Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Wie die Welt im Argen bleibt und gebesserten Menschen es gut geht mitten in der argen Welt

Als die Leute vernahmen, daß Uli frisch gepachtet und gut und welche Freude darüber gewesen sei auf der Glungge, da wunderten sie sich sehr. Anfangs hatten sie Mitleid gehabt mit Uli und gedacht, der wüste Mann werde ihn handlich plagen, er könne sie übel erbarmen; verdient hätte er es nicht, wenn er schon einige Zeit von dem Kraut, welches nichts koste, man nenne es Hochmut, wohl viel gehabt.

Als sie nun aber vernahmen, daß es umgekehrt gegangen, Uli besser zweg sei als vorher, ja daß Hagelhans gar noch Vetter sei und Götti von einem Kinde, da hielten sie alles für ein abgeredet Spiel, um Joggelis Kinder und Kindeskinder zu verstoßen. Ob es so sei oder nicht, untersuchte man begreiflich nicht, sondern man hielt es einfach für grimmig schlecht. So viel Gutes sie dort genossen und die Alte ihnen mehr getan als den eigenen Kindern, und jetzt es ihnen so machen, wo sie in der Not seien, das sei über das Bohnenlied. Da könne man wieder sehen, wie schlecht die Welt werde und daß gar keine Religion mehr sei; ehedem hätte sich der schlechteste Hund geschämt, so was zu machen.

Als man nun gar sah, wie Hagelhans oft auf die Glungge kam und wie da eine Einigkeit war, die Kinder dem Alten nachliefen, der Alte kein Geld sparte zu allerlei dem Hofe vorteilhaften Arbeiten, Uli Geld hatte und seinen Viehstand ordnete, wie er ihm am vorteilhaftesten war, da ward es den Leuten gar zu kraus. Sie rührten im Moder der Vergangenheit, rührten halbverweste Bruchstücke herauf aus der Vergangenheit, setzten daraus grausame Geschichten zusammen, daß einem die Haare zu Berge stunden, und flochten daraus Verhältnisse, alte und neue, zwischen Hagelhans und Vreneli, an denen niemand hätte Freude haben sollen als höchstens der Teufel. Und doch hatten gar viele Leute Freude daran und unter andern auch die, welche so bitter klagten, wie die Welt immer schlimmer werde.

Am bittersten mißgönnten begreiflich Elisi und Trinette Vreneli ihr sogenanntes Glück, das heißt daß sie die Pacht wieder hatten und da im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen durften. Hätten sie gearbeitet und geschwitzt wie Uli und seine Frau, sie besäßen den Hof noch eigentümlich und nicht bloß das Recht, ihn zu bearbeiten; aber so weit denken solche Weiber nicht. Je weniger sie taugen, je tiefer sie in selbstverschuldetes Elend sinken, desto giftiger nagen in ihren Herzen Neid und Rache, Haß und Zorn; das sind die Schlangen, welche schon hienieden die Herzen zu Höllen machen, während sie Tempel des Friedens Gottes, der über allen Verstand geht, sein könnten.

Sobald Elisi das Gebräu der Leute zu Ohren bekommen, machte es sich auf die Füße, um Vreneli alles, was es wußte, in die Nase zu reiben. Elisi hatte begreiflich den Verstand nicht, zu begreifen, daß durch Hagelhanses Dazwischenkunft ihm einige tausend Gulden zugut kamen, sondern bloß den Sinn, Vreneli so weh als möglich zu tun, weil Vreneli auf der Glungge bleiben konnte und Elisi nicht.

Doch, wie es geht in der Welt, die Sache ging ganz umgekehrt, als Elisi gedacht. Vreneli war von früh an gewohnt, Elisi zu ertragen, alle seine Tücken und Bosheiten mit Gelassenheit geschehen zu lassen, ohne sich viel darum zu kümmern. Freilich hatte es Vreneli viel gekostet, ehe es zu dieser Gelassenheit gekommen war. Solange Elisi im Glück war, mußte Vreneli von Zeit zu Zeit neu ansetzen, dieselbe sich zu bewahren; nun, da Elisi im Unglück war, ward es Vreneli leicht, in Geduld anzunehmen, was Elisi tat und sagte, und je ärger es es trieb, desto größer war sein Erbarmen mit der unglücklichen Person. Wer drinnen sei wie Elisi, der Mann mit dem Schelmen davon, der größte Teil des Vermögens drauf, einen Rudel Kinder ohne Zucht und Hoffnung, sei geschlagen genug, sagte es. Wenn man Verstand habe und Gottvertrauen und den Leuten lieb sei, so mache sich alles; man habe Trost in Gott, Hülfe von guten Leuten und Hoffnung auf die Zukunft. Aber wo weder Verstand noch Liebe, weder Religion noch Kraft sei, da sei der Mensch geschlagen und ohne Hoffnung weder für die Erde noch für den Himmel. Und wenn der Mensch noch so boshaft, neidisch, zänkisch sei, dann mache er sich zu allem andern noch ein schwer Leiden selbst, dazu alle Leute bös, daß er das Schlimmste gewärtigen müsse von ihnen.

Das ist eben die Weise der edlern Naturen, daß das Unglück ihnen die Personen heiliget, wie widerwärtig sie an sich auch sein mögen, so wie den Muhammedanern die Wahnsinnigen heilig sind. Umgekehrt haben es die gemeinen Naturen, für das Edle haben sie keinen Sinn; ists im Glanze, kriechen sie vor ihm im Staube und lecken ihm die Füße, ists im Unglanz, werfen sie es mit Kot, treten sie es mit Füßen. Vide Weltgeschichte bis auf die allerneuste Zeit! Vreneli dachte bei Elisi immer: Vater, vergib ihm, es weiß nicht, was es tut.

Was Vreneli schmerzte, war das Benehmen der Leute überhaupt. Mißgunst trat überall zutage, und diese erzeugte das heilloseste Streben, für edles Handeln schlechte Gründe zu ergrübeln. Das ist eine heillose Weise, die, wenn sie dem Tun nichts anhaben kann, demselben einen schlechten Sinn unterschiebt. Diese Weise vergiftet das Leben der edelsten Menschen, zerstört Erfolge, lähmt alle, welche über das Urteil der Menge sich nicht erheben können. Vreneli war sich so klar bewußt, jedermann das Glück zu gönnen, mit beiden Händen und ganzem Gemüte bereit zu sein, Anderer Glück zu fördern und ihr Unglück zu wenden, und hatte davon so manchen Beweis geleistet, daß es ihm wirklich wehe tat, diesen Sinn der Welt in all seiner Bitterkeit erfahren zu müssen. Indessen will es Gott so und es ist gut so; das sind die kühlen, frostigen Frühlingswinde, welche den zu raschen und zu üppigen Aufwuchs der Pflanzen, welcher denselben so gefährlich ist, hemmen. Dieses Sumsen und Reden soll den Christen demütig bewahren, daß er sein Glück nicht als ein verdientes betrachtet, sondern als einen Segen Gottes. Um Gottes willen soll er nach seinen Fehlern und Flecken spähen, sie ausreißen und ausreiben mit schonungsloser Hand, und gälte es das rechte Auge und wäre es die rechte Hand, an welcher das Ärgernis klebte, damit die Menge nicht sage, Gott teile seinen Segen blindlings aus, sei darin den Großen der Erde gleich, welche sehr oft ihre Gnaden an die Unwürdigsten verschwenden. Um Gottes willen soll er sich als einen Verwalter der Gaben Gottes betrachten und treu sein, soll durch Güte und Milde versöhnen, soll feurige Kohlen sammeln auf der Feinde Häupter, soll zeigen, wie der Christ das Sprüchwort «Es gibt keine Schere, die schärfer schiert, als wenn der Bettler zum Bauern wird» Lügen strafet. Der Christ wird nie hochmütig, schämt sich nie derer, welche früher seinesgleichen waren, verleugnet sie nicht um so greller, je mehr er fürchtet, man möchte seiner Herkunft gedenken und die frühern Genossen ihm vorwerfen; im Gegenteil, um so mehr Erbarmen hat er mit denen, deren Schmerzen er aus eigener Erfahrung kennt, und um so brüderlicher hält er Herz und Hand offen, je tiefer er fühlt, daß Gott ihn zu einem Werkzeuge erwählet und den wahren Lohn ihm nach der Treue zumißt, in welcher er in seinem Amte steht.

Wären nun die Emporkömmlinge Christen auf diese Weise, demütig statt hochmütig, milde statt hart, dann würden sie nicht bloß die Menschen versöhnen mit sich, sondern es würde auch Mancher denken: An dem habe ich mich versündigt, habe Schlechtes von ihm geredet, ihn nicht bloß verurteilet, sondern leichtfertig und unverhört ihn verdammt, und mit welchem Maße ihr messet, mit diesem soll euch wieder gemessen werden, heißt es ja. Ein andermal werde ich anders sein, mich nicht ärgern an Gottes Güte, die er über Andere ausgießt, dem Kain gleich, mich nicht versündigen an Andern durch ein lieblos Verdammen, um nicht selbst verdammt zu werden.

Vreneli suchte diese Versöhnung, und zwar nachhaltig und standhaft. Es meinte nicht, daß wenn es einmal einer armen Frau ihr Säcklein gefüllt, mit einer andern freundlich gesprochen habe, nun alles gut sein solle, alle Mäuler umgewandelt, nun nichts mehr als Lob und Preis allenthalben. Für Schlechte schlägt die öffentliche Meinung plötzlich um von einer Stunde zur andern, macht Purzelbäume, die schrecklich sind; ins Gute aber wandelt sie sich langsam um, und wenn man meint, jetzt sei alles wieder gut, so reibt einer die alten Flecken wieder auf, macht neu den Verdacht, und lange geht es wieder, bis Achtung und Vertrauen sich wiederum eingestellt.

Was Vreneli seine Langmut erleichterte, war der Friede und das Behagen, welche sich bei ihnen eingestellt. Uli war ein Anderer geworden. Den alten heitern Sinn und die emsige Rührigkeit hatte er wieder, verband sie aber mit Ruhe und Besonnenheit. Da war keine Ängstlichkeit mehr, kein Zappeln und Hasten; er meinte nicht, daß heute alles gemacht sein müsse, als ob morgen kein Tag mehr sei, zog dem Himmel keine schiefen Gesichter mehr, wenn es nicht regnen wollte, wenn Regen Uli passend dünkte. Er hatte in sich die Ergebung gewonnen, welche es nimmt, wie Gott es gibt, welche macht, was sie kann, aber nie meint, dieses oder jenes müsse so und nicht anders gehen, müsse erzwungen sein. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß wo der Herr nicht das Haus behütet, umsonst die Bauleute arbeiten, wie wenig früh Aufstehn und spat Niedergehen und sein Brot mit Sorgen Essen helfen, wenn der Herr nicht dabei ist mit seinem Segen. Zum Innern kam dann auch das Äußere, welches alleine aber nie die Ruhe gibt ohne innern Grund. Er konnte sich wieder helfen mit dem Gelde. Flut und Ebbe wechselten nicht so, daß alles, was eingegangen, wieder abfloß, es blieb wieder etwas zurück, setzte sich so gleichsam festes Land an, auf welches er mit immer größerer Sicherheit seinen Fuß stellen konnte. Es schien, als ob der Hof ersetzen wolle, was Uli eingebüßt, als ob er vergelten wolle, was Uli an ihm tat.

Zudem half Hagelhans, der immer öfter da war, mit gar manchem nach, fast unvermerkt. Es tut einem Hof bald dies, bald jenes not oder täte ihm wohl, aber niemand will es machen. Der Pächter scheut die Ausgabe oder denkt, wenn er von der Pacht müsse, entschädige ihn niemand. Der Besitzer denkt: ich kriege gleich viel Pachtzins, sei das gemacht oder nicht gemacht, schiebt die Arbeit auf von einem Jahr zum andern Jahr oder schlägt gar sie ab. Es gibt keine Form des Pachtakkordes in der ganzen Welt, wo solche Nachteile, die erst der Pächter leidet, welche aber später auf den Besitzer zurückfallen, vermieden werden können. Von Joggeli hatte Uli gar nichts mehr erhalten können, er selbst hatte es je länger je weniger vermocht; jetzt griff Hagelhans mit beiden Händen zu, daß es Uli manchmal graute und er sagte: Es dünke ihn, mit dem könne man noch warten bis das andere Jahr, es sei schon so viel geschehen, und zu viel möchte er ihm doch nicht zumuten. «Wenn ich es zahle, was geht es dich an?» fragte Hagelhans. «Warum aufs Jahr versparen, wozu jetzt Geld und Wille da sind?» Das waren zwei schlagende Gründe, gegen welche nicht viel zu sagen war.

Nur am Hause selbst wollte er nicht reparieren, nur das Nötigste in den Ställen und an den Bschüttilöchern. Was man an die alte Hütte wende, sei verloren, sagte er. Er hatte immer fester einen Neubau im Kopf; hier aber stieß er auf Vrenelis Willen, welches nichts weniger als diesem geneigt war. Vreneli hatte eine große Gewalt über den Alten; es herrschte zwischen ihnen die Traulichkeit, wo Vrenelis ganzes Wesen in Ernst und Scherz seine Macht üben konnte. Es suchte ihm das Bauen auszureden, und als das nicht möglich war, doch Zeit zu gewinnen. Die Gründe, wie lieb ihm das alte Haus sei, wie es in einem neuen sich nicht zu gebärden wüßte, wie es sich für einen Pächter nicht schicke, in einem solchen Hause zu wohnen, und ihm viel Kosten nach sich ziehe, ließ er nicht gelten. Hingegen leuchtete ihm das ein, daß wenn man zu rasch baue, man schlecht baue, und daß allemal das Land das Bauen entgelten müsse, denn während man baue, richte man sein Augenmerk auf den Bau, brauche den Zug für das Bauen, und gröblich werde das Land vernachlässigt. Es wäre daher zehnmal besser, man setze erst das Gut recht in Stand, führe nach und nach in müßigen Zeiten das nötige Material herbei; so komme man vor und nach mit allem zurecht, keines schade dem andern und der Pächter laufe nicht Gefahr, sich und seinen Zug zugrunde zu richten. Es müsse sagen, es würde ihm Kummer machen für Uli, wenn er wieder so in ein Gewirre hineingestoßen würde. Derselbe habe gar ein ängstlich Gemüt; wenn man ihm schon jetzt nichts anmerke, so könnte so leicht es ihm wieder kommen, wenn man ihn in Versuchung führe, ehe er so recht erstarket sei.


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