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Drittes Kapitel.
Trapezund.

Der »Saturno« ist eigentlich nur ein schlechter Triester Frachtdampfer, ein altes hinkendes Kamel im Vergleich mit den prachtvollen russischen Odessadampfern. Aber ich segnete dieses Schiff, das mich schnaubend und keuchend in die Freiheit führte, zu den Türken, wo man in diesen Tagen, so unglaublich es auch klingen mag, viel sicherer war als bei den Russen! Der Dampfer lief Batum am Morgen an, kehrte aber gleich wieder um, als er sah, daß dort nichts zu machen sei. Er blieb nur zwei Stunden liegen, und dies waren gerade die Stunden, in denen ich seiner Hilfe bedurfte. Jetzt ging er wieder nach Trapezund, um Ladung zu holen, und sollte dort glücklicherweise zwei Tage bleiben, so daß ich zum Ordnen meiner Angelegenheiten mehr Zeit als nötig haben würde.

Um 6 Uhr abends aßen wir, der Kapitän, ich und ein alter türkischer Herr, im Achtersalon zu Mittag. Die See ist ruhig, der Mond scheint freundlich durch leichte Wölkchen und zeichnet eine hellglänzende Straße in den Spiegel des Schwarzen Meeres. Hinter dem Schiffe zeigen sich auf beiden Seiten des Schaumstreifens Schwärme munterer Delphine, die weich und elegant über die Wasserfläche hinschnellen und in Erwartung eßbarer Dinge dem Schiffe stundenlang folgen.

Spät am Abend wird der Anker des »Saturno« vor dem Küstenstädtchen Rize hinabgelassen, dessen Lichter in einer kleinen Mulde in den Umrissen des Gebirges erglänzen. Die blanke Dünung rauscht eintönig gegen den Strand, das Schiff hebt und senkt sich langsam, das Steuer schlägt so stark, daß der Schiffsrumpf erbebt, was Menschen mit leichtem Schlaf das Einschlummern nicht zu erleichtern pflegt! Am folgenden Morgen konnten wir in der Stunde der Abfahrt das malerische Panorama, das Rize und seine gebirgige Umgebung darboten, noch genießen. Das Zentrum der Stadt scheint der Strandweg zu sein, wo die zweistöckigen weißen Häuser mit roten Ziegeldächern, die nach allen vier Seiten abfallen, am dichtesten liegen.

Jetzt steuern wir westwärts. Diese Küste, an der ich schon zweimal, 1886 und 1890, entlanggefahren bin, ist etwas einförmig. Das hohe Küstengebirge fällt ziemlich steil nach dem Meere hinab und das Gehänge wird selten durch Flachland, aber oft durch Talmündungen unterbrochen. Auf den Abhängen und am Strande sieht man einzelliegende Höfe, und sogar noch oben auf den Kämmen macht der Wald kleinen Ackerfeldern Platz. Wir nähern uns wieder der Küste und steuern gerade auf das ersehnte Trapezund zu, das freilich noch nicht zu sehen ist, weil wir diesige Luft haben. Nach einer Weile tritt die östliche Front der amphitheatralisch gebauten Stadt mit ihrem gewaltigen Bergrücken als Hintergrund und seinem steilen Vorgebirge deutlich hervor. Zwei Dampfer liegen vor Anker, ein Schwarm von Ruderbooten steuert dem »Saturno« entgegen.

Endlich zeigt sich der Agent und rät mir, bis zum nächsten Morgen zu warten – nach Einbruch der Dämmerung dürfe niemand an Land! Dafür aber danke ich und, mit einer Handtasche versehen, lasse ich mich nach dem Zollhaus rudern. Hier fiel ich einer Schar uniformierter Türken in die Hände. Sie gestikulierten, überschrien einander, fanden meinen Paß außerordentlich ungenügend und schickten schließlich nach einem Polizeioffizier, der mich ungefähr so behandelte, als ob ich aus einem pestverdächtigen Hafen gekommen sei. Auf Dschaggatai-Türkisch setzte ich ihm die wechselvollen Schicksale auseinander, die mich wider meinen Willen nach Trapezund geführt, betonte meine Bekanntschaft mit Tewsik Pascha, Ferid Pascha und dem großen Osman Pascha – Allah segne seine Seele! – und mehreren andern vornehmen Paschas und erzählte, daß ich sogar an Abdul Hamids Tisch im Jildis-Kiosk diniert hätte. Ihre Gesichter wurden immer länger, aber nichts imponierte ihnen so sehr als meine nähere Bekanntschaft mit Temir Basch (Karl XII.). Es war dies nicht das erstemal, daß mir sein Name im Orient aus der Klemme half. Ich erhielt die gewünschte Erlaubnis, über Nacht am Lande zu bleiben, nachdem die Handtasche bis zur Zahnbürste durchsucht und zwei Romane, von Daudet und Coppée, und eine Karte von Persien zur Untersuchung im Zensurbureau beschlagnahmt worden waren!

Bald darauf saß ich im Gespräch mit dem französischen Konsul, der mir riet, mein Gepäck erst dann vom Dampfer zu holen, wenn auf meine letzten Telegramme nach Konstantinopel Antwort erfolgt sei, denn die Zollbeamten seien hier schrecklich; sie belegten alles Verdächtige mit Beschlag und fänden alles ihnen Unbekannte verdächtig. Er riet mir auch, nicht ohne Eskorte nach Erzerum zu reisen, da die Gegend gar zu unsicher sei und man erst kürzlich zwei Kapuziner ausgeraubt habe, die aus Erzerum zurückgekehrt seien.

Das alte Trapezus war eine von Griechen aus Sinope im 7. Jahrhundert v. Chr. gegründete Kolonie; die Stadt, die also vornehme Ahnen hat, ist im Laufe der Jahrtausende den wechselndsten Schicksalen ausgesetzt gewesen und aus einer Hand in die andere gegangen, während die Fürsten und Völker, die sie besessen haben, nacheinander erstarkt, zur Blüte gelangt und wieder vom Schauplatz verschwunden sind. Zur Zeit Kaiser Hadrians gab es am ganzen Pontus Euxinus keine einzige Stadt, die sich an Größe mit ihr messen konnte. Trapezund ist sogar die Hauptstadt eines Kaiserreichs gewesen.

Bevor die Russen Kaukasien erobert und die transkaspische Eisenbahn zwischen Batum und Baku gebaut hatten, war Trapezund der Endpunkt der wichtigsten Verkehrslinie zwischen dem Okzident und Persien. Heutzutage jedoch fristet diese Linie, gleich der Handelsstraße über Erzerum und Tabris, infolge der russischen Konkurrenz nur noch ein kümmerliches Leben. Dennoch ist das Tarabusun der Türken, das Trabysos der Griechen, das Trebisonde der Franzosen, das Trapezund der Deutschen, das Trabezon, Trabizum, Tirabson und wie diese Stadt der Prinzessinnen von Trebisonde sonst noch genannt wird, auch jetzt der Sitz eines Generalgouverneurs und gilt, nach Smyrna, als die wichtigste Handelsstadt der asiatischen Türkei. Zwischen einem dicht zusammengedrängten Mosaik von Holzhäusern erhebt sich auf der Landzunge eine alte Burg, und von der christlichen Zeit zeugen noch eine Menge Kirchen, die nach der türkischen Eroberung in Moscheen umgewandelt worden sind. Die Bevölkerung soll sich jetzt auf 60 000 Seelen belaufen, Türken, Griechen, Armenier und Fremde; doch ist diese Zahl wohl übertrieben. Frankreich, Persien, Rußland, England, Amerika und Österreich-Ungarn haben Konsulate in der Stadt. Während der jetzt in Kaukasien besonders wegen des Eisenbahnstreiks herrschenden Unruhen konnte Trapezund sich eines momentanen Aufschwungs erfreuen, da die Frachtgüter, die man in Batum nicht hatte löschen können, zum großen Teil über Trapezund und Erzerum gingen. Doch auch unter normalen Verhältnissen werden nach Persien Manufaktur- und Textilwaren, Kleiderstoffe, Wolle, Tee, Silber, Samt u. dgl. ein- und aus Persien Teppiche, Schale, Seidenzeug, Rosinen usw. ausgeführt.

Als ich mich in der Dunkelheit im Hotel de Suisse einquartierte, das einer liebenswürdigen jungen Französin und ihrem Gatten, dem freundlichen Griechen Polikandrioti gehörte, vernahm ich die alten, wohlbekannten Töne der Kamelglocken unter meinen Fenstern – eine Karawane brach nach ihrer ersten Nachtstation auf dem Wege in das Land der Sonne und des Löwen auf. Nun wurden auch die Lampen rings um die Altane der Minarets angezündet; der Muezzin rief sein schwermütig-poetisches »La illaha il Allah« in den Ramasanabend hinaus; das Leben und die Bewegung auf den Straßen nahm zu, es war eine Freude, die gemütlichen, tätigen und anständigen Menschen zu beobachten, die Läden und die Wirtshäuser öffnen zu sehen, in denen sich die Mohammedaner zur Abendmahlzeit versammelten, nachdem ein Kanonenschuß verkündet hatte, daß das Fasten des Tages zu Ende und die Sonne untergegangen sei.

Erst spät in der Nacht erlöschen die Lampen und das Leben in Trapezund. Über der schlummernden Stadt wacht der hohe Gipfel des Kolat-dagh, während der Mutschkafluß sein herbstlich trübes Wasser in das Schwarze Meer ergießt. Ich bin gerade mit einem Briefe nach Hause fertig und fühle ein unbeschreibliches Behagen in dem Genuß der Freiheit, die an der Küste Kaukasiens fehlte. Um mich her und hinter mir flüstert die Erinnerung an das Dunkel vergangener Jahrtausende, von der sagenhaften Fahrt der Argonauten und den Landungen und Verheerungen der unternehmungslustigen Griechen an dieser Küste, von der Römerzeit, den chaldäischen und byzantinischen Jahrhunderten, von den Tagen der Komnenen, deren Glanz vor den Kreuzfahrerfahnen verblich, aber in Trapezund aufs neue erstrahlte, wenn auch nur, um wiederum zu erlöschen, als vor 450 Jahren der siegreiche Halbmond seine Hörner auch über Trapezunds Horizont erhob.

Der Schlag einer Uhr in der stillen Nacht ruft mich zur flüchtigen Gegenwart in dem Weichbilde der berühmten Stadt zurück. Vergeblich habe ich seit vierzehn Tagen versucht, an der kaukasischen Küste einen Ausgangspunkt zu gewinnen; erst jetzt hatte ich an der äußersten Peripherie des großen Kontinents festen Fuß gefaßt. Vor mir sehe ich in Gedanken den gewundenen Weg nach Indien und Tibet, ich höre die Lastwagenräder über Armeniens Berge knarren und die Glocken ihren eintönigen Takt zu den Schritten der Kamele durch das Land der Meder und der Perser läuten. Mein Ziel ist Nuschki, der äußerste Fühler der englischen Eisenbahn in Belutschistan, und um dorthin zu gelangen, muß ich 3700 Kilometer zu Land zurücklegen. Von Trapezund nach Teheran kann man den ganzen Weg fahren, er beträgt nur die Kleinigkeit von 1300 Kilometern; von Teheran aber muß ich die übrigen 2400 Kilometer auf Kamelen und Dromedaren reiten. Es war also eine lange Reise, die von Trapezund ausging; aber ich freute mich über die Aussicht, Gegenden Persiens kennenzulernen, in denen ich noch nicht gewesen war, und die große Wüste durchziehen zu können, in der Alexander der Große, Marco Polo und Nadir Schah ihre Namen verewigt haben.

Während Polikandrioti es übernahm, alle notwendigen Einkäufe zu besorgen – einen kaukasischen schwarzen Radmantel (»Burcha«), Baschliks, Filzdecken und Bettzeug, Proviant auf einen Monat, Konserven, Brot, Tee, Zucker, Küchengeschirr, Tabak usw. –, traf ich mit einem Fuhrmann die Verabredung, daß er in zwei Tagen mit einer Droschke und einem Lastwagen vor meiner Tür sein und für die Reise nach Erzerum 16 türkische Pfund (296 Mark) erhalten solle. Der französische Konsul hatte mich benachrichtigt, daß der Wali Mehemed Reschad, der Generalgouverneur des Wilajets Trapezund, von Tewfik Pascha Befehl erhalten habe, mir die Reise in jeder Weise zu erleichtern.

Ich begab mich in Begleitung des Konsuls zu der üblichen Visite nach dem Amtslokal des Wali, einem offenen kleinen Pavillon an einer Straßenecke, in den Winde und Strolche gleich ungehindert eindringen konnten. Der Wali war ein älterer Herr mit graugesprenkeltem Bart, Kneifer, Fes und europäischer Kleidung und schien die freundlichsten Absichten zu hegen. In der Order, die er von seinem Vorgesetzten erhalten hatte, stand kein Wort von Zollfreiheit, und er hatte daher keine Vollmacht, mein Gepäck ohne Visitation durchgehen zu lassen, riet mir aber, noch einmal an den schwedischen Gesandten zu telegraphieren. Zwei zuverlässige Soldaten sollten mich als Eskorte nach Erzerum begleiten, ich sollte einen besondern Paß für diese Reise erhalten, und alle Behörden auf meinem Wege sollten angewiesen werden, mir zu Diensten zu sein, wenn ich mit meinen Wagen angerasselt käme.

Ich mußte mich also bis auf weiteres in Geduld fassen, besuchte den englischen Konsul, einen ältern, korpulenten, gemütlichen Junggesellen in einem eleganten Palaste, und schlenderte in der Stadt umher.

Trapezund macht einen angenehmen Eindruck, dank seiner naturschönen Lage, seinen malerischen Straßenmotiven und seinem bunten Leben und Treiben, das mit der Abwechslung und Farbenpracht des Orients gesättigt ist.

Nach einem fröhlichen, angenehmen Mittagessen beim französischen Konsul und nach noch einem Tage vergeblichen Wartens auf ein erlösendes Wort vom Großwesir, der nun wohl der Vorschriften, die ich ihm in fünf Telegrammen gemacht, überdrüssig war, ließ ich mein Gepäck den gewöhnlichen Weg durch die Hände des Zollamts gehen, erhielt einen persischen Stempel auf meinen Paß, verabschiedete mich von den neuen Freunden und bereitete alles zur Abreise am nächsten Morgen vor.

An einem Montag, der obendrein auf einen dreizehnten fällt, eine Reise anzutreten, wird manchem wohl gewagt erscheinen. Aber der Morgen war heiter und warm; ich legte meine Reisekleidung an, schied aus, was ich unterwegs brauchen konnte, photographische Apparate, Filzdecken und Lebensmittel, und ließ alles übrige Gepäck mit starken Seilen auf dem Lastwagen (Abb. 1) festbinden. Sobald er gepackt ist, muß er vorausfahren. Auf dem Platz vor dem Hotel hat sich eine schaulustige Menge angesammelt, als ich, vom Dragoman des Generalgouverneurs begleitet, in der Droschke Platz nahm und durch das Ostviertel fortrollte.

siehe Bildunterschrift

1. Der Gepäckwagen. (S. 28.)

Der Weg führt am Strande entlang; zwei eben eingetroffene Dampfer haben sich auf der Reede vor Anker gelegt, und zwischen ihnen und dem Ufer sind die Boote in lebhafter Tätigkeit. Trapezunds Häuser werden immer spärlicher, der Weg entfernt sich wieder vom Strande, das lebhafte Seebild verschwindet hinter uns. Das Rauschen der Dünung, die mir eine glückliche Reise nach Asiens Herzen wünscht, verhallt, und ich frage mich, wo und wann ich wohl wieder einen Meereshorizont erblicken werde. –

In Degermen-dere, dem »Mühldorfe«, sage ich dem Dragoman Lebewohl und steige in meine Equipage (Abb. 2). Im Galopp geht es auf der vortrefflichen, makadamisierten Landstraße fort, die mich bergauf nach Süden führt. Erst jetzt bin ich allein und unterwegs! Vor mir wartet das ganze große Asien, das mich drei Jahre und drei Monate festhalten wird! Eine Reihe noch dunkler Schicksale und stolzer Pläne schwebt mir vor: Armenien, Persien, Seïstan, Belutschistan, Tibet, das glutheiße Indien, das frostige Sibirien, Japan, das Land der aufgehenden Sonne, Korea, die Mandschurei! Es wird eine große Reise werden – wenn alles gut abläuft, das weiß ich, und die rote Linie der Route soll wie ein Lasso die letzten großen Geheimnisse des Kontinents in ihrer Schlinge fangen! Bei dem melodischen Rauschen der Dünung des Schwarzen Meeres begann meine Pilgerfahrt. Wieviel Winterschnee wird noch auf unentdeckten Gebirgen in jenem dunkeln Lande, dem »Transhimalaja«, tauen, ehe der Morgen graut, an dem ich im äußersten Osten die Sonne wie eine glühende Kugel aus dem Schoße des Stillen Ozeans aufsteigen sehe?

siehe Bildunterschrift

2. Meine Equipage auf dem Weg nach Trapezund. (S. 28.)


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