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Tüchtiger Frost in der Nacht auf den 1. Februar, 5,1 Grad unter Null! Aber um 1 Uhr mittags war die Temperatur auf 11,9 Grad gestiegen.
Heute wußte ich wenigstens, daß aus dem Aufbrechen nichts werden konnte, denn unsere Kamele waren nach Dschandak zurückgegangen und sollten erst morgen wiederkommen; es war daher gleichgültig, ob eine Karawane an dem trocknen Brunnen vorbeizog oder nicht, obgleich sie immerhin eine angenehme Unterbrechung unseres einförmigen Lebens gewesen wäre. Wir glichen beinahe Schiffbrüchigen, die auf einer kleinen Insel liegen und dort auf Rettung warten, nachdem sie ihre Schiffe verloren haben.
Unsere kleine Kolonie besteht aus mir, Gulam Hussein, Agha Muhamed und seinem Diener, Newenk und einem Esel; wir sind also sechs Mann hoch. Die Nachbarn lagern zwischen ihren Warenballen, wo sie sich mittelst einiger Teppiche und leerer Säcke zwischen den Lasten einen Schlupfwinkel hergestellt haben. Wir waren in unserer Grotte geblieben, ließen uns aber durch das herrliche warme Wetter und den leichten, angenehmen Nordwestwind hinauslocken. Mein Teppich und meine Filzdecke wurden im Freien ausgebreitet, die über das Stativ gehängte Burcha gewährte mir den nötigen Schatten, und so lag ich denn draußen und las einen Roman, als ob ich in der Sommerfrische sei. Währenddessen machte Gulam Hussein in unserm Loche rein und fegte allen Staub und Kehricht hinaus. Still und ruhig ist es um mich her; kein Laut läßt sich vernehmen, keine Glocken von Norden her verkünden, daß eine Karawane es wagen will, der Wüste und ihrem nach dem letzten Regen noch sumpfigen Boden Trotz zu bieten.
Dann zeichnete ich ein Panorama der öden Umgegend. Im Norden erscheint das oberhalb des Ortes Husseinan liegende Gebirge in gleichmäßig hellblauem Farbenton. Agha Muhamed behauptete, daß man mitten in der Wüste dieses Gebirge nicht sehen könne und den Kuh-i-Dschandak ebenfalls nicht, selbst wenn das Wetter noch so klar und windstill sei. Er fügte hinzu, dies liege daran, weil man in der Kewir »so tief hinabkomme«, daß alle Aussicht verdeckt werde.
Agha Muhamed war in Ardekan zu Hause. und erst 22 Jahre alt; ihm gehörten 25 Kamele der Karawane, deren Führer er war. Er kam in mein Skizzenbuch. In seinem umfangreichen Turban, dessen Binde er sich mehreremal ums Haupt gewunden hatte, und seinem dicken Halstuch sah er pittoresk aus (Abb. 98). Auch ihm und den übrigen an seiner Karawane Beteiligten war es ein Strich durch die Rechnung, durch einen Regen aufgehalten zu werden. Ihre 55 Kamele waren 3500 Toman wert, und der Warenwert der Karawane belief sich auf 100 Toman pro Kamellast, 5500 Toman im ganzen. Agha Muhameds Karawane war von Jezd nach Dschandak neun Tage unterwegs gewesen, hatte in Dschandak zwei Tage gerastet und verlor nun wider Erwarten noch zwei Tage. Er wollte nach Schahrud ziehen und rechnete auf die Reise von Jezd dorthin 25 Tagereisen. Jeder Tag kostete ihm, wie er mir sagte, 30 Toman an Kamelfutter, Beköstigung der sieben Treiber und Leutelohn. Jeder verlorene Tag verteuert also die Reise und verringert den Gewinn. Wenn die Kamele Wüstengegenden durchziehen, müssen sie mit Stroh und Baumwollsaat gefüttert werden; wenn sie nicht arbeiten, müssen sie sich ihr Futter auf der Steppe suchen.
98. Mein Begleiter Agha Muhamed. (S. 345.)
Zeichnung des Verfassers.
Der lebhafteste Karawanenverkehr beginnt ungefähr am 5. März und dauert zwei Monate; während dieser Zeit ziehen 200 Karawanen nach beiden Richtungen durch die Wüste. Im Sommer passieren sie nur sehr wenige, denn Anfang Juni wird es in der Wüste grauenhaft heiß. Wasser gibt es dort nicht, und man wird so durstig, daß man jede Stunde von dem mitgenommenen Vorrate trinken muß. Die Kamele bleiben im Sommer, wenn sie kein Wasser erhalten, drei Tage leistungsfähig, im Winter aber sechs und, wenn es sein muß, noch länger. Agha Muhamed, sagte, genau wie meine übrigen Gewährsmänner, daß nur die beiden Wege, die ich zu erproben beabsichtige, zum Karawanenverkehr benutzt würden und daß er keinen direkten Weg von Turut nach Tebbes kenne. Auch die gewöhnliche Straße von Turut nach Chur meide man, wenn es sich einrichten lasse, weil sie sehr uneben sei und selbst bei gutem Wetter die Kamele sehr anstrengen solle. Sei das Wetter unsicher, so mache eine Karawane aus Chur, deren Bestimmungsort Turut sei, lieber den Umweg über Dschandak nach Husseinan oder Pejestan.
So vertrieben wir uns die langen Stunden auf beste Art und Weise. Unsere Nachbarn buken Weizenbrot auf einem eisernen Topfdeckel über einer Grube im Boden, in der sie ein Feuer angezündet hatten (Abb. 97), und als sie mit dem Backen fertig waren, schenkten sie uns ein paar »warme Semmeln«. Als Erwiderung wurden sie in meine Grotte zum Tee eingeladen und erzählten dabei, während die Pfeife in der Gesellschaft herumging, ihre eigenen Erlebnisse in der Kewir. Draußen wurden die Abendschatten immer dichter, und wir legten uns früh schlafen.
97. Agha Muhamed und sein Diener beim Brotbacken. (S. 346.)
Zeichnungen des Verfassers.
Am folgenden Morgen wurde ich durch Glockenklang geweckt; die Karawane aus Jezd kehrte aus Dschandak zurück, um den Tag über hier liegen zu bleiben, nach Mitternacht die Tiere zu beladen und noch vor Sonnenaufgang die Wüstenreise anzutreten. So würden sie den gefährlichsten Teil der südlichen Kewir bei Tageslicht überschreiten können; es war natürlich ein Vorteil, daß man sehen konnte, wohin man trat, wenn die obersten Schichten aller Wahrscheinlichkeit nach so glatt waren wie Eis. Ali Murat war auch wieder da; seine vier Kamele hatten getrunken und gefressen und trugen jetzt die von uns begehrte Proviantverstärkung nebst zwei gefüllten Wassersäcken. Im Hauptlager stand alles gut, und Mirza teilte mir in seiner schriftlichen Antwort mit, daß sie noch einen Tag in Dschandak zu bleiben gedächten, weil unser Aufbruch so sehr verzögert worden sei.
Der Tag sah unsicher aus. Am Morgen war das Wetter leidlich; es wehte aus Nordwesten, und der Himmel wurde zur Hälfte durch Wolken verhüllt; aber um 1 Uhr umzog sich das Firmament mit drohenden Wolken, der Wind hörte auf, es wurde vollkommen windstill, das Barometer fiel – alles schien auf einen neuen Witterungswechsel hinzudeuten. Ich glaube, wir gingen alle mit klopfendem Herzen umher und fragten uns, was wohl kommen werde. Wenn wir wenigstens schon unterwegs wären – ich sehne mich nach Abwechslung, nach etwas Neuem nach diesen drei Tagen vergeblichen Wartens, meine Geduld ist schon sehr auf die Probe gestellt worden. Wenn doch der Regen, der wieder im Anzug ist, wenigstens so lange warten wollte, bis wir in die Wüste hineingelangt sind, damit ich ihn dort erleben und mich selbst von seinen Wirkungen überzeugen könnte! Gutes Wetter wäre freilich das Allerbeste, und es wäre doch hart, wenn jetzt ein neuer Regen das Trocknen, das in den drei schönen Tagen vor sich gegangen war, wieder zunichte machte; dann hätten wir hier vergeblich gewartet, und da die Wüste bereits naß ist, muß sie nach einem neuen Regen ganz unpassierbar werden.
Dennoch ist es recht anziehend, sich auf diese Weise, freiwillig oder gegen seinen Willen, in das Leben und Treiben einer großen Handelskarawane einzuleben und es aus der Nähe zu studieren. Sonst sieht man sie nur auf ihren langen Reisen an sich vorbeiziehen; nun bin ich selbst ein Mitglied einer solchen Gesellschaft, ein Reisegefährte wandernder Männer, und beobachte drei Tage lang ihr Tun und Treiben von Stunde zu Stunde. Der größte Teil ihrer Zeit ist der Wartung der Kamele gewidmet. Strohhäcksel und Baumwollsaat wird den eßlustigen Tieren eingepfropft; sie fressen den ganzen Tag, als wüßten sie, daß es mit der Verpflegung bald schwach bestellt sein wird und daß sie gut gesättigt aufbrechen müssen. Die Packsättel werden ihnen abgenommen; alles, was sich zwischen Sattel und Haut geschoben hat und dort scheuern kann, wird entfernt; der Rücken wird ihnen gestriegelt und gebürstet, so daß eine Staubwolke sie umwirbelt.
Dann überlassen die Leute ihre sterbliche Hülle dem Schlafe und liegen, die Nase in die Luft gestreckt, auf dem Rücken zwischen ihren Kamelen; am Nachmittag backen sie Brot, flicken ihre Kleider und bessern ihre Geräte aus, trinken Tee, plaudern und rauchen an ihrem Feuer, ziehen sich nackt aus und drücken mit dem Daumennagel unzählige Insekten tot – man ängstigt sich vor dieser Nachbarschaft, um so mehr, als die Männer uns nur zu oft in unserer Grotte besuchen, wo sie sich unausgesetzt kratzen und leicht einen oder den andern ihrer Bewohner vergessen können.
Der Tag schreitet vor, die Wolken stehen noch am Himmel, aber kein Tropfen Wasser fällt auf die Erde. Über Nacht wird sich unser Schicksal entscheiden; regnet es dann, so gehen unsere Reisegefährten nach Jezd zurück, bleibt es gut, so ziehen sie nordwärts.
Um 8 Uhr wurden der Himmel und unsere Hoffnungen lichter – wenigstens die meinigen. Ich habe Ali Murat in Verdacht, daß er Regen herbeiwünscht und sein Versprechen bereut; er redet vom »Kamelwetter«, wie man hier das Wetter nennt, wenn es trübe und bedenklich aussieht und man den Tieren die Wüste erspart. Er behauptet, daß die Kamele selber wüßten, daß Niederschläge ihnen nützlich sind und schönes Wetter ihr Feind ist.
Es wird Abend, das Wetter klärt sich immer mehr auf. Ali Murat bittet mich schlafen zu gehen, denn zwei Stunden vor Sonnenaufgang solle es losgehen; diesmal würden die Kamele sich verrechnet haben, wie es scheine. Wir packten unsere Sachen; in einer kleinen Umhängetasche hatte ich Karten, Skizzen- und Notizbuch sowie Kompaß bei mir; alles andere wurde regelrecht verschnürt. Wir sollten den ganzen Tag reiten, bis die Sonne unterging, und dann erst eine kurze Rast halten, um den Kamelen Häcksel zu geben, nachher aber wieder die ganze Nacht hindurch reiten, um mit heiler Haut aus der Kewir hinauszukommen. Von Schlaf konnte also nicht die Rede sein. Für die Leute war das nicht so schlimm, sie konnten auf den Kamelen im Sitzen schlafen, aber ich mußte die ganze Zeit über, im Sonnenlicht sowohl wie bei Mondschein, beobachten und Aufzeichnungen machen. Daher ist es am besten, die Zeit wahrzunehmen, ehe es zur Schlacht kommt – und die Schlacht muß gewonnen werden, ich weiß, daß ich es vermag! In der Dämmerung war bei der Karawane aus Jezd lebhafte Tätigkeit wahrzunehmen. Sie rüsteten sich zur Abreise; schon um 7 Uhr war es ganz still in ihrem Lager, und nachher hörte man nur noch gelegentlich ein Kamel gurgeln oder eine Glocke läuten, wenn ihr Träger sich im Schlafe bewegte. Ich dachte gar nicht daran, mich für diese kurze Nacht noch zu entkleiden, sondern legte mich in meinen Mantel gehüllt nieder und schlief gut.
Schlag 4 Uhr wurde ich geweckt, und kurz vor 5 Uhr waren wir marschbereit, mußten aber noch eine gute Viertelstunde auf die Jezdleute warten. Schwer lag das nächtliche Dunkel über der Erde, der Mond war bereits untergegangen, aber helle Sterne funkelten über der Wüste, und die Nacht war ruhig, windstill und voller Erhabenheit. Stumm wie Geister beluden unsere Nachbarn ihre Kamele beim Schein eines lodernden Feuers, das die Kamele beleuchtete und sie in schreiendem, feuerrotem Relief aus der Dunkelheit herauswachsen ließ. Nur das Klingen der Glocken und der Schellen und das Knistern des Reisigs unterbrechen das tiefe Schweigen, mit dem sich das Nahen eines neuen Tages ankündigt. Man hat nichts miteinander zu reden; jeder weiß, was er zu tun hat, für welche Lasten und Kamele er verantwortlich ist, und daher schweigt jeder und ist erfüllt von einem Gefühl innerer Unruhe. Nur dann und wann einmal fährt einer ein widerspenstiges Kamel mit einem Scheltwort an.
Das Wetter ist schön und angenehm; allerdings ist es in der dunklen Morgenstunde kühl, aber es weht nicht, und auch nicht ein Wölkchen verdeckt die Sterne. Nachdem alles zum Aufbruch bereit war, sammelten die Jezdleute alle umherliegenden Zweige und Reisigbündel und stapelten sie mitten im Feuer auf, dessen Flammen in einer lotrechten, glänzenden Säule zum Himmel aufloderten und die öde Gegend am wasserlosen Ramasanbrunnen erhellten, wo ich vier lange Nächte und vier Geduld erfordernde Tage zugebracht hatte. Ich kletterte sofort in den Sattel; es reitet sich am besten, solange der Boden noch fest ist. So ziehen wir denn ins nächtliche Dunkel hinaus, das der starke Feuerschein doppelt finster erscheinen läßt, und die Glocken der Kamele läuten, bald heftig, bald schwach, je nach ihrer Entfernung von uns. Nach einer Minute dringt der Feuerschein nicht mehr bis zu mir, und der Scheiterhaufen hinter den Hügeln entschwindet den Blicken wie ein Leuchtturm an der fernen Küste.
Die große Jezdkarawane zeichnet sich nur wie eine dunkle Masse vor mir ab, während ich auf dem ersten meiner vier Kamele throne und mit Hilfe einer Zigarette Kompaß und Uhr ablese und meine Aufzeichnungen mache. Vom Pfad ist nichts zu sehen; aber auch wenn die Leute ihn nicht erkennen, finden die Kamele sich noch zurecht. Es herrscht eine außerordentliche Dunkelheit. Ich sehe überhaupt nicht, wohin es geht, und kann mir von der Beschaffenheit des Geländes gar keinen Begriff machen; aber ich fühle, daß meine Kamelstute sicher auf den Füßen ist und ich mich ihren Schritten ruhig anvertrauen kann. Wir gehen dem Polarstern beinahe gerade entgegen.
Um 6 Uhr beginnt es über den niedrigen Hügeln im Osten matt zu tagen. In der Masse der vor mir herziehenden Karawane treten die Einzelheiten immer mehr hervor, und der eben noch so dichte Klumpen löst sich in eine Menge Einzelheiten auf. Dann kommt die Reihe an die Farben, die sich in schwachen Tönen geltend machen; die Sterne erbleichen und verschwinden schnell. Der Pfad läßt sich, wenn auch einstweilen undeutlich, in Gestalt zweier paralleler Steige im ganz vegetationslosen Wüstenboden erkennen; dunkle Flecke verraten hier und dort Feuchtigkeit, die tiefer in das Erdreich eingedrungen ist. Der äußerste Saum des oberen Sonnenrandes funkelt mit elektrischem Glanze über den Gebirgen im Osten, Licht und Leben flutet über die öde Fläche; die anfangs nur leicht angedeuteten Schatten der Kamele verdichten sich allmählich, und man möchte glauben, daß die Glocken nun, da die Sonne ihr Erz vergoldet und man den Klöppel schwingen und anschlagen sehen kann, viel heller läuten, als sie es eben noch getan haben.
Nach anderthalb Stunden wendet sich Ali Murat, der mein Kamel führt, um und sagt, daß wir über den ersten Farsach hinaus seien. Noch habe ich 29 vor mir! Gerade hier lassen wir auf der linken Seite eine unbedeutende Bodenerhebung hinter uns zurück, die Bend-i-bala-Hassan oder »Hassans oberer Damm« heißt. Die von Norden kommenden Karawanen jubeln, wenn sie diesen Platz erreicht haben, ja schon dann, wenn sie ihn aus der Wüste zuerst erblicken; dann liegt alle Gefahr hinter ihnen.
Im Norden steigen leichte, helle Wölkchen wie ein Schleier oder Nebeldunst über den Bergen hinter Husseinan auf, die man jetzt kaum ahnt. Noch ist das Gelände nicht ganz eben; wir haben zwei Erosionsrinnen überschritten, die allerletzten Fühlhörner der von Süden kommenden Gewässer; weiter dringt das Regenwasser nicht vor, höchstens bei Wolkenbrüchen. Wir sehen, wie die nördliche Horizontlinie ihre Lage von Zeit zu Zeit im Verhältnis zur Karawane verändert, die bald unter ihr, bald über ihr, bald von ihrer Kontur durchschnitten dahinschreitet. Der Erdboden bildet hier also noch Wellen, die freilich außerordentlich flach sind und die das Auge nicht wahrnehmen würde, wenn man nicht die ganze Karawane zum Vergleich hätte.
Jetzt schwebt die Sonne frei über dem Horizont, und obgleich sie sich kaum aus ihrem nächtlichen Schlummer erhoben hat, fühlt man sich durch eine wärmere, sanftere Hand geliebkost. Und doch sind es um 7 Uhr noch 2,9 Grad Kälte; aber es geht kein Wind, und der Himmel ist fast ganz klar, was einen schönen Tag und eine glückliche Reise erwarten läßt.
Noch sind wir nicht am Rande der Kewir angelangt. Das Wasser in einem Tümpel war süß; wir befinden uns in dem Übergangsgebiet zwischen festem Boden und Kewir, an dem äußersten Rande des Schutt- und Verwitterungskegels am Fuße der südlichen Berge. Hier überschreiten wir eine Reihe Vertiefungen, die zwar sehr flach, aber deutlich sind und mit unserer Marschrichtung einen rechten Winkel bilden; sie liegen oft, durch niedrige Rücken getrennt, sehr dicht nebeneinander. Ich kann mir den Grund ihrer Entstehung nicht erklären, vermute aber, daß sie eine Art Furchung oder Faltung sind, die von Verschiebungen und Tangentialdruck gerade in dem Saume erzeugt worden sind, wo das feste Land die Wüste berührt und in die Kewir übergeht.
Die Sonne scheint schon eine Stunde, und die Temperatur beginnt behaglich zu werden. Es ist schön, die Sonne im Rücken zu haben; auf dem Wege von Turut nach Chur wird das Tagesgestirn unsere Augen blenden und uns die Gesichtshaut schwärzen. Wir nähern uns der Kewir! Der Boden, der eben noch abwechselnd dunkelbraun und grau gewesen ist, wird jetzt ausschließlich hellgrau; seine Oberfläche zeigt kleine Wölbungen und Höcker. Wie lebhaft erinnert mich diese Bodenform an Zaidam mit seiner sterilen Salzwüste, die auch nur auf einigen wenigen Linien durchzogen werden kann! Ohne Zweifel ist die persische Kewir eine Beckenfüllung derselben Art.
Der Weg ist deutlich; viele Karawanen haben ihn ausgetreten, und der letzte Regen hat ihn nicht verwischt; jetzt besteht er aus wohl zehn nebeneinander laufenden Pfaden.
Agha Muhamed ist der vornehmste Mann in meiner Wandertruppe; er besorgt, auf seinem Esel sitzend, die Führung, aber lange dauert es nicht, so wird das Terrain derartig, daß er sein Reittier schonen muß. Einstweilen ist der Boden noch trocken und sicher; wir haben die beiden Farsach, die uns vom »Ufer« trennen, noch nicht ganz zurückgelegt.
Jetzt ist der Boden völlig eben und gleicht, die kleinen Höcker abgerechnet, der Decke eines gefrorenen Sees. Die Spitze der Karawane erscheint beständig über der Linie des Horizonts, wenn auch nur in geringer Höhe. Streckenweise ist der Weg glatt wie eine asphaltierte Straße. Ich sitze in meinem provisorischen Sattel so bequem wie in einem Lehnstuhl; aber mein Kamel hat auch einen sehr angenehmen Gang, denn eine Stute tritt meistens nicht so schwer auf wie ein Hengst. Dann und wann breitet sich ein weißer Salzanflug über die Oberfläche des Bodens, ein Vorzeichen der Salzwüste. Auf diesem Boden, der so tot ist wie die Oberfläche des Mondes, zieht sich der Weg im allgemeinen schnurgerade hin, und ich sehe die vor mir marschierende Jezdkarawane in stärkster Verkürzung.
Auch ein Nachkomme des Propheten, ein Seïde, ist unter den Reisenden. Als ich bat, ihn zeichnen zu dürfen, antwortete er ablehnend; es sei mit seiner religiösen Würde nicht vereinbar. Heute morgen bei Sonnenaufgang hielt er an, um sein Gebet zu verrichten. Er ist der einzige, der auf einem Kamele reitet, alle andern gehen zu Fuß; jeder führt seine Katar, und zwei müssen aufpassen, daß die Lasten im Gleichgewicht bleiben. Jeder kleine Stillstand an der Spitze der Karawane wirkt auf uns ein, die wir hinterdrein bummeln. Es genügt schon, daß Agha Muhamed eine Minute anhält, um seine Pfeife anzuzünden, um alle Kamele der Reihe nach, vom ersten bis zum letzten, ebenfalls eine Weile zum Stehenbleiben zu zwingen; es ist, als ob sich eine Wellenbewegung durch ihre lange Reihe fortpflanze.
Die niedrigen Berge von Dschandak sind in immer schwächer werdenden Tönen zu sehen, aber das nördliche Gebirge ist deutlich, wenn auch in matten Farben sichtbar. Wir befinden uns an dem kritischen Punkte, dem Tschil-i-do-farsach, dem »Zeichen der zwei Farsach«. Hier beginnt die Kewir! Der Übergang von dem trocknen Erdreich zu dem glatten, zähen und tückischen Tonboden ist sehr schnell und scharf. Während das Ende der Karawane noch auf festem Grund marschiert, merkt man, daß ihre Spitze bereits auf Kewirboden einherschreitet, denn das Marschtempo verlangsamt sich sofort. Mein Kamel hatte auf dem glatten Ton noch nicht viele Schritte balancierend zurückgelegt, als es schon hinpurzelte. Es war das erste der Kamele, das fiel, aber es benahm sich dabei so geschickt, daß es gleich auf allen vier Knien lag und ich ruhig im Sattel sitzen blieb. »Hier geht's los«, sagt Ali Murat. Bei Haus-i-Hadschi-Ramasan hatte die Seehöhe 779 Meter betragen; jetzt befanden wir uns 758 Meter hoch.
Der Boden besteht aus gelbem Lehm, dem am feinsten zerteilten Material, das sich denken läßt. Aber er ist höckerig und erinnert an schwedisches Fladenbrot mit dicht nebeneinander sitzenden Löchern, bloß mit dem Unterschied, daß der Fladen, mit dem wir hier es zu tun haben, so glatt ist wie eine polierte Holzplatte, die man mit Schmierseife eingerieben hat.
Die Glocken läuten ungleichmäßig und stoßweise; ihr Rhythmus verrät, wenn ihre Träger ausgleiten; bald schlägt hier, bald dort wieder ein Klöppel lauter als gewöhnlich an. Es geht verzweifelt langsam vorwärts; der Führer marschiert zu Fuß und prüft den vor ihm liegenden Weg. Ich folge, was das Gehen betrifft, seinem Beispiel, denn auf dem Kamel sitzt man in ewiger Aufregung, ob man nicht nächstens heruntergeschleudert wird. Hier kann man aber nicht wie auf einer gewöhnlichen Straße marschieren, wo man sich umsieht und ruhig seine Aufzeichnungen macht. Hier heißt es genau aufpassen, wie und wohin man seinen Fuß setzt; man sucht die kleinen Gruben und weicht den Höckern aus. Den Weg sieht man jetzt überhaupt nicht mehr; er wird in diesem weichen und doch so zähen Material von jedem Regen fortgewaschen.
Stellenweise ist der Erdboden fast schwarz, dazwischen wieder graugelb. Im erstern Falle ist er noch sehr naß; in letzterm ist eine Schicht, kaum dicker als eine Apfelschale, trocken; aber auch auf dieser gleitet man ebenso leicht aus, denn unter der trocknen Oberfläche liegt der Lehm glatt und weich. Natürlich hat sich der Weg zwischen Dschandak und Husseinan, der die Hauptpulsader durch die Kewir ist, gerade diejenige Gegend ausgesucht, wo die Wüste am schmalsten ist. Man kann es als sicher ansehen, daß die Kewir sich von diesem eingeschnürten Teile aus nach Osten und Westen hin erweitert. Gerade da, wo unser Weg sie durchschneidet, trocknet die Kewir schneller als anderwärts; in den östlichen und westlichen Depressionen hält sich die Feuchtigkeit länger, und selbst dann, wenn die Rinde des Bodens dort an und für sich nicht gefährlicher wäre als hier, würde das Wagnis doch infolge der Breite der Wüste und der Gefahr, durch Regen überrascht zu werden, größer sein.
Über dem gelben Boden sieht man fern im Norden eine schwarze, schmale Linie gleichsam über dem Horizont schwimmen; über dieser Linie schwebt das Gebirge, kaum wahrnehmbar, hoch über der Erde. Die Behauptung, daß es gänzlich verschwinden würde, hat sich einstweilen noch nicht bewahrheitet. Eine Stelle, an der Spuren mehrerer Karawanenlager, Strohreste und Kamelmist, zu sehen waren, heißt Barindas-i-ser-i-nemek, weil der Platz am »Anfang des Salzes« liegt. Ehe man sich dessen versieht, ist man auf den Salzscheiben, die eine sehr dünne Moor- und Schlammschicht bedeckt. Trotzdem ist der Grund auch hier tückisch, denn durchtritt das Kamel die hier kaum dezimeterdicke Salzkruste (Abb. 99), so schwebt es in Gefahr, sich das Bein zu brechen, und wenn gar eine ganze Scholle unter ihm birst, sinkt es in den durch und durch nassen Tonschlamm ein, der, wie mir die Leute sagen, unter der Salzkruste ein 1½ Meter tiefes Moor bildet. Diese Kruste ist also wie eine Eishaut über den Untergrund gespannt. Unmittelbar auf beiden Seiten des Weges hat die Salzkruste Löcher und Waken, und oft erscheint es mir wie ein Wunder, daß die Kamele nicht in diese offenen Stellen treten.
99. Auf der gefährlichen Salzkruste. (S. 355.)
Es war leicht zu erkennen, daß Agha Muhamed einem wirklichen Wege folgte und sich nicht aufs Geratewohl vorwärtswagte. In Ser-i-nemek haben die Karawanen einen Haltpunkt auf dem Wege nach Süden. Auf der Salzscheibe sah man längliche Wasseransammlungen, die gerade in den Rinnen standen, die von unzähligen Kamelen ausgetreten worden sind. Gewöhnlich ist dieser harte Salzgürtel im Winter fußhoch unter Wasser; in diesem Jahr aber hatte es weniger Niederschläge gegeben als sonst. Sogar dann, wenn Wasser die Salzkruste bedeckt, überschreiten die Karawanen sie ungehindert; die Kamele machen sich nicht das Geringste aus dem Fußbade, und die ganze Strecke beläuft sich nur auf 2 Farsach. Im Sommer ist die Salzrinde ganz trocken, aber das Wasser steht dann in dem darunter liegenden Schlamme. Jetzt war ihre Oberfläche eben wie eine Eisdecke; hier und dort sah man jedoch noch kleine, gelbe, seichte Wassertümpel mit weißen Ringen; in den Löchern, die hier durch die Salzkruste gehen, stand klares Wasser. Von nun an zeigt sich nicht die geringste Spur irgendeiner Straße, da jeder Winter sie durch seine Niederschläge verwischt; trotzdem ist es nicht schwer, sich hier zurechtzufinden; die Kamelgerippe, die zum Zerfallen noch nicht Zeit genug gehabt haben, liegen als Meilensteine am Wegrande.
Der Tag vergeht; wir erobern die Salzwüste Schritt für Schritt. Auf der harten Kruste kann man wieder reiten, sie ist nirgends glatt. Um 1 Uhr sind es 11,6 Grad; ein schwaches Lüftchen aus Nordwesten läßt sich verspüren, und der größere Teil des Himmels hat sich umwölkt. Ob wir dem Regen wohl entgehen? Man hat das Gefühl, draußen auf dem Meere zu sein, und sehnt sich nach einer Küste.
Das Wasser auf der Salzrinde hört auf, aber das Grundwasser schaut aus allen Löchern hervor. Aus einem solchen Loche nahm ich eine Probe des losen, porösen Salzes und ein Pröbchen des darunterliegenden Schlammes, nachdem Ali Murat und Gulam Hussein die Salzkruste durchstoßen hatten (Abb. 100). Im Nordwesten zeigt sich ein gelbroter Berg, den die Karawanenleute Kuh-i-tscha-i-schirin, den »Berg des süßen Brunnens«, nennen und über den die Straße von Mehelleman nach Semnan führt.
100. Ali Murat und Gulam Hussein stoßen ein Loch durch die Salzkruste. (S. 356.)
Endlich haben wir diesen Gürtel festen Salzes überschritten, und nun beginnt wieder feuchte Kewir. Gerade hier beim Übergang überzeugt man sich davon, daß die Leute die Richtung nicht verloren haben, denn auf diesem neuen »Ser-i-nemek« zeigen sich wieder zahlreiche Spuren alter Karawanenlager. Hier macht auch die Jezdkarawane halt; sie befreit ihre Kamele von den Lasten und holt die Häckselsäcke hervor. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ihrem Beispiel zu folgen; nach einer Tasse Tee und einem Stückchen Brot am Morgen und nach neun Stunden ununterbrochenen Marsches sind wir hungrig. Ich frage die Männer, wie lange sie zu rasten gedenken; sie erwidern, daß sie gerade so lange Zeit hier verweilen werden, als die Kamele brauchten, um sich satt zu fressen. Nur wenn das Wetter drohend aussieht, brechen sie gleich wieder auf, aber das ist heute nicht zu befürchten, da die Wolken ziemlich dünn sind. Die Höhe im Lager Nr. 21 beträgt 722 Meter.
Also das Stativ aufgestellt und die Burcha als Schattenspender und Schutz vor Zugluft darüber gebreitet. Gulam Hussein setzt schnell Teewasser auf, und während es heiß wird, bringt er mir ein kaltes Huhn und einige hartgekochte Eier. Ich hätte nach dem Mittagessen gern ein Weilchen geschlafen, hatte aber keine Zeit dazu, denn die Aufzeichnungen mußten in das Tagebuch eingetragen werden.
Hier liegen wir mit unsern Schiffen mitten in der Wüste vor Anker; auf allen Seiten umgibt uns vollkommenste Sonntagsruhe und Stille. Man hört nur die Kiefer der Kamele knirschen, wenn sie das Häcksel zwischen ihren Zähnen zermahlen. Feierlich und tot erstreckt sich die Wüste nach allen Seiten hin, und die weiße Salzscheibe im Süden hat täuschende Ähnlichkeit mit einem gefrorenen See, auf dem sich die Kamelgerippe infolge des Staubes, der sich auf ihnen und um sie herum angesammelt hat, wie schwarze Punkte abheben. Obgleich die Entfernung bedeutend ist, sehen sie unverhältnismäßig groß aus. Ein kleines Wegzeichen, eine aus Salzblöcken aufgeschichtete Pyramide, erscheint in irreführenden Dimensionen.
Sobald die Leute vor den Kamelen die Häckselsäcke geleert und dann selbst genug gegessen haben, legen sie sich auf ihre Mäntel oder Warenballen, um trocken zu liegen, und schlafen ein. Die Stunden verrannen nur zu schnell, und es hatte schon angefangen dämmerig zu werden, ehe ich meine Arbeit beendet hatte. Als ich endlich so weit war, auch ein bißchen einzunicken, wachten die Jezdmänner auf und fingen an, sich zum Aufbruch zu rüsten. Infolgedessen wurde aus meiner Ruhe nichts, auch unsere Kamele mußten beladen werden. Beim scheidenden Tageslicht rief Agha Muhamed sein »Bißmillah«, als er beim Klange der Glocken mit großen Schritten wieder gerade auf den Polarstern zuging.
Man hatte mich auf eine 2 Farsach lange Strecke sehr schwierigen Terrains vorbereitet; ich ging daher zu Fuß. Der Mond stand hoch am Himmel, und da schon nächtliches Dunkel herrschte, konnte ich bei seinem Lichte den Kompaß ablesen und meine Aufzeichnungen eintragen. Doch es ging sich auf dem glatten Boden schwer und unsicher, und die Schatten in den kleinen Gruben täuschten das Auge. Sie sehen wie klaffende schwarze Löcher aus. Man weiß nicht, wie tief sie sind, und tritt auf die Höcker, um auf ihnen natürlich auszugleiten; man muß beständig balancieren, und ehe man sich dessen versieht, ist man hingepurzelt. An den Sohlen der Stiefel hängen ganze Schollen nassen, plastischen Tones, die das Gehen noch anstrengender und schwieriger machen. Vor mir sehe ich die lange Karawane wie eine Reihe schwarzer Punkte. Manchmal hört man einen Aufschrei; ein Kamel ist gefallen und muß wieder auf die Beine gebracht werden. Währenddessen kann ich meine Notizen niederschreiben und vielleicht auch noch nach der Spitze des Zuges eilen, um von dort einen Ausblick auf das vor mir liegende Stück der Wüste zu erhalten. Bald aber bin ich wieder der letzte im Zuge und eile ihm in der Spur der Kamele nach, da dort der durch ihre Fußschwielen breitgetretene Ton weniger schlüpfrig ist.
Nach 1½ Farsach passieren wir einen Punkt, der Barindas-i-bulutsch heißt; schwarze Flächen wechseln hier mit grauen ab. Um 9 Uhr bleibe ich eine Weile stehen, um die üblichen meteorologischen Ablesungen vorzunehmen; es sind nur 3,2 Grad, und der Himmel ist beinahe klar. Die Seehöhe ist auf 685 Meter gesunken, und wir befinden uns in dem tiefsten Teile der überaus flachen Depression der Kewir. Auf dem Wege durch die Wüste tragen verschiedene Punkte Namen. Haben diese Benennungen auch sonst keinen Nutzen, so dienen sie doch zur Einteilung der kritischen Strecke in bestimmte Abstände; man weiß, wann man ein Drittel, die Hälfte, oder zwei Drittel der Route zurückgelegt hat. Wenn man über Dolaschi hinaus ist, sehnt man sich nach Kona-Omar, dann nach Kona-Osman und Dube-i-lerdeki, einer Stelle, die an der veränderten Färbung des Bodens, der hier aus dem bisherigen Gelb in Schwarz und Weiß übergeht, leicht erkennbar ist.
Jetzt aber hatte ich für eine Weile vom Spazierengehen genug; ich bestieg daher mein Kamel und suchte mich vor dem eisigkalten Nordwind mittelst der als Sattelkissen dienenden Filzdecke zu schützen. Fünf volle Stunden blieb ich in meiner luftigen Position und konnte in dem hellen Mondschein leicht meine Beobachtungen machen. Schläfrig war ich allerdings sehr, aber der Wind hielt mich wach, und eine Zigarette nach der andern ging in Rauch auf.
Die Nacht schreitet vor, und die müde werdenden Leute überwältigt die Schlaflust. Ohne daß der Zug deshalb ins Stocken gerät, klettert einer von ihnen auf das erste Kamel seiner Katar; er zwingt das Tier zum Senken des Halses, damit er Halt gewinnt. Wenn dann das Kamel den Kopf wieder aufrichtet, hilft es durch diese Bewegung dem Manne beim Ausschwingen auf seinen Rücken, wo er sich auf dem Bauche über die Last legt und bald einschläft. Die andern folgen der Reihe nach seinem Beispiel, und bald liegt die ganze Gesellschaft auf den Kamelen. Ali Murat und Gulam Hussein sind der Ansicht, daß auch sie nicht zu gehen brauchen, und besteigen je eines unserer Kamele; bald wiegen sie sich in süßem Schlummer, was man an den sonderbaren Kreisen, die ihre Oberkörper beschreiben, deutlich erkennt.
Jetzt schlafen alle außer Agha Muhamed, der auf seinem Esel voranreitet und die ganze Reihe nach sich zieht, und außer mir, der ich auf dem letzten Kamele des Zuges sitze. Man hört keinen andern Ton als das Läuten der Glocken. Plötzlich wird es vor mir ganz still, und mein Kamel bleibt stehen; nur in ziemlich großer Entfernung, ganz vorn an der Spitze höre ich noch schwachen, ersterbenden Glockenklang. Das erste Kamel einer Katar hat also geruht, stehenzubleiben; sein Reiter merkt es nicht, denn er schläft; alle folgenden Kamele haben ebenfalls haltgemacht. Wir könnten hier mitten in der Nacht und der Wüste Gott weiß wie lange stehen bleiben, wenn ich nicht wach geblieben wäre und nun meine Stimme über die Kolonne hinschallen ließe. Als der Schuldige, der erste der zurückgebliebenen Reihe, endlich zusammenfährt und erwacht, hört man die Glocke seiner Katar wieder läuten. Nun ertönen der Reihe nach auch die übrigen Glocken, und der Klang nähert sich uns, die wir als die letzten des Zuges noch warten, immer mehr; es klingt, als ob eine entgegenkommende Karawane an uns vorüberziehe, und doch sind es nur unsere eigenen Glocken. Schließlich kommt die Reihe auch an mein Kamel, das allerletzte; wir schreiten wieder vorwärts, dem Polarstern entgegen, und das Glockenspiel klingt wieder einheitlich und gleichmäßig durch die dunkle Nacht.
Die Mondschatten werden immer länger, und die Nacht wird dunkler. Wie bin ich müde; mein Rücken tut mir ordentlich weh! Ein Feuer, das sich zur Linken der Spitze unserer Karawane zeigt, erregt meine Aufmerksamkeit, und ich sehne mich dorthin. Zwei der Jezdleute haben es im Vorüberziehen schnell angezündet, um sich die Hände daran zu wärmen. Man hört in der Karawane rufen und reden, ein Mann nach dem andern springt von seinem Kamel und eilt ans Feuer. Als wir die freundlichen Flammen erreicht haben, bitte ich Gulam Hussein, mit einigen unserer Saxaulstämme zum Unterhalt der Glut beizutragen; dann hocken wir eine Weile plaudernd am Feuer. Die Kamele marschieren jedoch weiter, einmal aus alter Gewohnheit und dann, weil der Führer nicht haltgemacht hat. Lange bleiben wir nicht am Feuer sitzen; ein Mann nach dem andern eilt der Karawane nach, und sobald ich durchwärmt bin, folge auch ich der Spur und dem schon fernen Glockenklang. Endlich haben wir die andern eingeholt, und nun muß Gulam Hussein zunächst meinen Schafpelz und meine russischen Filzstiefel auspacken; jetzt erst kann ich, als ich wieder zwischen den Höckern meines Kamels sitze, der Kälte mit Erfolg standhalten.
Auf der rechten Seite meiner Route liegt ein schwarzer Gürtel, eine Gegend namens Kaschia. Die Kewir ist jetzt so hart und eben wie eine Asphaltstraße, und das Marschtempo wird geschwinder, die Glocken läuten schneller und die Schwankungen des Oberkörpers werden länger, hastiger und lästiger. Undurchdringliche Nacht umgibt uns. Der Polarstern ist verschwunden und hat das ganze Sternenheer des Himmels mitgenommen. Kein Sternenlicht vermag die Wolken, die sich über unserm Kopfe zusammenziehen, zu durchdringen. Es ballt sich droben ein Unwetter zusammen; ein heftiger nordöstlicher Wind weht, der feindliche Wind, der Bad-i-Chorassan, der Regen zu bringen pflegt. Ich kann meine Hand nicht vor mir sehen, ich sehe nicht einmal die Umrisse des Kopfes meines Kamels; ich habe keine Ahnung, wohin es geht, und kann den Erdboden nicht erkennen. Um mich her ist es stockdunkel; ich schwanke nur hin und her, lausche dem gellenden Läuten der Glocken und höre die Filzdecken und die leeren Säcke auf den Kamelen im Winde flattern und klatschend gegen die Seiten der Tiere schlagen. Gesprochen wird nicht, der Abstand zwischen den einzelnen Treibern ist zu groß dazu, aber ich habe das Gefühl, daß sie jetzt alle wach sind und daß sie zu Fuß gehen. Es handelt sich darum, dem Regen zu entrinnen; der Marsch wird beschleunigt, und eine Stunde nach der andern vergeht.
Will diese ewige Nacht denn kein Ende nehmen? Den Schlaf kann man wohl einmal entbehren, aber dieses undurchdringliche Dunkel stellt meine Geduld gar zu sehr auf die Probe. Ich muß die ganze Zeit über rauchen, um Uhr und Kompaß ablesen zu können. Mit den Aufzeichnungen hat es keine Not; ich kann sie, dank einer Einrichtung, die weiter keinen Nachteil hat als den, daß viel Papier dabei verbraucht wird, sogar mit verbundenen Augen niederschreiben. Jetzt ist es 4 Uhr, gestern war es noch um ½6 Uhr pechfinster! Geduld! Ich summe ein Liedchen und pfeife, um mir die Zeit zu vertreiben, und als ich das nächste Mal nach der Uhr sehe, ist es – erst 5 Minuten über 4 Uhr!