Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Doch einmal war Vreneli mit seiner bessern Magd alleine zu Hause, sie hatten Flachs und Hanf gekehrt und fochten jetzt in den Bohnen. Es ist nun nicht bald ein vertrauter Plätzlein und geschickter zu vertraulichen Mitteilungen als ein Bohnenplätz. «Los Vreneli,» sagte die Magd, «du sagst nichts, ich muß dich doch fragen: kann ich bleiben oder muß ich weitersehen?» «Ich weiß nichts anders,» sagte Vreneli, «es wäre mir zuwider, wenn du gehen wolltest; ich muß noch mit Uli reden, aber es wird ihm auch das Rechte sein, wenn du bleibst, er weiß am besten, was man beim Ändern gewinnt und was das fördert, wenn man an einander gewöhnt ist und weiß, wie man es gerne hat.»

Am Abend, als sie im Allerheiligsten des Hauses waren, sagte Vreneli: «Mädi hat mich gefragt, ob es bleiben könne oder weitersehen müsse? Ich habe ihm gesagt, ich wüßte nichts anders, wolle aber erst mit dir reden, ehe ich bestimmten Bescheid gebe.»

«Ja,» sagte der Uli, «das ist eine Sache, sie hat mich schon lange zu sinnen gemacht,» und kratzte dabei am Kopf, als ob er einen Splitter aus dem Fleische ziehen wollte; es war einer der Kopfnägel, welche Joggeli unvermerkt ihm eingetrieben. «Sieh, wir sind gar zu teuer drin. Für die Dienstenlöhne, welche ich zahlen muß, könnte man ein ordentlich Gut in Pacht nehmen; denke, zweihundert Taler, die Taglöhner nicht gerechnet, und Schmied und Wagner und Schneider und Schuhmacher nicht. Ich weiß weiß Gott nicht, wo ich all das Geld auftreiben soll. Da habe ich gedacht, ich könnte es mit wohlfeilern Diensten ebenso gut machen und wenigstens fünfzig Taler an einem Punkte ersparen. Daneben, wenn du Mädi behalten willst, so habe ich nichts dawider. Vielleicht daß es mit etwas weniger Lohn auch zufrieden ist, denk, es hat vierundzwanzig Taler im Jahr, ein Paar Schuhe und zwei Hemden, das ist ja ein Knechtenlohn.» «Zweifle, daß es weniger nimmt,» sagte Vreneli, «ein Mädchen im besten Alter schlägt mit dem Lohne eher auf als ab, und Mädi verdient ihn wirklich besser als mancher Knecht, der einen doppelt so großen Lohn hat.» «Habe nichts dawider, aber mit einem Mindern könnte man es auch; denk, vierundzwanzig Taler ohne Zugaben!»

«Aber Uli,» sagte Vreneli, «was denkst und wie rechnest! Ja, das Jahr geht vorbei, habe man gute oder schlechte Dienstboten, und alle Tage hat man dreimal gegessen, geheuet, geerntet und geemdet (Grummet); aber wie ging alles und wie viel Zorn und Galle hat man geschluckt und wie selbst schaffen müssen! Und am Ende für was? Um zu erfahren, daß man nicht alles alleine machen kann und erzwingen, so wenig als ein Hauptmann ohne Soldaten keine Schlacht gewinnt.» «Ja, alleine wollen wir diesen Hof auch nicht arbeiten,» sagte Uli, «so dumm, wie du meinst, bin ich doch nicht, aber mit wohlfeilern Leuten. Wenn man diese recht anführt und brichtet, so sind sie oft besser als die teuersten, welche Köpfe machen und alles besser wissen wollen. Der beste Soldat war einmal Rekrut.» «Lieber Uli, disputieren unnütz wollen wir nicht, du weißt ja am besten, wie ich es meine, du weißt am besten, wie man so mit halbbatzigem Zeug daran ist. Auf alles muß man ihm die Nase stoßen, ist man nicht immer dabei, so ist nichts gemacht. Was sie im Stall beim Füttern, kurz überall verwahrlosen können, weißt, mußt das Meiste selbst machen, bleibst in allen Arbeiten zurück, und wenn man am Ende zusammenrechnen würde, ohne noch zu rechnen, was man für das Abtreiben der Galle gebraucht, so hat man sicher mehr als doppelt so viel Schaden, als man am Lohn erspart hat, du würdest es erfahren.»

«Das frägt sich noch,» sagte Uli, «wenn man recht zur Sache sieht und jedes von uns tut, was es kann. Man kann die Leute dressieren; sieh, Großtun ist lustig, aber es kömmt bei reichen Leuten nicht gut, geschweige bei armen. Was würden die Leute sagen, wenn wir fortführen groß tun mit kostbaren Dienstboten? Da erst würden die Bettler kommen und uns fressen von Haus und Heim, die Leute glauben, wie eine geringe Pacht wir hätten. Joggeli hat mir das schon um die Nase gerieben, und er ist imstand, er läßt sich aufweisen, kündet uns die Pacht unter irgend einem Vorwand.» «So, ist der alte Schelm dahinter, dachte ich es doch,» sagte Vreneli. «Der kann sein Lebtag nichts anders als Unheil stiften. Das ist einer, der einmal dem Teufel ab dem Karren fiel, als derselbe eine Ladung heimkutschierte. Indessen mach, was du willst, ich will nicht regieren, am Ende mußt du dabei sein; der Leute wegen würde ich es weder so noch anders machen, sie helfen dir doch nicht, wenn du nicht kommen magst, sei es mit der Arbeit, sei es mit dem Gelde. Hast du mich aber lieb, so laß mir Mädi. Wenn ich dahinten bleiben muß, wer sollte die Haushaltung machen? Mädi ist treu wie Gold und weiß alles; wenn ich einer Fremden alles in die Hände geben sollte, ich wäre keine Stunde ruhig im Bette.» «Wider Mädi habe ich nichts, daneben wäre es für ein paar Tage nicht gefochten,» antwortete Uli. «Du weißt nicht, wie es gehen kann,» sagte Vreneli, «manchmal geht es ein paar Wochen, und manchmal kann man sterben und ist dann aller Not und Elend ab.»

«Bist bös?» sagte Uli, endlich aufmerksam werdend. «Bös wollte dich nicht machen. Zürn mir nicht, ich meine es für mich und dich gut. Wäre es dir anständig, wenn im ersten Jahre wir mit dem Schelmen draus müßten, wie es schon so Vielen ergangen, wie Joggeli an der Sichelten erzählt hat? Ja, und die Sichelten, was die gekostet hat, weißt du; wenn wir nicht so fortgefahren hätten, im Gleichen mit den gleichen Dienstboten, so wären die Bettler auch nicht so dahergekommen. So hätte er es nie gesehen, hat Joggeli mir gesagt, er hätte ein rechtes Bedauern mit uns bekommen, es hätte ihm übel gegraust.»

«So, das alles hat dir der alte Schelm gesagt? Ich wollte, daß der wäre z'hinderst am hintersten Stern, wo nirgends eine Seele mehr ist, nicht einmal ein Teufel. Wenn Teufel dort wären, so hätte er noch seine Freude, er könnte ihnen die Haare zusammenknüpfen und sie hintereinander bringen. Wo aber niemand ist zum Aufweisen, wo er alleine ist, da ist seine Hölle und er der einzige Teufel darin, der Unflat was er ist, der Allerweltsvergifter!»

Vreneli war zornig, und wenn Vetter Joggeli in der Nähe gewesen wäre, so hätte er Sorge tragen können zum Rest seiner Haare. Uli besänftigte, aber es gibt wenige Leute, welche, statt zu besänftigen, nicht Öl ins Feuer gießen. Besänftigen ist eine rare Kunst; um sie zu üben, muß man das Herz, welches man besänftigen will, vollständig kennen und aller seiner Schwingungen Meister sein. Uli rühmte den Joggeli, wie er es gut meine, ein erfahrener Mann sei, von allem einen guten Begriff habe, und wie man ihn in Hulden behalten müsse, denn er sei ihre eigentliche Stütze. Man müsse nicht so sein und einen Menschen, wenn er es so gut meine, mit Händen und Füßen von sich stoßen, man könnte sich einst reuig werden.

«Das meine ich auch,» sagte Vreneli, «man könnte reuig werden, wenn man einfältig genug ist, wegen ein paar guter Worte und einiger Gläser Wein zu vergessen, was man an einem Menschen seit Jahren oder wie ich von Kindesbeinen auf erfahren hat, und einem zu glauben, der keinem Menschen traut und nur daran Freude hat, alles hintereinander zu hetzen. Wie hat er es gehabt mit seinen Leuten? Hätte er einen guten Begriff gehabt vom Bauern und wie man es machen müsse, um vorwärtszukommen, es wäre ihm besser gegangen. Weißt du schon nicht mehr, wie du es angetroffen hast und wie er es dir gemacht?»

«Nun, du weißt, jeder Meister kann mit seinem Gesinde bös zwegkommen, und ist einmal ein böser Geist eingerissen, so hat man es damit wie mit dem Schwamm in den Häusern, man bringt ihn nicht weg, wenn man schon ein- oder zweimal ändert. Daneben mußt du denken, die Menschen können sich ändern. Joggeli weiß, wer wir sind, darum hat er uns den Hof gegeben. Ein Mann, der so viel betrogen worden ist wie er, der darf wohl mißtrauisch sein, aber sieht er einmal, daß man es gut mit ihm meint, so kann er ganz anders auch sein. Gegen mich, ich muß es sagen, hat er sich ganz geändert, er ist fast wie ein Vater gegen mich, ich muß es sagen, ich hätte nie gedacht, daß er so sein könnte!» Solche lange Rede tat Uli dar.

«Nun so dann, so halte ihn als Vater, dann kömmt es gut. Kratzen wirst du einst in den Haaren, aber es wird zu spät sein. Lebt wohl, Friede und Einigkeit! Wo der Teufel dazu kann, da ists vorbei damit, und daß du so verblendet werden könntest, hätte ich nie geglaubt! Ach, ach, ich wollte lieber, es wäre uns die Ernte verhagelt worden, es wäre ein kleines Unglück gewesen!» Und bitterlich weinte und schluchzte Vreneli.

Uli ward sehr mißstimmt, fast böse. Hatte er doch so vernünftig und sachgemäß geredet, hatte zum Frieden ermahnt, wie es einem Christen ziemt, und Vreneli wollte keinen Verstand brauchen, sich nicht begütigen lassen. Daß es so aus dem Häuschen fahren könnte, hatte er gar nicht geglaubt, und eine Frau alles erzwingen lassen dürfe man doch nicht, am wenigsten mit Wüsttun, dachte er. «Ja,» sagte Uli, «wenn du so tun willst und nicht Verstand brauchen, so kann man nicht mit dir reden. Gut Nacht!» Vreneli schluchzte laut auf, konnte nicht einmal «Gute Nacht auch» erwidern.

Das war das erste Ehegewitter, welches bei ihnen stattfand. Kleine Stäupeten oder Schauer hatte es wohl schon gegeben, aber war die Wolke vorübergezogen, schien die Sonne wieder. Das erste Gewitter dagegen zieht gerne trüb und namentlich kalt Wetter nach sich, denn es verzehrt allzu viel Wärme, und die wäre der frisch erwachten Erde so nötig, sie vermißt sie so schmerzlich! Trübe wars auch am folgenden Morgen an ihrem Ehehimmel, daß das Gesinde sich fragte: was es wohl gegeben zwischen der Meisterfrau und dem Meister? Sie hätten sich heute noch nicht angesehen, geschweige ein Wort zu einander gesagt.

Vreneli war am Morgen im Garten und zog Salat aus. Es hatte seit jenem Gewitter nicht geregnet, es war sehr trocken; wahrscheinlich glaubte Vreneli, ein weicher, warmer Regen, komme er nun aus dem Himmel oder aus eines armen Weibes Augen, täte dem Kraut wohl. «Bist fleißig?» erscholl hinter ihm der Base währschafte Stimme. «Muß den Salat nehmen, er stengelt sonst auf, und wenn es so heiß ist, essen die Leute nichts lieber als Milch und Salat, süß und sauer durcheinander, wie es auch geht in der Welt,» entgegnete Vreneli, sah aber nicht auf. «Ja, warum ich komme,» sagte die Base, «habe was Merkwürdiges vernommen, muß es dir erzählen, aber mach nur. Wenn du genug Salat hast, so will ich dir ihn rüsten. Denk, diesen Morgen war ein Besenmann da aus dem Emmental, wo die guten Birken wachsen, und sagte, was da oben einem Bauer, der Gott und Menschen nichts nachfrägt und bloß nach dem eigenen Kopf fahren will, begegnet ist. Am Sonntag nach eurer Sichelten, wo unser Alter so naß geworden ist, daß er drei Tage im Bette lag und immer klagte, er könne nicht erwarmen und nicht ertrocknen, am selben Sonntage hatte bei ihnen oben ein Bauer viel Korn draußen liegen gehabt. Als er nachmittags an den Bergen die Wolken gesehen und die nasse Brunnröhre, die ordentlich tropfte, da habe er das Gesinde zusammengerufen und gesagt: Rasch hinaus, gehäufelt und gebunden! Es wettert auf den Abend, bringen wir tausend Garben trocken ein, so gibts darnach Wein genug. Das habe seine Großmutter gehört, die sei achtzig Jahre alt und gehe an zwei Krücken; die sei mühsam dahergekommen und habe gesagt: Johannes, Johannes, was denkst doch auch? So lange ich mich zurückerinnern mag, ward hier am Sonntag nie eine Handvoll eingeführt, und meine Großmutter hat mir gesagt, sie wisse auch nichts darum, und doch sei immer Segen bei der Sache gewesen und von Mangel habe man hier nichts gewußt. Und wenn es noch Not am Mann wäre, Johannes, ein naß Jahr! Aber trocken wars bis dahin und trocken wird es wieder werden, und naß werden schadet dem Korne nichts, und würde es ihm schaden, so hast du zu denken, der Herr, der das Korn gegeben, gibt auch den Regen, und wie ers gibt, hast du es anzunehmen. Johannes, tue es nicht, ich halte dir dringlich an. Das Gesinde sei umhergestanden, die Alten hätten ernsthafte Gesichter gemacht, die Jungen gelacht und unter sich gesagt, das Altväterische sei abgetan, jetzt sei es eine neue Welt. Großmutter, habt nicht Kummer, hat der Bauer gesagt. Alles muß einmal zum erstenmal geschehen, und deretwegen ists nicht bös. Unserem Herrgott wird das nicht viel machen, ob wir heute schaffen oder schlafen, und ebenso lieb wird ihm das Korn am Scherm als am Regen sein. Was drin ist, ist drin, man braucht deswegen nicht Kummer zu haben, denn wie es morgen sein wird, weiß niemand. Johannes, Johannes, drin und draußen ist die Sache des Herrn, und wie es diesen Abend sein wird, weißt du nicht; aber das weißt, daß ich deine Großmutter bin und dir den tusig Gottswille anhalte, laß heute dein Korn draußen! Ich will, wenn du es sonst nicht machen kannst, ein ganzes Jahr kein Brot mehr essen. Mutter, hat darauf der Johannes gesagt, deretwegen sollt Ihr nicht desto weniger Brot haben, aber eine Zeit ist nicht alle Zeit, es gibt alle Jahre neue Bräuche und dSach sucht man alle Tage besser zu machen. Aber Johannes, hat die Mutter gesagt, die Gebote bleiben die alten und kein Düpflein wird daran vergehen, und hast du dein Korn unter dem Dache, was hilft es dir, wenn du Schaden leidest an deiner Seele? Für die kümmert nicht, Mutter, hat der Johannes gesagt, und jetzt, Buben, auf und gebunden, was das Zeug hält! Die Zeit wartet nicht. Johannes, Johannes! hat die Mutter gerufen, aber Johannes hörte nicht, und während die Mutter betete und weinte, führte Johannes Garben ein, Fuder um Fuder, mit Flügeln schienen Menschen und Tiere behaftet. Tausend Garben waren unter Dach, als die ersten Regentropfen fielen; schwer, als wären es Pfundsteine, fielen sie auf die dürren Schindeln. Jetzt, Mutter, sagte Johannes in die Stube tretend mit seinen Leuten, jetzt ists unter Dach, Mutter, und alles ist gut gegangen; mag es jetzt stürmen, wie es will, und morgen schön oder bös Wetter sein, ich habs unter meinem Dach. Johannes, aber über deinem Dach ist des Herrn Dach, sagte die Mutter feierlich, und wie sie das sagte, ward es hell in der Stube, daß man die Fliegen sah an der Wand, und ein Donner schmetterte überm Hause, als ob dasselbe mit einem Streich in millionenmal Millionen Splitter zerschlagen würde. Herrgott, es hat eingeschlagen, rief der Erste, der reden konnte, alles stürzte zur Türe aus. In vollen Flammen stand das Haus, aus dem Dache heraus brannten bereits die eingeführten Garben. Wie stürzte alles durch einander! Wie vom Blitz geschlagen war jede Besonnenheit. Die alte Mutter alleine behielt klare Besinnung, sie griff nach ihren beiden Stecken, sonst nach nichts, suchte die Türe und einen sichern Platz und betete: Was hülfs dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und er litte Schaden an seiner Seele? Dein und nicht mein Wille geschehe, o Vater! Das Haus brannte ab bis auf den Boden, gerettet wurde nichts. Auf der Brandstätte stand der Bauer und sprach: Ich habs unter meinem Dach! Aber über deinem Dache ist des Herrn Dach, hat die Mutter gesagt. Und seit dieser Stunde spricht er nichts mehr als: Ich habs unter meinem Dach! Aber über deinem Dache ist des Herrn Dach, hat die Mutter gesagt. Gar grausig soll das anzusehen sein. Viele Leute gehen hin und nehmen ein Exempel daran, daß alles in des Herrn Hand ist, sei es auf dem Acker oder unter einem Dache, daß was man vor dem Regen geflüchtet, vom Blitz ereilt werden könne, wohin man es auch geflüchtet.»

So sprach die Base. Unterdessen hatte Vreneli den Salat ausgezogen; wie langsam es auch machte und wie andächtig und gsatzlich die Base erzählte, so mußte es doch endlich aufstehen, und wenn es schon nicht die Augen aufschlug, so sah die Base doch alsbald, daß es geweint hatte.


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