Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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«Das wäre alles gut, und bös meine ich es ja nicht, das weißt du,» sagte Uli. «Aber fangen wir einmal an mit Großtun und Austeilen, so müssen wir so fortfahren; ist denn jedes Jahr ein gesegnetes, daß es es ertragen mag? Sollte man nicht gleich anfangs so anfangen, wie man zu jeder und aller Zeit fortfahren kann?» «Ja sieh,» sagte Vreneli, «verstehe mich recht; nicht wie ehedem begehre ich es zu machen, dies wird kein vernünftiger Mensch uns zumuten. Man kann die Schnitten ungleich groß abschneiden, sie ungleich backen, kann das Pack abweisen. Ich kenne seit Jahren die Leute, welche kommen, glaube, mit Wenigem will ich weit reichen, zudem sieh, die Base hat mir vier Taler gegeben; sie hätte es ungern, hat sie gesagt, wenn die Leute alle umsonst kämen und z'leerem wieder fort müßten.» «Das wäre wohl gut, wenn es mit dem gemacht wäre; aber denk, was wir noch alles kaufen müssen für die eigenen Leute und denen dann auch noch jedem ein Tuch voll heimgeben. Die Weiber der Tagelöhner werden wir noch einladen müssen, und einige davon sind imstande, sie bringen uns noch die Kinder mit. Schlachte ich ein Schaf, so braucht man kein anderes Fleisch, mit dem Weine mache ich es kurz. Wenn ich auf zwei Personen eine Maß rechne, die Maß vier Batzen höchstens, so kostet mich das schon ein Sündengeld.»

«Das tue nicht,» sagte Vreneli, «es wäre unser eigener Schade. Vergiß nie, wie es uns war, als wir noch dienten, was wir gesagt hätten, wenn man uns die Sichelten so spärlich zugemessen hätte. Die Arbeiter haben, solange Joggeli lebt, nie so angestrengt gearbeitet, können nichts dafür, daß wir nur Pächter sind, und eine Mahlzeit ist immer eine Mahlzeit, macht auf Fromme und Nichtfromme, auf Reiche und Arme einen seltsamen Eindruck. Der Arme, welcher Monate lang weder Fleisch noch Wein sieht, freut sich darauf wie ein Kind auf Weihnacht, und warum sollte er nicht? An einer Mahlzeit will man genug haben, von allem satt werden; was man noch möchte und nicht bekömmt, das kömmt viel höher in Anschlag als das, was man erhält. Mahlzeiten sind im Leben, was Sterne am Himmel in mondloser Nacht, und nicht bloß wegen Essen und Trinken. Es tauen auch die Herzen auf, es wird einmal wieder Sonntag darin, es bricht die Liebe einmal wieder hervor; wie aus den Wolken die Sonne und wie aus Holland der Nebel, flieht aus mancher Seele der böse Kummer, das Elend wird vergessen, sie wird einmal wieder froh, faßt frischen Mut und danket einmal wieder Gott von Herzen. Nein, lieber Uli, zu mager mach es nicht, mach es um der Menschen willen nicht! Gott hat uns so große Ursache zu Lob und Dank gegeben, gib du jetzt deinen Leuten nicht Ursache zu Groll und Widerwillen, sondern zu Lob und Dank, zu Mut und Freude. Vielfältig bringen wir dieses ein, denn wenn bei allen guter Wille ist, so wird rasch viel wieder eingebracht, während bei bösem Willen unendlich viel zuschanden geht. Das hat Joggeli viele tausend Gulden gekostet, bei ihm habe ich gesehen, wie das gehen kann. Schlechten Wein nimm nicht, er freut niemand, wird getrunken wie Wasser und ist also der teuerste. Nimm guten Wein, der erfreut die Herzen, sie rechnen ihn dir hoch an und trinken weniger als vom Wein, der keine Tugend hat, als die Köpfe bös zu machen. Denke doch, es ist mir so gut daran gelegen, daß wir mit Ehren bestehen, als dir; es geht auch mich was an, denn gewöhnlich soll die Frau daran schuld sein, wenn der Mann zugrunde geht, aber Sparen und Sparen sind zwei. An einer Kuh, welche Milch geben soll, das Heu, an einem Pferde, welches springen soll, den Hafer sparen wollen, hat noch niemand großen Nutzen gebracht, wie man Beispiele von Exempeln an manchem Bauer sehen kann.»

Uli begriff Vreneli und hatte sogar Glauben zu ihm, aber gegen Glauben und Verstand stritten Geld und Angst, trieben Uli vielen Schweiß und manches Aber aus. Indessen siegten doch die Erstern, denn Vreneli half ihnen mit all seiner Liebenswürdigkeit. Uli schaffte guten Wein an und so viel, daß er nicht bei jeder Flasche, welche er aus dem Fäßlein zog, Kummer haben mußte, es möchte die letzte sein, und in Versuchung kam, Käsmilch aufzustellen in Ermangelung des Weines, ein bös und dünn Surrogat desselben. Ein Schaf wurde geschlachtet, indessen auch dem Rind- und Schweinefleisch die landesüblichen Stellen angewiesen.

Nun war Vreneli hellauf, es glaubte alles gewonnen, aber die Angst kam ihm wieder und zwar am Tage der Sichelten selbst und nicht von Uli her. Als das Sieden und Braten anging, die Feuer prasselten, die Butter brodelte und zischte, die Bettler kamen, als schneie es sie vom Himmel herunter, die Pfannen zu alles verschlingenden Ungeheuern wurden, Vreneli, wie viel es auch hineinwarf, immer frisch wieder angähnten mit weitem, ödem, schwarzem Schlund, da kam die Angst über ihns, aber sie half ihm halt nichts; wie die Sperlinge den Kirschbaum wittern, welcher frühe Kirschen trägt, weither gezogen kommen mit ihren raschen Schnäbeln und nimmersatten Bäuchlein, so kamen die Bettler daher, vom Duft der brodelnden Butter gezogen, schrieen heißhungrig von weitem schon: «Ein Almosen dr tusig Gottswille!» und trippelten ungeduldig an der Tür herum, weil sie vor süßer Erwartung die Beine nicht stillehalten konnten. Vreneli begann Schnittchen zu backen, daß es sich fast schämte, so klein und so dünn die Kruste, und alles half nichts; es war, als ob sie Beine kriegten und selbst zuliefen einem Schreihals vor der Tür. Es ward ihm immer himmelängster, für die eignen Leute könnte es gar nicht sorgen.

In der größten Not erschien die Base unter der Küchentüre, wahrhaftig wie ein Engel und zwar einer von den schwereren, denn sie wog wenig unter zwei Zentnern. «Es dünkt mich, es sei noch nie so gegangen mit Betteln,» sagte der dicke Engel, «es ward mir himmelangst für dich; die Leute haben doch je länger je weniger Verstand, und wenn es nicht die Halben versprengt vom Küchlifressen, so meinen sie, es sei ihnen übel gegangen. Da habe ich dir eine kleine Steuer, denn Viele werden meinen, wir seien noch auf dem Hofe, und kommen unsertwegen, und vielleicht kann ich dir sonst noch helfen.»

Sie stellte einen bedeutenden Butterkübel, den sie hinter Joggelis Rücken aus ihrem Keller stibitzt hatte, dem besten Schmuggler zum Trotz, auf den Küchentisch.

«Aber Base, Base, nein, das hat doch wirklich keine Art, jetzt noch so viel Butter! Ihr seid doch gewiß die beste Base unter der Sonne! Was kann ich Euch dagegen tun? Vergelts Euch Gott zu hunderttausend Malen!» «Tue nicht so nötlich,» sagte die Base, «und sag, wo ich dir helfen soll. Es wäre ja unsere Pflicht, auszurichten, was üblich und bräuchlich ist, und daß ihr schon zum erstenmal aufgefressen werdet wie das Kraut von den Heuschrecken, selb meinte sicher selbst Joggeli nicht. Bloß daß ihr scharf gebürstet werdet, das wohl, das möchte er euch gönnen.» «Base, glaubt nur, geben tue ich gar gerne; ich fühle es recht, daß Geben seliger ist als Nehmen. Es kommt mir dabei immer vor, als sei ich Gottes selbsteigne Hand, welche er öffnet zur Stunde, damit sich sättigt, was da lebt. Aber wenn es dahergeflogen kömmt wie Krähen im Winter über einen spät gesäeten Acker, dann wird es einem doch angst ums Herz, man kömmt in Versuchung und versündigt sich fast, wird ungeduldig, wenn die Zeit verrinnt, der Abend kommt und unsre Leute hungrig kommen und nichts finden.» «Allweg,» sagte die Base, «aber wart, ich will dir helfen.»

Nun half die Base, sie machte die Schaffnerin und Spenderin nun wirklich so, daß Vreneli Zeit und Stoff für seine Leute die Fülle blieb. Ging jemand unzufrieden weg, so fiel der Groll auf die Bäuerin, deren bekannte Gestalt unter die Tür stund und ihn abgefertigt hatte.

Wie Vreneli in der Küche, schwitzte Uli auf dem Felde. Es war ein Tag, in welchen sich fast mehr Arbeit drängte, als hinein mochte. Zweitausend Garben sollten eingeführt werden. Mit zwei Stieren führte er den Wagen auf dem Acker, war er geladen, so fuhren vier Pferde denselben heim. Eine Partie lud zu Hause die Garben ab, eine andere band Garben, die dritte lud sie. Zu dieser gehörte Uli, er gab alle Garben selbst auf den Wagen, alles griff in einander, ward in halbem Lauf getan, Uli hatte keinen Augenblick zum Verschnaufen. Aber Uli hatte zwei Augen und die sahen einen bedeutenden Teil der Bettler, welche bei dem Hause ab- und zugingen. Anfangs achtete er sich nicht so viel derselben. Erst als einer sagte: «Es geht heute aber stark, so wie noch nie,» ward er aufmerksam, wollte sie zählen; aber zugleich sollte er die Garben zählen, welche er auf den Wagen gab, und Bettler und Garben kamen ihm untereinander, daß er nicht mehr wußte, woran er war. Dies machte ihn noch giftiger, auslassen durfte er seinen Grimm nicht, höchstens den Stieren konnte er rauhere Worte geben als sonst und unsanfter sie zerren an ihren Hörnern. Aber sie nahmen keine Notiz davon und fraßen gemütlich das vorgelegte Gras und ließen sich behaglich durch einen Knaben Fliegen und Bremsen wehren. «Wart nur bis ich heimkomme,» dachte Uli, «dann will ich sehen, was übrig geblieben. Hoffentlich gibt es Gelegenheit, die Narrheit ein für alle Male abzustellen.»

Indessen bis er mit dem letzten Wagen heim konnte, stund er eine Hitze und Ungeduld aus, daß er von nun an vollkommen wußte, wie es den Menschen im Fegfeuer zumute sein muß. Auf dem Wege begegnete ihm Joggeli. «Führe nur brav ein,» sagte ihm dieser, «hast es nötig, Bettler und Mäuse bedürfen viel und das Jahr ist lang.» Uli antwortete nicht, aber wer sich auf das Knallen einer Peitsche versteht, konnte an demselben dessen Gedanken abnehmen. Es war viel, daß er den Wagen nicht umwarf oder keinen Abweisstein umfuhr, aber Gewohnheit macht viel. Aber sobald die Pferde stillestunden, übergab er das Abspannen dienstbaren Geistern und ging der Küche zu. Gewaltig nahm er sich zusammen, um nicht mit der Türe ins Haus zu fallen, sondern gemäßigt aufzutreten mit dem Anstand, welcher dem Meister ziemt. Gepolter und Aufbegehren an diesem Tage würde sein Ansehen bedenklich geschädigt haben. Das bedachte Uli. Als er unter der Küchentüre erschien, stieß er auf die Base, vor welcher er auch Respekt hatte, so daß er fast kleinlaut frug: «Wie stehts? In einer halben oder ganzen Stunde höchstens sind wir fertig!»

Freundlich kam Vreneli aus Rauch und Qualm ihm entgegengesprungen, glühend von Schweiß und Arbeit. «Gut,» sagte es, «kommt wann ihr wollt, es ist alles zweg, und lieb ists mir gar sehr, wenn es mit der Arbeit nicht geht bis tief in die Nacht hinein; habe es an diesem Tage sehr ungern, denn gewöhnlich geschieht noch was Ungeschicktes. Aber zu tun haben wir gehabt, du glaubst es nicht; wäre die Base nicht gekommen und hätte mir geholfen, ich darf nicht sagen wie, du hättest mich nicht mehr gefunden, ich wäre davongelaufen, so weit mich die Beine hätten tragen wollen. Komm und sieh, was wir geschafft.» «Muß gehen und helfen,» sagte Uli, «die Pferde sind nicht ausgespannt, müssen noch geputzt und abgerieben sein.» «Wärest mir ein schöner Meister, wenn du immer dabeisein müßtest, wenn der Wagen laufen soll, und nicht einen Augenblick Zeit hättest zu sehen, was dir deine Frau zeigen will. Komm,» rief Vreneli schalkhaft, «Base, seht zur Pfanne!» und sprang die Kellertreppe hinab, daß Uli folgen mußte, er mochte wollen oder nicht. Weit sperrte Vreneli die Kellertüre auf, und drinnen auf dem üblichen Tische sah er mit großem Erstaunen Berge von Küchlein von allen Sorten. «Sieh, hier diese sind für diesen Abend, diese für morgen mittag, jene dort für nach Hause zu geben, und für Unbestimmtes backen wir noch, man weiß nie, was es geben kann. Was meinst, haben wir genug?»

Ganz verstaunet stund Uli vor den hohen Türmen, machte Augen wie Pflugsräder, und doch konnten sie das Wunder nicht fassen; fast wäre er davongelaufen, weil er dachte, dieser Segen könne nur durch den Rauchfang heruntergekommen sein, endlich sagte er: «Gott behüt uns davor! Woher dies alles und so viel Bettler!» «Bst! Bst!» sagte Vreneli schalkhaft, «das frägt man nicht und darfs nicht sagen; wenn es die Erdmännchen hörten, sie zürnten es, denke, wie kommod, wenn man nur ein Küchlein auf eine Schüssel zu legen braucht, um handkehrum noch sieben andere darauf zu haben.» «He ja, kommod wärs,» sagte Uli, «aber vielleicht, daß du das Hexli warest,» machte aber dabei doch ein Gesicht, dem man es ansah, daß er nicht wußte, was er glauben sollte, wandte sich und wollte wieder die Treppe auf. «Nit, nit,» sagte Vreneli und faßte ihn am Arm, «es ist noch was anders da, welches du auch sehen mußt, es wartet dir schon lange.» Hinter einer Schüssel voll Küchli holte es eine Flasche und ein Glas hervor, schenkte ihm ein und sagte: «Weißt nicht, daß es Brauch ist, daß der Meister an heißen Erntetagen zuweilen selbst ein Fuder nach Hause fährt und dann was Kühles im Keller findet? Ein andermal vergiß es nicht; aber nicht wahr, du wolltest kommen und sehen, ob ich noch was hätte, hattest Angst, die Bettler hätten alles vorweggegessen, wolltest mörderlich aufbegehren und hättest fast Freude daran gehabt, wenn ich in Schmach und Schande gekommen wäre. Da, du wüster Kerli du, da nimm noch eines und schäme dich; nicht wahr, bist halb böse, daß alles anders ist, als du dachtest und du nicht Freude haben kannst an meiner Schmach? Komm und gib mir ein Müntschi (Kuß), aber nur leise, daß es die Base nicht hört, und denke daran, du hättest dich an mir versündigt und wollest nicht mehr so tun und so sein.» «Sagte ja kein Wort,» meinte Uli, «kam nur, zu sehen, ob du fertig seiest.» «Meinst,» erwiderte Vreneli, «ich kenne dein Gesicht nicht und wisse nicht am Trappen deiner Füße, wie das Herz dir schlägt, und am Ton der Worte, was hinter denselben steckt? Arme Weiber sind wir, aber schlauer, als ihr denkt, und was euch durch den Kopf fährt und was ihr brütet im Herzen, das merken wir von weitem; jetzt weißt es, kannst dich hüten, und in einer halben Stunde ist das Essen fertig, mach, daß wir nicht warten müssen,» und husch war es die Treppe auf und schon mitten in der Küche.

Uli war guten Mutes geworden. Er zog die Kellertüre zu mit lachendem Gesichte, und lustig pfeifend ging er den Ställen zu. Er dachte, ein solch Weibchen sei doch kommod und rar, fleißig und lustig, immer mehr gemacht, als man gedacht, und immer gute Worte und ein hell Gesicht, daß man auch ein solches machen müsse, man möge wollen oder nicht.

«Was hat er gesagt?» frug droben die Base. «Augen hat er gemacht wie Pflugsräder und weiß noch jetzt nicht, ists mit rechten Dingen zugegangen oder nicht. Aber Gottlob zufrieden ist er, und das ist die Hauptsache,» antwortete Vreneli.

Es steht einem Bauernhause nichts schlechter an, als wenn abends, wenn Feierabend gemacht ist, oder Sonntag mittags oder an einer Sichelten die Leute stundenlang herumlungern müssen, ehe sie zum Essen gerufen werden. Es gibt Häuser, in welchen dieses Verspäten regelmäßig ist. Die Weiber in diesen Häusern müssen eine wahre Hausplage sein, es nimmt einem recht wunder, was die für ein Eingericht in ihrem Kopf haben und was sie auch denken? Wahrscheinlich werden sie erst das Roß beim Schwanz zäumen, dann lange es betrachten hinten und vornen, endlich wird es ihnen langsam kommen: eigentlich zäume man ein Roß beim Kopf und nicht beim Schwanz, und dann wird es ihnen kommen und wiederum langsam, das Beste wäre, sie täten den Zaum hinten wegnehmen und brächten ihn nach vornen, dann endlich schreiten sie zur Ausführung dieser Einsicht, aber langsam, begreiflich. Was während dieser Zeit in den Magen und Köpfen der hungrig Harrenden vorgeht und zwar nicht langsam, daran zu denken haben sie nicht Zeit, begreiflich. Eigentlich wäre es interessant zu untersuchen, ob solche Weiber wirklich denken? Wir glauben, sie bringen es höchstens nur zu einem Quasidenken und auch dieses nur ein- oder zweimal des Jahres, etwa wenn sie den Schneider ins Haus kriegen oder Schweine zu ringen sind.


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