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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Führerlos.

Sehr weit waren wir auf dem neuen Tagemarsch noch nicht gelangt, als mir gemeldet wurde, daß es mit dem kranken Kamel zu Ende gehe und es nicht weiter könne. Es sah wirklich so mager und elend aus, daß ich glaubte, der beste Dienst, den ich ihm erweisen könne, werde der sein, ihm ein paar Leidenstage zu ersparen. Doch da bat der Hirt, der uns begleitete, es am Leben zu lassen, weil man nicht wissen könne, ob es sich nicht durch längere Ruhe in Gesellschaft seiner Stammesbrüder aus Mähabad wieder erholen werde. Es wurde daher vom Halfterstrick befreit und vom Zuge der Karawane losgekoppelt. Einsam und verlassen blieb es stehen und schaute uns nach, als wir es hartherzig seinem Schicksal überließen.

Wir ziehen nach Südsüdosten, um die südliche Ausbuchtung der Kewir zu umgehen, die teilweise in Ostnordosten sichtbar ist. Zur linken Hand haben wir ein breites, flaches Tal oder eine Depression zwischen der Kette, an der wir bisher entlanggezogen sind, und dem Kuh-i-busurgi, zur Rechten dagegen noch die Verlängerung jenes Gebirges, die Kette, die wir »die südlichen Berge« nannten und die wir zuerst am Kuh-i-nakschir erblickten. Hier durchziehen wir eine Gegend namens Seile-saus; an einem kleinen Hügel mit einem Steinmal sahen wir eine Schafhürde, zu der unser Hirt hinlief, um nachzusehen, ob es dort Wasser gab. Nachdem er uns ein Zeichen gegeben, daß dies der Fall war, gingen wir mit einem Kamel und zwei Schläuchen dorthin. In einem kleinen, halbkreisförmigen Erdwall stand noch ein wenig abgedämmtes Regenwasser von den letzten Niederschlägen her. Es reichte kaum noch zum Füllen des einen Schlauches aus, und nur eine knappe Untertasse voll blieb zurück; aber verglichen mit der zweideutigen Flüssigkeit, mit der wir in letzter Zeit hatten vorliebnehmen müssen, schmeckte dieses Wasser süß und köstlich.

Der Hügel bestand aus einem rötlichen Quarzporphyrit, der wie in Schollen und Schuppen lag und sich nachher auf dem ganzen Wege sehr häufig zeigte.

Nachdem wir für einen Abend süßes Wasser mitgenommen hatten, halten wir keine Veranlassung mehr, dem Fuße des Gebirges durch Geröll, zwischen Steinblöcken und ewigen Löchern hindurch zu folgen, sondern gingen eine Strecke abwärts, um dort weiterzuziehen, wo der Boden fest war, die Bachbetten eine geringe Tiefe hatten und üppiges Steppengras wuchs.

Die Berge zur rechten Seite werden immer niedriger, und wir nähern uns dem Kuh-i-busurgi. Pfade gibt es hier überhaupt nicht, der Weg zieht sich längs der Berge hin, wo man den Quellen nahe ist; wir müssen also da gehen, wo es uns am ebensten und besten erscheint. Zwei Gazellen betrachteten uns neugierig und hätten schwer dafür büßen müssen, wenn uns ein sicherer Schütze begleitet hätte. Die beiden Kosaken taten, wie gewöhnlich, einen Fehlschuß, und dann kam Newenk dazwischen und störte die Jagd, indem er die fliehenden Tiere verfolgte.

Es stellte sich inzwischen bald heraus, daß der Boden hier unterhalb der Berge durchaus nicht so gut war, wie er von fern ausgesehen hatte; je weiter es ging, desto unangenehmer war er. Erst überschritten wir ein 200 Meter breites und 10 Meter tiefes Bett, dessen steile Erosionsterrassen unseren Lastkamelen recht sauer wurden, und bald darauf haben wir eine zweite Rinne gleicher Art vor uns. In ihrer Nähe liegt ein Brunnen, Tscha-mirza genannt, der gleich den meisten übrigen Namen, die ich in dieser Gegend gehört habe, auf der russischen Karte, die ich täglich studiere, verzeichnet steht.

Die untersten Verzweigungen und Hügel des Kuh-i-busurgi verdecken jetzt den südlichen Teil der Kewir, die vollständig verschwindet, als wir eine Weile in einem größeren Erosionsbett aufwärtsziehen und auf allen Seiten von wellenförmigem Gelände umgeben sind. Auf den Seiten erheben sich steile Geröllterrassen. Dann wird das Erdreich weicher, und zwischen gelben Hügeln dehnen sich kleine, ebene Kewirflächen aus; sie besitzen dieselben Kennzeichen und denselben tückischen, schwankenden Moorboden wie drunten die große Kewir, liegen aber 200 Meter höher und sind infolgedessen ganz von ihr isoliert.

Als wir auf dem Gipfel einer kleinen Anhöhe mit freierer Aussicht anlangen, finden wir wirklich, daß der Kuh-i-busurgi und der Kuh-i-aschin uns schon ein wenig näher sind als vorher, obwohl es verzweifelt langsam geht, bis wir die bedeutenden Entfernungen zwischen den kleinen Gebirgen, die diesen Teil Persiens charakterisieren, zurücklegen. Keine Spur irgendeines Pfades; wir ziehen aufs Geratewohl zwischen Hügeln umher, auf denen Steppengrasbüschel und Saxaulsträucher stehen, und das Land ist hier sehr durchschnitten.

Erdhöhlen in einer Schlucht, vor denen schützende Lehmmauern stehen und die ein halbes Schutzdach aus Steppenbüscheln haben, bildeten die Behausung zweier Hirten. Nachdem wir 22 Kilometer zurückgelegt hatten, schlugen wir am Fuße eines niedrigen Hügels mit einer Steinpyramide unser Lager auf und fanden hier auch noch übriggebliebenes Regenwasser, so daß die Kamele trinken konnten (Abb. 63).

siehe Bildunterschrift

63. Regenwasser in der Wüste. (S. 266.)

Die Gegend um das Lager Nr. 13 herum heißt Gabr-i-Hadschi-Näsär, nach einem Manne aus Scherab, der hier gestorben ist und begraben liegt. Auf unserer nächsten Tagereise sollten wir auf eine Straße stoßen, die nach Aschin, Dschandak, Anarek, Jezd und Kirman führt und von Teheran und Tscheschme-i-bolasun kommt.

Zwei unserer Kamele sind ein wenig matt, seit sie sich die Liegeschwiele unter dem Brustkorb wundgescheuert haben. Man möchte glauben, daß diese einer Verletzung weniger ausgesetzt sei, aber die Kamele liegen ebensolange Zeit, als sie beladen marschieren oder weidend ums Lager herumgehen, und wenn der Boden aus Kies und grobem Sand besteht, ist die Liegeschwiele dem Abgescheuertwerden ausgesetzt, und zwar in um so höherem Grad, je magerer die Tiere sind. Jetzt sind die Lasten schon bedeutend leichter, da wir nur noch für einen Tag Häcksel und drei Säcke Baumwollsaat besitzen und uns nicht mehr mit Wasser schleppen. Sieben Kamele, die großen Hengste, sind noch in ausgezeichneter Verfassung, die anderen sechs sind wohl ein bißchen mager, aber weiter fehlt ihnen nichts. Wir haben jedoch die Absicht, sie, sobald sich die Gelegenheit bietet, sich ordentlich ausruhen und fettfressen zu lassen.

Eine Reise durch diese Teile Innerpersiens muß naturgemäß sehr einförmig und farblos ausfallen. Man verläßt morgens sein Lager am Fuße eines kleinen, unfruchtbaren, isolierten Berges und schlägt es abends am Fuße eines andern wieder auf. Und zwischen den beiden legt man 20–30 Kilometer anstrengenden Marsches auf ödem Wege durch Schutt oder über weichen Staubboden zurück. Man sieht keine andere Vegetation als die dürren Büschel des Steppengrases, Tamarisken und Saxaule, keine Städte und Dörfer, keine anderen Menschen als Hirten. Etwas anderes kann man hier an der Grenze der Salzwüste auch gar nicht erwarten, aber früher oder später werden wir doch wohl eine richtige Oase erreichen. Während ich ein Panorama der Berge zeichne, die uns am nächsten sind und die doch noch so fern liegen, wird mein Zelt aufgeschlagen und eingerichtet, und wenn ich damit fertig bin, mich in der Gegend umzusehen, mache ich es mir im Zelte bequem. Jeden Abend wird es in gleicher Weise möbliert, notdürftig mit einem Lichtstümpfchen erleuchtet und durch ein mit glühenden Kohlen gefülltes Mangal erwärmt. Es ist meine luftige Gefängniszelle, in der ich mich doch so wohl fühle. Wir haben noch viele schwierige Schritte zurückzulegen, ehe wir die Ostgrenze des gepriesenen Iran erreichen, dessen Westgrenze ich bei Dschulfa mit solchem Entzücken überschritten hatte.

Aber ich habe mich über nichts zu beklagen. Man lernt auf diese Weise ein Land kennen, wenn man auch von seinen Bewohnern nichts sieht. Schlimmer ist es für die Hirten, die ihr Schicksal hier bei diesen jämmerlichen kleinen Gebirgen gefangen hält. Die Kamele und die Schafe, die sie hüten, sind nicht einmal ihr Eigentum, aber sie sind für das Gedeihen und die Sicherheit der Tiere verantwortlich. Ich kann mir nichts Einsameres, Inhaltsloseres und Einförmigeres denken, als hier an der Grenze der Kewir sein ganzes Leben zu verbringen, sich von Mehl, Roghan und salzigem Wasser zu ernähren und kein anderes Vergnügen zu kennen als die Abwechslung, die die jährlichen Wanderungen von und nach Luristan bringen. Acht Monate verweilen sie hier und sehen keine andern Menschen als ihre drei, vier Kameraden. Woran denken sie, wovon sprechen sie und wie vertreiben sie sich die langsam dahinschleichende Zeit? Nein, gern will ich beim Klange der Karawanenglocken eine flüchtige Reise am Fuße des Kuh-i-busurgi entlang unternehmen, wenn ich nur nicht als Hirte unter andern Hirten immer am Fuße dieses Gebirges zu bleiben brauche!

In der Nacht auf den 20. Januar ging die Temperatur auf -4,9 Grad herunter, und es war infolgedessen am Morgen empfindlich kühl; die bedeutendere absolute Höhe hier oben zwischen den Bergen macht es hier kälter als drunten an der Kewir.

Wie gestern schlagen wir auch heute wieder anfangs die Richtung nach Süden ein und steigen langsam nach einer aus rötlichem Quarzporphyrit bestehenden Schwelle hinauf. Schon nach einer knappen halben Stunde befinden wir uns auf der nach Aschin führenden Straße, einem sehr stark ausgetretenen Wege, dem wir nur zu folgen brauchten. Der Hirt sagte uns daher Lebewohl, um zu seinem einsamen Leben zurückzukehren, und ich gab ihm für seine Mühe 2 Toman. Er teilte uns noch mit, daß wir am Kafer-kuh, den Brunnen Tscha-pänir und Tscha-gabi und den Quellen Dom-Abdullah und Sagh-ab vorüber müßten und daß Aschin am westlichen Fuße und ein gutes Stück diesseits des Kuh-i-tschurro liege, eines plateauförmigen Berges, den wir im Osten sahen und der die Gestalt des Kutscherbocks eines Leichenwagens hat, ein Eindruck, der durch seine schwarze Farbe und die weißen Schneestreifen auf seinen Seiten noch erhöht wird. Folgten wir der Richtung nach diesem Berge, so könne es gar nicht fehlen, daß wir bald das Dorf erblicken würden, dessen Lage der Hirt uns in einem hellern Gürtel diesseits des Berges bezeichnete. Es war eigentlich unvorsichtig, daß wir den Hirten jetzt, da wir kein Wasser mehr hatten, gehen ließen, aber er erklärte, daß wir uns nicht verirren könnten, da dies die große Straße von der Tscheschme-i-bolasun über Aschin nach Anarek, Jezd und Kirman sei, und damit machte er kehrt und verschwand mit seiner hohen, schwarzen Lammfellmütze und seinem weiten, braunen Burnus.

Im Süden und Südwesten entrollt sich jetzt die Nainkette, ein hübsches, aber fernes und blasses Panorama. Sie ist jedoch mächtiger und massiver als die Ketten, die wir bisher gesehen haben, und an drei Stellen kulminiert sie in flachen, schneebedeckten Anschwellungen, besitzt aber keine spitzen Gipfel. Zwischen uns und dieser Kette dehnt sich augenscheinlich ein Wüstengürtel aus. Wie fast alle Bergketten Persiens ziehen die Nainberge sich von Nordwesten nach Südosten hin; nur in Masenderan und im nordwestlichen Chorassan haben sie eine mehr ostwestliche Richtung; in Afghanistan und Belutschistan erstrecken sich die Gebirge von Nordosten nach Südwesten. Betrachtet man das ganze iranische Hochland, so findet man, daß seine Bergketten wie Girlanden nach Süden hängen, eine Anordnung, die sich auch in dem Bogen der südlichen Küste und in der Gestalt des Persischen Golfes widerspiegelt.

Unser Weg ist vorzüglich und führt über ebenes oder langsam ansteigendes, schwach gewelltes Terrain. Vor uns haben wir den relativ mächtigen, aber ziemlich schmal aufsteigenden Aschinberg inmitten mehrerer anderer Landrücken und Kämme, und hinter diesem Berge liegt das große Dorf Anarek. Im Osten, ein wenig nach Norden, haben wir die schwarze, düstere Busurgikette, die nun viel niederer erscheint als von der Kewir aus.

Als wir auf ebeneren Boden hinuntergekommen waren, ging es mit ganz anderer Geschwindigkeit vorwärts, und die Glocken läuteten schriller, in hastigerem Takt und mit einer Energie, als hänge es ausschließlich von ihnen ab, ob wir das Dorf heute abend noch erreichen würden.

Die Stunden verrinnen beim Klange der Glocken, der Tag wird wärmer, indessen nicht über  7,1 Grad, und immer tiefer führen uns die dreizehn Kamele in das Herz des öden Persien hinein. Rings um uns dehnt sich das eintönige Land in seinen farblosen Formen und seinen flachen Wellen aus, sogar die Gebirge stechen nur schwach ab gegen die horizontale Ebenmäßigkeit, und das Auge kann sich äußerst selten an senkrechten Linien und lebhafterer Gestaltung erfreuen. Wie anders als in Tibet, wo auch die bergumkränzten Seen des Plateaulandes so große, bezaubernde Abwechslung bieten!

Wir befinden uns jetzt allerdings auf einer Straße und folgen getreulich ihrer in den Boden eingetretenen Spur, aber im Dahinwandern begegnen uns keine Reisenden und den ganzen Tag hindurch sehen wir kein anderes Wesen als – ein totes Kamel. Einmal gabelt sich der Weg; wir sind unschlüssig, welche der beiden Zinken dieser Gabel uns nach Aschin bringt, entscheiden uns aber für die rechte. Nach einer Weile wird Gulam Hussein die Sache bedenklich, er biegt nach links ab und gibt uns dann ein Zeichen, den Weg zur Rechten wieder zu verlassen.

Um Mittag enthüllte der Kuh-i-busurgi seine südliche, zerklüftete, öde und dunkle Silhouette vor uns, und durch eine Lücke zwischen niedrigen Landrücken im Südwesten haben wir eine freie Aussicht in die Ferne bis nach dem westlichsten der drei kleineren Schneemassive hin, die wir bereits auf dem Gebirge neben und hinter Nain gesehen hatten.

Ich nicke und schaukle auf meinem sichern Träger hin und her, und meine Gedanken werden nach dem Lande der Träume hingewiegt. Nur zum Teil lebe ich mit in dem einförmigen Leben der Karawane und sehe die kahlen Gebirge sich auf den Seiten entfalten und das Kartenblatt, das ich vor mir halte, sich nach und nach mit der Reiseroute und dem sie umschließenden Terrain füllen; im übrigen folgen meine Phantasien dem Glockenklang ins Blaue und zu den Plänen, Schicksalen und Abenteuern, die mich, wie ich glaube, fern im Osten in einem andern Laude erwarten. Die Unterhaltung ist wieder verstummt, wie sie es auf dem einförmigen Vormittagsmarsch zu tun pflegt, und die Leute hocken halb schlafend auf ihren Kamelen; nur hin und wieder wird eine Pfeife angezündet, und bläuliche Rauchwolken umringeln die Lammfellmützen der schläfrigen Reiter. Wenn aber die Frühstückzeit da ist, werden sie alle wieder munter. Gewöhnlich machen wir dann halt und rasten 10–15 Minuten; heute aber nahmen wir uns nicht die Zeit dazu, denn wir suchten mit einer gewissen Erregung das Dorf Aschin, wo wir hofften, unsere Vorräte für die zweibeinigen wie für die vierfüßigen Mitglieder der Karawane ergänzen zu können, und wo wir auch einmal die Annehmlichkeit haben würden, in der Nähe anderer Menschen zu lagern. Meschedi Abbas verteilt während des Marsches Brot und Wasser unter seine Kameraden und tränkt die Kamele (Abb. 64). Die Faulpelze steigen nicht einmal ab, sondern verzehren ihre Mahlzeit im Reiten, was, wenn vielleicht auch nicht die Verdauung, so doch wenigstens das Hinunterschlucken erleichtert. Mir schien es, als hielten sie die Wasserkruken bedenklich lange am Munde und ließen sie erst dann wieder los, als der Boden zur Sonne hinauf zeigte; aber das hatte weiter nichts zu sagen, in Aschin würden wir wieder Wasser genug haben!

siehe Bildunterschrift

64. Meschedi Abbas tränkt die Kamele. (S. 271.)

Ein gebleichtes Kamelgerippe, das am Wegrande liegt, erinnert an die Vergänglichkeit alles Irdischen; nirgends etwas Lebendiges; kein einziger Vogel, nur am Anfang unseres heutigen Marsches hatten wir auf der Steppe einen Hasen aufgescheucht. Noch immer steigen wir ganz allmählich, und beständig verdecken die Busurgiberge den untern Teil der entlegeneren Berggipfel, die hinter ihnen emporragen, und ebenso eigensinnig beschattet der Gipfel des Abhanges die Landschaft, in deren Mitte wir das Dorf Aschin zu sehen erwarten, das erste Dorf seit Kerim Chan, die erste Oase, wo wir unsere Ausrüstung und unsere Vorräte auszubessern und zu vervollständigen beabsichtigen. Es wird 1 Uhr, es wird 2 und 3 Uhr, aber von dem Dorf ist nichts zu sehen; es läßt auch hier gar nichts auf die Nähe von Siedelungen schließen, keine Herden werden auf der Steppe, kein Rauch steigt himmelan. Schweigend, leer und rätselhaft spannt sich die ebene Fläche der Steppe zwischen den Gebirgen aus, und ebenso unverständlich ist uns der Weg, dem wir folgen; wohin geht er, kann er uns denn wirklich nach Aschin bringen? Ich argwöhne schon, daß wir zu sehr eine nördliche Richtung verfolgen; der Berg, der an den Kutscherbock eines Leichenwagens erinnerte, steht jetzt zu weit nach rechts. Ich teile meine Befürchtungen Gulam Hussein mit, aber er glaubt, daß der alte Hirt einen ganz andern Berg gemeint habe. »Hinter jenem schwarzen Kamm im Süden liegt Aschin«, sage ich, aber Gulam antwortet: »Es ist nicht wahrscheinlich, daß das Dorf zwischen den Bergen eingeklemmt liegt, vermutlich werden wir es bald auf der flachen Ebene erblicken.«

So ziehen wir denn in dem endlosen Längentale zwischen dem Kuh-i-busurgi und den Bergen von Aschin weiter. Neben der Straße hatte kürzlich eine Karawane gelagert; man konnte in dem Sand sehen, daß die Kamele beladen gewesen waren. Wir fragten uns, woher diese Karawane wohl gekommen sei und was das Ziel ihrer Reise sein könne. Möglicherweise ist sie von Isfahan nach Dschandak gezogen; aber warum hat sie hier auf wasserlosem Steppenboden gelagert, wenn das Dorf Aschin ganz in der Nähe ist? Es ist unzweifelhaft, daß wir uns verirrt haben, und wir können jetzt nichts Klügeres tun, als getreulich dem einmal eingeschlagenen Wege folgen, denn früher oder später muß er uns doch zu einer Quelle oder einem Brunnen führen. Daß wir die Richtung nach Aschin vollständig verloren haben, ist sonnenklar, denn die Entfernung dorthin sollte nur 2 Farsach betragen, und wir hätten schon dort eintreffen müssen, als die Sonne am höchsten stand. Wir haben außer den paar Tropfen, die noch in den Tonkruken sind, kein Wasser mehr und wir müssen uns diesem rätselhaften Wege anvertrauen. Er führt uns allmählich in einem Bogen nach Osten, Nordosten und Nordnordosten zwischen die Hügel am Fuße des Kuh-i-busurgi und tritt dann bald in ein deutlich ausgeprägtes Tal ein.

Habibullah eilt im Sturmschritt voraus. Manchmal sehen wir ihn auf den Höhen Umschau halten, aber sofort ist er wieder verschwunden und setzt drunten seine eilige Rekognoszierung fort. Wir folgen seiner Spur langsam talaufwärts; er selbst bleibt stets auf der Straße, die hier viel deutlicher und kräftiger in den Boden eingedrückt ist, als sie es drunten auf der Ebene war. Hier zwingt die Form des Tales sie, in ein und derselben Rinne zu laufen, drunten auf der Steppe aber kann man gehen, wo man will, und doch immer eine gute Marschbahn haben. Unerwartet bald erreichen wir den kleinen Paß der Busurgikette, eine flache, bequeme Schwelle zwischen den Hügeln, und dann geht es endlich bergab nach Nordosten. Nach Norden hin rollt sich eine weitreichende Aussicht über das Meer der Kewir auf. Die Hügel um den Paß bestanden aus Quarzporphyrit. Die Höhe betrug 1246 Meter.

Was war jetzt das Klügste? Stroh hatten wir nur noch für heute abend, Baumwollsaat noch für drei Abende; das Mehl reichte zwei Tage, aber das Wasser höchstens zu einer Tasse Tee für jeden. Wir hatten auf Aschin gerechnet, denn wenn wir dort auch nicht alles, dessen wir bedurften, fanden, so konnten wir es uns aus dem 3 Farsach davon entfernt liegenden Anarek holen lassen. Wir hatten keinen Führer, und keiner meiner Leute kannte die Lage der Brunnen, und es kann recht gefährlich werden, wenn man sich ohne Wasser in diesem wüstenartigen Lande verläuft, wo die Brunnen so weit auseinanderliegen und so im Gelände versteckt sind. Wir beschlossen daher, einstweilen gar nicht mehr an Aschin zu denken, sondern unsere Schritte zu beschleunigen und uns Dschandak als nächstes Ziel zu setzen. Dort war Gulam Hussein gewesen, und er glaubte, daß wir, wenn wir nur inzwischen den Weg nicht wieder verlören, schon vorher auf einen oder zwei Brunnen stoßen würden.

Die Karawane zog durch das enge, gewundene Tal bergab, während ich, mit dem Sammeln von Gesteinsproben beschäftigt, hinterdreinschlenderte. Da sich keine Brunnen zeigten und es beinahe schon dämmerte, ließ ich nach 31 Kilometer langer Wanderung in dem engen Tale haltmachen.

Sobald das Lager Nr. 14 in Ordnung war, schickte ich Gulam Hussein auf Rekognoszierung talabwärts. Nach anderthalb Stunden kam er mit der Nachricht zurück, daß er einen Brunnen mit schwach salzhaltigem Wasser gefunden habe. Nun mußten er und Habibullah, mit zwei Schläuchen versehen, jeder ein Kamel besteigen und von jenem Brunnen Wasser holen. Erst um 10 Uhr hörten wir sie drunten im Tale rufen – sie wollten wohl untersuchen, ob das Lager in Rufweite war. Vorsichtigerweise hatten sie eine Laterne mitgenommen, die eine Weile später wie ein Elmsfeuer zu tanzen schien, als sie mit den beiden Schläuchen nahten, die mit süßem, frischem Wasser gefüllt waren.


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