Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Drüben ging ein tapferer Lärm an. Erst biß der Baumwollenhändler nach dem Schwager, was er ihm nachzulaufen habe, darauf fertigte Johannes den Schwager grob genug ab. Darauf manöverierten Beide gegen Uli. Erst kamen sie mit Manier und wünschten auf Abschlag so viel Geld, als er im Hause hätte, es sei des Vaters Wille und Begehr, daß er gebe. Da komme er schön in die Klemme, dachte Uli, der Alte stelle ihm zum Ausessen die Suppe dar, welche er selbst nicht möge. Uli entschuldigte sich, er habe nur das nötigste Geld für die Hauskosten bei der Hand, am Zins könne er nichts machen; er habe ein böses Jahr gehabt, Mehreres ausstehen, Anderes nicht verkaufen können, so sei es ihm unmöglich, ihnen mit Geld an die Hand zu gehen. Nun redeten die Beiden erst von Lumpenware und Hudelbuben, so komme man dran, wenn man Leute von der Gasse nehme, da hätte man keine Sicherheit, die machten sich nichts daraus, mit dem Schelmen davonzugehen. Das kam Uli über den Magen. Wenn es mit dem Schelmen davongelaufen sein müsse, so sei er in alle Wege der Letzte von ihnen Dreien, welcher laufe, sagte er. «Zuletzt,» sagte der Tochtermann, «ist das ein abgeredet Spiel, sie stecken Beide unter einer Decke. Es war schon lange der Gebrauch hier, die Kinder zu betrügen zum Besten von Lumpenpack, welches uns unsere Sache abstiehlt. Laß sehen, du Hagels Lehenmannli, jetzt gib Bescheid, kurz, Ja oder Nein. Hast bezahlt oder nicht bezahlt? Wir wollen wissen, woran wir sind.» Uli stutzte, sagte aber bald, mit ihnen hätte er nichts zu tun; ob er bezahlt habe oder nicht, gehe sie nichts an, sie sollten ihre Wege gehen, ihn ruhig lassen, die Sache mit ihrem Alten ausmachen.

Johannes hätte beinahe an Uli seine Kraft versucht, denn von einem Fremden lasse er sich aus seinem Hause weder stellen noch weisen, sagte er. Aber Uli sagte, er gedenke weder das Eine noch das Andere zu tun, aber plagen um etwas, welches sie nichts anginge, lasse er sich ebenso wenig, und wenn sie nicht gingen, so ginge er. Da sagte der Tochtermann: «Zanken mit dir wollen wir nicht lange, aber zähl darauf, innerhalb einer Stunde wissen wir, woran wir sind, und wollen dich dann in den Schraubstock spannen, daß du nach Gott schreien lernst. Du sollst es erfahren, wie es so einem vierschrötigen Kuhstrumpf ergeht, der sich einfallen läßt, Leute von unserm Schlage zum Besten haben zu wollen. Warte nur, Bürschli, du wirst froh sein, andere Saiten aufzuziehen.» Darauf ging er ab, husch Johannes ihm nach.

Das Horchen ist auf dem Lande nicht halb so verpönt als in den Städten. Man hat meist vergebene Mühe, wenn man Mägden das Schmähliche, welches darin liegt, begreiflich machen will. Weiber behaupten förmlich das Recht dazu zu haben, so gut als zum Schlüssel zum Bureau, denn wo Zwei Eins sein sollen, wie sollte da ein Geheimnis zwischen ihnen sein können! So hatte auch Vreneli gehorcht, und als die beiden Unholde abgefahren waren, kam es mit der Frage auf Uli zu: «Du hast doch eine gesetzliche Quittung?» «Nein,» sagte Uli, «Joggeli hatte nicht Stempelpapier, und seither ging die Zeit herum, ich wußte nicht wie, und daran mahnen durfte ich ihn nicht.» «Du bist doch ein Tropf, nimm es mir nicht übel! Aber gehst, sagst, du habest nicht bezahlt, hast keine Quittung in Händen, und Joggeli ist Joggeli, du solltest ihn doch kennen. Was die jetzt mit ihm anfangen und wozu sie ihn nötigen, das weiß Gott. Achthundert Taler ohne den Zins für die Schatzungssumme kannst du verklappert haben mit einem Worte.» Da ward es Uli katzangst, sein Mund tat nichts als donnern, auf der Stelle wollte er hinüber. «Nein,» sagte Vreneli, «jetzt gehst nicht, mache dich nicht selbst zuschanden! Ich gehe zur Base, daß sie aufpasse, was vorgeht; sie läßt uns nicht betrügen, und ists nötig, kann sie dich rufen.»

Als die Base hörte, worum es sich handle, entrannen ihr aber einige herzhafte Seufzer über das Mannevolk, wo Keiner was rechts, sondern wer nicht Esel, Schelm sei, und sagte: «Sei nur ruhig, denen will ich den Marsch machen, daß es eine Art hat. Aber sage Uli, ein Lümmel sei ein Lümmel, und wenn er einer bleibe, so könne er sich und Andere plagen mit Arbeit und Sparen und doch zuletzt im Winter barfuß laufen und ein schön Liedlein pfeifen, statt eine warme Suppe essen.» Alsbald begab sich die Base auf die Lauer und vernahm an der Türe, wie der Tochtermann vorbrachte: Sie müßten allerdings glauben, der Zins sei nicht bezahlt, ob mit Gutheißen vom Schwäher oder nicht, sei ihm gleichgültig, er verlange bloß eine Anweisung auf Uli, er wolle dann sehen, ob er Geld kriege oder nicht, er kenne solche Geschäfte. Johannes ging plötzlich ein Licht auf, es war das erstemal, daß er eine Art Respekt vor dem Schwager kriegte. Er wolle auch eine, brüllte er, der Teufel solle ihn lotweise zerreißen, wenn er vom Platze gehe, ehe er eine hätte. Erst weigerte sich Joggeli mit allerlei Ausflüchten, als aber die Andern immer heftiger in ihn drangen, ward sein Widerstand schwächer. Die Base an der Türe dachte: Was Tüfels ist ihm aber in Sinn gekommen. Er ist Hunds genug, er tuts. Richtig, endlich ging Joggeli nach Tinte und Papier und suchte die bessere Brille, welche er seither angeschafft hatte.

Da tat sich die Türe auf, die Base trat ein. Es verzogen sich ärgerlich oder verlegen alle Gesichter, sie aber ließ sich dies nicht anfechten, sondern sagte, es nehme sie wunder, was es gebe und was da geschrieben werden solle? Sie mußte zweimal fragen, da munkelte Joggeli: «Nicht viel anders.» Der Tochtermann aber sagte: «Der Vater sieht ein, was recht ist, und tut, was der Brauch ist. Es ist in allen vornehmen Häusern der Fall, daß die Eltern, wenn sie alt werden, nicht mehr kapitalisieren, sondern ihre Ersparnisse den Kindern austeilen, weil jüngere Leute das Geld besser zu nutzen verstehen. Da will der Vater so gut sein und uns Anweisungen auf den rückständigen Pachtzins geben.» «Welch rückständigen Pachtzins?» frug die Base. «Geh, Frau,» sagte Joggeli, «laß uns machen, die Sache ist bald richtig, mach daß wir dann was zu essen und zu trinken haben.» «Essen und Trinken ist da und die Sache ist richtig, denn du schreibst die Anweisungen nicht,» sagte die Base. Joggeli wollte ihr zublinzen, der Tochtermann sagte: «Aber Mutter, wollt Ihr denn wüster gegen uns sein als der Vater? Ihr waret sonst Eurer Kinder Stütze, und jetzt redet Ihr wider sie. Warum wollt Ihr uns z'böst sein? Was haben wir Euch zuwider getan?» «Warum? Darum,» sagte die Base, «weil der Zins bereits bezahlt ist, ihr ein Hudel- und Schelmenpack seid, Alt und Jung, und ich nicht zugeben will, daß unter meinem Dache solche Schelmenstücke verübt werden.» «Mutter, das sind Flausen», sagte der Tochtermann, «der Pächter hat selbst gesagt, er habe den Zins nicht bezahlt, und so was sagt man sonst nicht, wenn es nicht wahr ist. Er zeige uns die Quittung, wenn wir es glauben sollen; der Vater würde auch nicht Anweisungen schreiben, wenn der Zins bezahlt wäre, so schlecht ist der Vater nicht.» «Was er ist, das weiß ich nicht,» sagte die Base, «aber der Sache will ich ein kurzes Ende machen, schreibt dann meinethalben Anweisungen ein ganz Fuder voll.»

Rasch ging sie zum Bette, warf den untern Teil auf den obern zurück, zog aus dem Strohsack einen schweren, klingenden Beutel, den sie kaum heben mochte, sagte, das sei die rechte Quittung, und wenn die sei, wo sie hingehöre, so werde die Sache sich schon machen. Ehe die Andern recht wußten, was geschah, war sie zur Türe hinaus. Unter der Haustüre sah sie Vreneli, welches aufgepaßt hatte, stellte den Beutel ab und winkte. Rasch war es drüben. «Nimm, lauf, der Atem fehlt», sagte die Base. Vreneli nahm, lief und war in ihrem Hause, ehe die Andern sich gefaßt hatten und nachgestolpert kamen. Nun, das Ende vom Liede war, daß Joggeli wieder um den größten Teil des Geldes kam.

«Aber Base,» sagte Vreneli, «ist der Vetter wirklich so schlecht, daß er begehrte, arme Leute um Hab und Gut zu bringen, ihr Eigentum ihnen abzuleugnen?» «Nein, so schlecht ist er nicht,» sagte die Base, «aber so ist er, daß er alles macht, um das Unangenehme von sich ab und auf Andere zu wälzen, und wenn dann was Schlechtes daraus entstünde, so würde er sagen, er vermöge sich dessen nicht, sondern der oder jener sei schuld daran. Warum habe zum Beispiel Uli selbst gesagt, er hätte den Zins nicht bezahlt? Dazu habe ihn niemand gezwungen, ihm hätte es in Sinn kommen sollen, was daraus entstehen könne; er mische sich nicht darein, die Andern, wo was mit einander hätten, könnten es ausmachen.» «Aber Base, ist das recht?» fragte Vreneli. «He, das weißt,» antwortete dieselbe, «aber ists gescheut von Uli, keine Quittung zu haben und zu sagen, er habe nicht bezahlt? Gefälligkeit hin, Gefälligkeit her, Wahrheit ist Wahrheit; er sollte sich doch nicht in Sachen einlassen, welche er nicht versteht und von denen er nicht weiß, wie weit sie gehen. Mit solchen Lumpensachen kann man nicht bloß um Hab und Gut, sondern auch um den ehrlichen Namen kommen.» «Base, Ihr habt recht und mir macht solches Kummer; Uli möchte gerne der Gute sein, läßt sich gerne zum Großen machen, und je schneller er reich wäre, desto lieber hätte er es. Es scheint mir oft, der Teufel habe eine Angelschnur mit drei Haken nach ihm ausgehängt, an welcher er noch hängen bleibt, weiß Gott. Base, ich habe einen Kaffee gemacht, bleibt bei mir; drüben habt Ihr doch böse Gesichter, hier möchte ich Euch zu hunderttausend Malen danken, und Uli hätte auch Ursache dazu.» «Nein, muß hinüber, gucken, was es gibt, schlimm wird es nicht gehen. Ich habe ein gut Gewissen, sie böse, ich mache ein keck Gesicht, und sie wissen nicht, welche sie schneiden sollen. Wenn ich komme, so werden sie lange schweigen, endlich viele Redensarten ins Feld führen, wie sie ja keinen Betrug im Sinne gehabt, und wenn ich das erstemal hinausgehe, kömmt mir Johannes nach und sagt: Mutter, du bist immer die Beste, hättest mir nicht noch einen schönen Kram für Trinette, das Pflaster?»

Kaum hatte der Johannes gemacht, wie die Mutter es vorausgesagt, kam der Tochtermann, hätte die Mutter gerne gestreichelt und gehätschelt, wenn sie nicht drei Schritte rückwärts gegangen wäre, und sagte, ob sie ihm nicht was Gutes hätte für Elise: einen Schinken, eine Wurst, Käse, Butter usw.; Elise liebe derlei Dinge sehr und er gönne sie ihm von Herzen, zuweilen sei sie etwas wunderlich, aber er habe die Hoffnung, mit Ernst sei sie ganz zu kurieren. Ernst sei gut, sagte die Mutter, aber mit der Fünffingerkur solle er nicht mehr probieren, in St. Gallen oder wo er daheim sei, die Menschen noch halb wild seien, da sei sie vielleicht gut, aber im Bernbiet schlage sie schlecht an, man nehme sie von der Regierung nicht an, geschweige denn so von einem halbbaumwollenen Mannli. Probiere sie eine Regierung, so könne sie darauf zählen, ehe ein Jahr umgehe, liege sie im Graben. Aber das gutmütige Wesen tat ihr doch wohl, der Tochtermann ging auch bei ihr nicht leer aus. In Gottes Namen, dachte sie, Elisi hats desto besser, und daß ich an nichts schuld sei, will ich nicht sagen. Wir möchten einen hohen Preis auf die Beantwortung der Frage setzen, wie arm eine Mutter sein müsse, daß sie für das Kind, welches ihr oder für welches man ihr ans Herz klopfe, nichts mehr zu geben habe.

Vreneli suchte den Zuspruch der Base Uli beizubringen, aber er war nicht mehr empfänglich dafür; er sah den Fehler selten mehr auf seiner Seite, war in einen Widerspruchsgeist hineingeraten, der schwer zu bekämpfen ist, wo er sich einmal eingebürgert hat. Es sei böse, wenn man nicht mehr den Nächsten trauen könne, sagte er, übrigens sei die Geschichte lange nicht so gefährlich gewesen, wie sie ausgesehen. Joggeli habe nur die Beiden vom Halse schaffen, Ruhe haben wollen, wenn sie fortgewesen, hätte er ihm die Quittung gegeben; wenn auch das nicht, so wäre die Sache, wenn sie zum Prozeß erwachsen, bald aus gewesen, so viel kenne er von der Sache. «Uli, das glaube doch nie,» sagte Vreneli, «die Prozesse kriegen eigene Köpfe, laufen meist ganz anders, als der Mensch in seinem Kopfe gehabt. Was man sich ganz kurz gedacht, wird lang, lang, länger als ein Bandwurm, und nimmt kein Ende. Vor den Prozessen muß man sich hüten, wahr sein, lauter, in keine Kniffe und Anschläge sich einlassen, alles rund abmachen. Ist man einmal darin, ist man auch nicht mehr Meister.» «Man kann nicht vor allem sein,» sagte Uli, «ungesinnt wird man in einen Prozeß verflochten, und wenn man zu allem Ja sagen wollte, was Andere vorsagen, käme man lustig weg.» «Ja,» sagte Vreneli, «vor allem kann man nicht sein, aber vor dem hättest sein können, und gerade das war so eine Geschichte, welcher man hätte eine Nase drehen können, wie man sie haben wollte. Wenn die Beiden geschworen hätten, du hättest selbst gesagt, du seiest den Zins noch schuldig, was meinst dann?» «Ah bah, das verstehst du nicht,» sagte Uli und ging weiter.


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