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Neunzehntes Kapitel.
Schneetreiben in der Wüste.

Wir hatten schon ein paar Stunden geschlafen, als wir in später Nacht die beiden Dorfhunde wütend bellen hörten; eine Weile später weckte der von seiner Mission zurückkehrende Ketchodah meine Leute auf. Er wollte den Vorrat an »Kah« (Strohhäcksel), den er glücklich in den Nachbardörfern aufgetrieben und in Netzbeuteln und Säcken mitgebracht hatte, sofort abliefern. Wir besaßen jetzt 4 Charwar Stroh für 3½ Toman, die acht Kamellasten bildeten. Da der Transport des Wasservorrats auch zwei Kamele erforderte, versprach der Alte, uns für 38 Toman zehn seiner besten Kamele zur Verfügung zu stellen. Er erhielt 25 Toman in Silbergeld, denn zu den persischen Banknoten hatte er kein Vertrauen; bei der Ankunft in Tallhä sollte er die übrigen 13 Toman, die ich ihm schuldig war, erhalten. Er hatte auch einen großen, hellgelben Hund besorgt, den ich Newenk nannte und der die ganze Nacht hindurch entsetzlichen Lärm machte, da er sich von den Kisten, an denen er angebunden war, losreißen wollte.

Am Morgen des 8. Januar war der Himmel mit dichten Wolken bedeckt, und nach den 10,1 Grad Kälte in der Nacht war es recht frostig und feuchtkalt. Man blieb möglichst in der Nähe der ersterbenden Glut des Lagerfeuers, als die Karawane beladen wurde. Infolge der Wassersäcke und des Häckselvorrats erforderte diese Arbeit längere Zeit als gewöhnlich. Die vier kleinen Lederschläuche hatten während der Nacht nicht einen Tropfen ihres Inhalts verloren – die Erde unter ihnen war ganz trocken; aber in den beiden großen Mäschk war nur noch die Hälfte, und sie lagen wie in einem Wannenbad. Sie wurden von neuem aus dem Kanal gefüllt und mit der zugeschnürten Öffnung nach oben unserm großen, schwarzen Kamelhengst aufgeladen, der außerdem noch zwei kleinere Säcke tragen mußte. Er war heute entsetzlicher Laune und so widerspenstig, daß die Männer kaum mit ihm fertig werden konnten; sobald sich die Gelegenheit dazu bot, spuckte er eine Dusche Speichel und zur Hälfte wiedergekäutes Häcksel über Habibullah aus, der ihn hielt, während die andern ihn beluden. Die beiden andern Wassersäcke wurden einem zweiten Kamel aufgebürdet; zur größern Sicherheit beschlossen wir, noch sechs schaflederne Schläuche mit Wasser aus dem Kanal von Kerim Chan zu füllen. Es war allerdings salzhaltig und schlecht, und würde sich dadurch, daß es einige Tage in dem Schlauche hin und her geschüttelt wurde, auch nicht verbessern, konnte uns aber eines Tages vielleicht noch nützlich sein. Diese Schläuche, die zwei gemietete Kamele tragen mußten, wurden gerade im Augenblick des Aufbruchs gefüllt.

Nach und nach wurden wir fertig. Die Karawane, die aus 24 großen Kamelen bestand, sah stattlich aus, als sie beim Klange der Glocken die gelbgrauen Häuser und die armen Bewohner von Kerim Chan verließ und die Richtung nach dem scharfgezeichneten Rücken und dem rötlichen Schuttkegel des Doasde-imam einschlug. Trotz der Wolken trat auch der Demawend deutlich hervor.

Mehrere der gemieteten Kamele (Abb. 56) sind Weibchen und machen unsere kräftigen Kamelhengste kollerig; diese gurgeln dumpf und unheimlich, der Schaum steht ihnen vor dem Mund und tropft wie kleine, weiße Wattebausche von ihren Lippen; sie knirschen mit den Zähnen, und ihre Augen funkeln vor Leidenschaft bei dem Gedanken an die weibliche Gesellschaft, in der sie sich befinden.

siehe Bildunterschrift

56. Die Strohkamele. (S. 193.)

Der kleine salzhaltige Kanal des Dorfes hört bald auf; sein letztes Wasser verteilt sich über die äußersten Felder und versickert ohne irgendwelchen Nutzen in dem dürren Erdreich. An einer Stelle hat der Kanal eine kleine Überschwemmung verursacht, die uns zwingt, einen Bogen zu machen. Dann aber sind wir wieder draußen in der Einöde, die sehr kärglich mit »Äschnan«, einer Steppenpflanze, bewachsen ist.

Nach einer Weile erhob sich ein rauher, durchkältender südöstlicher Wind, und ich zog es vor, streckenweise zu Fuß zu gehen und mich durch Bewegung warm zu halten. Ich blieb neben dem großen, schwarzen Hengst und sah, wie es aus seinen Wassersäcken tropfte, wie seine Satteldecke bald einen Eispanzer erhielt und wie die bereits fußlangen Eiszapfen an seinen Seiten immer größer wurden. Einige dieser Eiszapfen hingen gerade unter den leckgewordenen Stellen der Säcke und verstopften sie etwas, denn das Herabtropfen wurde nach und nach geringer. Unter andern Verhältnissen als jetzt wäre es mir unheimlich gewesen, das lebenspendende Naß in der Wüste so tropfenweise verrinnen und den trocknen Boden befeuchten zu sehen. Jetzt aber schaute ich es ruhig mit an, denn wir erreichten ja in vier Tagen eine Stelle, von der wir bestimmt wußten, daß es dort Wasser gab.

Wir nähern uns dem Doasde-imam, dem »Berg der zwölf Imame«, in spitzem Winkel und steuern auf seinen äußersten Vorsprung los; der mittelste Gipfel des kleinen Bergrückens heißt »Kuh-lenk«, »der hinkende Berg«, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil der Ostabhang viel steiler aussieht als der westliche.

Feierlich und würdevoll schreitet unser schwerbeladener Zug auf seinem Wege nach der Wüste dahin. Der Klang der Glocken, deren Tempo die schweren, taktfesten Schritte der Kamele vorschreiben, vereinigt sich zu einer monotonen Melodie, derselben, die ich vor genau zehn Jahren in den Wäldern des Kerija-darja gehört habe. Jetzt ist es, als läuteten sie zu dem Text: »Päm-bädaneh, Kah, Kah« (Baumwollsaat, Stroh, Stroh) und als klinge in dem Erz der Glocken ein Sehnen nach dem Ziel – im doppelten Sinne des Wortes. So läuteten sie schon zu einer Zeit, die einst König Kambyses das graue Altertum nannte, und während Reiche aufblühen und verschwinden, Religionen und Sprachen wie in einem Kaleidoskop wechseln, erklingt das Läuten der Karawanenglocken wie ein dumpfer, unveränderlicher Unterton zu dem Leben in den Wüsteneien Westasiens.

Ein finsterer Wolkengürtel schwebt vor uns; er sieht drohend aus, er scheint sich uns zu nähern und verdeckt bald den Demawend und den ganzen Elburskamm, aber unter der schweren Draperie schauen noch die Zipfel der Firnfelder hervor. Schon am Morgen hatte ich das Gefühl gehabt, daß Schnee in der Luft liege, und nun, gegen 10 Uhr, kam ein erster, vorübergehender Schauer runder, auf der Erde weiterrollender Hagelkörner. Nun verschwindet der Elburs gänzlich, das letzte Dorf und die kleinen Berge im Westen sind wie weggewischt, nur gerade im Osten zeigt sich noch außerordentlich schwach eine kleine, isolierte felsige Erhebung, der »Kuh-i-gugird«, der »Schwefelberg« genannt, einer letzten runden Klippe vergleichbar, die sich am ebenen Horizont des Wüstenmeers erhebt. Ich sah, wie die Schneefransen ein Stück des Gesichtskreises nach dem andern verhüllten, und wartete gespannt darauf, wann die Reihe an unsere Ebene kommen würde.

Jetzt sind die Schneewolken draußen über der Ebene und rollen heran wie ein Nebel vom Meere her. Der Siah-kuh ist verschwunden, von den höhern kleinen Gebirgen aber sieht man noch schwache Umrisse. Nun beginnt es fein und leicht zu schneien, und der Schneefall wird stärker, ohne indessen den Boden weiß zu färben oder gar naß werden zu lassen; noch wirbelt es gelblich hinter den Kamelen auf, denn die dünne Grusschicht ruht auf lockerm Lehmstaub. Die Büschel stehen jetzt 3–5 Meter voneinander, und bald verschwindet auch der letzte Fußpfad; das Gelände ist jetzt vollkommen eben wie der Meeresspiegel, keine Spur irgendwelcher Erhebungen, keine Rinnen, kein Schutthaufen. Es schneit immer heftiger, und der Erdboden wird ein wenig feucht. Die Luft ist völlig windstill; auch die Berge im Süden sind jetzt verschwunden, nur die Karawane allein ist noch sichtbar; die vordersten Kamele der langen Reihe verschwinden wie Gespenster in dem Schneetreiben. An einer Stelle, wo mehr dürre Stauden als gewöhnlich standen, verweilten wir kurze Zeit, um einen großen Vorrat davon zu Brennmaterial zu sammeln; vier ordentliche Bündel davon wurden mit Stricken umschnürt und zwei Kamelen aufgeladen. Mein Kamel muß sich stets legen, damit ich auf seinen Rücken klettern kann; jetzt aber erhob es sich, ehe ich mich zurechtgesetzt hatte, so schnell und elastisch wie eine Feder. Die Folge war, daß ich rücklings hinuntergeschlendert wurde und mit dem Kopf voran durch die Luft sauste. Ich wurde aber im Fallen noch von Mirza ergriffen, der dabei ins Taumeln kam, hinfiel und nun unter mir lag. Ein wenig plattgedrückt, stand er unverletzt wieder auf und ließ sich dadurch nicht aus seiner Gemütsruhe bringen, obgleich die andern sehr über unsern gemeinsamen Purzelbaum lachten. Als wir eine Strecke weitergeritten waren, glitt sein Kamel auf einer seichten Lehmstelle aus; es fiel mit ordentlichem Dröhnen auf die Erde nieder, und der Reiter rollte ein paarmal um sich selbst seitwärts fort.

An diesem Tag stieg die Temperatur überhaupt nicht über den Gefrierpunkt; noch um 1 Uhr mittags hatten wir -1,8 Grad, und der Schnee fiel in solchen Massen vom Himmel, daß mitten am Tage Dämmerung herrschte. Zuerst blieb der Schnee nur an den Grasbüscheln liegen, dann aber nahm die weiße Decke immer mehr überhand, und schließlich guckten Steine und Pflanzen nur noch wie schwarze Punkte aus ihr hervor. In dem Maße wie die Stunden dahinschritten, wurde die Schneedecke immer dichter, und schon jetzt hätten wir sehr gut ohne Wasser fertig werden können. Mein Freund Houtum-Schindler, der Niederschläge im Januar prophezeite, hatte also recht gehabt, und dieser Schneefall war ebenso stark, wie nur je einer daheim in Schweden. Ich sitze wie eingeschneit auf meinem Kamel, und die unerwartete Decke trägt zum Festhalten der Wärme bei; da ich aber stets die Hände gebrauchen muß, wird das Kartenblatt unsauber und naß, und die Taschen meines Mantels füllen sich mit Schnee.

Immer weißer wird die Karawane; die Kamele sehen wie gepudert aus, und die Lasten bedeckt eine Schneeschicht, die leicht und locker wie Watte ist und von Zeit zu Zeit in Flocken herabfällt. Auf dem trocknen Erdboden bleibt der Schnee nicht lange liegen, er verdunstet von oben und schmilzt von unten, aber als der Schneefall um 2 Uhr noch stärker wurde, wurde der Boden, dank der schon vorhandenen Unterlage, bald wieder zusammenhängend weiß. Jetzt herrscht eine sehr schwache diffuse Beleuchtung. Unsere Umgebung gleicht eher einer nordischen Winterlandschaft als einer der hellen, gelben Wüsten Persiens; es ist, als wecke der Glockenklang in dem dicht fallenden Schnee ein Echo, so gellend läuten sie ihr ewiges »Pämbädaneh, Kah, Kah«.

Es beginnt schwach aus Südosten zu wehen, und der Schnee, der auf meinen Kleidern zur Hälfte aufgetaut ist, gefriert zu einem knisternden Eispanzer. Auf der Windseite sind die Kamele voller Schneezotteln, die an ihrer Wolle festgefroren sind; aber der Neuschnee bleibt leichter haften, und nun sehen die Tiere seltsam aus, wie weiße Ungeheuer in der weißen, vollkommen ebenen Landschaft. An dem schwarzen Hengst hängen zwei Fuß lange Eiszapfen, und da er außerdem noch ganz mit Schnee bedeckt ist, erscheint er wie ein wirkliches Winterkamel, wie ein Monument aus Schnee und Eis.

Wir hatten genau 25 Kilometer zurückgelegt, als der Ketchodah halt machte und uns mitteilte, wir seien in Baba Hamet (833 Meter Seehöhe) angekommen, wo es gute Kamelweide gebe. Durchfroren, wie wir mittlerweile waren, hatten wir nichts dagegen, abzusteigen, uns den Schnee abzuschütteln und ein gewaltiges Feuer von dürren, knisternden Steppenpflanzen anzuzünden. Mit einem Holzspaten wird der Schnee von der Stelle weggeschaufelt, wo die Kosaken mein Zelt aufschlagen, während Mirza den Schnee von seinen Filzdecken und Kissen schüttelt und das Zelt in gewohnter Weise möbliert; nun bin ich wieder bei mir zu Hause. Auf allen Seiten des Lagers wird unter Geplauder Ordnung geschafft; die Männer beeilen sich, unter Dach zu kommen, nachdem sie die Kamele auf die Weide gebracht haben. Aber schon naht die nächtliche Dämmerung, und nun versammeln sich unsere buckeligen Träger um den ersten Sack Strohhäcksel. Ich höre das Fett zu meinem Mittagessen im Topfe brodeln und den Samowar summen, und auf das Zelt fällt der Schnee herab und drückt durch sein Gewicht die Zeltdecke nieder.

Von Abbas geführt, mache ich am Abend die Runde im Lager Nr. 3 (von Weramin aus gerechnet). Aus dem schwereren Gepäck haben unsere Karawanenleute einen Ringwall errichtet, in dessen Innern sie unter ihren Mänteln am Lagerfeuer schlafen. Außerhalb des Walles bilden die Kamele zwei dicht zusammengedrängte Kreise, um sich gegenseitig warm zu halten, und in ihrer Mitte ist auf ein Stück Sackleinwand Stroh aufgeschüttet worden. Sie sind bereits ganz beschneit, was auch zur Wärme beiträgt. Der Ketchodah und seine Diener haben ihre eigene, aus Häckselsäcken bestehende Ringmauer; sie sitzen mit ihren Mänteln über den Kopf gezogen da und rauchen ihre Abendpfeife. Die übrigen Männer basteln noch in ihrem großen Zelte und kommen dann und wann heraus, um ihre Nachbarn zu besuchen und an deren Lagerfeuer ein Weilchen die Zeit zu verplaudern.

Nach kurzer Unterbrechung begann es um 9 Uhr wieder frisch drauflos zu schneien, der Mond war jedoch scharf und deutlich, wenn auch glanzlos, am Himmel sichtbar und warf leichte Schatten auf die Schneedecke, und Sterne erster Größe funkelten im Zenit. Der Ketchodah sagt, daß der Schnee sich gelegentlich 60–70 Zentimeter hoch anhäufen könne und daß die Schafherden manchmal dadurch dezimiert würden. Unter solchen Umständen höre aller Verkehr auf. Der heutige Schneefall sei der erste in diesem Jahr, und er sei zur festgesetzten Zeit eingetreten; man könne 40 Tage lang Niederschläge erwarten, aber es komme selten vor, daß es mehr als einen oder zwei Tage hintereinander schneie, und es sei außerordentlich selten, daß eine Woche oder zehn Tage lang ununterbrochen Schnee falle. Schneie es nicht stärker als jetzt, so komme es nicht dazu, daß sich auf den lehmigen Wegen Schlamm bilde; doch wenn ein warmer Wind über den frisch gefallenen Schnee hinwehe und dann Frost eintrete, entstehe eine Kruste, die den Karawanen den Marsch erschwere. Nur südöstlicher Wind bringe Schnee; wenn es von der entgegengesetzten Seite wehe, sei der Himmel klar, obgleich man eigentlich das Gegenteil erwarten sollte, da der Südostwind über trockne Wüstengegenden streicht und der Nordwestwind aus dem feuchtern Armenien und vom Schwarzen Meere herkommt. Unser Gewährsmann glaubte nicht, daß der heutige Schneefall sich noch weiter erstrecke als bis Ardekan (bei Jezd), und sagte, daß die Oase Tebbes zu dem »Germsir« gerechnet werde, dem warmen Lande, wo es nie schneie. Er riet mir, falls es in der Nacht und am Morgen noch ebenso schneie, lieber hier liegen zu bleiben, und machte mir obendrein meine Leute dadurch ängstlich, daß er ihnen sagte, wir seien verloren, wenn uns in der »Biaban« Schneetreiben überfalle, denn in tiefem Schnee könnten die Kamele nicht marschieren, ohne bald zu versagen. Nun, wir werden ja sehen! Einen Schneefall wie den heutigen hätte ich in diesem Teile des Landes nie erwartet; er war ein neues, interessantes Moment, welches das Abenteuerliche des bevorstehenden Wüstenzuges nur noch erhöhte. An Wasser würden wir keinen Mangel leiden, wenn dieses Wetter anhielt; doch wenn es in der Salzwüste schneite, würde sich das ganze Land in einen Schlammpfuhl verwandeln, worin die Karawane zu ertrinken drohte.

Auf dem heutigen öden Wege gibt es keine benannten Punkte; alle Namen, die dort vorkommen, hängen mit Quellen oder den kleinen Gebirgen auf den Seiten zusammen, wie »Tscheschme-gul« und »Tschuk-ab«, die »Blütenquelle« und das »Tropfwasser«, letzteres, weil seine Quelle in einem kleinen Tale tropfenweise hervorsickert. Nerecher-kuh und Baba Hamet sind kleine Berge in unserer unmittelbaren Nähe.

Der Schnee, der mein Zelt belastet, erhöht die drinnen herrschende Wärme, und ich sitze bei offener Zelttür und schaue dem Fallen der großen, federleichten Flocken zu. Die Männer, die im Freien liegen, sind schon überschneit, aber sie schlafen gut und schnarchen um die Wette. Im übrigen ist die Nacht still, nur der fallende Schnee verursacht ein leichtes Sausen, die Schneedecke auf meinem Zelte wird immer dicker, taut von unten her durch die Wärme der glühenden Kohlen im Mangal auf und gefriert dann wieder, bis das Zelttuch so hart und spröde wird wie ein schwedischer Knäckebrödfladen. Unser neuer Reisegefährte, Newenk, der gelbe Hund, ist noch sehr reserviert und schlechter Laune, scheint aber beschlossen zu haben, das Leben philosophisch aufzufassen.

Als ich am folgenden Morgen erwachte, war es nach beinahe -14 Grad grimmig kalt, und ein dichter Nebel breitete sich über der öden Steppe aus. Aber schon um 9 Uhr hatte er sich verzogen, und nur ein Dunstschleier schwebte, schmal wie eine Säbelklinge, im Osten. Nach der kalten Nacht kam ein strahlend klarer Tag, und das Sonnenlicht brach sich in den Facetten der vielen Tausende weißer Schneekristalle. Ohne Schneebrille wäre dieses grelle Licht unerträglich gewesen. Man spürt keinen Lufthauch; der Rauch der Lagerfeuer steigt kerzengerade in die Höhe.

Unsere Wassersäcke waren steinhart gefroren, wodurch die schlechten unter ihnen gründlich dicht geworden waren; aber diese unfreiwillige radikale Methode hat ihre Schattenseiten, da leicht Risse entstehen konnten, wenn das Schaukeln auf dem Kamelrücken beginnt. Mein Zelt ist so steifgefroren, daß es sehr gut ohne Stangen hätte stehen können, und die Leinwand knisterte, als die Kosaken sie zum Einpacken zusammenrollten. Die Männer, die im Freien geschlafen, hatten eine kühle Nacht gehabt, aber sie waren trotzdem am frühen Morgen lebhaft und zum Scherzen aufgelegt. Man glaubt, daß ihr Leben unter den Kamelen schwer und anstrengend sein müsse, besonders wenn man den geringen Lohn, den sie verlangen, in Betracht zieht; aber sie sind dennoch stets zufrieden, nehmen jedes Wetter hin, wie es kommt, hüllen sich in ihre dicken, sackähnlichen Mäntel und schlafen, ohne sich um Schnee und Kälte zu kümmern. Sobald sie erwachen, zünden sie, ehe noch der Tag anbricht, schnell ein neues Lagerfeuer an, und bald fließt das Blut wieder warm in ihren Adern.

Im Norden schwebt etwas Dunkles über dem Erdboden, aber ich kann noch nicht feststellen, ob es nur Wolken oder undeutlich sichtbare kleine Gebirge sind, der Kamm des Elburs dagegen erhebt sich scharf und deutlich. Der Kegel des Demawend ist infolge der größeren Entfernung etwas schwächer als früher sichtbar; er sieht wie frisch gepudert aus und scheint eine zusammenhängendere Schneedecke als gewöhnlich zu haben. Aber um ½10 Uhr verschwindet der Gipfel, von den Nebeldünsten verhüllt, die sich aufs neue im Norden sammeln.

Schon beim Aufbruch war der Tag brennend heiß, und da wir der Sonne gerade entgegenzogen, hatte man das Gefühl, in einer Art überhitztem Sonnenbad zu sitzen. Man sehnt sich nach dem geringsten Lufthauch, der sich über dem Schnee abgekühlt hat, und man lüftet die Mütze, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Nach einem persischen Sprichwort hat Iran ein siebenfaches Klima; aber man möchte der Wüste diese Eigenschaft ebenso gut zuschreiben, denn während der Tage, die wir bisher an ihrem Rande verlebt, haben wir sowohl Frühlingswärme, Windstille und trocknen Boden, wie Winterkälte, Staubsturm und Schneedecke gehabt, alles nacheinander. Und nun, innerhalb fünf Minuten, ändert sich das Wetter schon wieder; der Nebel zieht sich aufs neue zusammen und kommt über die Wüste hergezogen. Die Luft wird dunstiger, und der Ketchodah, der mit seinen Kamelen den Vortrab bildet, verschwindet mit ihnen im Nebel; es bleibt uns nichts weiter übrig, als ihrer Spur im Schnee zu folgen.

Es ist 11 Uhr; wieder verzieht sich der Nebel, und es wird ebenso glutheiß, wie es auf dem Passe Kotel-i-duchter in Südpersien an jenem Maitage war, als ich ihn vor vielen Jahren überschritt. Die Männer sind schläfrig und schweigsam, aber von Zeit zu Zeit wird eine Pfeife angezündet, die dann die Reihe herumgeht. Der Schnee liegt kalt und weiß wie ein Leichentuch da, das aber im Laufe des Tages immer dünner wird. Den ganzen Weg entlang wachsen dünne Steppenbüschel, »Bote« und »Terch« genannt; die letztere Pflanze ist steinhart und gibt ein vortreffliches Brennmaterial.

Einförmig und eben wie ein riesiger Fußboden dehnt sich die Steppe nach allen Seiten hin aus, und wenn wir einmal einige unbedeutende Erhebungen passieren, die sich von Nordnordost nach Südsüdwest ziehen, so betrachten wir sie als eine außergewöhnliche Unterbrechung, obwohl sie nicht größer sind als die schwächste Dünung auf dem Meere.

Der Nebel kommt und geht und führt die seltsamsten Manöver über der Erdoberfläche aus. Im Südosten und Süden rollt er sich zu einer förmlichen Walze zusammen, die, wenn möglich, noch weißer ist als der Schnee. Über dem unglaublich scharf ausgeprägten oberen Rande dieser Walze erheben sich die Gipfel des Siah-kuh wie Eisberge in einem gefrorenen Meer. Im Norden scheint sich der Nebel in blauviolette Wolken zu verwandeln, die wie Kissen und Matratzen auf der Erde liegen, und über ihnen sieht man einzelne Bruchstücke des schneebedeckten Elburskammes.

Um die Mittagzeit lassen wir Kole-haus rechts hinter uns zurück; im Norden haben wir Kuh-char und im Süden Tälle-bur. Je weiter der Tag vorschreitet und je weiter wir nach Südosten kommen, desto kräftiger hat die Sonne ihre Zehrarbeit ausführen können und desto öfter sind feingrusige Stellen des Erdbodens schneefrei. An ihren Rändern schmilzt der Schnee merkbar und bildet kleine Lachen, aus denen die Männer trinken. Ich selber ziehe einen Schluck eiskalten Wassers aus der Tonkruke vor, die mit einer durch ihren engen Henkel gezogenen Schnur an der Seite des Kamels angebunden ist. Vor uns äst eine kleine Gazellenherde; Hussein Ali schleicht sich mit schußbereiter Flinte vorsichtig in ihre Nähe, aber die scheuen Tiere wittern Unheil und eilen windschnell davon.

Jetzt ist der halbe Erdboden schneefrei, nur seichte Rinnen sind noch dicht mit Schnee gefüllt. Um 1 Uhr, als die Temperatur  2,1 Grad beträgt, ist nur noch ein Drittel der Schneedecke vorhanden, und dieser Schnee läßt sich ballen und wird durch die Kamele zu Schlamm zertreten. Nachdem es mit dem Auftauen erst so weit ist, dauert es auch nicht mehr lange, bis wir auf gänzlich schneefreiem Boden marschieren. Im Süden zeigt sich jetzt der ganze Siah-kuh mit seinen Gipfeln, Kämmen und Ausläufern. Auf der rechten Seite des Gebirges unterbricht keine Bodenerhebung die gerade Linie des Horizonts; soweit man nach Südwesten sehen kann, erblickt man überall offenes Land.

Wir kreuzen einen Weg, und gerade an dem Kreuzungspunkte ist ein Steinmal errichtet. Dieser Weg ist kaum deutlicher ausgeprägt als der Pfad, dem wir folgen; er führt von Semnan nach Kaschan und berührt auch Baba Hamet und den Siah-kuh. 5 Farsach weit soll er durch einen Streifen der Kewir, der Salzwüste, gehen. Um zu verhindern, daß die Tiere dort in den nach Regengüssen gefährlichen Boden einsinken, wurde zur Zeit des Schah Abbas auf dieser Strecke ein Steinpflaster, Raferch genannt, gelegt. Von zwei kleinen Dörfern, Kahäk und Sennart, ist es eine Mänsil oder Tagereise weit nach dem isolierten kleinen Gebirge Eine-räschid, das rechts hinter dem Siah-kuh hervortritt. Auf dem Wege dorthin gibt es 8 Farsach lang kein Wasser, und die Karawanen legen diese Strecke gewöhnlich ohne jegliche Unterbrechung während der Nacht zurück. Dieser Wüstenweg soll während bestimmter Zeiten des Jahres recht lebhaften Verkehr haben.

Alles Wasser, das in den Regenzeiten durch die kleinen Rinnen, die wir überschreiten, abläuft, sammelt sich zu einem Bett, das sich jetzt im Norden zeigt und demselben hydrographischen System angehört wie die folgenden drei Wasserläufe: der Rudchaneh-gulabad, der Rudchaneh-i-gollab und ein Bach von Char in der Nähe von Kischlak; sie vereinigen sich zu einem Flusse, der ostwärts strömt, an dem Kuh-i-gugird, den wir in der Ferne sehen, vorüber, und der von dort seinen Weg nach der großen Kewir, der Salzwüste, fortsetzt.

Die Männer sehnen sich schon nach dem Lageraufschlagen und fragen mich, wo ich die Nacht zubringen möchte. Ich lasse noch eine Weile weitermarschieren und kommandiere erst »Halt«, als wir uns in einer Steppengegend namens Tschellgadir in 789 Meter Höhe befinden. Von hier aus beherrscht man folgende Punkte: in Südosten erscheint Tallhä. Von S 35° O bis S 63° W erstreckt sich die Umrißlinie des Siah-kuh, dessen östlicher Teil Lekkau (eigentlich Lek-ab) heißt, während Tschihil-sängu, Schur-ab-i-madmisu, Ab-gulle und Tscheschme-gur Namen der Quellen seines Gebietes sind. Im N 83° O erhebt sich der Kuh-i-gugird, und im S 82° O gibt es einen Brunnen, Tschamischmäß genannt, an einem kleinen vorspringenden Berge, den wir während der zweiten Hälfte des Tages vor uns gesehen haben. Im N 49° O liegt auf der Ebene ein kleiner weißer Punkt; man sagt mir, es sei eine Ruine, die Pole-siah-schikesse heiße.

In der Nähe des heutigen Lagers Nr. 4 begegnete uns eine Karawane, deren fünfzehn Kamele dürre Steppenbüschel aus der Gegend von Tallhä trugen, die als Brennmaterial verwendet werden. Sie hatte gerade ihren Marsch angetreten und wollte die ganze Nacht und den nächsten Morgen ununterbrochen nach Kerim Chan gehen, nachdem sie auch schon die vorige Nacht durchwandert hatte. Wir selbst hatten 25,3 Kilometer zurückgelegt.


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