Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Elftes Kapitel

Von einer Falle, welche Uli abtrappet, aber diesmal noch ohne Schaden

Joggeli hatte das ganze Jahr hindurch Verdruß gehabt mit seinen Kindern; der Tochtermann betrachtete sein Elisi wie ein Schröpfhörnchen, wenn er Geld nötig hatte, setzte er es dem Vater auf den Hals. Der Johannes dagegen kam selbst angefahren mit Gepolter und Schnauben und holte seinen Teil unter Donner und Blitz. Jedesmal, wenn eine solche Operation vorüber war, Joggeli in Schmerzen lag und Lust zu einer Ohnmacht hatte, verschwor er sich hoch und teuer, das müsse die letzte sein, möge es gehen wie es wolle, bei Lebzeiten gebe er keinen Kreuzer mehr. Und wenn sie wieder kamen, so ging es doch wieder und Joggeli mußte sich am Geldseckel operieren lassen, er mochte sich winden und drehen, wie er wollte. Als nun die Verfallzeit des Lehnzinses heranrückte, welche Sohn und Tochtermann kannten so gut als er, war er in großer Verlegenheit, was machen. Sollte er an Uli wachsen und versuchen, ob derselbe nicht eine Woche oder zwei früher zahlen wolle, oder aber daß er warten solle, bis der Sturm abgeschlagen sei mit dem Vorwande, der Pächter habe nicht bezahlt und könne nicht bezahlen? Beides hatte seine zwei Seiten; kriegte er den Zins früher, so hatte er ihn also, und das ist immer schön, wenn man einmal was hat, aber was dann machen? Im Hause durfte er das Geld nicht behalten, und brachte er es unter, so mußte er angeben, wo es sei. Sage er das, so ruhten die Hagle, Gott verzeih mir meine Sünde, nicht, bis sie es haben. «Das ist ein Elend,» jammerte er. Sage er Uli, er solle nicht bezahlen auf den Termin, so sei das wohl gut, aber dann habe Uli das Geld und nicht er, könnte es ihm weiß Gott wann geben und vielleicht gar ein Recht daraus machen und alle Jahre später kommen mit dem Zins, bis er ihm zuletzt gar keinen gebe. Darauf könne er es also nicht ankommen lassen, kalkulierte er.

Endlich schoß ihm ein Blitzgedanke durch das Haupt, er rieb mit vergnüglichem Gesichte die Hände und dachte: Für solche Gedanken zu kriegen, muß man Joggeli in der Glungge sein. Man könnte manches Dorf aus laufen, ehe man einen fände, dem beifiele, was ihm. Der gute Joggeli war noch nicht zu der Erfahrung gekommen, was Einfälle, auf die man sich am meisten zugute tut, für Schwänze haben! Er dachte, er wolle Uli sagen, derselbe solle ihm den Zins acht Tage zum voraus geben, denselben wolle er gehörig in Sicherheit bringen, und wenn dann seine Blutsauger kämen, sagen, im Einverständnis mit Uli, Uli habe noch nicht bezahlt, er werde den Zins einstweilen nicht geben können. Er trug seinen Gedanken alsbald seiner Frau vor. «Was Tüfels ersinnest du aber Dummes,» sagte ihm diese, «das kömmt nicht gut, zähle darauf.» «Ich wüßte eigentlich auch nicht, wann du etwas gut gefunden hättest, was mir beigefallen, es war von Anfang so und wird so bleiben bis ans Ende.» So sprach Joggeli in zornigem Brummen, drehte sich und ging ab, ging zu Uli und trug ihm den Handel vor. Uli war das sehr zuwider. Er glaube, sagte er, das Geld könne er geben, aber mit dem Verleugnen wollte er lieber nichts zu tun haben. Man könne am Ende nicht wissen, was das für Folgen haben könne, jedenfalls begehre er keinen Streit mit den Beiden, denn wenn sie ihm etwa auf den Hals steigen und wüst sagen würden, so nehme er dies nicht gelassen hin. «Habe nicht Kummer,» sagte Joggeli, «ich will das schon machen, und Folgen hat es keine, gebe dir eine gesetzliche Quittung und schreibe es alsbald ein. Es ist ein bloßer Gefallen, dich kostet es nichts und mir ists ein großer Dienst, und etwas wirst mir doch auch tun wollen, oder meinst etwa, es wäre nicht recht?» Uli fügte sich, Vreneli hatte nichts dawider, begehrte bloß über den Alten auf, der immer was erlisteln wolle und Andere hineinstoßen und doch nichts ausrichte, weil er keinen Mut hätte, sondern allezeit das Herz in den Hosen.

Uli mußte ans Rechnen gehen vor der Zeit, und das war ihm sehr zuwider, nicht deswegen, weil er dachte, es könnte der Pünktlichkeit schaden, wenn er acht oder vierzehn Tage vor der Zeit die Rechnung schließe. Nein, daran dachte er gar nicht; so einen Ketzer von Rechnung könne man ja stellen, wie man wolle, einige Wochen vorwärts oder rückwärts, wie man wolle, darauf komme es nicht an, wenn es ihm so recht sei. Akkurat wie er mit dem Zeiger seiner Uhr auf zehn oder zwölf fahren könne, je nach seinem Belieben, weil es ja seine Uhr sei und niemand weiters angehe. Aber solch Rechnen war ihm zuwider, solch Rechnen, nicht alles Rechnen, denn er rechnete eigentlich, wo er ging und stand, wir hätten fast sagen mögen, alle seine Gedanken hätten sich ins Rechnen aufgelöst; aber er rechnete im Kopf, was dieses ihm eintragen, jenes kosten würde, wie viele Malter er aus jenem Acker machen, wieviel Flachs, wieviel Reps usw., was er davon beiseitelegen und was er brauchen müsse, das ging ihm fort und fort im Kopf herum akkurat wie ein Mühlrad, kam ihm im Traum vor, machte ihn zuweilen glücklich, zumeist aber steinunglücklich. Er wollte halt reich werden, viel gewinnen, stellte daher alle seine Rechnungen auf Gewinn, dachte hauptsächlich bloß an die Einnahmen, Ausgaben sah er nicht und dachte nicht daran. Die Einnahmen sieht der Landmann vor sich in Äckern und Wiesen, die Ausgaben kommen ungesinnet; zerbrochene Wagen, abgesprengte Roßeisen fallen nicht zum voraus ein, und an eine Masse von Haushaltungsausgaben denkt ein Mann, namentlich ein junger, nicht. Alle diese ungesinneten Ausgaben verdarben immer die Rechnung, er mußte immer von vornen anfangen, verdarb damit alle andern Gedanken und kam doch nicht zu Ende. Aber auf dem Papier rechnen, zusammenziehen alles, was man gemacht hat, und zwar so, daß es sich treffen soll, ja, das ist was anders, Uli hatte es erfahren, und obendrein noch so viel Geld zählen, und zwar so, daß man allemal gleichviel hat, das ist noch was viel anderes, und Uli hatte es ebenfalls erfahren. Nachdem er einen halben Tag gezählt hatte und zweimal endlich die gleiche Summe herausgebracht, fand Uli, daß er mehr Geld hatte, als der Pachtzins betrug, doch ziemlich weniger als im vergangenen Jahre. Es blieben ihm, wenn er die Schuld abgetragen, noch ungefähr hundert Taler übrig, dagegen hatte er mit Wirt und Müller bedeutend zu rechnen. Der Wirt namentlich war ihm zwei fette Kühe, von denen jede über sechzig Taler wert gewesen, und vier Schweine, welche zusammen wohl zwölf Zentner gewogen, schuldig, dagegen hatte er was genommen, aber eben viel nicht; eben darum stunden sie in Rechnung, und Uli hatte das Geld nicht. Der Müller stand ebenfalls mit Uli in Rechnung für eine ganze Menge von allerlei. Uli hatte auch was genommen, aber von ferne glich es sich nicht aus; da hatte er sicherlich sehr viel zu fordern, aber wie viel, wußte er doch nicht bestimmt.

Bei solchen Rechnungen, namentlich wo sie en détail gehen und lange nicht bereinigt werden, hat es eine ganz verfluchte Bewandtnis; sie sind imstande zu wachsen, während man sie macht, zu einer ganz unglaublichen Größe, ungefähr wie Blutegel, welche ganz schmächtig sind, wenn man sie anlegt, und fast faustdick, wenn sie abfallen. Wer mit einem Müller oder einem Wirte in Rechnung steht, der hat ein ganz verflucht Zeug am Halse. Kriegt er endlich den Müller zwischen die Knie, um mit ihm zu rechnen, so hat er eine große Reihe voll Semmelmehl, Kuchenmehl, Kleien, Spreuer, Taubengrütze, Hühnerfutter, von welchem allem der Bauer nichts weiß. Sagt er dem Müller in hohem Zorn: «Donner, von dem allem weiß ich nichts, wird auch nicht sein!», so sagt der Müller: «Wirst doch nicht glauben, ich hätte falsch aufgesetzt? Sieh, mache mich nicht böse, das ist mein Gebrauch nicht. Das hat deine Magd geholt, welche letzte Weihnacht fort ist, und dies das arme Mädchen, welches du im vorigen Jahr von der Gemeinde hattest, und dies der Knecht, welchen du vor vier Wochen fortjagtest; das Eine kam von deiner Frau gesandt, und ein Anderer sagte, er habe von dir den Befehl, und da schicket es sich doch unsereinem nicht, solches alles schriftlich zu wollen oder gar auf Stempelpapier. Was meinst, was würde deine Frau sagen, wenn die Magd zurückkäme und sagte, der Müller gebe nichts, wenn er es nicht schriftlich von dir hätte?» Wer will sich nun an alles erinnern? Und wenn gar die Rechnung sich hinauszieht, bis Knecht, Kind, Magd fort sind, wer Teufel will alles erforschen? Und wenn man es zu erforschen versucht, was gewinnt man? Uneinigkeit, Mißtrauen usw., und am Ende bleibt die Rechnung Rechnung; so lang sie war, so lang bleibt sie. Ja, es ist ein kurios Ding mit solchen Rechnungen, gar Mancher hat sich mit solchen um Hab und Gut verrechnet; doch das wußte Uli nicht, und wenn es ihm schon jemand gesagt hätte, er hätte den Glauben nicht gehabt, daß es so sein könnte, er hielt, was er an Wirt und Müller zu fordern zu haben glaubte, wie bar Geld.

Wenn er Geld, Vorräte, Rechnungen überschlug, hatte er wieder ein gut Jahr gehabt und mehr gemacht als im vorigen Jahr. Bös hätte er gehabt, sagte Uli, ein Jahr verlebt, er möchte es keinem Hund gönnen, aber es sei doch was dabei herausgekommen, die geringern Dienstbotenlöhne seien doch wirksam. «Weiß nicht,» sagte Vreneli, «ob der Gewinn daher kömmt und ob wirklich ein Gewinn da ist.» «He,» sagte Uli, «wenn du weißt, was zweimal zwei ist, so sieh, was da ist: so viel bar und noch so viel in Rechnung.» «Ja,» sagte Vreneli, «das Geld sehe ich, und wenn ich auch das sehen könnte, was noch in Rechnung ist, wäre es mir noch lieber.» Da fuhr Uli auf, gab einen bösen Blick von sich und ging hinaus. «Haben es ihm die Ketzer schon so weit angetan,» sagte Vreneli, «daß er blind ist und man ihm über sie weniger sagen darf als einem Christen über seinen Herrgott?»

Diesmal konnte Joggeli mit Behagen sein Geld zählen und hatte große Freude daran. Uli hatte darauf gehalten, schönes Silber zu geben, was Kindern und andern Leuten den Wert desselben bedeutend erhöht, jedenfalls immer ein Zeichen von Achtung und dem Wunsche ist, in Huld zu bleiben. Als Joggeli es genug gezählt hatte, ging die Sorge für das Verbergen an, welche nicht größer hätte sein können, wenn er fremdes Volk, Kosaken, Italiener, eine Nation, welche sich im Krieg auf das Mausen versteht, erwartet hätte. Wie einen Feldherrn, auch wenn er mit dem größten Vorbedacht seine Dispositionen gemacht hat, immer ein kleines Herzklopfen anwandelt, wenn die Stunde naht, wo der Feind kommen soll, so hatte es auch Joggeli, und zwar schon am Verfalltag selbst, am Vorabend großer Ereignisse, wie er dachte.

Aber es war der Ereignisse selbst nicht der Vorabend, sondern der wirkliche Tag. Dem Johannes fiel es ein, wenn er einen Tag früher käme als das letztemal, kriegte er vielleicht das Ganze. Dem Tochtermann fiel akkurat das Gleiche ein, denn sie hatten innerlich ungeheure Ähnlichkeit und äußerlich auffallend gleiche Sympathien, wenn sie auch körperlich kein Haar von einander hatten. Der Baumwollenhändler glich einem halbverkohlten Schwefelholz, Johannes einem fünf Fuß zehn Zoll langen Kürbis. Beide kamen gleich nachmittags angefahren, und nicht nur die Rosse schnauften entsetzlich, sondern auch beide Aspiranten, Prätendenten oder wie man sie sonst nennen will. Jetzt hätte Joggeli gern das Hasenpanier ergriffen. «Wäre ich nur gegangen,» murmelte er für sich, als es dahergefahren kam wie das Donnerwetter, noch viel ärger, als an einem englischen Wettrennen die langbeinigen Lords daherrennen. Joggeli hatte es wie ein Renommist, und zwar hatte er es siebenzig Jahre lang so gehabt und kannte doch diese Schwäche nicht. Er war ein Held weit vom Geschütz oder wenn er hinter seiner Frau stund, kam er aber auf die Mensur, so kriegte er den Schlotter, und stund nicht seine Frau, sondern ein Mann vor ihm, so drückte er sich gerne beiseite. Springen hätte jetzt Joggeli wenig geholfen, er mußte warten. Eben freundlich empfing er die beiden Herren wirklich nicht, und wenn sie eine Haut gehabt hätten, welche empfindliche Redensarten nicht hätte ertragen mögen, sie wären Beide alsbald wieder abgefahren. Aber Beider Häute waren sattsam gegerbt, nicht bloß in solches Wetter, sondern wenn man Stiefel daraus gemacht hätte, sie wären ohne besondere Salbe wasserdicht geblieben bis zum letzten Fetzen.

Es ging nicht lange, so mußte er ihnen sagen, er habe den Zins noch nicht empfangen und werde ihn einstweilen auch nicht empfangen; der Pächter sei nicht bei Gelde, er habe ihm Stündigung gestattet. Sie sollten doch nicht tun wie Hungerleider, welche den Lohn immer zum voraus einzögen. Wenn sie Hungerleider wären, so sei niemand anders schuld als er, weil er sie Hunger leiden lasse, und wenn da was zu schämen sei, so komme es an ihn, sagte der Tochtermann und ging hinaus. Nun setzte Johannes mit Ungestüm auf den Vater ein, brach aber plötzlich ab und fuhr auch zur Türe hinaus. Er hatte durch das Fenster den Schwager hinüber zu Uli gehen sehen und faßte alsbald, was der drüben wollte, und machte sich ihm nach. Joggeli lächelte ihm nach, kriegte aber alsbald Angst, Uli möchte vielleicht mit der Wahrheit ausrücken. Gut sei es, daß er ihm die Quittung noch nicht gegeben, dachte er, er könne es allweg nicht beweisen, und da wüßten die Blutsauger nicht, woran sie seien und wem sie glauben sollten.


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