Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Zehntes Kapitel

Wie bei einer Taufe Weltliches und Geistliches sich mischen

Noch ehe der zweite Lehnzins gegeben werden sollte, erhielt Vreneli das zweite Kind, und diesmal einen munteren Buben. An diesem hatte Uli sehr große Freude, er rechnete schon, wie schnell er ihn brauchen könne, was er ihm ersparen werde, nur war er noch ungewiß, ob er ihm als Karrer oder Melker ersprießlichere Dienste leisten werde. Die Gevatterschaft gab auch diesmal viel Redens, Uli und Vreneli wurden lange nicht einig; endlich mußte Vreneli nachgeben, Uli hielt ihm den Hagelhans vor. Es handelte sich absonderlich um die beiden Paten; die Gotte ward einhellig erwählt in der Schmiedin, welche Vreneli noch weitläufig verwandt war. Die Paten waren Wirt und Müller, mit welchen Uli im Verkehr stand, aber nicht zu Vrenelis Freude; es war ihm immer, als könnten die Uli verderblich sein, als suchten sie ihn in ihre Gewalt zu erhalten, um ihn auszubeuten. Ihre zärtlichen Worte schienen ihm eben falsche Münze zu sein. Der Wirt war ein dicker, schwerer Mann, jeder Zoll an ihm ein Zentner Holdseligkeit, mit welcher man eine große Stadt voll saurer Engländer hätte süß machen können. Die Freundlichkeit ist die freundlichste aller Tugenden, hat unter allen das lieblichste Gesicht, sie ist der Schlüssel zu allen Herzen, sie ist eine erquickende Essenz, erscheine sie am Krankenlager oder im Gesellschaftszimmer, bei der Magd im Schweinestall oder bei dem Regenten auf dem Throne; sie wird viel zu wenig beachtet, viel zu wenig bei den Kindern darauf gesehen, tausendmal des Tages sollte man daran erinnern. Gott gibt sie den begabtern Menschen umsonst, aber desto wüster ists, wenn sie auf Gewinn ausgelegt wird, benutzt, wie man den Honig braucht, wenn man Fliegen fangen will, mit ihr auf Menschen spekuliert, mit durch sie gewonnenem Zutrauen Wucher treibt, Gewinn und Gewerbe, dem Anderen ablockt, was er hat, mit der größten Gewissenlosigkeit, unbekümmert darum, hängen die Betrogenen sich, springen sie ins Wasser oder gehen sie einfach und simpel zu Grunde.

Eine Person der Art war unser Wirt; mit schlauem Verstand, kaltem Herzen und holdseligem Wesen hatte er ein schönes Stück Geld verdient. Wer mit ihm handeln wollte, dem tat es im Herzen wohl, und seine Worte schienen viel besser zu sein als anderer Leute bares Geld. Er hatte eine großherzige Weise, die Leute glücklich zu machen. «Sieh, weil du es bist, gebe ich dir einen Gulden mehr. Die Sache ist mir recht, da braucht man nicht Kummer zu haben, man kriege seine Sache nicht oder schlecht; ja, wenn alle wären wie du, dann könnte man handeln. Sieh, du bist mir zu hoch im Preise, aber weißt du was? Versuche, was du lösen kannst, halte die Sache feil, wem du willst; sieh, was dir geboten wird, und einen Gulden mehr als der Höchstbietende will ich dir geben; es kann Keiner geben was ich, ich habe den Absatz und Leute an der Hand, welche zahlen, welche um eines Kreuzers willen nicht reden, bis sie Löcher in die Zunge kriegen, reiche Leute, und wenn sie schon nicht auf den Tag zahlen, von wegen sie sind in gar vielen Dingen, so kömmt es dann zusammen, da gibt es Haufen Geld; du magst mir es glauben oder nicht, mein Rößlein hat mich manchmal übel erbarmet, wenn es heimziehen mußte.» Nebenbei war er auch den meisten Weibern lieb. Er kannte das Handwerk des Flattierens aus dem Grunde und wußte ihnen so zärtlich in die Augen zu gucken, daß sie die Füße nicht mehr stillehalten konnten unterm Tische. Ihn vorzüglich haßte Vreneli. «Du wirst dich mit ihm abgeben, bis du einen Schuh voll herausnimmst,» sagte es oft zu Uli.

Den Müller haßte Vreneli etwas weniger, doch immer noch genug, um ihn nicht zum Götti zu wollen. Er hing sich auch an Uli, war alle Augenblicke da, war nicht ganz mit Honig bestrichen, doch wußte er sich auch zu rühmen und zu ködern, daß Uli ihn für einen trefflichen Freund hielt. Bald holte ihn der Müller, um ein Pferd zu besehen, bald sollte er ihm eine Kuh kaufen helfen: das kenne niemand wie Uli, bald holte er einige Malter Getreide und sagte, er müsse es haben, er solle für diesen oder jenen Bäcker besonders schönes Mehl haben, und Korn wie bei Uli fände er nirgends, er wolle es ihm dann aber auch darnach bezahlen, sobald sie mit einander rechneten. Das wußte er immer ganz vortrefflich zu karten, daß sie mit einander in Rechnung blieben, von welcher Rechnung er beständig auch sprach, sehr selten aber sie zum Abschluß machte, sondern immer so, daß etwas auf neue Rechnung blieb. Es ist wirklich auch nichts Bequemeres im Handel, als wenn man immer sagen kann: «Ich zahle dir das jetzt nicht, es geht zum Andern; behalte alles gut in Rechnung, die Sache wird sich dann schon finden.»

Wenn Vreneli Seufzer über solche Rechnungen ausstieß, so sagte Uli: «Sieh, dies verstehst du nicht, die Sache findet sich, und was brauche ich einstweilen Geld? Es ist mir sicherer dort, als wenn ich es daheim hätte, ich begreife gar nicht, was du wider die Männer hast, und weißt doch, wie kommod sie uns kommen und wie da nie Nein ist, man mag wollen was man will. Gehe ich zum Wirt, so bringe ich das beste Fleisch, Wein, wie er sagt, wie man ihn sonst nirgends findet, nimmts mit Gewicht und Maß nicht spitz, meint nicht, daß ich jeden Schoppen zahlen müsse. Ein Faß hat er uns zum Einbeizen geliehen und mir hundertmal gesagt, wenn ich was mangle, sei es Tag oder Nacht, so solle ich nur herkommen, er zürne, wenn ich an einen andern Ort gehe, und wenn niemand gegenwärtig sei, nur nehmen ungeniert, was ich bedürfe; einen behülflicheren Mann habe ich nirgends angetroffen, solche Leute sind rar, wo man sie findet, muß man Sorge zu ihnen tragen. Ich muß sagen, es freut mich allemal, wenn ich ihn sehe, und wenn ich schon nur Pächter bin, so schämt er sich meiner doch nicht. Er hätte noch Keinen so wie mich angetroffen, hat er mir schon manchmal gesagt, wenn ich so fortfahre, werde es nicht lange gehen, so sei ich Bauer trotz einem. Beim Müller ist es gerade so; fehlt mir Spreuer, so sind für mich da, wenn für niemand sonst da sind, mit Pferdefutter ists auch so und um einen Preis, wie ich es sonst nirgends bekomme; aus dem Getreide läßt er mir gehen, was Keiner sonst. Mein Lebtag habe ich gehört, es sei nichts kommoder auf der Welt als gute Leute, zu solchen müsse man mehr Sorge tragen als zum Brote. Ich kann gar nicht begreifen, was du gegen sie hast.» «Ja, Uli, gute Leute sind kommod, das haben wir am besten erfahren, ohne gute Leute wären wir nicht, wo wir sind,» antwortete anfangs Vreneli, «aber es ist auch ein großer Unterschied zwischen guten Leuten und guten Leuten. Es gibt gute Leute, welche einem aufhelfen und am besten sich zeigen, wenn man in der Not ist, und es gibt Leute, welche gut scheinen, solange sie jemand ausnutzen können, und ist er ausgenutzet, so lassen sie ihn hängen wie eine Spinne die Fliege im Netz, wenn sie ausgesogen ist. Wenn die es gut meinten, sie wären nicht halb so schmeichelhaft und machten dir den Kopf so groß. Mit der Dienstfertigkeit gehe mir, ich möchte doch wissen, wer mehr dienet, ob sie dir oder du ihnen? Haben sie je was zu fahren oder ein Pferd nötig, so stehn sie vor der Türe, und wie viel sie dir dafür geben, weißt du; es steht zu verdienen, werden sie dir sagen, und hast was nötig, so sprich auch zu! Leiht man ihnen etwas, einen Wagen oder ein Werkzeug, so geben sie es nicht wieder, und läßt man es endlich holen, so ist es entweder nicht da oder es weiß niemand, wo es ist, oder es ist zerbrochen und wir haben die Kosten, es ausbessern zu lassen. Ein alter Pfarrer hat immer gesagt: Fründ wie Hünd (Freunde wie Hunde), und die mahnen mich wohl daran. Du wirst es aber wohl noch erfahren, ob ich recht habe oder nicht.»

Uli dachte, es sei doch eine verfluchte Sache mit der Eifersucht der Weiber. Stelle man dem Weibervolk nicht nach, so erstrecke sie sich auch auf das Männervolk, und am Ende dürfe man mit niemand mehr reden als mit seinem Weibe und dem Hund, doch mit diesem nur halblaut. Das dürfe er nicht aufkommen lassen, und jetzt sei ein Anlaß, zu zeigen, wer Meister sei. Der gute Uli hatte was läuten hören, und das ist das Verfluchteste, wenn man was läuten hört, aber weder weiß, woher das Läuten kömmt, noch was es bedeutet. Die Weiber sind eifersüchtig, das versteht sich, und zuweilen nicht bloß auf Mannsvolk und Weibervolk, sondern wirklich auch auf Hund und Katze. Nun ist es mit dieser Eifersucht wirklich wunderlich. Eigentliche Eifersucht halten wir kaum durch äußere Mittel zu heilen, weder durch Reizungen noch durch die strengste Treue. Reizungen machen Krämpfe, und je offenbarer die Treue ist, desto verdächtiger erscheint sie der Eifersüchtigen, scheint Deckmantel von was Geheimem. Diese Eifersucht kann bloß von innen heraus geheilt werden, und zwar bloß durch den Sinn, der von oben kommt, der den Splitter in des Nächsten Auge nicht sieht, aber den Balken im eigenen, der Mißtrauen hat in die eigene Tugend und nicht in die der Andern, der durch Liebenswürdigkeit zu gewinnen und festzuhalten sucht, was ein schnödes Wesen behandelt wie ein Kind eine Uhr: sie zernichtet, zerstört und doch fordert, daß sie in regelrechtem Gange gehe und die Stunden gehörig zeige.

Dann aber wird wirklich Manches Eifersucht geheißen und als Eifersucht ausgelegt, was es nicht ist. Wenn eine Frau den Mann vor Menschen warnt, sei es männlichen oder weiblichen, wenn sie ihn nicht gern tagelang herumlaufen sieht oder ganze Nächte schwärmen läßt, so kann dieses sehr edle Beweggründe haben: Sorge um den Bestand des Hauswesens, Sorge für die Kinder, Sorge für Ehre und Wohlergehen des Mannes selbst. Wir halten dafür, daß bei Vreneli die letzteren Gründe alleine vorwalteten und nicht wirkliche Eifersucht. Wir halten Eifersucht immer als den Ausbruch des Bewußtseins der eigenen Schwäche oder der eigenen Unliebenswürdigkeit, und nun müssen wir sagen, daß Vreneli kräftiger im Charakter und liebenswürdiger in seinem Wesen war als Uli, daß wir daher Vreneli nicht der eigentlichen Eifersucht untertan glauben. Uli nun aber nahm es freilich so, wollte ein Exempel statuieren und erzwang die beiden Paten. Daß bei Vreneli nicht Eifersucht im Spiel war, hätte er daraus sehen können, daß Vreneli darüber nicht wüst tat, nicht schmollte. Billig und recht wäre es eigentlich, daß eine Mutter, welche das Kind geboren, in derlei Dingen das erste Wort haben sollte, aber wenn er es erzwingen wolle, nun so dann in Gottes Namen, so solle er es. Er werde die Leute schon kennen lernen, nur dauern tue es ihns, daß das arme Bubi zwei solche Paten haben müsse, von denen es einst denken werde, wenn es nur niemand wüßte, daß sie ihm zu Gevatter gestanden. Die kindliche Freude an Ehrenhäuptern, welche man zu Paten habe, sei doch so schön und eine gar mächtige Kraft in kindlichen Gemütern. Aber in Gottes Namen, die Base habe gesagt, man solle nichts erzwingen, sondern denken, was geschehe, sei sicher gut für etwas, und wenn man es recht nehme, diene es zum Besten. Dabei mußte es aber an den Hagelhans im Blitzloch denken und fragen: Es nehme ihns nur wunder, was da Gutes herauskommen werde, daß er des Mädchens Götti sei, derselbe hätte nichts von sich hören lassen. Aber strenge sei es doch, dachte das Weibchen, daß es an keiner Gevatterschaft so eine rechte, vollständige Freude haben solle.

Am Tauftage selbst hätte man von dieser Stimmung nichts bemerkt, denn kreuzlustig war die Gesellschaft und kurzweiliger hätte es nicht zugehen können. Die Drucke, worin die Schnurren und lächerlichen Erzählungen aufbewahrt liegen im Gedächtnis der Menschen, war aufgesprungen. Erzählungen, eine lustiger als die andere, jagten sich; Joggeli lachte laut auf und die Base fuhr ein über das andere Mal mit der dicken Hand über die Augen, wischte die Tränen aus, welche das Lachen hineingetrieben, und bat um Gottes willen, man solle doch aufhören, es versprenge sie sonst. Mit diesen Drucken ists wunderlich, denn es gibt deren mehrere in der Schatzkammer der Seele; da ist zum Beispiel die Liederdrucke, die Gespensterdrucke, die Krankheitsdrucke, die Liebesdrucke und die große Grümpel- oder Plauderdrucke. Diese letztere ist immer bei der Hand, offen fast Tag und Nacht, ohne Boden wie der Himmel, und enthält alles, was wir vom Nächsten gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, gefühlt, gedacht, gemeint, vermutet und geglaubt haben. In dieser kramt man beständig herum, gibt auf die freigebigste Weise zum Besten, was man in die Hände kriegt. Die andern Drucken dagegen liegen verwahrt und verschlossen, man merkt ihr Dasein oft die längste Zeit nicht. Dann, wie von einem Zauberstäbchen berührt, springt die eine der Drucken bei einem Menschen plötzlich auf, und hervor quillt der Inhalt, und allgemach gehen bei allen Anwesenden die gleichnamigen verschlossenen Drucken auf; ihr Inhalt quillt herauf, mischt sich mit dem Strome der Andern. Und wo dieses Quellen mal begonnen, ist es schwer zu stillen; mit schwerem Seufzen schließen diese Drucken sich wieder, denn groß war die Wonne, solang die Quellen rannen, es war wie ein Säuseln aus der Ewigkeit, in welchem die rinnende Zeit, die ganze Gegenwart vergessen wird, und je schauerlicher der Inhalt der Drucken ist, desto größer die Wonne, desto mächtiger, ergreifender das Säuseln aus einer andern Welt.


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