Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Der neue Bauer in der Glungge erscheint

Endlich war das Kleine wieder entschlummert. Vreneli hatte es abgelegt, zugedeckt, wollte eben auch die Ruhe suchen, da pochte es draußen. Der Lümmel, dachte Vreneli, wäre der doch jetzt im Wirtshause geblieben oder drüben in sein Bett gekrochen, was braucht der jetzt so spät mit seinem Gestürm uns unruhig zu machen! Unwillig öffnete es die obere Tür, aber draußen stand nicht Hans, sondern ein alter Mann mit einem Kopf, der wirklich einem hundertjährigen Weidenstock glich. «Möchte hier über Nacht sein,» sagte rauh der rauhe Kopf. Erschrocken sagte Vreneli: «Es ist wohl spät, mein Mann ist nieder und schläft.» «Selb ist mir eben recht», sagte der Mann, «deswegen brauchst du nicht zu erschrecken. Bin kein Vagabund, sondern der neue Glunggenbauer. Im Wirtshaus ist mir zu viel Lärm, will probieren, wie hier ein Schlafen ist.» Da blieb Vreneli nichts übrig, als Platz zu machen vor der Türe dem großen Mann, hinter dem ein Hund dreinkam wie ein großes Kalb. Um Uli nicht zu wecken, führte es ihn in die jenseitige Stube und frug, ob es ihm mit etwas aufwarten könne. «Ein Kaffee wäre mir recht,» sagte der Mann, «wenn es dir nicht zu viel ist,» und dazu betrachtete er Vreneli mit zwei so scharfen Augen, daß Vreneli nicht wußte, was das bedeuten sollte.

Doch Vreneli war keine erschrockene Frau bekanntlich, war eine Frau von dem Selbstgefühl, welches Frauen eigen ist, daß ihnen nichts Unanständiges begegnen werde und daß, je ungestörter sie mit einem Menschen eine halbe oder eine ganze Stunde zubringen könnten, sie um so besser wüßten, wie sie mit ihm dran seien. Wichtig schien es wirklich Vreneli, zu wissen, woran man mit dem neuen Bauer sei, und manierlich mit ihm zu sein, damit er nicht Ursache zum Gegenteil hätte. In diesem Punkte traute es Uli wirklich nicht ganz, denn auch ihns kostete es Mühe, freundlich mit ihm zu sein. Es zwang sich, hieß ihn, sichs bequem zu machen, fragte ihn, wie er den Kaffee liebe, stark oder schwach, legte buchene Scheiter ans Feuer, damit tannerne durch ihr Sprätzeln niemanden wecken möchten, fragte, ob es dem Hund auch was reichen solle und was derselbe liebe? Der Alte gab ganz kurzen Bescheid. Er sprach fast, als ob er seine Sprache aus einem Exerzierreglement gelernt hätte. Rasch war das Kaffee fertig, sauber, appetitlich, wackeres Hausbrot samt einer schönen Schnitte Käs stunden dabei. Oder ob er Butter liebe, frug Vreneli, dieselbe sei aber nicht mehr recht frisch. Mit der Milch seien sie gegenwärtig nicht am besten bestellt. Zucker hätten sie keinen im Hause, entschuldigte es sich, dergleichen brauche ein Pächter nicht.

Als alles da war, der Alte es sich behaglich gemacht, zog es einen Korb mit dürren Bohnen an sich, hülsete sie, um die Finger nicht müßig zu lassen. Ob sie schon lange da seien? frug der Alte. «Ihr werdet euch da gewärmt haben?» «Wäre gut,» meinte Vreneli, erzählte dann ruhig, welch Unglück sie gehabt und wie sie jetzt davon müßten, ehe sie sich erholt. Wenn es ihm naß ward in den Augen, so trocknete es sie so unvermerkt als möglich.

«So gehts,» sagte der Alte, «wüste Leute tun wüst, drum gehts ihnen bös.» Wen er damit meine? frug Vreneli. «Den Glunggenbauer und seine Frau, wen sonst? Hätten die bräver getan, so wäre der Hof schwerlich verkauft worden,» entgegnete der Alte. Da wurde Vreneli warm, stund ein für Base und Vetter, absonderlich für die erste, und ließ die Tränen laufen ohne Scheu. «So, warst noch dazu verwandt,» sagte der Mann, «und machten es euch so?» «Ja,» sagte Vreneli, «und daß ich unehlich war, ließ mich die Base nie entgelten, sie war mir eine Mutter und ich ihr Kind und oft werter als das eigene Kind.» «So, und wo warst du daheim?» sagte der Alte. Vreneli nannte kurz den Ort. «So,» sagte der Alte, «deine Mutter wird geheiratet haben?» «Sie starb bei meiner Geburt, und wäre die Base nicht gewesen, die Großeltern hätten mich vielleicht nicht taufen lassen. Aber Bericht, warum und wie, wollte mir die Base nie geben, kann also auch nicht Auskunft geben. Doch Ihr werdet müde sein und Ruhe Euch anständig; Euer Bett ist gemacht, ich will es Euch zeigen.»

«Also seither warst hier?» frug der Alte. «So so, und jetzt, wohin?» Dafür sei gesorgt, sagte Vreneli kurz, sie hätten sich noch guter Leute zu trösten, welche sie nicht im Stiche ließen, wenn sonst auch alles fehle. «So,» sagte der Alte, «das ist allweg kommod. Sie sind rar, diese Leute, aber noch rarer sind die, welche die guten Leute, wenn sie sie auch finden, auch gut behalten können.» Das käme immer auf den Verstand an und wie man tue, sagte Vreneli. «Mit Schein weißt du was davon, weil du deiner Base nicht davonliefest, als sie dich erzogen hatte, wie es die Meisten machen. He nun so dann, so will ich ins Bett, so kannst du auch hinein.»

Somit stund er auf, Vreneli erschrak fast vor dem Mann und seiner gewaltigen Gliedermasse. Wenn in einem Walde er ihm begegnet wäre, hätte es ihn für einen übergebliebenen Riesen gehalten und die Flucht genommen. Auch sein Hund erhob sich, dehnte sich, stund auf die hintern Beine, legte seine vordern Tatzen auf Vrenelis Achseln und leckte ihm das Gesicht. Ein kleiner Schrei entfuhr Vreneli, als das Untier ihm so nahe kam, doch fiel es nicht in Ohnmacht.

«So,» sagte der Alte, «das ist seltsam, das hat er noch keinem Menschen gemacht als mir. Niemanden wollte ich raten, ihn nur von ferne anzurühren. Kurios!» «Ich gab ihm zu fressen,» sagte Vreneli, «und manchmal sind die Hunde dankbarer als die Menschen.» «Er frißt alle Tage dreimal, aber deswegen ist er noch nie an jemanden aufgestanden, es mag ihm das Fressen geben, wer will.» Kopfschüttelnd suchte der Alte sein Lager, nachdem ihm Vreneli gute Nacht gewünscht und ihn ermahnt, recht auszuruhen und am Morgen nicht zu früh aufzustehen.

Als Vreneli sich niederlegte, schlief Uli fest, und Vreneli weckte ihn nicht. Als es erwachte, war Uli fort, ohne daß er um den Gast im Hause wußte. Er hatte die Kehr, das heißt die Reihe war an ihm, das Wasser auf seine Matte zu lassen; die versäumt kein Bauer und wacht, bis das Wasser aufgelaufen, um zu sehen, wie es überall seine Pflicht tue, und damit nicht etwa ein guter Freund und Nachbar in Versuchung gerate, an ihm zum Schelme zu werden und das Wasser zu stehlen. An der Sonne sah Vreneli, daß es sich verspätet, hantierte nun um so rascher, trieb mit kundiger Hand das Räderwerk des großen Haushalts. Es glaubte den Gast noch im Bette, sorgte für Stille, um so lange als möglich nicht von ihm gestört zu werden. Am Herde hantierend, fühlte es plötzlich was Kaltes in der Hand; erschrocken und mit einem kleinen Gix drehte es sich um, da war der mächtige Hund, der liebkosend seine kalte Schnauze Vreneli in die Hand gestoßen hatte, und unter der Türe, dieselbe fast ausfüllend, stund des neuen Bauern gewaltige Gestalt.

Eben willkommen war sie nicht, doch Vreneli besaß die Freundlichkeit, welche Mißliebiges überwindet, dasselbe nicht tagelang ablagern läßt, bot freundlich einen guten Tag, hieß ihn zum Frühstück kommen, frug, wie es ihm gefalle hier usw. Neugierig streckten die Kinder eins ums andere ihre Gesichtchen durch die Türe, welche ins Nebenstübchen, wo sie schliefen, führte, fuhren dann mit Schreien und Lachen zurück, wenn sie den fremden Mann und den großen Hund sahen, der sie noch mehr interessierte als der Mann. Der Mann war ernst, doch nicht unfreundlich, gab gut Lob ihrer Wirtschaft, frug nach Uli, und als endlich die Kinder sich dem Hund zulieb in die Stube wagten, war er freundlich mit ihnen, besonders mit dem kleinen Vreneli. Der Hund ließ mit ruhiger Ehrenhaftigkeit der Kinder Streicheln sich gefallen, nahm ihnen das Brot ab, welches sie der Mutter für ihn abgebettelt hatten. Vreneli mußte von den Kindern erzählen, mußte abwehren, daß sie nicht zutäppisch wurden.

Da ging die Türe auf. «Vater, Vater, sieh, was das für ein Hund ist, hast du auch schon so einen gesehen?» schrien die Kinder. Uli stand da wie Lots Weib, als es Sodom und Gomorrha brennen sah, und glotzte den Mann an mit offenem Munde. «Das ist der neue Bauer,» sagte Vreneli, «er war hier über Nacht. Als er kam, schliefest schon, und heute warst fort, ehe ich es dir sagen konnte.»

Uli glotzte noch immer, so daß Vreneli es recht ungern hatte, daß Uli so unmanierlich tat. Der neue Bauer sah Uli auch an, und seltsam zwitzerte es ihm um den Mund und in den Augen. Endlich frug er: «Dünkt es dich etwa, du hättest mich schon gesehen, und weißt nicht wo?» «So ists,» sagte endlich Uli, «aber es wird nicht sein.» «Wen meinst?» sagte der Mann. «Es wird nicht sein,» sagte Uli. «Wir haben einen, der noch unser Vetter sein soll von der Frau her, der wohnt weit weg; bei dem war ich einmal, es ist schon lange her. An den mahntet Ihr mich im ersten Augenblick, aber der ist ein wüster und struber Mann und es ist besser, man rede nicht viel von ihm.» «Wirst doch nicht den Hagelhans im Blitzloch meinen?» frug der Bauer. «Wohl, gerade den,» sagte Uli, «meine ich, kennt Ihr ihn?» «Allweg, den kenne ich,» sagte der Mann, «von wegen gerade der bin ich, der Hagelhans im Blitzloch und jetzt der neue Glunggenbauer.»

Ja, jetzt gab es Gesichter, man kann sichs denken, und lange gings, bis Vreneli sich faßte und sagte: «Seid Gottwillche, Vetter, und zürnet nicht! Böse gemeint wars nicht, und daß ein Mensch, absonderlich ein Mann, wenn er nicht gebartet hat, daheim strüber und wüster aussieht, als wenn er gsunntiget ist, selb versteht sich und ist nichts Böses. Es wäre uns grausam leid, wenn Ihr es uns nachtrüget und entgelten ließet, was Uli in der Unachtsamkeit gesagt hat.»

«Ihr guten Tröpfe,» sagte der Mann, «Hagelhans hat schon ganz andere Dinge gehört; wenn er, was er gehört, nachtragen und eintreiben sollte, so müßte er den ewigen Juden ablösen; Hagelhans ist aber nicht so wüst, als er scheint, und wenn er den Menschen schon nicht die Hände unter die Füße legt und jedem Narr flattiert, lebt, wie es ihm gefällt, so hat er das Recht dazu, ihm ward auch nicht flattiert; jede Katze meinte, sie könne ihm den Talpen geben, und jeder Hund, er könne seine Schnauze an ihm abwischen. Übrigens kam ich nicht in böser Absicht her, sondern eigentlich wegen euch. Daß ihr mich zum Gevatter nahmet, darauf hielt ich euch nicht viel und noch viel weniger, als ich hörte, daß die Bäurin hier dazu geraten. Sie ist viel schuld an dem, was ich geworden; den Hans hielt sie für nichts gut, als um ihn zum Besten zu haben, die alte Blindschleiche war glatter und ihr lieber; sie hat es erfahren, wie weit man mit einer solchen kömmt. Wenn er nicht tot wäre, ich redete noch ganz anders von ihm. Deine Mutter, Gott verzeihe ihr ihre Sünde, hat es mir noch viel ärger gemacht. Möglich, daß ich es ärger nahm, als es war, als es nachher den Schein gewann, möglich, daß der Teufel seine Hände im Spiele hatte. Dachte oft darüber, seit das Blut kälter ward; daß der Hund dir flattiert, ist wunderlich. Du trafst es gut, als du kamest,» sagte er zu Uli, «ein andermal wärest du übel weggekommen. Ich hörte nicht ungern Bericht von der Glungge, freute mich darüber, wie es ging, dachte oft: weißt jetzt, wer schuld ist, daß es dir nicht besser geht! Aber daß ich deswegen einen Tritt versetzt, hätte ich ihr nicht zu Gefallen getan. Ich wußte wohl, die Alte vernahm gerne etwas von mir, hätte vielleicht gerne mich gesehen, aber jetzt war es an mir, den Kaltblütigen zu machen. Doch kam mir seit jener Zeit das vergangene Leben oft in die Gedanken und manches anders vor als bisher. Als ich in jener Nacht dich antraf, wo ich eigentlich auch zu Markte wollte, den Tod der Alten und deinen Zustand vernahm, da kam mir Mitleiden und es dünkte mich, ich möchte auch mal was tun und zeigen, daß der Hagelhans innen besser sei als außen schön. Daß du ehrlich warst und aufrichtig, gefiel mir, so habe ich die Leute gerne, so sie nötig, obgleich ich Schelmen und Lumpenpack nicht fürchte. Hagelhans weiß, wie man mit Pack umgeht, und kennt das Pack. Aber eins hing am andern, daß nichts zu machen war, bis endlich das Gut zum Verkaufen stund. Das ließ ich nicht gerne aus der Familie; hatte ich es einmal, konnte ich machen, was ich gut fand. Das Blitzloch ist nicht bös, die Glungge ist aber doch was anders; daß die mal in meine Hände kommen würde, hätte ich nicht gedacht, das freute mich sehr; wäre sie vor Zeiten mein gewesen, wer weiß, wie alles gegangen. Der Lumpenhund, der versoffene Sohn, wollte mir die Freude verderben, konnte es aber nicht, mußte sie bloß einige tausend Gulden teurer haben, macht aber nichts.»

«Vernahm es beim Wässern,» sagte Uli. «Wenn Ihr dem Johannes gesagt hättet, wer Ihr wäret und daß Ihr es eigentlich, wie es scheint, für ihn wollt, hättet Ihr das Geld sparen können.»

«Wer sagt es, daß ich es für ihn will? Mit dem Lumpenhund will ich nichts zu tun haben, bin kein Narr, der, wenn ein Haus brennt, Holz herbeischleppt, damit das Feuer nicht ausgehe. Das Gut ist mein und fragen wollte ich: willst mein Pächter sein einstweilen, bis mir was anderes einfällt?»


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