Sommersonne die Oberschichten hat trocknen und sich erhärten lassen, bleiben sie erstarrter Lava gleich stehen. Wahrscheinlich gilt diese Annahme jedoch nur gerade von der Oberflächenkruste; unter ihr ist die noch immer feuchte Masse insofern in Bewegung, als sie, den Attraktionsgesetzen folgend, danach strebt, eine ganz horizontale Lage einzunehmen. Möglicherweise sind die Streifen, Rücken und konzentrischen Vertiefungen, die wir sowohl an den südlichen, als auch an den nördlichen Rändern der Kewir passiert haben, nichts anderes als Gleitwellen, entstanden durch die Verschiebungen, die eine notwendige Folge des fortwährend von oben her nachschiebenden Schwemmaterials sind, das aus dem Gebirge hierhergespült wird.

Der Wind von Chorassan, aus dem »Sonnenlande«, ist gegen Abend unfreundlich, rauh und kalt. Die Kamele schreiten taktfest nach Norden, einen Kilometer nach dem andern erobernd. Man freut sich, als einer der Leute die Bemerkung macht, daß der erste der 9 Farsach hinter uns liege. Ich legte ihn zu Fuß zurück, und es ging sich ganz schön; die folgenden werden mir wohl saurer werden. Eine neue zu durchwachende Nacht ist im Anzug, sie wird ärger sein als die vorige, von deren Strapazen die Glieder und der Kopf noch schwer wie Blei sind.

In der Gegend, die wir jetzt durchwandern, hat die Kewir gar keine Ähnlichkeit mehr mit den südlichen Regionen. Die harte, schlackenartige Rinde, die, sobald man darauf tritt, birst und den Fuß in weichen Schlamm einsinken läßt, fehlt hier ganz. Statt ihrer besteht der Boden aus feinem, gelbem, festgepacktem Ton, dessen Oberfläche eben und der entschieden weniger salzhaltig ist, als er es weiter nach Süden hin war; nur manchmal sieht man auf seiner Oberfläche einen sehr dünnen Anflug von weißem Salz. Die Behauptung, daß süßes Wasser imstande sei, soweit in das Innere der Kewir zu dringen, scheint auch durch die Tatsache eine Bestätigung zu erfahren, daß die beiden Bette, die es durchfließt, so schnell mit Ton auszementiert werden, daß es gar nicht zur Auskristallisierung von Salz kommen kann.

Noch immer zeichnen sich die nördlichen Gebirge nur wie eine schwache Silhouette am Himmel ab; unter ihnen sieht man die rotgelben Hügel, eine Region, welche die Perser »Kotel«, den Paß, nennen, weil der Weg dort durch stark hügeliges Gelände unaufhörlich aufwärts und abwärts führt. Unterhalb, oder richtiger längs ihrer äußersten Front zieht sich die scharf markierte Grenze der Kewir hin. Wie mir die Männer versichern, gibt es weder dort, noch weiter nach Westen hin ein aus Sand oder Schutt bestehendes Übergangsgebiet. Diese nördliche Kewirgrenze soll ziemlich gerade nach Westen gehen, bis sie jene ferne Gegend erreicht, wo sie einen Bogen nach Südwesten und Süden macht, um sich rings um die Halbinsel zu ziehen, die den Kuh-i-nakschir trägt und durch ihn entstanden ist. Dort hatten wir vor jetzt bald einem Monat die Grenze der Kewir gesehen. Ich tue alles, was ich kann, um Angaben über den Verlauf dieser Grenze in den Gegenden zu sammeln, wo ich nicht in der Lage bin, sie selbst zu kontrollieren; ich wünsche, auf diese Weise und auch durch Benutzung der Beobachtungen, die andere Reisende gemacht haben, so viel Material zu sammeln, daß es mir möglich wird, eine Karte der Kewir, die Umrisse dieses uralten, halb fossilen Sees, zu zeichnen.

Rings um uns wird der Horizont dunkler; im Nordosten und Osten häufen sich bleigraue Wolken an, und im Zenit ist der Himmelsdom so schwer und düster wie ein nordischer Novemberhimmel. Nur im Westen, in einer kleinen wolkenlosen Lücke flammt die Sonnenglut wie in einem gigantischen Schmelzofen, wirft matte, rotgelbe Reflexe über die Einöde und färbt die Kamele ziegelrot. Feuerrote Kamele! Sie sehen aus, als hätten die Geister der Kewir sie verhext. Aber ihre Schritte sind abgemessen, und ihr Gang ist ebenso stetig wie sonst. Langsam, immer in wagerechter Richtung, wenden sie manchmal den Kopf und den Blick nach Westen, um von dem fliehenden Tag Abschied zu nehmen. Über dieses Bild fährt in unverminderter Heftigkeit der Bad-i-Chorassan hin. Wir waren schon weit gelangt und hatten schon viele anstrengende Meilen hinter uns; aber würde ich wohl aus der Umklammerung der Wüste hinausgelangen, ehe der Regen kam, um im Bunde mit undurchdringlicher Finsternis meine Pläne zu durchkreuzen und meine Sehnsucht zu verlängern?

Ich gehe zu Fuß und halte gleichen Schritt mit dem Seïden und einem andern Manne aus Jezd. Wir unterhalten uns, um uns die Zeit zu verkürzen. Sie erzählen mir allerlei über ihre Interessen; jedes Mitglied ihrer Karawane ist ein »Schuturdar«, ein Kamelbesitzer; Agha Muhamed hat die meisten Tiere, die andern besitzen jeder nur zwei. Sie erhalten 9½ Toman Miete für jedes Kamel, das Waren von Jezd nach Schahrud bringt, und dazu noch 2 Toman Treiberlohn. Aber der Weg strengt die Tiere an, die sie überdies selber mit Futter versorgen müssen, und großen Verdienst gibt es nicht dabei. Dazu kommt noch die Regengefahr; im schlimmsten Falle können sie ihre Kamele einbüßen.

In Schahrud bleiben sie so lange, bis sie für den Rückweg nach Jezd neue Miete und neue Fracht gefunden haben. Mehr als dreimal im Jahr können sie die Wanderung zwischen den beiden Städten selten machen. Daher ist die Verzinsung des in den Kamelen steckenden Kapitals nicht groß, und derjenige, der nur zwei Kamele besitzt, ist wirklich nicht auf Rosen gebettet.

Um mich zu revanchieren, erzählte ich ihnen, daß ich in der vergangenen Nacht, als ich wachend zwischen den Höckern meines Trägers gesessen, ein Kamel und zwei Männer in der nach Süden gehenden Richtung wie Schatten habe an uns vorbeihuschen sehen. Die andern hätten gerade geschlafen, die Karawane habe sich durch ihr eigenes Trägheitsmoment vorwärtsbewegt, und die Fremden seien schweigend an uns vorübergezogen, ohne jemand aus der Karawane anzureden. Meine Zuhörer wollten dies nicht glauben und sprachen die Vermutung aus, daß ich mich getäuscht haben müsse. Ich sagte ihnen aber, daß mir diese Wanderer gar nicht aufgefallen sein würden, wenn nicht Newenk wütend zu bellen angefangen und sie noch ein ganze Strecke südwärts verfolgt hätte. Sie würden doch wohl nicht an Gespenster, an Schattengestalten und Erscheinungen der von der Wüste verschlungenen Opfer, die hier umherspukten, glauben. »Doch,« antworteten sie, »hier ist das Rig-i-dschin, hier treiben böse Geister ihr Spiel!« Und sie versicherten mir, daß es in dieser Wüste gar seltsam zugehe; in ihrem Innern werde man gleichsam verhext, man könne noch so weit gehen und laufen, sie halte einen fest. Nähme man nicht die Nächte zu Hilfe, so würde die Wüste überhaupt nie ein Ende haben. Während der langen, im Halbschlaf verbrachten Nachtstunden lege man die großen Entfernungen zurück, und bei Tage verliere man durch das notwendige Rasten Zeit.

Die Marschgeschwindigkeit ist größer als je, der Boden ist herrlich; es ist eine Erholung, hier zu reiten. Die Karawane marschiert in vier Kolonnen nebeneinander; so entstehen die zahlreichen Parallelpfade, die sich schwarz auf dem hellgelben Grund abheben. Jetzt ist die Wüste so eben wie die Eisdecke eines Sees, wenigstens erscheint sie dem Auge so.

Still und geduldig setzen die Kamele ihren rastlosen Gang fort. Sie sehnen sich ebensosehr nach »Land« wie ihre Treiber; sie wissen, daß dort im Norden am Fuße des Gebirges Weideplätze ihrer harren. Ich befinde mich in einer der beiden Mittelkolonnen.

Bald erlischt dort hinten im Westen auch der letzte Lichtschimmer; der Vorhang ist gefallen, die Nacht schließt uns in ihre engen Mauern ein, alle Perspektiven und Abstände verschwinden. Der unendlich weit entfernte Horizont, der eben noch die Illusion eines Meeres hervorrief, ist zusammengeschnürt und von der Dunkelheit verschlungen worden; die Umrisse der Kamele haben sich aufgelöst und sind unbestimmt geworden, und wieder erscheinen die Tiere wie wirre Schatten. Aber noch immer umschwebt sie dieselbe ewige Glockenklangatmosphäre, die sie durch die Wüsten begleitet, ein einziges rauschendes, vibrierendes, aber beständig erneuertes und unterhaltendes Glockenspiel, das in meinen Ohren schon längst zu einem vollen, hellen Ton verschmolzen ist, in ein einheitliches Jubelgeläute, das zu den Wolken und Sternen emporsteigt und seine Schallwellen über den Spiegel des Wüstenmeeres hinfluten läßt, in eine poetisch-feierliche Melodie der Karawanen und der Wanderer, in einen Triumphmarsch der Kamele, der in rhythmisch vibrierenden Wellen den Sieg der Geduld über die langen Wege der Wüste besingt.

Nach dreistündigem Marsch haben wir 3 Farsach hinter uns. Das ist sehr schnell gegangen; fahren wir so fort, dann sind wir um Mitternacht am Ziel. Man glaubt auf einem dunkeln Strande hinzuziehen; zur Linken breitet sich ein endloser See aus, in dem zwei kleine Inseln liegen. Man wundert sich, daß man kein Wellenrauschen vernimmt, aber man erwartet jeden Augenblick, das Wasser um die Füße der Kamele plätschern zu hören. Im nächsten Augenblick ist dieser See mit einem Schlag auf die rechte Seite des Weges versetzt und scheint sich unendlich weit nach Osten zu erstrecken. Bald darauf, wenn die Wolkenlücken ihre Lage verändert haben, hat man das Gefühl, in einem hellen Flußbett zwischen schwarzen Terrassen einherzugehen, während Dampfwolken und Nebeldünste über den Weg hinzurollen scheinen. Alle diese Gesichtstäuschungen ruft das Mondlicht hervor; da, wo es die Erdoberfläche trifft, glaubt man durch Seen zu ziehen, während die dunkeln Schatten festes Land sind. In Wirklichkeit ist die Kewir so gleichmäßig eben wie eine Eisfläche.

Beständig ist die Karawane der Mittelpunkt im Dunkel der Wüste, und noch zeigt nichts an, daß wir in der Nähe des Randes der Kewir sind. Wieder klettern die Treiber auf ihre Kamele, um zu schlafen; bald hört man ihre langen, abgemessenen Atemzüge. Wie sonderbar, daß die Tiere nicht ermüden, schläfrig werden, auf ihre zitternden Knie niedersinken und sich weigern, weiterzugehen! Sie ziehen geduldig hintereinander her ihre Straße; manchmal reißt wohl ein Leitseil, aber sie folgen den vorhergehenden Kameraden dennoch. Neben der Halfter ist eine eiserne Kette befestigt, und an ihrem letzten Glied ist der Strick mit einem kleinen Bindfadenende festgemacht; strafft er sich zu sehr, so wird das Kamel dadurch nicht verletzt, denn der Bindfaden reißt, und die Kette hängt senkrecht von der Halfter herab, ohne das Kamel beim Gehen irgendwie zu belästigen.

Jetzt sind alle Wolkenlücken verschwunden, und das Mondlicht ahnt man nicht einmal mehr. Es fängt an zu regnen, zuerst in spärlichen Tropfen, dann immer dichter. Die Kamele marschieren schneller; Agha Muhamed, der den ganzen Zug führt, scheint wachgeblieben zu sein. Diese Nacht habe ich meinen Pelz bei mir und ziehe ihn jetzt schnell an; die Regentropfen klatschen ordentlich auf das nach außengekehrte Leder, ein unangenehmer Feuchtigkeitsgeruch verbreitet sich von der Karawane her. Wie schön, daß wir nur noch einige Farsach zurückzulegen haben; selbst dann, wenn es auch unausgesetzt gießen würde, sind wir außer aller Gefahr. Am Rudchaneh-i-kal, einem 6 Meter breiten Bett von ostsüdöstlicher Richtung, fehlen nur noch 5 Farsach. Wir überschreiten noch zwei Betten, ein deutliches Zeichen, daß wir uns dem Rande der Kewir nähern. Es regnet in einem fort, und man sitzt in ewiger Erwartung des Augenblicks, in dem der Erdboden so naß sein wird, daß die Kamele ausrutschen. Wir sind in einer Höhe von 718 Metern.

Um ¾10 Uhr ändert sich das Terrain; wieder geht es über zwei Rinnen, deren größte, Kal-i-gutsch, nach Südosten gerichtet ist; in dieser Richtung fällt der Kewirboden nach seiner weiter östlich liegenden größten Senke ab. An den Seiten dieses Bettes ist der Boden etwas gewellt; wir müssen uns also schon am Rande des Kewirbeckens befinden.

Bald darauf verstummen die Glocken; die Karawane hat haltgemacht. Ich höre Rufe und Stimmen; die Schläfer erwachen und eilen nach der Spitze des Zuges. Ich selbst bin mit meinen beiden Leuten bereits abgestiegen, denn auf der letzten Strecke haben die Kamele angefangen, in der Nässe zu stolpern und auszugleiten. Es stellt sich heraus, daß wir am Kal-i-scheitan, der »Teufelsrinne«, angelangt sind; der Name läßt darauf, schließen, daß dieses Abflußbett zu gewissen Zeiten nichts weniger als angenehm zu überschreiten ist. Selbst jetzt enthält es so viel beinahe stillstehendes Salzwasser, daß alle Mann aufsitzen müssen. Als alles marschfertig ist, bewegt sich der Zug langsam nach Ostnordosten. Es ist pechfinster; man hat keine Ahnung, wohin es geht, aber Warnrufe und kurze Marschunterbrechungen verraten dann und wann, daß etwas nicht in Ordnung ist.

Plötzlich kommt die Reihe auch an die am Schlusse des Zuges. Das Wassergeplätscher wird immer deutlicher hörbar. Ali Murats Kamel sinkt vor mir scheinbar in den Abgrund, rutscht in Wirklichkeit aber einen unheimlich steilen, schlüpfrigen Lehmabhang hinunter; das meine folgt ihm, rutschend und mit den Beinen sich rückwärts stemmend, auf dem Fuße. Sie plumpsen in das Wasser und stapfen nach der andern Seite. Das Bett hat glücklicherweise einen festen Grund; aber dieser ist auch so glatt, daß man jeden Augenblick auf ein unfreiwilliges Bad gefaßt sein kann. Wir kommen noch glücklich hinüber und erklimmen die linke Uferterrasse. Der Regen fällt ununterbrochen, dicht und eintönig; die Nacht geht uns verloren, der Boden weicht immer mehr auf und wird immer glatter. Am linken Ufer der Rinne, die vom Kotel-i-Husseinan herkommt, wachsen einige dünne Tamarisken, die äußersten Vorposten der Vegetation nach der Kewir hin.

Jetzt saßen wir schön in der Tinte, denn jetzt hatten wir eine reizende Strecke vor uns. Das Bett des Kal-i-scheitan ist 12–15 Meter tief in den ebenen Kewirboden eingeschnitten. Um vom Flußbett wieder auf den ebenen Boden zu gelangen, muß man eine Nebenrinne entlangziehen, deren Grund, die reine Schlammsuppe, überall tückisch und glatt ist. Wie eine Reihe Wegschnecken kriecht der lange Zug aufwärts. Die Kamele balancieren vorsichtig, um nicht zu stürzen. Man hört alle Augenblicke ein schweres, dumpfes Aufschlagen oder ein knallähnliches Geräusch, verursacht durch das Stürzen eines Kamels; fällt es auf die Seite mit allen vier Beinen in gleicher Richtung, dann kann es nicht ohne Hilfe wieder aufstehen. Laut schreiend eilen die Männer herbei, um ihm auf die Beine zu helfen; dann rücken wir von neuem ein paar Schritt vor, bis der nächste Purzelbaum den ganzen Zug in diesem abscheulichen Abgrund, wo es pechfinster ist und der herabströmende Regen den Schlammbrei mit jeder Minute immer ärger macht, wieder zum Stehenbleiben zwingt. Die Kamele sind ängstlich und scheu und wagen kaum, einen Schritt vorwärtszumachen; viele von ihnen haben schon einen Lehmpanzer, und sie sind auf dem ganzen Körper so klatschnaß, daß richtige kleine Bäche von ihnen hinunterrieseln und an jedem Haar ein Tropfen hängt. Hin und wieder schlägt auch einer der Männer lang hin; ich will es solange es irgend geht vermeiden, mit diesem zähen Schlamm in Berührung zu kommen, und stütze mich daher auf Gulam Hussein, während er unsere vier Kamele, die Ali Murat führt, antreibt. Man hat das Gefühl, eine Rutschbahn hinaufzugehen, die mit Schmierseife eingerieben worden ist. Man tut einen Schritt und pausiert, ehe man sich zu dem zweiten entschließt; erst wenn man richtig festen Fuß gefaßt hat, geht es wieder einen Schritt weiter. Die kiloschweren Extrasohlen von plastischem Ton werden immer dicker, und jeder Versuch, sich ihrer zu entledigen, ist vergeblich; ohne Messer geht es nicht.

Ein langer Aufenthalt! Alle laufen nach der Spitze der Karawane. Die nächste Steigung ist so jäh, daß die Kamele sie nicht bezwingen können. Mit dem einzigen Spaten der Karawane werden Rinnen in den Lehm gegraben, dann bestreut man seine Oberfläche mit möglichst trocknem Material, Stöcke und Brennholzstücke werden ebenfalls zur Befestigung der Böschung benutzt. Man führt die Kamele langsam und vorsichtig hinauf, wobei ihre Lasten auf beiden Seiten unterstützt werden. Wenn man während all dieser Vorkehrungen, die anderthalb Stunden dauerten, wenigstens hätte am Rande des Schlammbettes sitzen und ein bißchen einnicken können! Aber in diesem Schlamm sitzt man nicht gern; alles, was damit in Berührung kommt, ist ruiniert; man muß sich daher darein finden, die ganze Zeit über zu stehen.

Endlich sind wir wieder oben auf festem Boden. Ich bin zum Gehen zu müde, besteige mein Kamel und lasse mir von Gulam Hussein die Extrasohlen abkratzen. Der Zug schreitet in stockfinsterer Nacht in dem Schlamme dahin, der unter den Fußschwielen der Kamele klatscht und hoch aufspritzt. Mein Träger macht seine Sache recht gut, schwankt aber bedenklich hin und her. Der Regen hat beinahe aufgehört, es sprüht nur noch ganz fein. Verzweifelt langsam geht es vorwärts. Plumps, da liegt wieder ein Kamel, und der Zug bleibt stehen; die Männer eilen zu Hilfe, der gefallene Held wird aufgerichtet. Man geht eine Strecke weiter, ein zweites Kamel fällt man ist beständig in Erwartung, selbst an die Reihe zu kommen, und kann die Situation in der Dunkelheit nicht beurteilen.

Schließlich kommen aber auch bessere Zeiten. Bei einem neuen, flacheren und breiteren Abflußbett, das mit Salzwasser angefüllt ist, ruft ein Mann: Rudchaneh-i-ges! Man braucht nur diesen Namen zu hören, um ein Gefühl der Erleichterung zu verspüren; er bedeutet »Tamariskenfluß«. Hier nahen wir uns den ersten Vorposten der Vegetation gegen das Wüstenmeer. Es ist beinahe 2 Uhr morgens, als die Kewir endlich ein Ende hat, und wir landen an ihrem Ufer mit einem solchen Gefühl des Wohlbehagens, als ob wir aus einem Meer von Schlamm errettet worden seien.

Es geht über schwach durchschnittenes Terrain nach Nordnordwesten, und bald schlafen die Leute wieder auf ihren Kamelen. Ich habe dafür gestimmt, daß hier auf dem sandigen Boden gelagert werde, aber sie sagen, daß sie erst »Abad«, bewohntes Land, erreichen müßten, ehe sie haltmachen wollten. »Es ist ganz nahe«, sagen sie. Aber ich möchte wissen, wie oft jeder Glockenklöppel angeschlagen hat, ehe die Karawane wirklich stillstand. Hier hielten wir lange und gründlich. An der Spitze wird geredet, gezankt und geschimpft, und ich höre alle Augenblicke die liebenswürdigen Worte »Peder sek« und »Peder suchte«, »dein Vater ist ein Hund, dein Vater ist gebrandmarkt«. Man merkt, daß dort eine regelrechte Schlägerei im Gange ist und daß aufgeregte Kerle aus Leibeskräften aufeinander losprügeln. Gulam und Ali schlafen wie die Ratten; als es mir endlich gelungen ist, sie zu wecken, und ich sie nach der Spitze geschickt habe, um zu hören, was dort vorgeht, kehren sie mit der Nachricht zurück, daß wir bei dem kleinen Dorfe Mesre-i-demdahaneh seien, dessen Bewohner meine Karawane nicht nach Pejestan weiterziehen lassen wollten. Sie wünschten, daß wir über Nacht bei ihnen blieben. Alle Karawanen müßten dies tun, wenn sie aus der Kewir kämen, behaupteten sie; die von Schahrud kommenden dagegen dürften in Pejestan haltmachen; aber ein kleines Einkommen müsse Mesre-i-demdahaneh vom Karawanenverkehr doch auch haben. Beide Dörfer streben nach diesem Vorteil und sind infolgedessen erbitterte Feinde.

Die Jezdmänner sind unerschütterlich; aber die Leute aus Mesre hindern sie mit Gewalt am Weiterziehen. So ist denn die Prügelei in vollem Gang. Als jene einsehen, daß sie die Reise nicht fortsetzen können, laden sie Hals über Kopf die Kamele ab, werfen die Lasten bunt durcheinander auf die Straße und lassen die ganze Karawane in diesem Zustande der Unordnung stehen und liegen, während sie selbst zu Fuß nach Pejestan gehen. Es war ihre Absicht, dort Leute aufzubieten und dann mit deren Hilfe die Leute von Mesre zu zwingen, daß sie ihnen erst die Kamele wieder belüden und darauf die Karawane nach Pejestan weiterziehen ließen.

Mich ging der ganze Zwist nichts an, also fragte ich die Leute von Mesre, ob sie uns beherbergen könnten. Sie glaubten, daß auch wir zu der Jezdkarawane gehörten, und wollten mit mir weiterzanken. Als sie aber nach einigen Worten begriffen hatten, daß ich ein Frengi, ein Europäer, war, wurden sie eitel Höflichkeit. Ihre elenden Hütten waren jedoch so beschaffen, daß ich mich nur in der äußersten Not hätte entschließen können, darin zu schlafen. Ich beschloß daher, nach dem Dorfe Sadfe weiter zu ziehen, das von hier einen halben Farsach entfernt lag.

So setzten wir uns denn nach diesem nächtlichen Intermezzo wieder in Bewegung und zogen über die schwach wellenförmige Steppe nach Westnordwesten. Wir brauchten eine Stunde, um das Dorf zu erreichen, und es war beinahe 5 Uhr am Morgen des 5. Februar. Es erforderte ziemliche Mühe, ein paar Leute aufzuwecken, die zu einer so ungewohnten Tageszeit wohl alles eher erwartet hätten als europäischen Besuch. Aber schließlich gelang es doch; ein älterer Mann mit einer Öllampe zeigte uns den Weg nach einem Balachaneh, das eine Treppe hoch lag. Hier gab es einen fensterlosen Verschlag, aus dem Gulam Hussein den ärgsten uralten Staub und Schmutz ausfegen mußte. Die vier kleinen Mädchen des Hauses zündeten ein sehr notwendiges, heiß ersehntes Feuer an und unterhielten sich recht ungeniert mit mir, während Gulam mein »Souper« bereitete. Ali Murat blieb auf dem Hof, um für seine müden Kamele zu sorgen, die einen Ruhetag im Lager Nr. 23 sehr verdient hatten.

Gegen 6 Uhr war das Souper fertig; nach sechzehnstündigem Fasten kam es wahrhaftig nicht zu früh. Wie gewöhnlich bestand es aus einem gebratenen Huhn, Eiern, Brot und Tee; sobald es gewissenhaft erledigt war, ließ ich mir nicht einmal die Zeit, eine Pfeife anzuzünden, sondern warf mich, gleichgültig gegen alles, auf meine Pelze und Filzdecken und schlief bald so fest wie ein Toter. Die Höhe von Sadfe beträgt 936 Meter.

Es war mir geglückt, auf der Linie Dschandak-Sadfe die Kewir wohlbehalten zu durchqueren, eine beschwerliche, anstrengende Reise. In ihrem letzten Teil hatte sie mich gelehrt, daß die Schilderungen der Eingeborenen von den Gefahren, denen man in ihr ausgesetzt ist, keineswegs übertrieben waren. Die Entfernung vom Haus-i-Hadschi-Ramasan bis Sadfe beträgt 137 Kilometer, an und für sich eine kurze Strecke, die wir, einschließlich der drei Rasten, in 48 Stunden zurückgelegt haben. Von dieser Strecke liegen 110 Kilometer innerhalb der Kewir. Mit einer beladenen Kamelkarawane reist man nicht schnell und macht man keine langen Tagemärsche; noch langsamer geht es jedoch, wenn das Terrain so ist wie in der Kewir nach Regen. Ich hatte auf dieser Reise noch Glück gehabt. Als ich sie antrat, war der nasse Lehm im Begriff zu trocknen, und erst während der letzten 10 Kilometer wurde er wieder gründlich angefeuchtet; wäre dieser zweite Regen einen halben Tag früher eingetreten, so wäre meine Lage gefährlich geworden.

Noch aber war meine Wüstenmission nicht beendet. Die Karawane befand sich auf dem Wege nach Chur; ich selbst wollte nach Turut ziehen, um von dort eine zweite Durchquerung zu unternehmen. Auf noch einer Linie sollte ich Gelegenheit erhalten, die Breite der Salzwüste festzustellen. Schon jetzt hatte ich gefunden, daß der Weg zwischen Dschandak und Sadfe die Kewir an ihrer schmälsten Stelle durchschneidet, in einer Gegend, wo die Wüste zusammengeschnürt ist, so daß ihre Form einer Sanduhr gleicht. Auf meinem Zuge vom Kuh-i-nakschir nach Dschandak hatte ich bereits gesehen, daß das westliche Becken der Kewir eine bedeutende Ausdehnung hat. Es handelte sich nun darum, von neuem eigene Beobachtungen mit denen anderer zu kombinieren, um feststellen zu können, wie es sich mit dem östlichen Becken der Kewir verhielt.

Einer Gefahr war ich immer ausgesetzt: ein neuer anhaltender Regen konnte mich auf einige Zeit von meiner Karawane in Chur abschneiden. Um wieder mit den Meinen zusammenzutreffen, mußte ich mich dem Risiko einer neuen Wüstenreise unterziehen.


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