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Am 17. Januar wurde ich geweckt, als es noch dunkel war. Mirza stellte ein Licht auf eine Kiste und holte dann ein Mangal mit glühenden Kohlen und eine Waschschüssel mit warmem Wasser; beide waren sehr notwendig, um mich aus der sorglosen Welt der Träume herauszureißen und mich reif zu machen für die morgenkalte Wüste, die draußen vor dem Zelte meiner wartete. Wir hatten gestern 29 Kilometer zurückgelegt und heute lag eine ebenso lange Strecke vor uns. Vorsichtig und ängstlich näherten sich zwei Hirten unserm Lager und gaben mir mancherlei Auskunft. Sie kannten das in N 2° W gelegene Gebirge von Mulkabad, und es ist stets von Wert, die Namen, die man schon gehört hat, kontrollieren zu können. Den Berg in N 49° W nannten sie Bend-i-arabieh, ein Name, den auch Gulam Hussein kannte. Eine kleine, isolierte Partie diesseits von Mulkabad nannten sie Kutak, und in N 81° W zeigten sie mir einen Felsenhügel, in welchem die Quelle Sefid-ab, »das weiße Wasser«, entspringt. Im Süden kannten sie den Tscha-i-schäms, in S 40° O Tscha-bolasun und noch weiter draußen den Puse-i-dom; in Südwesten haben wir den Tscha-schur, den »Salzbrunnen«, unweit des Lagers; weiter hinten in derselben Richtung den Tscha-gur, den »Brunnen der Wildesel«. Nach Südosten sollen es 13 Farsach bis zum Tscha-busurgi, dem »großen Brunnen«, sein. Diese Hirten hüteten ungefähr 100 Arbeitskamele, die einem reichen Mann in Mähabad gehörten. Im Laufe des Frühlings treten die Kamele wieder in den Karawanendienst, nachdem sie sich den Winter über haben ausruhen dürfen.
Mit dem Panorama der südlichen Berge zur Rechten und der Kewir in einiger Entfernung zur Linken, ziehen wir in dem freundlichen Morgenwetter nach Ostsüdost. Wir folgen einem Pfad, der anscheinend selten benutzt wird; wenigstens ist er durch Rinnen verwischt, in denen lange kein Wasser geflossen ist. Das südliche Gebirge ist noch eine gute Tagereise weit entfernt; daher verändern sich die Winkel, unter denen seine Gipfel erscheinen, sehr langsam. Auch hier ist die Kewir scharf abgegrenzt, und man kann während der ganzen Tagereise von einer wirklichen Uferlinie zwischen ihrer öden Fläche und der Steppe sprechen. Wir folgen diesem Strande den ganzen Tag hindurch getreulich und haben eine unendlich einförmige Aussicht über die Salzwüste hin, die einem kolossalen, aus eitel Schlamm bestehenden See gleicht, einem See, dessen Spiegel der Wind nie kräuselt und an dessen Ufer keine melodischen Wellen schlagen.
Wie in der Lopwüste findet man oft Röhren aus Kalk, der mit Sand gemischt ist; er hat sich um Stengel und Stiele welkender Pflanzen herum abgesetzt und zerfällt, sobald man ihn berührt.
Eine Stunde nach der andern ziehen wir am Strande entlang, ganz wie gestern, aber in entgegengesetzter Richtung und unter günstigeren Terrainverhältnissen, denn hier ist der Boden hart und eben und die Uferumrisse weniger zackig. Fern im Norden, jenseits der Kewir, erscheinen die schwachen Umrisse der dort liegenden Berge, die sich wie Kulissen verschieben. Es schmerzt mich, nicht auch an ihrem Fuße die scharfe Grenze der Kewir in meine Karte aufnehmen zu können; aber ich tröste mich mit dem Gedanken, daß man nicht alles kann. Auf den südlichen Bergen liegt der Schnee noch in ganzen Feldern und langen Streifen, da er hier auf ihrer nach Norden gekehrten Seite dem Schmelzen weniger ausgesetzt ist. Doch hier unten auf der Steppe, wo wir wandern, brennt die Sonne; der Erdboden ist stark erwärmt, um 1 Uhr sind es 13,2 Grad – wir befinden uns in einem ganz andern Klima als bisher. Und dabei sind wir in der Mitte des Januar, der kältesten Jahreszeit! Wie wird das erst werden, wenn ich im Frühling Tebbes und Seïstan erreiche; vermutlich wird es glühend, erstickend heiß sein! Auf dem ganzen Weg nach Indien gehe ich nach Südosten, der Sonne entgegen; jeden Morgen wird sie mir die Richtung meines nächsten Tagemarsches zeigen. Jeder Tag bringt mich dem Frühling einen Schritt näher, und zwar um so viel schneller, als es nach Süden, nach einem wärmeren Himmelsstrich geht. Jetzt habe ich das herrlichste Wetter, das man sich nur wünschen kann, und es ist ein Glück, daß ich den schweren Winternebeln entronnen bin. Aber es wird noch die Zeit kommen, da ich der kühlenden Schneewehen in den Schluchten von Mulkabad mit schmerzlicher Sehnsucht gedenken werde.
Schon um 11 Uhr herrschte vollständiger Sommer. Man sehnt sich nach den Nachmittagstunden mit ihrer Kühle und ihrer labenden Brise. Ich throne hoch oben auf meinem schaukelnden Träger, und die Sonne steht mir gerade gegenüber. Einer der Männer beginnt ein schwermütiges Lied zu singen – ja, singt nur, Leute, vielleicht geht es dann schneller vorwärts!
Gelegentlich liegt ein klein wenig Flugsand auf der vor dem Winde geschützten Seite der größeren Büschel angehäuft, sonst sieht man keine Spuren einer Sandwüste, obwohl man glauben möchte, daß alle Bedingungen zu ihrem Entstehen hier vorhanden seien. Auf dem Grunde der Erosionsrinne zeigt sich oft feiner, gelber Schlamm, der nach dem Trocknen in konkave Schollen geborsten ist. Solch feines Material ist es, das im Laufe der Zeiten durch das fließende Wasser in die Kewir hinausgetragen wird, um ihre verschiedenen Depressionen auszufüllen und zu nivellieren. Der Kewirgürtel, der sich dem Ufer zunächst hinzieht, schillert gelb und bildet eine Art Übergangsstufe zu dem Steppengürtel. Dahinter wird die Oberfläche der Wüste immer dunkler, in der Ferne gewahrt man einen weißen Streifen und über und hinter ihm eine noch feinere, schwarze Linie, die wie Wasser aussieht. In größerer Nähe, in den kleinen Buchten vor uns, möchte man nur zu gern glauben, daß das dünne Oberflächensalz angesammeltes Wasser sei, aber man läßt sich durch die Luftspiegelung, die Beleuchtung und die Entfernungen, sowie auch dadurch täuschen, daß die Oberfläche der Wüste vollkommen eben ist.
Etwa zwei Stunden lang läuft ein fremdes Kamel vor der Karawane her; es hat weder Halfter noch Decke, und man möchte es beinahe für ein wildes Kamel halten. Es hat sich offenbar von einer Herde verlaufen. Erst als Newenk darauf losstürmt und es stehen bleibt, um den Angriff abzuwehren, ziehen wir an ihm vorüber und werden seine Begleitung los.
Während des folgenden Marsches wurde das Ufer unregelmäßiger, und wir berührten die innersten Spitzen mehrerer kleinen Buchten. Zwei Antilopen weideten auf der Steppe. Hussein Ali, der sonst ein Faulpelz ist und eine unglaubliche Fähigkeit besitzt, in einem fort auf seinem Kamele zu schlafen, wird sofort wach und lebendig, sobald vom Jagen die Rede ist. Leider schießt er stets daneben, und die wilden Tiere der Wildnis scheinen keine Gefahr zu laufen, wenn er sich ihnen mit seiner Flinte auf Schußweite nähert. Da waren die russischen und burjatischen Kosaken doch ganz andere Kerle; sie schossen niemals, wenn sie nicht sicher waren, das Ziel zu treffen.
Jetzt nimmt der Steppenboden zu, und die Büschel stehen dicht nebeneinander; infolgedessen sind die Kamelfährten zahlreicher als vorher, man ahnt die Nähe einer Quelle. Wendet man sich um und schaut nach Nordwesten, so scheint die Steppe, über die wir hingewandert sind, unter Wasser zu stehen – wieder einmal äfft uns die Luftspiegelung. In mehreren Rinnen, durch die sich das Wasser nach Regengüssen einen Weg sucht, sind kleine halbmondförmige Dämme aufgeworfen worden. Auf diese Weise stauen die Hirten das Wasser auf und zwingen es, am Fuße des Dammes stehenzubleiben, wo es einen Tümpel bildet, der sich einige Tage hält und den Hirten und ihren Kamelen eine Wanderung nach der nächsten Quelle am Fuße des Gebirges erspart. Solche Dämme heißen »Bend-i-redschab«. Man sieht in solchen Rinnen auch regelrecht gegrabene Brunnen, die demselben Zweck, dem Sammeln des Regenwassers, dienen.
Es geht auf 4 Uhr; wir haben dem Läuten der Karawanenglocken schon den ganzen Tag gelauscht und sehnen uns danach, das Lager aufschlagen zu können. Die Steppe bildet gerade eine abgestumpfte Ausbuchtung in die Kewir hinein. Hier werden zwischen Tamarisken und andern Steppenpflanzen eine ganze Menge Kamele. Vor uns im Südosten erscheint ein Mann, wahrscheinlich ein Hirte. Wir beschließen, erst dann zu lagern, wenn wir ihn erreicht haben. Gulam Hussein glaubt, daß der Mann hier sein »Mänsil«, seinen Lagerplatz, habe und gerade beabsichtige, die Kamele für die Nacht zusammenzutreiben, um sie am nächsten Morgen nach einer Quelle zu führen. Der Platz sagte uns zu; Weide und Brennmaterial waren in Überfluß vorhanden, nur das Wasser fehlte, und unsere Kamele waren seit drei Tagen nicht getränkt worden. Der Wasservorrat, den wir noch in den Schläuchen hatten, reichte für uns vollständig aus, wenn auch das Wasser schon dumpfig und abgestanden war; aber in dieser Beziehung blieb uns ja keine Wahl.
Daher machten wir halt, als wir endlich den Hirten erreicht hatten. Durch einen zischenden Ton und einen kurzen Ruck an der Halfter veranlassen die Männer die Kamele, sich niederzulegen; die Stricke um die Lasten werden losgeknüpft und unsere Kisten und Proviantsäcke auf die Erde gestellt. Die gewöhnlichen Arbeiten gehen leicht und schnell vor sich, und während die anderen die Zelte aufschlagen, zündet Awul Kasim das erste Feuer an. Die Höhe des Lagers Nr. 11 betrug 774 Meter.
Der Hirt erzählte uns, daß er mit drei Kameraden die 200 Kamele des Ketchodah von Mähabad hüte, die im Frühling zum Transport zwischen Schiras und Teheran benutzt würden. Seine geographischen Kenntnisse erstreckten sich nicht weit, aber er war doch den Weg gewandert, der von hier aus nach Semnan über Mulkabad, Tallhä, Tscha-mischmeß und den Kuh-alafi führt; das letztgenannte Gebirge sind die Berge, die im Norden des Kuh-i-nakschir schwach sichtbar sind; bis nach Semnan rechnete er 25 Farsach. Die Entfernung nach dem großen Dorf Anarek, das zur Provinz Jezd gehört, betrug, seiner Behauptung nach, nur zwei Tagereisen.
Als ich ihn fragte, ob er es für möglich halte, daß man von hier aus nordwärts durch die Kewir ziehen könne, rief er, ohne sich erst zu bedenken, aus: »Nein, davor bewahre uns Gott! Man braucht nicht weiter, als ein Ruf reicht, vom Rande hineinzugehen, so versinkt man schon im Schlamm und ist rettungslos verloren.« Man sehe allerdings kein Wasser, aber es stehe überall unmittelbar unter der Oberfläche des Bodens. Er habe nie gehört, daß jemand einen solchen Versuch gewagt habe; wolle man die Kewir nach Norden hin durchqueren, so müsse man den von alters her bekannten Wegen durch die Wüste folgen. Von Dschandak aus gebe es zwei solcher Wege, der eine führe nach Husseinan, der andere nach Turut. Vor zwanzig Jahren habe er einen Europäer – es war dies wahrscheinlich der englische Leutnant Vaughan – hier in der Gegend gesehen, der von Kirman gekommen sei, um sich über Mulkabad nach Teheran zu begeben; doch seitdem habe er nie wieder etwas davon vernommen, daß ein Europäer diese Straße gezogen sei.
Gerade als wir uns um 8 Uhr morgens in Marsch setzten, fiel ein kurzer, aber feiner und dichter Regen, und die Kämme des südlichen Gebirges waren nicht mehr sichtbar, wohl aber noch die untern Teile seiner Berge. Unser Freund und seine drei Kameraden besuchten uns und erhielten je einen Schluck Wasser; einer von ihnen wollte uns den Weg nach der nächsten Quelle zeigen, die andern drei aber sollten ihre Kamele nach der Tscheschme-bolasun führen.
Wir ziehen südostwärts und richten uns nach einem Punkte unterhalb des östlichsten Gipfels der südlichen Berge. Während wir so von dem Rande der Kewir, der tiefsten Depression der ganzen Gegend, fortwandern und nach dem Fuße ihrer südlichen Randberge marschieren, steigt der Boden den ganzen Tag über, wenn auch langsam, an. Der Wind wird stärker und schiebt von rückwärts nach. Auf der linken Seite lassen wir den Steppengürtel hinter uns zurück; ein Weilchen bleibt das Terrain ganz vegetationslos, ist aber von zahllosen Schuttrinnen durchschnitten, nachher aber treten wieder Grasbüschel auf; der Boden ist hart, und die Schuttmenge nimmt in dem Maße zu, wie wir uns dem Gebirge nähern.
Ein steiler Berg, den wir schon gestern gesehen, tritt jetzt wieder schwach zwischen den Wolken in S 50° O hervor; es soll der Kuh-i-busurgi sein. Je mehr wir uns der südlichen Bergkette nähern, desto kräftiger sind die Schuttrinnen in das Erdreich eingeschnitten, obwohl sie selten einen Meter tief sind. Drunten, auf der linken Seite, dehnt sich die unendliche Fläche der Kewir aus in ihren verschiedenen Nuancen und mit den schmutzigweißen Feldern, die aus Salz bestehen; in noch höherm Grade als bisher erhält man hier den Eindruck, am Ufer eines großen Sees entlang zu reiten, dessen ebener Spiegel sich zwischen den Unebenheiten der Ufer und den Gebirgsbruchstücken hinzieht. Und dennoch ist das, was wir vor uns sehen, nur ein Moorbad in gigantischen Dimensionen. Die Grenze zwischen dem Schuttkegel und der schwarzen Kewirfläche ist außerordentlich scharf gezogen; man glaubt, von hier oben zu sehen, wie das außerordentlich flache, ein bis zwei Grad betragende Gefälle des Kegels in die ebene Schlammfläche des Depressionsbeckens übergeht. Dennoch gewahrt man hier und dort zwei Übergangsgürtel, und zwar den ersten da, wo der Schuttkegel in ebene Steppe mit verhältnismäßig reicher Vegetation übergeht, und dann noch einen zweiten, ganz schmalen, der gelblich schillert und bereits zur Kewir gehört.
Unser Führer versichert, wenn es in der Kewir und ihrer Umgegend heftig und anhaltend regne, werde die ganze Salzwüste sehr sumpfig und sei sozusagen aufgeweicht, und es stehe dann wohl acht bis vierzehn Tage lang offenes Wasser große Strecken weit. Jetzt aber sei offenes Wasser eine seltene Erscheinung, selbst wenn es in tiefern Teilen der Senke vorkommen könne. Wie die Hirten an der Tallhäquelle, nannte auch dieser Mann die große Kewir »Rig-i-dschin«, womit er andeutete, daß es in ihrem Innern nichts anderes als Geisterwesen gebe. Das Wort bedeutet »die Sandwüste der bösen Geister«.
Im Osten treten wieder die niedrigen Landrücken hervor, welche die westliche Kewir nach dieser Seite hin begrenzen; sie liegen sichtlich auf der Bodenanschwellung, die unsere Depression von ihrer nächsten Nachbarin im Osten trennt.
Die Kewir bildet eine halbrunde Bucht nach Süden, die uns zwingt, eine südöstliche Richtung einzuschlagen, um dann später, nachdem wir sie hinter uns haben, wieder nach Nordosten abzubiegen. Wir müssen mit andern Worten die Bucht umgehen, denn unser Hirte behauptet aufs entschiedenste, daß sie sich nicht überschreiten lasse, obwohl er gehört hat, daß vor vielen Jahren einmal ein Mann den Versuch mit einem Kamel gewagt habe. Noch aber ist es weit bis an das Ende der Ausbuchtung, und wir haben mehr Interesse daran, den Bergen zu folgen; im Herzen der Kewir ist ja nichts anderes zu sehen als salzhaltiger Schlamm. Man kann diese Bucht und den damit verbundenen Umweg auch ganz vermeiden, wenn man geraden Weges nach der Oase Tebbes zieht. Hat man sich aber, wie wir, Dschandak zum Ziel gesetzt, so muß man dem Rande der Kewir folgen. Der Hirt glaubte zu wissen, daß von Dom, unserm Lager Nr. 12, früher ein Weg gerade durch die Kewir nach Dschandak geführt habe; dieser Weg sei jetzt aufgegeben. Wir würden vier Tage Zeit gespart haben, wenn wir diesen Wüstenweg hätten benutzen und die große Kewirbucht dadurch hätten abschneiden können, aber der Hirt riet uns von dem Versuch ab, der seiner Meinung nach ohne ortskundige Führer lebensgefährlich war. Auch mit Führer sei eine solche Wanderung ein großes Wagnis, denn die Tragfähigkeit der Salzwüste ist in verschiedenen Jahren verschieden, und an Stellen, die man in einem trocknen Jahre gefahrlos überschreiten kann, versinkt man in einem andern. Man riskiert auch, sich nach Zurücklegung von drei Vierteln der Entfernung auf einmal durch unpassierbare Stellen am Fortsetzen des Marsches verhindert zu sehen und durch die Unwegsamkeit des letzten Viertels zum Rückzug gezwungen zu sein.
Im Gegensatz zu unserm Gewährsmann am Kuh-i-nakschir behauptete dieser Hirt, daß ein direkter Weg nach Dschandak von einem zwischen der Tscheschme-Kerim und der Tscheschme-dosun liegenden Punkte ausgehe. Hätten wir diesen Weg gefunden, so wären wir jetzt schon in Dschandak; aber ich beklagte den Zeitverlust durchaus nicht, denn gerade dadurch, daß wir dem Rande der Kewir gefolgt waren, hatte ich ihre scharfe Grenze auf meiner Karte eintragen können. Übrigens sind derartige Mitteilungen unzuverlässig; der Hirt war selbst nie in der Kewir gewesen und hoffte, daß er auch nie hineinkommen werde.
Langsam und sicher nähern wir uns dem vorspringenden Berge, auf den wir den ganzen Tag losgesteuert sind. In seiner Nähe wird das Terrain eine Weile günstiger, der Grus nimmt ab und macht grobem Sand Platz, in welchem die Steppengrasbüschel in größerer Üppigkeit gedeihen und auf dem Kamele werden. Doch die Steigung wird steiler, das Marschtempo langsamer. Das alte Kamel, das schon vor mehrern Tagen Spuren großer Erschöpfung zeigte, geht jetzt seiner Auslösung entgegen; es bleibt unausgesetzt stehen und muß schließlich von Habibullah geführt werden. Endlich sind wir um den Vorsprung herum, und nun wird unsere Richtung beinahe südlich.
Das Terrain ist jetzt für beladene Kamele schwierig; die steilen Hänge sind mit scharfkantigem Schutt übersät, und eine Rinne, die wir unterhalb eines weiten Taltores überschritten, war 20 Meter breit und 10 Meter tief; sie tritt gleichsam wie durch ein Portal aus dem Gebirge heraus und geht, deltaförmig geteilt, den Abhang des Geröllkegels hinunter. Wir passieren noch mehrere andere, aber kleinere Rinnen, ehe wir schließlich das gelbe Gras um die salzhaltige Quelle »Dom« schimmern sehen, wo wir das Lager Nr. 12 in 914 Meter Höhe aufschlagen.
Die Tscheschme-i-dom, die »Endquelle«, erinnert an die Quelle von Mulkabad und entspringt aus weichem Boden; in ihrer Abflußrinne ist eine Reihe kleiner, 1–3 Meter im Durchmesser haltender Becken gegraben worden, um den Schafen und Kamelen das Trinken zu erleichtern (Abb. 62). Das Wasser ist jedoch so salzig, daß man sich nur im Notfall dazu entschließen könnte, es zu trinken; aber die Kamele, die seit vier Tagen nicht getrunken hatten, nahmen damit vorlieb und blieben lange, schlürfend, saugend und sich umsehend, an der Quelle. Dann wurden sie zu ihrer Häckselmahlzeit hinuntergetrieben, zu der wir nur noch auf zwei Tage Vorrat hatten.
62. Wasserbecken in der Kewir. (S. 261.)
Meine erste Sorge nach dem Aufschlagen des Lagers ist, alles, was sich an Leuten in der Nähe findet, herbeiholen zu lassen, damit sie mir erzählen, was sie von der Geographie des Landes und dem Klima, über die große Salzwüste und die Wege nach den benachbarten Gegenden wissen. Es ist freilich nicht immer ganz leicht, die Aussprache der Hirten zu verstehen. Auf ihren Lippen verändert sich die Sprache, sie sagen »o« statt »ab« und »saus« statt »säbs«, und Mirza muß mir die Namen, die sie mir aufzählen, erst in ordentliches Persisch übersetzen. Auf diese Weise erweitere ich allmählich meine Kenntnis des Landes, wenn es auch in den meisten Fällen unmöglich ist, die Namen mit zuverlässiger Sicherheit auf der Karte zu verzeichnen.
Hinsichtlich des Klimas erfuhr ich, daß es hier viel wärmer sein soll als am Kuh-i-nakschir, obgleich der Abstand so gering ist; die Kewir scheint demnach eine klimatische Grenze zu bilden. Wir haben dies auch weiter nach Osten hin bestätigt gefunden. So hatte es z. B. hier an der Domquelle in diesem Jahre überhaupt noch nicht geschneit; auch im Winter treten die Niederschläge gewöhnlich als Regen auf, und wenn es wirklich einmal schneien sollte, so ist die Schneedecke sehr schnell wieder verschwunden.
Die Schafherden, die jetzt bei der Domquelle weideten, gehörten dem Iliathäuptling Mad Bulutsch; es waren im ganzen 400 Tiere. Eine aus 200 Kamelen bestehende Herde gehörte dem Ketchodah von Mähabad bei Isfahan, von dem wir schon gehört hatten und der offenbar ein wohlhabender Mann war. Die Herde zieht Mitte Oktober nach Dom, wo sie acht Monate grast, um dann während der heißen Zeit des Jahres in »Bachtiari« zu verweilen, in den von Bachtiaren bewohnten Gebirgsgegenden Luristans.
Ich saß vor meinem Zelt, schaute nordwärts über die Kewir hin und sah die Grenze des festen Landes mit seinen Halbinseln, Vorsprüngen und kleinen Inseln, diese zerfetzte Grenze am Ufer des Schlammsees. Alle diese Ausläufer haben eine festere Zusammensetzung; sie bestehen entweder aus Gestein in mehr oder weniger verwittertem Zustand, oder sie sind Teile und Zipfel des Schuttkegels, der sich nach dem Grunde der Depression hinunterzieht. Es ist eine außerordentlich eigentümliche, phantastische Landschaft. Der Hirt an der Domquelle sagte uns, daß die Oberfläche der Kewir sich, wenn anhaltende Trockenheit herrsche, mit einer härtern, vollkommen tragfähigen Rinde überziehe, daß es aber trotzdem gefährlich sei, sich mit einer großen Karawane auf sie hinaus zu wagen. Er verglich die Rinde mit der schwachen Eishaut eines Morastes und fügte hinzu, daß eine solche Karawane stets in Gefahr schwebe, die ganze trockne Scholle auf einmal unter sich brechen zu sehen, wodurch sie alle zugleich ertrinken müßten. Doch hatte er auch gehört, daß im Innern der Kewir, in Gegenden, wohin Menschen nie gelangen könnten, Oasen mit duftendem Gras, schwankenden Palmen und süßen, klaren Quellen lägen. Wie die meisten andern Völker, haben auch die Perser ein Talent, das Unerreichbare in ein sehr verlockendes, verführerisches Gewand zu kleiden.
Das erschöpfte Kamel gelangte noch ins Lager, aber in sehr angegriffenem Zustand. Obgleich es wie die andern vier Tage gedurstet hatte, sah es das Wasser kaum an, eine Gleichgültigkeit, die die Treiber als ein schlechtes Zeichen betrachteten. Sie kneteten ihm noch Klöße, aber es hatte keinen Appetit. Am Abend saßen die drei Kameltreiber unter freiem Himmel an ihrem Feuer, flickten zerrissene Packsättel und Stiefel, plauderten und rauchten, während der rote flammende Feuerschein sie phantastisch beleuchtete. Sie waren von dem heutigen langen Steigen ein wenig ermüdet, da sie stets zu Fuß gehen müssen, während Mirza und Awul Kasim keinen Schritt tun. Die Hauptsache ist, daß alle zufrieden sind und sich wohl fühlen, und bisher habe ich in der Karawane noch kein böses Wort gehört.