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Viertes Kapitel.
Eine Wagenfahrt von 1300 Kilometern.

Pfeifend und schnalzend treibt der Kutscher die Pferde auf dem gewundenen Wege im Tale an. Der Verkehr ist lebhaft; wir begegnen Pferdekarawanen, die Kohlen nach der Stadt bringen, ungefügen Ochsenkarren (Abb. 3), Bauern mit Pferden und Eseln, Bettlern, Wanderern, Reitern, Soldaten, verschleierten Frauen in großen, blauen, weißpunktierten Kopfbedeckungen. Viele »Hammals« in Lumpen wanderten nach ihrem Heimatsdorf zurück, nachdem sie sich in Konstantinopel als Lastträger einen Spargroschen verdient hatten. Dann und wann sausen wir an einem offenen Obstladen vorbei, wo Äpfel, Birnen und Weintrauben feilgehalten werden, oder auch an einem »Kawechaneh« (Kaffeehause), wo der Müde ausruhen und einige Erfrischungen genießen kann. Das Tal verengt sich; an seiner rechten Seite führt ein abschüssiger Pfad zu einsamen Hütten hinauf, die wie Storchnester über dem Tale schweben. Bei Hadschi Mehemed überspannt eine hölzerne Brücke den Fluß. Die Straße erhebt sich immer mehr über den Talgrund und seinen rauschenden Fluß; wo eine Flußbiegung die Straße zu unterminieren droht, ist eine steinerne Brustwehr errichtet, und überall, wo Bergrutsche an den schroffen Wänden zu erwarten sind, schützen Mauern den Weg. Hier und dort sind Arbeiter mit Ausbesserungen beschäftigt – man tut sichtlich sein Bestes, um diese wichtige Straße in gutem Zustand zu erhalten. Schon hier ist der Fes seltener als in Trapezund; an seiner Stelle winden die Landleute sich schwarze Binden um den Kopf oder tragen ein Mittelding zwischen Fes und Turban.

siehe Bildunterschrift

3. Ochsenkarren in der Nähe von Trapezund. (S. 30.)

Durch spärlichen Laub- und Nadelwald fahren wir an Aiwasil mit seinen Gehöften und seinem Wirtshause vorbei. In den offenen Verkaufsständen der Dorfstraßen, auf Balkonen und Terrassen sitzen die Türken müßig umher und sehnen sich nach dem Iftar, dem Abendessen, während die Kinder unbekümmert das Gebot des Korans übertreten. Der Fluß strömt bald still und glatt dahin, bald rauscht und tost er in weißen Kaskaden.

Mataradschik ist ein malerisch gelegenes Dorf mit Karawanserais, Schmieden und großen offenen Stallungen, wo Karawanen aus Persien zu rasten pflegen; sie rechnen von hier eine Station nach Trapezund. Das Dorf liegt auf einem Abhang; infolgedessen ruhen die Fassaden der Häuser auf steinernen Säulen, während ihre Rückseite sich unmittelbar auf dem Erdboden erhebt. Der felsige Grund ist fest, aber das Holzhaus selbst oft dem Einfallen nahe und meistens mit Schindeln gedeckt. An den Wänden hängen Tabakblätter zum Trocknen. Die in das obere Stockwerk hinaufführende Treppe ist an der Außenseite des Hauses angebracht.

Das Tal ist jetzt eng und gewunden; der Fluß rauscht zwischen abgestürzten Blöcken hin, und vom Dorfe Ganni-pellet an geht die Straße in einer starken Zickzackbiegung den Abhang hinauf. Je höher wir steigen, desto schwächer hört man den Fluß rauschen. Hier und dort entspringt neben der Straße aus dem Fels eine Quelle, die in einem kleinen Steingewölbe gefaßt ist. Auf der linken Talseite steigen die Felswände jäh empor. Das Dorf Dschewislik besteht aus einer einzigen Basarstraße, wo viele Grob- und Hufschmiede die Pferde der Durchreisenden beschlagen und Hufeisen ausbessern (Abb. 4). Eine Reihe mit Lasten bepackter Pferde geht gerade nach Trapezund hinunter. Ein kleines armseliges Minaret erhebt sich über dem Dorfe.

siehe Bildunterschrift

4. Meine erste Station. (S. 31.) Im Hintergrund Heuschober.

In Dschewislik blieben wir die Nacht über. Mehrere Häuser machen einen europäischen Eindruck; sie sind weißabgeputzt, mit sechsscheibigen Fenstern versehen und haben ein Schindeldach. In dem mir zur Verfügung gestellten Zimmer standen zwei eiserne Bettstellen; aber die türkischen Matratzen sind mir stets verdächtig, und ich zog es daher vor, in meinem eigenen Zeltbett zu schlafen. Wenn man die Türkenfamilien in ihren vollgepackten Lastwagen ankommen und dann mit Sack und Pack in diese Hans (Gasthäuser) einrücken sieht, kann man sich die Ungezieferverschleppung denken. Im Sommer soll es in den Hans von Ungeziefer wimmeln, namentlich von der Sorte, die in Wänden und Bettstellen haust. Jetzt aber, in der Winterkälte, wird man in Ruhe gelassen, und ich kam mit heiler Haut und ohne erwähnenswerten Blutverlust davon.

Der Kutscher ist zugleich mein Koch; er bereitete mir vorzüglichen Pilau, Reispudding, Brot, Eier und Tee. Der eine Soldat wartet auf (Abb. 5); der zweite soll hier gewechselt werden, eine Zeremonie, die ein höflicher Offizier vornahm. Dies war meine erste Tagereise – ein Spatzenschritt auf dem unendlich langen Wege nach Tibet!

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5. Ein Mann der Eskorte. (S. 32.)

Am 14. November, um 3 Uhr morgens, klopfte der Kutscher an meine Tür und erklärte kategorisch, daß es Zeit zum Aufbrechen sei. Er zündete ein Licht an und brachte das Frühstück, und um ½5 Uhr ging es in der Spur des einen Wagens, der bereits um 2 Uhr abgefahren war, weiter. Bei Dschewislik stoßen zwei Täler zusammen; das kleinere heißt Mirjamana; das größere, dem wir am rechten Ufer seines Flusses bergauf folgen, ist das Tal von Hamsi-köi.

Mit lautem Krähen verkünden die Hähne des Dorfes, daß ein neuer Tag anbricht; aber noch behält die laue, stille Nacht die Herrschaft über die Erde, und der Mond ist nicht imstande, die dichte Finsternis zu zerteilen. Ein schwaches Lüftchen streicht talabwärts. Der Himmel ist nicht ganz klar; vergebens sucht man sich von dem Charakter der Landschaft und den Entfernungen einen Begriff zu machen; ein kleiner Fußpfad neben der Landstraße wird mit dem Flusse verwechselt, ein toter Hund am Wegrande sieht wie ein auf Beute lauernder Wolf aus. Leise rauscht ein Bach, als wir über eine Steinbrücke fahren, und Schellen klingen in der Nacht, als wir einer Pferdekarawane begegnen. Ein einsamer Wanderer taucht wie ein Gespenst aus dem Dunkeln auf und geht, kaum erkennbar, an uns vorüber. Der Kutscher gähnt, muß aber auf die Pferde achten, denn die Steigung ist stark, es geht langsam; auf den Tongastraßen in Kaschmir fährt man rascher. Der Soldat, der an meiner Seite reitet, nickt im Sattel ein und schwankt hin und her, sein Kamerad bildet die Bedeckung des Lastwagens. Das Dorf Meksila schläft still nach der Nachtwache im Ramasan; nur in einem einzigen Fenster flackert eine Öllampe; vor einem Serai sind große Massen Warenballen aufgestapelt, die auf Weiterbeförderung nach oder von Trapezund warten.

Es wird kaum merkbar heller; ein kleiner beschneiter Kamm vor uns tritt nur schwach hervor; je mehr sich der Morgen nähert, desto kühler wird der Wind. Um ½7 Uhr beginnt es hell zu werden, und zwischen leichten Wolken erscheinen blaue Felder: der neue Tag geht über Kleinasiens Bergen auf. Die Natur ist nordisch, die Oberflächenformen scharf ausgeprägt, und hinter Tus-chanlar überwiegt nacktes Gestein. Nachdem die Sonne aufgegangen ist, genieße ich die herrliche Landschaft in vollen Zügen; manchmal hat man eine senkrechte Felswand zur Linken und rechts den jähen Abhang nach dem Talgrunde hinunter. An solchen Stellen kann es unangenehme Situationen geben, wenn man Pferde- oder Eselkarawanen begegnet oder sie überholen will. Diese traten gerade hier zahlreich auf, und mehrere von ihnen beförderten Petroleum in das Innere des Landes. Die Esel haben ein geradezu unglaubliches Talent, sich uns mitten in den Weg zu stellen und ihre Hinterbeine der Gefahr auszusetzen, von den Rädern verletzt zu werden.

Die Straße ist noch immer vorzüglich; sie ist gut gehalten, frei von Kot oder Schnee, windet sich aber in verzweifelten Schlangenlinien in alle Schluchten hinein, um alle Hügel herum, bergauf und bergab und auf steinernen Brücken (Abb. 6) über kleine Seitenbäche. Das Dorf Hamsi-köi schlummert noch, obgleich die Sonne hoch am Himmel steht; aber im Monat Ramasan schläft man bis tief in den Tag hinein, um die Stunden des Fastens zu verkürzen. Ein wenig weiter oben rasten wir der Pferde wegen; eigentlich macht man an jedem Tage zwei kurze Tagereisen. Während des Aufenthalts nehme ich mein Frühstück zu mir, photographiere (Abb. 7, 8) und schreibe, und meine Leute schlafen.

siehe Bildunterschrift

6. Steinbrücke über ein Seitental.(S. 33.)

siehe Bildunterschrift

7. Armenische Kirche bei Hamsi-köi. (S. 34.)

siehe Bildunterschrift

8. Stationshaus bei Hamsi-köi. (S. 34.)

Dann geht es auf der rechten Talseite immer höher hinauf, und der Fluß schrumpft zu einem weißen Bändchen zusammen, das gelbe Schnüre umgeben – es sind die in verschiedenen Richtungen gehenden Wege und Stege. Der Wald wird dichter; wir befinden uns in gleicher Höhe mit den Gipfeln der Fichten, die unterhalb der Straße wachsen (Abb. 9). Eine Schar unverschleierter Frauen trägt Brennholz nach dem Dorfe, und ein einzelnes Mädchen sammelt Reisig auf einem steilen Abhang; ihre Kleidung ist feuerrot, sie erscheint wie eine Waldfrau zwischen den Tannen, wirft mir einen scheuen Blick zu und verschwindet. Hier gibt es weder Gehöfte noch Hütten; wir sind im wilden Wald, wo der Herbst fleißig mit seinem Zerstörungswerk unter den Ahornbäumen, Espen und Ulmen beschäftigt ist, die gastfreundlich zwischen den Fichten ausgenommen worden sind.

siehe Bildunterschrift

9. Schöner Weg in der Nähe von Zigana. (S. 34.)

Der Fichtenwald lichtet sich und hört auf; in tollen Krümmungen schlängelt sich die Straße an den öden, steilen Halden hinauf. Die Höhen werden flacher und abgerundeter; wir befinden uns in der Quellmulde des Tales, in die von allen Seiten her flache Nebentäler einmünden. Langsam und gemächlich geht es nach dem Passe Zigana (2025 Meter) hinauf, auf dem ein Han und ein paar Hütten liegen; diese können sich einer großartigen Aussicht über das Berggewirr rühmen, welches das Land im Süden bis an den Rand des Horizonts erfüllt und in dem man einen Schneekamm unterscheidet, der den, auf dessen Gipfel ich stehe, überragt.

Nachdem die Pferde sich eine Weile verschnauft haben, rollen wir in scharfem Trab durch Schneeschlamm und Schmutz, durch prachtvollen Kiefernbestand unterhalb des Passes und dann wieder durch Fichtenwälder abwärts. Unter uns, in immer größerer Tiefe, erblicken wir vier Zickzackbiegungen der Straße, die wie Wandbretter mit kleinen schwarzen Punkten, den Reisenden, aussehen. Man wundert sich darüber, in der Asiatischen Türkei eine so schöne, gut angelegte Landstraße zu finden; wenn sie auch eine wichtige Verkehrsader über Erzerum nach Persien ist, hatte ich nicht erwartet, daß sie besser sein würde als die Fahrstraße zwischen Konstantinopel und Therapia, die jedoch mit Absicht schlecht instand gehalten werden soll, weil die meisten Dampferaktien dem Sultan gehörten.

Die fünfte Zickzackbiegung führt an der linken Talseite noch eine Stufe tiefer. Hier holte ich den Wagen gerade in dem richtigen Augenblick ein, um zu erleben, wozu eine türkische Eskorte gut sein kann. Ich hatte befohlen, daß bergab nicht zu rasend gefahren werden solle, um mein Gepäck nicht zu beschädigen; aber den Abhang von Zigana hinunter soll es schneller als schnell gegangen sein, und der »Sewari«, der Reiter, machte dem »Arabatschi«, dem Lastwagenkutscher, schwere Vorwürfe. Dieser antwortete, daß dies den Reiter nichts angehe, und erhielt dafür sofort eine Ohrfeige, wehrte sich aber mit der Peitsche. Nun wurde der Soldat wütend und schlug den Kutscher mit dem Flintenlaufe auf den Kopf, daß ihm das Blut aus einer häßlichen Wunde über Gesicht und Kleider strömte. Jetzt zog der Kutscher in wahnsinniger Wut seinen Dolch und schickte sich zum Sprunge an, und der Soldat legte gerade die Flinte an, als ich hinzukam, ohne zu ahnen, was vorging. Mit Hilfe meines Kutschers und des andern Soldaten gelang es mir, die Kampfhähne zu trennen, ehe sie sich gegenseitig hatten umbringen können! Der Soldat erhielt Befehl, zu verduften, und mit zwei Taschentüchern und einem Handtuch verband ich den Arabatschi, nachdem ich ihm die Wunde und den Kopf an der nächsten Quelle gewaschen hatte.

Durch das Dorf Baade, wo die letzten Schneeflecken lagen, gelangten wir in das Dorf Zigana, wo ich mich auf der offenen Altane des Wirtshauses niederließ, zwei Treppen hoch über dem Lärm des Straßenlebens. Eine Weile darauf erhielt ich den Besuch eines jungen türkischen Artillerieoffiziers, der von einer Expedition nach Musch (im Süden von Erzerum und westlich vom Wansee) zurückgekehrt war, wo er, wie er mir erzählte, armenische Anarchisten erfolgreich bekämpft hatte. Es war eine offenkundige Räuberbande, die ausgerottet werden sollte, und er hatte mit zwölf kurdischen Kavalleristen zwanzig schlecht bewaffnete Armenier niedergeschossen. Jetzt wollte er nach Stambul, um dort über seine Heldentat Bericht zu erstatten.

Die große Gaststube der Herberge war voller Reisender, meistens Türken in Fes oder Turban, die rauchten, Tee tranken und plauderten. In dieser Jahreszeit oder vielleicht auch wegen des Ramasan brechen die Karawanen schon um Mitternacht auf und marschieren bis gegen Mittag. Nachdem die Kamele gefüttert oder auf die Weide geführt worden sind, schlafen die Leute oder sitzen schläfrig umher, um den Hunger weniger zu spüren. Doch wenn die Sonne untergegangen ist und die Iftarstunde naht, werden sie wieder lebendig, und nach einer gehörigen Mahlzeit trinken sie Tee und rauchen, bis der Augenblick zum Aufbruch da ist. Unmittelbar vor Sonnenaufgang wird gefrühstückt, entweder auf dem Marsch oder während einer kurzen Rast in irgendeinem Kawechaneh. Mein Kutscher verzehrt auf dem Bock Brot und Rosinen und raucht Zigaretten vor Sonnenaufgang, der allem Essen und Trinken ein Ende macht. –

Jetzt sind wir unten im Tale des Karschutflusses, der bei Tirebolu, westlich von Trapezund, in das Schwarze Meer mündet. –

Um 3 Uhr früh klopft der Kutscher wieder an. meine Tür, und, gut eingehüllt, breche ich um ½5 Uhr auf. Es geht steil die Straße hinauf, die schmelzender Schnee und kleine Quellbäche, die ihr Bestes tun, um sie zu zerstören, aufgerissen und schlammig gemacht haben. Man hat das Vorgefühl, daß der Weg immer schlechter werden wird, je weiter man sich von der Küste entfernt. Hinter dem Dorfe Chanera-chanlari befinden wir uns beinahe in gleicher Höhe mit den umliegenden Kämmen, unter uns aber verschwindet die Taltiefe mit ihren Geheimnissen. Die Wolken zerteilen sich, und die scharfen, vom Mond hervorgerufenen Schatten von Wagen und Pferden gleiten längs der Straße hin, die jetzt wieder vortrefflich ist und abwärts führt. Durch die Krümmungen in den Nebentälern wird der Weg mindestens doppelt so lang, als er sein sollte; er folgt dem einen Abhang abwärts nach dem Talboden, um dort auf einer Brücke auf die andere Seite überzugehen und wieder anzusteigen. Die beiden Wegstrecken laufen oft parallel miteinander. Längs einer sehr schroffen, kahlen Felswand zieht sich der Weg wie eine Leiste hin, und gerade hier ist es ungemütlich, großen, dichtgedrängten Karawanen zu begegnen. Der Kutscher lenkt nach der Bergseite, um nicht über den steilen Rand, unter dem der Abgrund gähnt, hinausgedrängt zu werden, und ich selbst halte mich bereit, aus dem Wagen zu springen, wenn es nötig sein sollte.

Der Schneekamm im Osten tritt in leichten, rosigen Tönen hervor, und die Ränder der Wölkchen sind grell purpurn gefärbt – das Morgenrot ist da. Nun geht es wieder abwärts nach dem Dorfe Köpri-baschi, dem »Brückenkopf«, dessen Basarstraße eine scharfe Ecke bildet. Hier überschreiten wir den Itschu-su. Das Dorf Ardasa hat eine aus drei Bogen bestehende Brücke und einige im Stambulstil gebaute Häuser mit eisernen Balkons und platten Dächern. Die Landschaft ist kahl, nur eine einzige Pappel steht am Ufer. Das Tal wird immer enger, und wir steigen langsam zwischen vereinzelten Wacholdern, wilden Rosen und Hagedornsträuchern an. Bei Demirtschi-suji (Schmiede-Bach) überholen wir eine Karawane prächtiger Kamele, die gemächlich, würdevoll und langsam einherschreiten. Die meisten sind braun, einige auch hellgelb, und ihre Winterwolle beginnt schon zu wachsen. Von links her mündet ein Nebental, das uns tief in Labyrinthe von Bergen hineinschauen läßt. Die Dorfstraße in Itschise ist durch Kamele, Pferde und Esel versperrt, und langsam und vorsichtig müssen wir uns zwischen ihnen hindurchlotsen. Jenseits des Dorfes begegneten wir einer gewaltigen Pferdekarawane. Das Leitpferd ist mit Bändern und Zwirnquasten in gelben, roten und blauen Farben geschmückt; von seiner Last ragen zwei ebenfalls verzierte, zusammengebundene Stangen in die Luft. Um den Hals trägt es eine Glocke, die so groß ist wie sein Kopf; sie schlägt und klingelt bei jedem Schritt, den es macht. Es ist sich seiner Verantwortlichkeit in jeder Weise bewußt, braucht keine Aufsicht und zieht die andern in einer langen Reihe mit sich. Die meisten andern Pferde tragen ebenfalls Schellen und kleinere Glocken, und manchmal hängen drei Glocken dicht nebeneinander, um sich gegenseitig als Klöppel zu dienen.

Bei Charawa führt eine Brücke in vier Bogen über den Fluß; erst eine aus zwei steinernen Bogen bestehende gewöhnliche Brücke mit einer Brüstung aus gut behauenen Blöcken, dann ein plattformartiger Damm, darauf eine auf sechs steinernen Pfeilern ruhende Holzbrücke und zuletzt wieder ein Damm ohne Durchlaß. Das Tal verengt sich immer mehr, die Landschaft ist wild und malerisch. Jetzt ist das Tal nur noch ein etwa 10 Meter breiter Hohlweg, aber die begrenzenden Berge sind relativ niedrig. Hier und dort sind Steinklopfer mit der Herstellung des Ausbesserungsmaterials für den Weg beschäftigt. In dem engen Hohlweg liegen die Höfe, Serais und Läden des Dorfes Tschurdale-ogli-chanlari malerisch eingeklemmt, umgeben von einer Oase üppiger Pappeln, Weiden und Obstbäume, die jetzt alle in den gelben Farben des Herbstes prangen. Den Basar umschwebte der bekannte orientalische Duft. Oberhalb des Dorfes liegen überall, wo Platz ist, kleine Äcker (Abb. 10), und die immer zahlreicher werdenden Obstbäume unterbrechen als gelbe Flecken die graue Landschaft. In dem Dorfe Gümüsch-hane, dem »Silberhause«, wo wir Rast hielten, wurde der cholerische Soldat entlassen und durch einen neuen ersetzt. Der zweite, Schukkur, begleitet mich schon seit meiner Abreise aus Trapezund.

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10. Primitives Dreschverfahren. (S. 38.)

Einer Terrasse ähnelnd, schlängelt sich der Weg 5 Meter über dem Talgrund zwischen vereinzelten Baumgruppen und Gehöften hin. Bei Sorda, einem Dorfe des gewöhnlichen Schlags – eine einzige Basarstraße und eine Mühle, die ein kleiner Seitenkanal treibt –, sausten wir vorbei an einer Reihe Karren auf zwei massiven Rädern, die mit Balken beladen waren. Büffel und Ochsen zogen die Karren, und jedes Gespann war sozusagen in zwei Etagen angebracht. Dem Karren zunächst und ziemlich weit voneinander entfernt sind zwei große Büffel an eine kurze, hochsitzende Deichsel gespannt, deren Kreuzjoch zwei junge Ochsen tragen, die zum größten Teil zwischen den Büffeln eingekeilt sind und in dem kompakten Gespann nur einen »Pferdekopf« Vorsprung haben.

Am Fuße des Berges entlang steigt die Straße gleichmäßig mit dem Gefäll des Flusses empor; dieser enthält jetzt wenig Wasser, das sich in dem Geröllbett in mehrere Arme teilt. Die Berge schillern in gelben, braunen und roten Tönen, und ein kleiner, scharfbegrenzter Fichtenwald auf dem linken Hang hat eine schreiend grüne Farbe. Teke, das mich an kaukasische Dörfer erinnert, ist auf einem isolierten Hügel in einer Talerweiterung erbaut; der Basar liegt aber am Fuße des Hügels, der Friedhof ihm gerade gegenüber und zwischen beiden die Landstraße. Man pflügt seine kleinen Felder hier mit Ochsen; in den einzelnstehenden Pappeln und Weiden haben unzählige Krähen ihre Nester. Durch ein Nebental im Süden führt eine Straße, die fahrbar sein soll, nach der Stadt Erzingan hinauf. Da, wo das Tal in das unsere einmündet, weiden eine Menge wohlgenährte, stolze Dromedare, die mit ihren roten und blauen Packsätteln nett aussehen.

Endlich sind wir in unserm heutigen Nachtlager angelangt; es ist Murad-chan-ogli, ein kleines Dorf mit einigen fünfzig Einwohnern, wo ich ein ganz neuerbautes Haus, in welchem noch niemand gewohnt hatte, der zweifelhaften Gesellschaft im Dorfwirtshause vorzog. In jedem Nachtquartier machte mir der Dorfschulze – er trägt den Titel »Müdür« oder »Mutaserrif« – seinen Besuch und bot mir höflich seine Dienste an. Der Winter ist hier infolge des Küstenklimas bedeutend milder als in Erzerum, wo sich das Kontinentalklima schon recht bemerkbar macht. Am 15. November um 8 Uhr abends hatten wir eine Lufttemperatur von  11,5 Grad.


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