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Fünfzehntes Kapitel.
In der Hauptstadt der Kadscharen.

Bei herrlichem Wetter verließen wir am folgenden Morgen das große Dorf Kerwe und fetzten unsere Reise in dem flachen, breiten Längental fort, dessen südliche Berge infolge der großen Entfernung nur schwach erkennbar waren. Ein neuer schwarzer Gebirgsvorsprung taucht vor uns auf, und mitten in dem offenen Tal erhebt sich ein kleiner, isolierter Felsenhügel, einer Insel vergleichbar.

Wir passieren den Hügel und das Dorf Kara-baghi mit seinen Serais. Nach Osten hin dehnt sich das Land endlos aus, aber vor uns im Nordosten zeigen sich stolz und mächtig die schneegekrönten Kämme des Elburs. Das Gelände fällt unmerklich nach Kaswin ab, das noch nicht sichtbar ist, wenn man es nicht in einem dunklern Streifen des sonst gelbgrauen Bodens erkennen will.

Die russische Landstraße zur Linken lassend fahren wir weiter, dem Elburs entgegen. Ein weißes Häuschen war entschieden russisch und mochte irgendeinem Ingenieur oder Aufseher als Wohnung dienen. Hier ist ein schwarz-weißer Schlagbaum quer über den Weg gelegt, und man verlangte einen Toman für die Durchfahrt, eigentlich eine Unverschämtheit, da ich diese Straße nur eine Werst weit benutzte. Vereinzelte Gärten kündigen die Nähe der Stadt an, und bald zeigt sich die Mestschid-i-Schah mit ihren Minarets. Die Gräber des Guristan liegen so dicht und engen die Fahrstraße derartig ein, daß die Räder über einige Grabsteine gehen. Es ist nicht mehr weit nach dem Mähmanchaneh, das sich nicht verändert hat, seit ich es in Gesellschaft des Grafen Claes Lewenhaupt und der übrigen Mitglieder der Gesandtschaft König Oskars an Schah Nasr-eddin vor zwanzig Jahren zuletzt gesehen hatte.

Von Kaswin hat man noch 150 Kilometer nach Teheran; aber der Weg ist in Poststationen eingeteilt, wo man nach russischem Muster frische Pferde erhält; man kann also ohne Unterbrechung durchfahren. Obgleich ich spät abends angelangt war, wollte ich nach einer Stunde weiterfahren. Als ich aber mein spätes Mittagessen verzehrte, wurde mir mitgeteilt, daß eine Tochter des Schahs aus Hamadan angelangt sei und alle 28 Pferde, über welche die Station verfüge, für sich in Anspruch nehme. Mein Einwand, die Prinzessin sei ganz gewiß nicht so schwer, daß sie sich nicht mit 24 Pferden begnügen könne, richtete bei dem Posthalter nichts aus, und er blieb dabei, ich müsse bis morgen warten. Da der Mann im Bewußtsein seiner Macht obendrein großschnauzig war, brachte ich ihn mit Hilfe des Telegraphen bald auf andere Gedanken. Höflich erklärte er mir nun, daß sowohl die Pferde wie der Wagen in einer Stunde bereitstehen würden, eine Nachricht, die mir die maliziöse Frage entlockte, ob denn die Prinzessin inzwischen magerer geworden sei.

Es war 11 Uhr, als ich in einer bequemen, schönen Equipage (Abb. 35) die 150 Kilometer begann, die mich von der Hauptstadt der Kadscharen trennten. Der Mond schien klar; aber auf dieser öden Straße gibt es nichts zu sehen, und man kann ruhig in einer Ecke schlummern. Das Einzige, was die Einförmigkeit unterbricht, sind die gewaltigen Kamelkarawanen, die mit Waren zwischen Rescht und Teheran hin und her ziehen und den Faden bilden, an dem die Stadt in kaufmännischer Beziehung hängt. Kaswin hat bei der Veränderung der großen Handelsstraße nichts verloren, denn ebenso wie der Handel mit Trapezund diese Stadt berührte, so gehen die Karawanen nach und von Rescht auch durch ihre Tore. Es war sofort zu merken, daß wir auf eine große Handelsstraße gekommen waren; die ganze Nacht hindurch herrschte Leben und Bewegung, und das Läuten der Kamelglocken ertönte unaufhörlich auf der Straße; es ist, als ob der ganze Erdboden singe und klinge.

siehe Bildunterschrift

35. Meine neue Equipage. (S. 147.)

Nach 2¾ Stunden sind wir in Kewende und erhalten frische Pferde, die uns in der gleichen Zeit nach Kischlak bringen. Der Morgen graut, der 13. Dezember bricht an. Die dritte Poststrecke führt uns nach Jangi-imam mit seiner Grabmoschee unter einer spitzen Kuppel. Bei dem Dorfe Kurdan geht es über eine Schlucht; das dortige Posthaus trägt die Inschrift: »Kordanskaja Sastawa«. Man muß eine Abgabe für die Benutzung der neuangelegten russischen Landstraße entrichten; die Russen sind in diesem Teile Persiens schon ganz zu Hause.

Es wird hell, die Sonne geht auf, der Kamelverkehr hat aufgehört, denn die Tiere müssen bei Tage werden, statt ihrer aber ist die Straße voller Wagen (Abb. 36) und Fußwanderer. Über und hinter den schwarzen Vorbergen des Elburs erheben sich Schneekämme. Auf beiden Seiten haben wir kleine Berge, der Elburs aber verschwindet hinter schneeschweren Wolken. In Schahabad werden die Pferde zum letztenmal gewechselt. Lang, gerade und scheinbar endlos zieht sich die Straße nach einem vorspringenden Berge hin, der jenseits der Stadt Teheran liegt.

siehe Bildunterschrift

36. Frachtwagen unterwegs nach Teheran. (S. 148.)

Die große Stadt, das Eldorado des Verfalls und Niedergangs, ist schon in ihren Umrissen erkennbar. Die Landstraße verwandelt sich allmählich in eine Gasse, die durch ein neues, grauschmutziges Lehmhäuserviertel führt. Durch das mit Fayencen verzierte Kaswintor kamen wir in die eigentliche Stadt und fuhren unter Schellenklang durch ihre Straßen, wo ich meine alten Freunde von 1886 und 1890, Dr. Hybennet Chan und den General a. D. Postmeister von Wedel, ganz unverändert wiedersah. Die beiden Herren waren gerade ausgegangen, um mich zu empfangen. Wir begaben uns nach Wedels Haus, wo ich mich einer notwendigen Erneuerung meines äußern Menschen unterziehen wollte, ehe ich Herrn und Frau Grant Duffs Einladung, während meines Aufenthalts in Teheran ihr Gast zu sein, annahm.

Von Teheran ist nichts zu sagen, was nicht schon hundertmal gesagt worden wäre. Es ist eine Stadt, der jede Spur klassischer Anziehungskraft fehlt, denn ihr Ruhm, Irans Residenz zu sein, ist nicht älter als die Dynastie der Kadscharen; ihr fehlt auch das Malerische und Farbenreiche, das noch die Kuppeln und Minarets von Isfahan, Schiras und Mesched umschwebt. Sie hat eine ganz uninteressante Lage in einer 1132 Meter hohen Ebene, aus deren einst wüstenartigem Boden künstliche Bewässerung reichtragende Felder und üppige Gärten hervorzulocken vermocht hat. Nur nach Norden hin, wo der Elburs als eine nach Wetter und Beleuchtung das Aussehen wechselnde Hintergrunddekoration dasteht und wo der Demawend, »der Wohnsitz der Geister«, sein 5670 Meter hohes Vulkanhaupt erhebt, ist die Aussicht von solcher Schönheit, daß man nicht ermüdet, den Blick nach dieser Seite hin zu richten. Im übrigen ist die Stadt ein Labyrinth, eine unentwirrbare Anhäufung einförmiger Häuser mit platten Dächern und mit Fenstern und Türen nach der Hofseite, ein Gewirr, bewohnt von 200 000 Schiiten, ein Ameisenhaufen, in dem es aber nie eilfertig zugeht, eine Stadt, die eine wenig zweckmäßige Mauer mit fünf größern Toren und ein ausgetrockneter Wallgraben umgeben. Zwischen den einfachen Bürgerhäusern erheben sich hier und dort die Paläste des Schahs, der Prinzen und der Vornehmen, mangelhaft gebaut, banal prächtig, so ganz anders als die gediegenen Meisterwerke solider, geschmackvoller Baukunst, die persische Großkönige einst bauen ließen und die noch heute, nach 2400 Jahren, wenigstens teilweise dastehen. Ein paar Moscheen unterbrechen die Einförmigkeit; aber sie entzücken nicht das Auge durch elegante Fayencemosaik und sie können sich mit den Gotteshäusern in ältern persischen Städten nicht messen; sogar die große, neuerbaute Hauptmoschee trug schon bei ihrer Entstehung das Zeichen des architektonischen Niedergangs auf der Stirn.

Daher hat man keine Freude an einer Wanderung durch die langweiligen Straßen von Teheran, wo schmutzige, schlechtgehaltene europäische Pferdebahnen und schiefstehende Laternenpfähle in unangenehm schreiender Weise gegen die Farben des orientalischen Volksleben abstechen und wo europäische, armenische und griechische Verkaufsläden wie Emporkömmlinge und Vampyre erscheinen, wenn man sie mit den einheimischen Basarkrypten in ihrer gedämpften, vornehmen Ruhe vergleicht. Noch als ich im April 1886 Teheran zum erstenmal besuchte, war die orientalische Stimmung dort viel unberührter als jetzt. Europäer waren ziemlich selten, obwohl man wußte, daß Nasr-eddin Schah alles tat, was in seiner Macht stand, um Europa nachzuahmen und dem fremden Gift alle Türen zu öffnen, Bestrebungen, die, weit entfernt, die Lage des Landes zu verbessern, sein Selbstvertrauen verminderten, seine Abhängigkeit vergrößerten und seinen Fall vorbereiteten. Jetzt aber war auch der letzte Abglanz altmodischer Echtheit verschwunden. Es gab europäische Hotels, Herren und Damen (Abb. 37, 38) mit Christenblut in den Adern fuhren in Droschken, und wie mehrere andere westlicher gelegene Städte der Levante, drohte auch Teheran, eine Kloake der Abenteuerer, Glücksucher und Quacksalber zu werden.

siehe Bildunterschrift

37. Persische Schönheit. (S. 150.)
Von einem Armenier aufgenommen.

Siehe Bildunterschrift

38. Persische Damen in Straßenanzug. (S. 150.)
Von einem Armenier aufgenommen.

Ich war aber nicht hierhergekommen, um mich in städtische Studien von zweifelhaftem Interesse zu versenken, sondern nur, um eine Karawane zu einer längeren Reise durch Ostpersiens Wüsten auszurüsten. Wie alles andere in dem in Betäubung schlummernden Morgenlande, dem Abbilde Endymions, nahm diese Arbeit Zeit in Anspruch; ich mußte mich in Geduld fassen und hatte Gelegenheit genug, verschiedene Europäer in der Stadt des Schahs kennenzulernen. Die Interessen Großbritanniens in Persien – und das sind keine Kleinigkeiten! – vertrat der britische Geschäftsträger Herr E. Grant Duff. Die Honneurs in seinem gastfreien Hause, wo ich zwei hochfeine Zimmer hatte, machte mit nicht geringerer Gewissenhaftigkeit seine liebenswürdige, charmante Gemahlin. Bei ihnen hatte ich fast drei Wochen lang ein wirkliches Heim und wurde mit allem Guten, was das Leben zu bieten vermag, verwöhnt. Meinen Wirt hatte ich in Stockholm kennengelernt, als er dort bei der britischen Gesandtschaft angestellt war. Ich fand in ihm einen außergewöhnlich gebildeten, hochbegabten Mann und einen gründlichen Kenner Persiens und der übrigen Weltgeschichte, einen passionierten Sammler saffanidischer Münzen, einen bedeutenden Archäologen, Musiker, Jäger und Diplomaten, einen Mann, der bei den persischen Herren die größte Achtung genoß.

Von alten Freunden, die ich schon auf meiner ersten Reise nach Persien kennengelernt hatte, fand ich nur noch wenige wieder, meinen Landsmann Hybennet Chan, der mit seiner reizenden jungen Frau bald darauf das Land verließ, in welchem er 34 Jahre zugebracht hatte, und in dessen Haus ich jetzt gerade so freundlich aufgenommen wurde wie einst; Wedel, der in den letzten Jahren sehr gealtert war und bald darauf starb; die Generalin Andreini und ihre entzückende Tochter Bibila, die in Teheran geboren war, ihr ganzes Leben in Persien zugebracht hatte und sich dennoch nach Italien heimsehnte. Über den Freuden des Wiedersehens lag Wehmut; alles war in diesen 20 Jahren anders geworden. Damals war ich als lebenslustiger, zwanzigjähriger, neugebackener Student in die Fremde gegangen, meine Freunde waren relativ jung, das ganze Leben lag vor mir in Farben so schön wie die der Rosen von Schiras: jetzt aber war alles so platt und flach geworden; der Himmel Teherans war schwer und grau, die Rosenfarben waren verblichen und sogar in dem uralten Wappenschilde des Reiches schien die Sonne sich zum Versinken hinter dem Rücken des Löwen anzuschicken. Doch so geht es einem stets an Orten, die man nach langen Jahren wiedersieht. Man verläßt sie in Licht und Sonnenschein, man schmückt die Erinnerungen an sie mit einem Gewand erträumter Illusionen, und dann steht mein die nackte Wirklichkeit im Lichte bleischwerer Regenwolken wieder.

Einer meiner alten Freunde, der damals General und Chef des persischen Telegraphenwesens war, Houtum-Schindler, den ich im Jahre 1886 in Buschehr am Persischen Meerbusen kennengelernt hatte, war jetzt schwedischer Generalkonsul im Lande des Schahs. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß er mich mit Güte überhäufte und mir in allem aufs uneigennützigste mit Rat und Tat zur Hand ging. Niemand hat so wie Schindler Persien nach allen Richtungen hin durchreist. Es gehörte damals zu seinem Amt, die Landstraßen wegen der Anlage neuer Telegraphenlinien kennenzulernen, und auf vielen jener Straßen ist er der erste Europäer gewesen, der sie bereist hat. Er hat eine ganze Literatur gelehrter Abhandlungen geschrieben, und ich kann ruhig behaupten, daß es gegenwärtig niemand gibt, der die Geographie des Landes so gründlich kennt wie er. Telegraphisch hatte er mir bereits seine Dienste angeboten, und zwar nicht nur in allem, was den Plan der bevorstehenden Reise betraf, sondern auch in allen praktischen Angelegenheiten, wie dem Ankauf der Kamele, dem Mieten der Diener und der Verproviantierung. Täglich besuchte ich Schindler und hatte persönlich allen Grund, mit der Art und Weise zufrieden zu sein, wie er die Uniform eines schwedischen Generalkonsuls trug.

Übrigens stehen – weshalb, weiß ich nicht recht – die Schweden in Persien, d. h. Hybennet und ich, unter dem Schutze der französischen Gesandtschaft. Daher war es ganz natürlich, daß einer meiner ersten Besuche dem Geschäftsträger Frankreichs galt, dem Grafen d'Apchier, einem feingebildeten und sehr verbindlichen echten Franzosen, den ich schon in Peking kennengelernt hatte.

Auch in der deutschen Gesandtschaft, wo Graf Rex seit acht Jahren regierte, fand ich eine ebenso gemütliche wie gastfreundliche Freistatt und machte dort die Bekanntschaft mehrerer hervorragender Deutschen, des Dr. Herzfeld aus Babylon, des Legationsarztes Dr. Loew und anderer.

Unter meinen Freunden von 1890 war die Gattin des russischen Gesandten, Madame de Speyer, noch ebenso hübsch und liebenswürdig wie damals. Rußlands Interessen in Persien, die den englischen an Umfang wenig nachgeben, vertritt jetzt Herr Somow, den ich drei Jahre später im äußersten Osten, in Söul, wiedersehen sollte.

Ich wehrte mich zwar anfangs, aber ich mußte es mir schließlich gefallen lassen, daß man mich in den Salons zu einer Art Löwe ohne Sonne machte, und ich wurde sehr gegen meinen Willen in einen Strudel großartiger Festlichkeiten und Diners hineingezogen, die sich vor ihresgleichen in Piccadilly oder in der Avenue de Jena nicht zu schämen brauchten. Oberst Douglas, der britische Militärattaché, war in Indien und Persien viel umhergereist und gab mir wertvolle Aufklärungen, gute Ratschläge und eine große Karte der östlichen Teile des Landes. Mr. Preece, der 38 Jahre lang englischer Generalkonsul in Isfahan gewesen war, sagte mir alles, was er über die große Wüste im Osten wußte. Ich lernte auch Dr. Schneider, den Leibarzt des Schahs, und die Familie des belgischen Zollministers Naus kennen, und bewahre von meinem Aufenthalt in Teheran lauter angenehme Erinnerungen.

Von den Persern, die während meiner früheren Besuche auf der Höhe ihrer Macht und ihres Ruhmes gestanden hatten, traf ich keinen einzigen mehr. Alle alten Würdenträger waren mit Nasr-eddin Schah verschwunden und durch neue ersetzt worden. Ich lernte jedoch mehrere dieser neuen kennen, darunter den Großwesir Sadr Azam, der beim ganzen Volke verhaßt war und täglich seinen Sturz erwarten mußte.

Ich brannte vor Ungeduld, aufzubrechen, konnte aber nicht daran denken, solange mein zurückgebliebenes Gepäck noch nicht aus Tabris angekommen war. Die ganze Ausrüstung erforderte Zeit. An einem der Weihnachtstage erfuhr ich, daß der König der Könige, Mussaffareddin Schah mich empfangen wolle. In Begleitung des Grafen d'Apchier fuhr ich nach Fährabad hinaus, dem neuerbauten, pavillonähnlichen Lustschlosse, das eine Stunde weit von Teheran liegt. Hier hielt sich der allerhöchste Herr gerade auf. Der Hofminister, Wesir Darbar, ein Tatare aus Aserbeidschan, nahm uns in Empfang und führte uns in die höheren Regionen des Schlosses hinauf, wo der Schah uns inmitten einiger zwanzig Herren in einem unansehnlichen, kleinen Zimmer erwartete.

Da stand dieser unglückliche, bleiche und abgezehrte, vorzeitig gealterte Schatten eines Selbstherrschers in sehr einfachem schwarzem Anzug ohne das geringste Abzeichen seiner Würde und mit der gewöhnlichen schwarzen »Kullah« auf dem Kopfe. Aber er lächelte verbindlich, reichte mir seine weiche, kraftlose Hand, redete mich auf Tatarisch an, erkundigte sich nach meinen Schicksalen auf der Reise von Trapezund nach Teheran und nach meinen weiteren Plänen und bat mich, ja nicht zu vergessen, ihm meine nächste Reisebeschreibung, in die er gern sein Bild aufgenommen sehen möchte, zu schicken. Der erste Teil seiner Bitte sollte nicht erfüllt werden können, denn er starb schon kaum nach einem Jahre, den zweiten aber erfülle ich um so lieber, als er mir sein Porträt mit der eigenhändigen Unterschrift »as sultan Mussaffar-eddin Schah Kadschar« (»von dem Herrscher Mussaffar-eddin, dem Könige, dem Kadscharen«) geschenkt hat (Abb. 39). Von König Oskar überbrachte ich ein Handschreiben in orientalischen: blumenreichem Stil; der Schah nahm es entgegen und übergab es dem Muschir-ed-Dowleh mit dem Befehl, es sofort ins Persische übersetzen zu lassen. Damit war die Audienz beendet, und wir fuhren nach Teheran zurück.

siehe Bildunterschrift

39. Schah Mussaffar-eddin. (S. 154.)
Mit eigenhändiger Unterschrift.

Schah Mussaffar-eddin galt als ein verbrauchter, verlebter Mann und ein untüchtiger Regent, an dem Krethi und Plethi auf Markt und Straßen ungeniert ihre Kritik übten. Persien war von der Gärung in Rußland angesteckt worden. Man schrie nach einer Konstitution, ohne sich einen klaren Begriff von der Bedeutung des Wortes zu machen und ohne sich zu fragen, ob das persische Volk zur Selbstregierung auch reif sei. In der großen Moschee versammelten sich zehntausend Menschen zu Beratungen, Mollahs hielten revolutionäre Zusammenkünfte in der Stadt Schah Abdul Azim, bei denen die europäischen Reisen des Schahs hart verurteilt und Maßregeln, die das Land vor vollständigem Untergang bewahren sollten, vorgeschlagen wurden. Die Tatsache, daß diese Gärung nur wenige Jahre später zu gewaltsamen Umwälzungen und zur Absetzung des neuen Schahs führte, gehört zu den Ereignissen der letzten Zeit und ist zu bekannt, um noch einer Schilderung zu bedürfen.

Im Gegensatz zu seinem Sohne, dem Waliad, trug Mussäffar-eddin Schah die ausgeprägten, charakteristischen türkischen Züge der Kadscharen und ähnelte seinem Vater; er hatte dieselbe rundliche Nase und denselben Schnurrbart wie jener, war aber in seinem ganzen Wesen weicher und freundlicher. Gegen mich war er die Liebenswürdigkeit selbst, und er wollte meiner Karawane eine Eskorte mitgeben, die ihm besonders an der nicht so ganz sicheren Grenze von Belutschistan notwendig erschien. Schon am folgenden Tag schickte mir der Minister des Auswärtigen einen auf Befehl des Schahs geschriebenen Brief, der so schmeichelhaft ist, daß ich ihn anständigerweise nicht wiedergeben kann. Er endete mit dem Ausdruck »der Dankbarkeit Seiner Majestät, daß Sie eine neue Reise durch Persien angetreten haben, seines großen Interesses an Ihren künftigen Schicksalen und seines Wunsches, von Zeit zu Zeit Nachricht von dem Verlaufe der Reise zu erhalten«.

Die Eskortefrage wurde folgendermaßen gelöst. Unmittelbar vor dem Weihnachtsfest schrieb der Minister des Auswärtigen an den Grafen d'Apchier und erkundigte sich, wieviele Soldaten ich haben wolle. Wir besprachen die Sache mit Oberst Douglas, der mir abriet, gewöhnliche Soldaten mitzunehmen, an denen man mehr Last als Nutzen habe. Es sei weit besser, sich an Oberst Tschernisuboff, den russischen Kommandanten der persischen Kosakenbrigade, zu wenden. Diese Kosaken sind zwar Perser, aber nach russischem Muster durch russische Offiziere gedrillt und befehligt und sind die unvergleichlich besten Leute der sonst ziemlich unbedeutenden persischen Armee. Nach einer Beratung mit dem russischen Obersten wurde die Eskorte auf zwei Mann festgesetzt, was als völlig ausreichend angesehen wurde; zwei Tage vor der Abreise wurden die Leute ausgesucht.

Unter den Kosaken hatten die Offiziere zwanzig Leute ausgewählt, für deren vortreffliche Eigenschaften sie bürgen konnten. An diese hielt der Oberst eine Rede; er erklärte ihnen, um was es sich handle, daß Wüstengebiete durchreist werden sollen, wo wir vielleicht Mangel an Wasser leiden müßten, und fügte hinzu, daß diejenigen, auf welche schließlich die Wahl falle, höheren Sold als unter gewöhnlichen Verhältnissen beziehen würden. Zuletzt forderte er die zwanzig auf, wer von ihnen von selbst mitzugehen wünsche, solle vor die Front treten. Alle, außer einem, traten vor; dieser eine hatte in Teheran angeblich eine Liebste, die er nicht verlassen wollte. Der Oberst schlug mir nun vor, die Männer zu bezeichnen, die mir dem Äußeren nach geeignet und vertrauenerweckend erschienen; es waren ihrer fünf.

Unter diesen schlugen die Russen wieder besonders einen vor, und nachdem ich mich für ihn entschieden hatte, durfte er sich seinen Kameraden selbst wählen, wodurch ich zwei Männer erhielt, die zusammenhielten und einander gut kannten.

An diese beiden hielt der Oberst noch eine besondere Ansprache und erklärte ihnen eine Menge Einzelheiten. Ihr Sold von 3 Toman (1 Toman entspricht ungefähr 3½ Mark) monatlich werde ihnen unverkürzt bleiben, und ich hätte ihnen dazu 9 Toman im Monat zu bezahlen. Sie hätten also vierfachen Sold und ziemlich leichten Dienst, solange sie bei mir angestellt seien. Alles, was sie an Ausrüstung brauchten, warme Kleider, Mäntel, Stiefel, Baschliks, Filzdecken, Gewehre mit fünfzig Patronen usw., erhielten sie vom Obersten; sie sollten aber keine Pferde mitnehmen, da wir Wüstengegenden besuchen wollten, die nur Kamele und Dromedare durchziehen können. Sie hätten freie Beköstigung in der Karawane und sollten in einem Zelte hausen, das der Oberst ihnen mitgebe. Hinsichtlich ihrer Heimreise wurde nur bestimmt, daß wir uns darüber in Seïstan einigen sollten.

Der Oberst, der ein wahrhaft freigebiger Mäzen war, machte seine Güte gegen mich dadurch noch größer, daß er mich bat, einen ganz neuen Kosakensattel und ein großes, schönes Zelt als Geschenk der russischen Offiziere in Teheran anzunehmen. Es war ein prächtiges Weihnachtsgeschenk und gerade das, was ich brauchte; auf diesem Sattel durchritt ich später ganz Tibet, aber an das Zelt knüpft sich eine traurige Erinnerung, denn in ihm starb anderthalb Jahre später mein Karawanenführer Muhamed Isa.

Nachdem der Tag noch durch ein großartiges Frühstück bei dem guten Obersten gefeiert worden war, der bei schäumendem Sekt der bevorstehenden Reise in einer glänzenden Rede alles Gute wünschte, stellten sich meine beiden Kosaken im Hause der englischen Gesandtschaft ein, um sich nach russischer Weise zum Dienstantritt zu melden. Sie erhielten sogleich Urlaub bis zum nächsten Tag; an diesem sollten sie beim Packen helfen, einen Überblick über das Gepäck erhalten und es in gleichmäßige Lasten verteilen.


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