Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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«Meinst mich?» meinte der Alte und machte Vreneli die bekannten Augen. «Werdet nicht böse, Vetter,» sagte Vreneli, «heute, wo Ihr mir eine so große Freude gemacht, möchte ich das nicht auf mein Gewissen laden. Aber wenn Ihr mich fragt, so muß ich Ja dazu sagen: ja, an Euch haben wir gedacht. Nicht daß wir glaubten, Ihr seiet unter allen der Wüsteste, wir haben das Gegenteil erfahren, aber Euch sind wir noch Geld schuldig; freilich ists nicht fällig, aber Schuld ist Schuld. Wir meinten, es müßte Euch ärgern, wenn wir unser Geld brauchten für etwas, was wir nicht gesetzlich schuldig sind, und unbezahlt ließen rechtmäßige Schulden. Ihr hattet das Recht zu sagen, wir sollten zuerst bezahlen, was wir von Gottes und Rechtes wegen schuldig seien; dann, wenn dies geschehen, könnten wir mit unserm Gelde machen, was wir wollten. Aber wir dachten, es könnte uns, ehe dieses möglich sei, so viel dazwischenkommen, dann blieben unsere Gewissen immer beladen, oder wir könnten Sinn ändern, was so gerne geschieht, wenn man Gutes aufschiebt, denn es scheint dann von Tag zu Tag schwerer, bis es unmöglich scheint und man es zu vergessen sucht, wie ich schon oft erfahren; dann bleibe unsere Schuld vor Gott, und vielleicht bete der unglückliche Mann Tag um Tag gegen uns vor Gott, und wenn das einmal weg sei, hätten wir um so frohern Mut, größern Segen, könnten um so leichter auch Euch bezahlen, was Ihr so guttätig uns vorgestreckt. Darum wollten wir vorher niemanden was sagen. Uli hielt es hart, zu gehen, einen schweren Tag hat er heute zu bestehen. Er erwartete, der Mann werde ihm wüst sagen, statt zu danken, und das ist ungut zu ertragen, wenn man es gut meint. Aber darauf kömmt es nicht an, wie er tut, dSach ist die gleiche, und etwas ist ihm auch zu verzeihen, denn viel zu leiden darunter hatte er allweg. Anders, als daß er selbst gehe, wußten wir es nicht zu machen. Zudem glaubte Uli, es gehöre auch dazu, daß er sage: ich habe gefehlt, verzeih mir.»

«So, meinst, das gehöre zur Sache?» sagte Hagelhans in seltsamem Tone. «Seid doch ja nicht böse,» sagte Vreneli, «es wäre mir so leid, und schlimm wäre zu sein dabei, wenn man auf der einen Seite bös macht, was man auf der andern gut machen möchte. Glaubt nur, wir wollen schaffen früh und spät, zu kurz sollt Ihr nicht kommen, und was ich Euch an den Augen absehen kann, will ich tun und Euch auf den Händen tragen, so gut es mir möglich ist; aber zürnet nicht und seid nicht böse.»

«So, willst das?» sagte Hagelhans, «und meinst, man solle sagen: ich habe gefehlt, verzeih mir? Kannst vielleicht noch recht haben; wenn es von dem Herzen ist, so ist es um eine Bürde leichter. So höre, ich will dir auch was sagen. Ich habe auch gefehlt, und du bists, die mir verzeihen muß. Ich habe gegen deine Mutter gröblich gefehlt und sie ins Unglück gestürzt. Sie trieben es zwar auch arg mit mir, die Alte von hier hielt mich zum Besten. Als ich meinte, ich hätte die Sache mit ihr richtig, ließ sie sich mit Joggeli verbinden. Einige Jahre später trieb es deine Mutter noch ärger, meinte, ich sei eigentlich nichts als ein Tanzbär, der tanzen müsse, wie sie geige. Ich hatte es mit ihr mehr als richtig, aber das Schätzeln mit Andern konnte sie nicht lassen, hatte um so größere Freude, je wüster ich tat. Ich mußte glauben, ich solle nur der Deckmantel sein, sie nehme mich den Eltern und meinem Gelde zulieb; der Mann könne ich sein, aber daß sie dann meinetwegen meine, sie müsse alle Andern hassen, das nicht. So dumm, als man ihn hielt, war aber Hagelhans nicht, war, wenn man ihn böse machte, ein Utüfel, und was er vornahm, ging ans Leben, war das Ärgste, welches zu ersinnen war. Als ich des Spiels endlich satt war, trieb ich deiner Mutter ihre Leichtfertigkeit fürchterlich ein, stellte ihr Fallen, sprengte sie hinein, gab sie der öffentlichen Schande preis. Als dein Vater galt ein hübscher, aber liederlicher Bursche, der um Geld tat, was man wollte, und solange die Rache in mir frisch war, und das war sie manches Jahr, redete ich es mir selbst ein und glaubte daran; dann trieb ich alles aus meinem Kopf, bis der Rat der Alten, mich zum Götti zu nehmen, alles auffrischte. Sie wußte wahrscheinlich am allerbesten den Zusammenhang der Dinge, glaubte, was deiner Mutter niemand geglaubt, wenn sie es auch gesagt hätte, was sie aber nicht tat, denn sie war ein wildes, trotziges Mädchen, und das war, warum sie mir so wohl gefiel, warum ich so lange sie nie vergessen konnte im bittersten Hasse, in welchen die Liebe sich verwandelt hatte. Was die Alte dir sagen wollte, war sicher mein Name, an mich wollte sie dich weisen, wollte dir sagen, ich sei dein Vater. Gut war es, daß du sie damals nicht verstundest; jetzt glaube ich es selbst auch und gerne, Vreneli, du seiest meine Tochter, und will es dir auch bekennen. Magst es nun sein oder nicht sein, ich habe den Glauben; hier macht die Liebe die Sache aus, und die habe ich, mein Hund hat sie auch, und der irrt sich nicht. Für meine Tochter will ich dich halten mein Leben lang, und Vater sollst mir sagen. Bin ich auch ein struber, will ich doch ein guter sein, darauf zähle.»

Den Eindruck, welchen diese Worte auf Vreneli machten, kann man sich denken. Daran hatte es wirklich nicht gedacht, obschon es große Liebe zum Alten hatte und großes Erbarmen mit ihm. Es empfand sein gutes Herz und begriff, daß ihm früher, weil man nur sein ungeschlacht Wesen beachtet, arg mitgespielt worden sein mochte. Es freute ihns von ganzem Herzen, an ihm gut machen zu können, was die Base und Andere an ihm gesündigt, ihn wiederum zu versöhnen mit den Menschen.

Nachdem es seinen Empfindungen den Lauf gelassen, endlich den ersten Eindruck verwürget hatte, sagte es: «Aber Vater, eins: wir wollen es niemanden sagen.» Da fuhr Hagelhans auf, daß selbst der Hund erschrak und winselnd eine Ecke suchte: «So schämst du dich meiner?» «Nein, Vater, o nein,» sagte Vreneli. «Aber hört mich an, bis ich fertig bin, wie ich es meine. Uli und ich haben erst eine große Krankheit überstanden, kommen langsam vorwärts; wir möchten das plötzlich reich Werden nicht vertragen, könnten uns nicht darein finden. Laßt uns die Freude, nach und nach aufzukommen durch eigene Kräfte! Ein schöner Anfang ist gemacht, ich zweifle nicht am Fortgange; nehmt die Zinsen, ists nötig, könnt Ihr uns nachhelfen. Ulis Leben ist die Arbeit; was würden die Leute dazu sagen, wenn er fürder arbeiten wollte wie ein Knecht, was würden sie überhaupt für einen Lärm und Geschrei anfangen! Wir möchten tun, wie wir wollten, wäre es nicht recht. Lebten wir sparsam, so würden sie schreien, ließen wir es rutschen, würden sie wieder schreien. Niemanden könnten wir es treffen, und vielleicht würden wir wirklich das Rechte auch nicht treffen. Sind wir in einigen Jahren in guten Stand gekommen, so lernen wir auch so nach und nach mit dem Gelde ohne Ängstlichkeit umgehen. Wenn dann später noch mehr dazu kömmt, ist der Sprung nicht so groß, die Leute gönnen es uns besser und wir schicken uns besser dazu. Ich fürchte wirklich, Uli würde irre, wenn er so auf einmal vernehmen würde, ich sei Euere Tochter, das Geld käme ihm wieder in Kopf. Jetzt hat er nur so eben rechte Freude daran, überläßt Gott, was kömmt, und was kömmt, darf er brauchen.»

«Dein Mann soll es also auch nicht wissen?» grollte Hagelhans und seine Augen brannten. «Eben meine ich: nein, und zwar von wegen mir meine ich es. Zürnen mußt mir nicht, Vater. Wir kamen zusammen und hatten Beide nichts, Keins dem Andern was vorzuhalten; was wir hatten, verdienten wir, was sein war, war mein, das Meine sein, wir hatten Beide daran geschafft. Beim Armwerden, beim Reichwerden hatte Keins dem Andern etwas vorzuwerfen, und wenn schon Uli hier oder dort eine Schuld trug, so hatte ich meine Fehler auch. Jetzt geht es vorwärts mit uns, Beide haben wir gleiche Freude, gleichen Teil daran. Werde ich auf einmal zu deiner reichen Tochter, zu der du mich machen willst, so hat das ein Ende, und wer weiß, und eben da traue ich mir nicht, ob ich nicht dächte, das Vermögen käme von mir, stolz würde und Uli es fühlen ließe, oder ob Uli nicht mißtrauisch würde und meinte, weil ich jetzt reich sei, so sei ich reuig, daß ich ihn genommen, und verachte ihn. Wo dieser Wurm sich eingräbt, da sind Friede und Liebe hin. So lange Uli nichts davon weiß, muß ich mich halten als das alte arme Vreneli, und nach ein paar Jahren, wenn wir selbst warm sitzen, macht es dann schon weniger aus. Der Sprung ist nicht so groß, wir sind Beide vernünftiger geworden, und wenn er weiß, daß ich bereits die Probe bestanden, so wird er mir nicht mißtrauisch und hinterstellig. Darum, Vater, soll er einstweilen nichts wissen und die Sache beim Alten bleiben. Es ist uns so wohl jetzt, so wie Fischlein im Wasser. Warum ändern?»

«Magst was recht haben,» sagte Hagelhans. «Lieber wäre es mir, die Sache wäre offen und abgetan. Auf alle Fälle, es mag geben was es will, so ist gesorget; der Bodenbauer weiß davon, hat das Nötige bei sich. Ich habe Respekt vor dir, du bist aber auch die Erste, vor der ich ihn habe. Aber Blau Blitz, was wärest du für ein Hagelweib geworden, wenn du zbösem geraten! Seltsam, daß die Alte hier dich so gut und tüchtig erziehen mußte, während ihr die eigenen Kinder so arg mißrieten, daß sie dem Hagelhans sein Meitschi zu einer solchen Frau machen mußte, dem Joggeli seine Kinder aber zu solchen Taugenichtsen. Nun, sei das wie es wolle, so habe ich Ursache, ihr zu danken, und will ihr verzeihen, was sie an mir getan. Und wer weiß, ob sie nicht an mich dachte, als sie dich erzog, und dachte, ich werde ihr einst verzeihen, wenn ich wüßte, was sie hintendrein für dich getan, und wer weiß – doch zu hart nachsinnen hilft nichts, danken wir Gott, daß es jetzt so ist.»

Das brauchte Hagelhans seinem Vreneli nicht zu sagen, sein Herz war Jubels voll. So lange hatte es niemanden gehabt auf der Welt, jetzt auf einmal einen Vater! Es hatte nicht gewußt, wie Schweres es sich aufgab, als es den Vater bat, einstweilen ihr Verhältnis zu verheimlichen. Es ist schwer, es zu bergen, wenn das Herz voll Jammer ist, aber unendlich schwerer noch ist das Bergen, wenn das Herz voll Freude ist.

Wäre Uli nicht selbst voll Freude heimgekehrt, Vreneli hätte sich verraten, nun aber nahm er Vrenelis Freude für innigen Anteil an seiner Freude. Er hatte nämlich das Mannli glücklich gefunden und in so großer Not, wie er gefürchtet. Anfangs hatte derselbe große Augen gemacht, als Uli vor ihm stand, und dessen Frau, als sie vernommen, wer er sei, hatte die Schleusen ihrer Galle aufgezogen und Uli mit Schmähreden überflutet, daß er fast den Atem verlor, geschweige daß er zur Rede gekommen wäre. Indessen alles Irdische hält nicht ewig aus, selbst der Atem eines zornigen Weibes nicht; endlich konnte Uli sagen, warum er da sei. Anfangs sah man ihn an, als ob er Hörner habe am Kopf, denn so was war seit Langem nicht erhört worden in Israel. Als man aber lauter verständliche Worte hörte, die blanken Taler sah, welche er auspackte, klaren, lautern Ernst sah im Handel, da fehlte wenig, sie hätten ihn für einen Engel angesehen und hätten ihn angebetet. Er kam ihnen eben in die bitterste Verlegenheit hinein, sie waren hinausgedrängt auf die äußerste Spitze, hinter sich eine Wand, vor sich einen Schlund, und jetzt kam einer und schlug eine silberne Brücke; sie mußten ihn für einen Engel halten. Es machte Uli unendlich glücklich, als er ihr freudiges Erstaunen sah, ihr unaussprechlich Glück. Mit den reichsten Segnungen beladen kehrte er heim und ward nicht müde, Vreneli zu versichern, wie er erst jetzt mit rechter Freudigkeit arbeiten wolle und den Glauben habe, es werde ihnen gut gehen, bei ihnen und ihren Kindern werde Gottes Segen bleiben. Sie hätten ihm angewünscht, sein Lebtag habe er es nie so gehört, es käme ihm noch jetzt das Wasser in die Augen, wenn er daran denke, und den Glauben habe er, daß frommer Segen von Gott erhöret, von seiner Hand reich und gütig verwaltet werde zu Heil und Frommen der Gesegneten.

Uli wurde durch seinen Glauben nicht getäuscht. Der Herr war mit ihm und alles geriet ihm wohl, seine Familie und seine Saat. Offen blieben ihm Herz und Hand, und je offener sie waren, desto mehr segnete ihn Gott. Hagelhans blieb mitten unter ihnen, als Vater geliebt, aber nicht als Vater bekannt. Vreneli hatte die größte Mühe, seiner Güte Schranken zu setzen, ihre Kräfte durch seine Freigebigkeit nicht zu lähmen. Es naht der festgesetzte Zeitpunkt, wo Hagelhans sagen will, wer er ist, wo Uli aus einem wohlhabenden Pächter ein reicher Bauer werden soll. Vreneli sieht der Sache mit Bangen entgegen, es bebt vor der neuen Prüfung; ob sie wohl Beide darin bestehen werden, frägt es oft am Tage sein Gewissen. Wir glauben, sie werden es. Der Gott, der ihnen durch so manche Not, über so manchen hohen Stein geholfen, wird ihre Füße halten, wenn sie einmal auch wandeln sollen auf geebneten Wegen durch ein reiches Gelände.


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