Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Es war aber sonderbar, bei Vreneli wollte die Drucke mit den lustigen Geschichten nicht aufspringen, obgleich es auch eine hatte und zwar eine große und wohlgefüllte. Wenn den Andern die Lachtränen die Augen füllten, waren die seinigen auch voll, aber eine unerklärliche Wehmut hatte sie heraufgetrieben, und wenn die Base bat, man möchte um Gottes willen schweigen, das Lachen versprenge sie sonst, hätte es auch so bitten mögen, aber aus dem entgegengesetzten Grunde. Die Wehmut stieg ihm auf, es wußte nicht woher, warum. Als sie da war, machte es entsprechende Gedanken hinein, wie ein Lehrer Buchstaben oder Zahlen auf eine schwarze Tafel oder eine Dame Menschen, Vieh und sonst allerlei auf sogenanntes Beuteltuch, ein gelöchert Zeug, welches vornehme und andere Damen mit schönen Dingen flicken. Nicht unkommod wäre es für manchen Mann, wenn seine gelöcherten Strümpfe zuweilen geflickt würden und nicht einmal mit schönen Dingen, sondern mit simplem Baumwollengarn oder ebenso simplem flächsernem Faden. So machte Vreneli sich auch Gedanken und dachte: Es sei doch eigentlich nicht recht, an einem Tauftage so liederlich und lustig zu sein, das sei keine Weise für ein christlich Kind zu einem christlichen Leben. Wenn das lustige Leben dem Kinde nur nicht angetan werde, daß es auch meine, es müsse sein Lebtag so zugehen in Saus und Braus, in Lust und Lachen. Vreneli war himmelweit von einer Kopfhängerin, aber Vreneli war ein Weib, welches was auf Ahnungen hielt und meinte, man könnte sich versündigen, dieses oder jenes könnte einem nachgehen und die Sünden der Eltern kämen bis in das zweite und dritte Geschlecht. Es war weit entfernt zu glauben, man sollte an einem Tauftage nicht fröhlich sein, nicht was Gutes essen und trinken, aber doch alles so in einer ehrbaren Gsatzlichkeit, so daß man der ganzen Gesellschaft es ansehe, daß sie Christen seien und zur Ehre Gottes gleichsam essen und trinken täten und nicht so wie eine liederliche Wirtshausgesellschaft, welche keinen andern Zweck hat, als sich lustig zu machen. Es wußte der Sache eigentlich keinen rechten Namen zu geben, und es wäre in große Verlegenheit gekommen, wenn es hätte beschreiben sollen, was ihm nicht recht sei und wie es es eigentlich haben möchte.

Nur eines wars, was es bestimmt nennen konnte und um welches endlich alle seine Wehmut zusammenlief und sein Glaube, daß man sich versündige und das Kind es einst büßen müsse, sich klammerte, und zwar Folgendes. Als es später war und die Schmiedin von Aufbrechen sagte, was bekanntlich immer eine geraume Zeit vor dem wirklichen Aufbruch geschieht, sagte der muntere Wirt: Man solle noch warten, er hätte da noch was, das müsse man versuchen, dann wisse man erst, was Wein sei. Er zog nun Champagnerflaschen hervor, welche er unvermerkt herbeigeschmuggelt hatte. Nun wehrte man von allen Seiten, er solle doch nicht aufmachen, man hätte bereits zu viel getrunken und was er doch denke, so köstlichen Wein! Eben, sagte er, müsse man den trinken, wenn man vom andern genug hätte, der mache einem dann ganz wohl wieder und leicht, daß es einem dünke, man möchte fliegen. Und als man von den Kosten sagte und wie solcher Wein nicht in ein Bauernhaus gehöre, so sagte er: Darüber sollten sie sich keinen Kummer machen, allweg koste er sie nichts, ihn hätte er auch nichts gekostet oder doch nicht viel. Er hätte in Frankreich einen guten Freund, einen ganz charmanten Herrn, einen so freundlichen, der gemeinste Bauer könnte nicht so gemein sein mit allen Leuten. «Wenn er zu uns kommt, so ißt er, ihr mögt es glauben oder nicht, mit uns an einem Tische, wo die Kinder essen und Knechte und Mägde. Dem komme ich manchmal kommod, er handelt mit Kühen, Rossen, Kirschgeist, kurz mit vielen Sachen. Es ist ein gar grausam vornehmer Herr» (die Base flüsterte Vreneli, der und der Tochtermann werden einander wohl kennen), «aber nicht ganz fest mit der Sprache, da muß man ihm zuweilen zurechthelfen. Die Leute sind gar unverschämt, man glaubt es nicht, und wenn sie ihn betrügen könnten, sie täten es, und noch dazu Leute, man glaubt es nicht. Aber das tue ich nicht und das sieht er wohl und erkennts auch. So schickt er mir alle Jahre was Gutes und dieses Jahr einen Korb Champagner. Man hat ihn in Körben, der Korb enthält fünfzig Flaschen, und ihr mögt es mir glauben oder nicht, drinnen angenommen, kostet die Flasche geringsten zwei Gulden. Es ist aber auch Wein, der König in Frankreich wäre froh, wenn er solchen kriegte. Aber er kriegt ihn nicht, der wird heillos betrogen, der Herr hat es mir erzählt. Dieser Wein sei nur für gute Freunde, hat mir der Freund gesagt. Auf meine arme teure, wenn er zu uns kommt, er klopft mir den ganzen Tag auf die Achsel, und wie oft er mir ‹mon ami›, das ist auf deutsch ‹mein guter Freund›, sagt, könnte kein Mensch zählen.» Beiläufig gesagt war an der ganzen Geschichte nicht ein wahres Wort. Jedenfalls war der Wein nicht aus Frankreich, sondern aus dem Waadtlande, wo man auch Champagner fabriziert, aber Champagner, der so schwer im Kopfe liegt wie dreijähriges Sauerkraut im Magen. Nun aber war es gar schön, wie der Wirt mit der Flasche umging, mit welchem schmunzelnden Behagen er zeigte, wie die zugemacht sei. Und dann werden sie noch was hören, sagte er. Bedenklich ward sein Gesicht, als der Pfropf gelöst, es ans Knallen gehen sollte, aber es lange zweifelhaft blieb, ob es wirklich knallen werde oder ob es nur eine der vielen Waadtländer Flaschen sei, welche ein Gesicht machen, als ob sie knallen könnten, und am Ende doch nicht knallen. Doch endlich sprang der Pfropf, es knallte wirklich, ja, und mit glücklichem Gesichte sah der Wirt rundum, stillschweigend fragend: «Habt ihr je so was gehört?» Und mit großem Behagen führte er sich alle Verwunderung zu Gemüte, welche er auf den Gesichtern sammelte, und prägte sie tief in sein Gedächtnis, um gelegentlich sie hervorzunehmen und zu zeigen, wie die Verwunderung aussehe, welche man einmal in einem Bauernhause gemacht, als er Champagner habe springen lassen.

Das nun schmerzte Vreneli sehr, daß man am Tauftag seines armen Bubli solch köstlichen Wein trinke, zwei Gulden die Flasche, von dem man sagte, daß ihn der König von Frankreich nicht einmal so trinke. Das arme Kind vermöge sich dessen nichts, und doch werde es diesen gottlosen Aufwand mitbüßen müssen, denn Hochmut komme vor dem Falle. Sie hätten kein Vermögen, die Andern nicht viel mehr, und da könne man doch denken, ob das gut kommen könne, wenn solche Leute solchen Wein trinken wollten, wo sie ja nicht einmal den Verstand hätten, zu wissen, ob er gut sei oder nicht. «Wenn bei Leuten, wie wir sind, solch Aufwand getrieben wird, was sollen erst die Leute anfangen, welche tausendmal reicher als wir sind? Einer, der mit solchem Weine kömmt, dem fehlt es entweder im Kopf oder es weiß der Teufel, was er im Sinn hat, allweg nichts Gutes, und wir können den verfluchten Wein vielleicht einmal noch ganz anders bezahlen als zu zwei Gulden die Flasche.» Es fand auch den Wein bitter, ganz abscheulich, während die Andern ihn nicht genug rühmen, freilich heimlicher unwillkürlicher Grimassen sich nicht enthalten konnten. Es ist allenthalben Sitte, gut zu finden, was kostbar ist, und schlecht, was wohlfeil ist und was man alle Tage haben kann. Darum sind so schrecklich viele Leute so schrecklich unglücklich, dieweil sie so schrecklich dumm sind, daß sie meinen, sie müßten auch alles Schlechte haben, was viel kostet, und das Gute verachten, dieweil es wohlfeil ist. Da ist unser lieber Herrgott gescheuter, und es wäre gut, wenn all unsere dummen Leute ein Beispiel nehmen würden an ihm und so gescheut werden würden, wie er es ist. Er hat die Kartoffel so wohlfeil gemacht, das Brot nicht teuer, läßt Kraut wachsen, mehr als Manchem lieb ist, läßt die Kühe süße Milch geben, und Schlächter lernen das älteste Kuhfleisch als kräftiges Ochsenfleisch verkaufen, läßt den Ärmsten die kühnsten Zähne wachsen, das nahrhafteste Fleisch zu verarbeiten. Was meint man wohl, wenn unser Herrgott den Armen Austern, Schnecken, Frösche, Konfitüren, Bittersüßes samt chinesischen Vogelnestern und passabler Limonade wohlfeil gemacht und darauf sie angewiesen hätte? Wäre man wohl dabei, oder würde man schreien über schreckliche Ungerechtigkeit? Was kriegten die Armen bei den wohlfeilen Fröschen und Schnecken, Limonaden und Polnisch Bittern für dünne Wangen und lasterhafte Zähne! Wie würden sie doch wieder schreien nach den teuren Kartoffeln und dem unbezahlbaren Schwarzbrot! Aber so ist halt die Welt, hat das ganze Paradies und will halt nichts als Äpfel vom schlechten Baume, an welchen man sterben muß. So hatten sie es auch in der Glunggen, gränneten über den waadtländischen Göttertrank und rühmten ihn doch über die Maßen und redeten ihr Lebtag davon, sie hätten Champagner gesehen und sogar davon getrunken. Vreneli allein sagte, es finde ihn nit e Tüfel nutz und man solle ihns ruhig lassen damit. Der Wirt tat sehr gekränkt. «Mußt eine wunderliche Zunge haben,» sagte er, «daneben will ich niemand zwingen, es wird schon jemand sein, der ihn nimmt,» und darin täuschte er sich wirklich nicht. «Mag sein,» sagte Vreneli, «daß ich nicht weiß, was gut ist, daneben bin ich froh darüber. Mich dünkt gut, was ich habe und was wir vermögen und Gottlob alle Tage, solange wir gesund sind. Dabei bin ich wohl und habe Ursache, Gott zu danken. Es dünkt mich, ich möchte es nicht anders, denn was hätte ich davon, wenn mich die Krankheit ankäme, nur das gut zu finden, was ich nicht hätte und nicht vermöchte, eine Gluste, die ihre Zunge in allem haben möchte, was man selbst nicht hat, aber Andere. Habe von dieser Krankheit schon gehört, aber bis dahin geglaubt, sie sei bloß eine vornehme Krankheit. Sollte sie aber auch unter das gemeine Volk kommen, wie es den Anschein hat, dann gnade Gott den armen Menschen, dann adieß Zufriedenheit, dann wird der Teufel Meister.»

Endlich brachte es die Schmiedin doch zum Aufbruch, obgleich der Wirt sagte: So sei es in der Welt, wenn es am lustigsten gehe und es einem am besten gefalle, so müsse man aufprotzen und fort. Früher hätten sie bloß so Flausen getrieben wie etwa an andern Orten auch, jetzt aber wäre das Predigen angegangen, das wäre was Neues gewesen; es hätte ihn wunder genommen, dies zu hören, es scheine ihm, die Frau Gevatterin könnte es noch besser als mancher halbsturme Pfaff. Er müsse sagen, mit dem, was sie da von der Kanzel runter pralatzgeten (plapperten), könne er hell nichts machen, er verstehe nichts davon, und in diesen Zeiten, wo man nicht mehr so dumm sei, werde es den Meisten so gehen; es nehme ihn wunder, ob er es nicht erlebe, daß das Zeug ganz aufhöre.

Vreneli ward blaß, da sagte die Base, sie hätte auch schon gehört, daß solche Dinge geredet würden, selbst sei sie aber nicht dabeigewesen und habe es nicht glauben wollen; jetzt wisse sie es, es wäre ihr aber lieber, sie erführe es nicht noch einmal. «Dir, Wirt, wird es auch noch anders kommen, entweder hier oder dort. Wie es dir dann sein wird, wenn du draußen stehst und klopfst und hören mußt: Ich kenne dich nicht, selb wirst dann erfahren, aber leider wird es zu spät sein. Aber eins will dir sagen: wenn im Winter Stein und Bein gefroren ist und so recht eisig der Wind durch die dicksten Kleider zieht bis ins Mark hinein, und es steht ein arm Bettlerkind im dünnen Kleidchen zitternd vor deiner Türe und bittet um Gottes willen, daß man ihns hineinlasse, nur einen Augenblick, um sich zu wärmen, es müsse sonst erfrieren, und man tut ihm die Türe nicht auf und von innen heraus tönt eine Stimme: Packe dich fort! Wir kennen dich nicht, denk, wie es dem armen, bebenden Kinde sein muß, denk, Wirt! Und doch findet es nicht weit davon eine andere Türe und einen barmherzigeren Hausvater, sterben muß es noch nicht. Denk, wenn du aber einmal so vor der Türe dort stehst, zitternd, und klopfst und hörst: Ich kenne dich nicht, so ist keine Türe für dich, kein barmherziger Hausvater, es ist der Allerbarmer, der dich nicht kennen will; denk, wie wird dir dann sein?» «Ich sehe, die Glunggebäuerin kann das Predigen auch, und wenn unser Pfarrer abgeht, so brauchts keinen Pfarrer mehr, eine von euch oder abwechselnd könnt ihrs auch machen, und vielleicht macht ihrs besser und wohlfeiler als der jetzige. Es will niemand rühmen, daß er ein sehr Geschickter sei, daneben frage ich dem nicht viel nach; lieb ists mir allweg, daß meine Frau auf das Predigen sich nicht so versteht, es könnte mir mißfallen! Nun so dann, so wollen wir,» schloß der Wirt, der jetzt zum Aufbruch sehr bereitwillig sich zeigte, den Predigten wollte er entrinnen und sein Champagner war zu Ende. «Die Flaschen nehme ich wieder mit,» sagte er, «oder braucht ihr sie zu was?» Seine Freigebigkeit hatte ihre Grenzen, wie man sieht.


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