Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Vreneli war sehr bewegt in seinem Gemüte, es fühlte wohl, wie schwer es sei, den wahren Trost zu fassen, wie schwer, über alle irdischen Kümmernisse den Glauben zu erheben, daß das, was Gott tue, wohlgetan sei. Es pries als ein groß Glück das Unglück, wenn dadurch Uli aus dem Wirbel des Zeitlichen dem höhern Ziele zugewendet worden, aber dazwischen kamen ihm doch die Sorgen: was werden wir essen und womit werden wir uns kleiden? Am tiefsten ergriff ihns, daß indem sie unglücklich geworden und geschlagen, das Mannli seine Sache doch nicht wieder hätte, doch vom Höflein komme, mit den Kindern dem heiligen Almosen nach müsse, daß sie nicht imstande seien, ihn mit Geld zu sühnen; was sie auf- und anbringen möchten, gehöre Joggeli, dem alten Gläubiger, und wie es herauskäme, wenn sie diesem geben würden, was sie ihm nicht schuldig seien, und da nicht zahlen, wo die Schuld verschrieben sei? Das plagte ihns. Es sagte sich freilich, das Mannli sei auch etwas schuld an der Sache, es habe sich immer sehr hässig gebärdet und aufbegehrt; wenn es freundlicher getan, so hätte Uli vielleicht nachgegeben. Indessen hatte eben das Mannli recht und Uli unrecht. Vreneli wußte sich nicht anders zu helfen, als die Sache auf Gott zu stellen, ihn zu bitten, dort gut zu machen, was selbst zu tun er ihnen selbst die Hände gebunden.

Das Haus war ihnen also nicht verbrannt, aber alles, was auf dem Gute grünte, verhagelt worden. So geht es oft; man fürchtet etwas als das größte Unglück, damit wird man verschont, dagegen bricht ein anderes über uns herein, an das man nicht gedacht, welches aber viel größer und schwerer ist.

Der Morgen nach einem Brande ist ein trauriger Morgen, da steht man an der Brandstätte und denkt ans Haus, wie es gewesen und was alles darin gewesen. Dann geht man auf die Brandstätte, sucht im rauchenden Schutte dieses, jenes; das eine findet man nicht, von anderm Bruchstücke, die nicht zu brauchen sind; dann will man traurig weg und kann doch nicht, und immer wieder zieht es einem zurück, zu suchen nach diesem, nach jenem, zu schauen, wie es jetzt ist, zu denken, wie es gewesen.

Aber nicht viel weniger traurig ist der Morgen nach einem großen Hagelschlag, besonders für einen Pächter, der den verschiedenen Pflanzungen nachgeht, traurig die Stummel und Trümmer betrachtet und überschlägt: Soviel hätte mir dieses ertragen, soviel jenes, und jetzt nichts; die Bäume betrachtet und denkt: So manches Jahr sind sie nun unfruchtbar, und viele sterben; denken muß: Wo jetzt zu essen nehmen, was jetzt pflanzen, daß man im Herbst doch noch einen kleinen Ertrag hat, etwas für die allerhöchste Not? Das sind traurige Wanderungen, besonders wenn bei der Heimkunft der Pachtherr unter dem Dache steht und sagt: «Höre du, was ich sagen wollte, es wäre mir lieb, wenn du mir geben könntest, was du mir vom vorigen Jahre noch schuldig bist, es war diesen Morgen jemand bei mir und ich sollte Geld haben.» Besonders wenn man dazu noch angegriffen ist an Leib und Gemüt, alle Glieder schmerzen, die Beine so schwer sind, daß man glaubt, sie gingen knietief in der Erde, und die Seele so voll ist, daß man sich hinlegen, sterben möchte, der Mut zu allem fehlt. Vreneli munterte Uli auf, gab verständigen Rat, tröstete ihn über Joggelis Unverstand, daß der nichts zu bedeuten hätte, doch alles umsonst. Uli blieb zerschlagen in Gliedern und Gemüt.

Nachmittags sagte ihm Vreneli, sie wollten zusammen die mit dem Gute nicht zusammenhängenden Äcker besuchen. Auf einem derselben, der durch einen Hügel vom Ganzen getrennt war, hatten sie eine sehr bedeutende Kartoffelpflanzung. Mit großer Mühe konnte Vreneli ihn dazu bewegen und bloß durch die Vorstellung, daß sie doch zusehen müßten, ob man noch irgend einen Ertrag erwarten könne oder neue setzen müsse. Wenn man gleich dran hingehe, so könne man bis im Spätherbst noch Erdäpfel erwarten, besonders von rasch wachsenden, schnell reifenden Sorten. In den nähern Äckern fanden sie die gleiche Verheerung, mit großer Not bewegte Vreneli den Mann, noch zu den Erdäpfeln zu gehen. Er möge nicht, sagte Uli, es seien ihm die Beine wie zusammengebunden. Vreneli gab nicht nach. Uli ging. Als sie auf der Höhe waren, sahen sie zu ihrer großen Verwunderung den ganzen Acker fast unversehrt. Je stärker ein Hagelschlag ist, desto schärfer ist er zumeist begrenzt. Auf der einen Seite eines Weges oder eines Zaunes sieht man alles zerschlagen, auf der andern keine Spur eines Hagelkorns. Fast laut auf hätte Vreneli gejauchzt. Es fühlte so recht die Freude über etwas, welches man verloren geglaubt und unversehrt wieder gefunden. Es nahm es als ein Pfand, daß alles besser kommen werde, als es den Anschein habe. «Nun freue dich, Uli,» sagte es; «hat man Kartoffeln, so hat man alles, die Sache wird sich schon machen.» «Ja, wenn es mit dem Essen gemacht wäre,» sagte Uli. «Es wäre schier besser, es wäre alles im gleichen Loch, so wüßte man, woran man wäre; was helfen Erdäpfel?» Dem Mutlosen gilt alles nichts, dem Mutigen wenig viel.

Am folgenden Tag fuhr ein Wägelchen an; Vreneli stieß einen Schrei der Freude aus, Uli hob kaum den Kopf, denn ihm war noch schlimmer als am vorigen Tag. Auf dem Wägelchen saßen der Bodenbauer und seine Frau. Sie waren lange nicht dagewesen, hatten das Unglück vernommen, kamen nun selbst, zu sehen, wie es stehe und welche Hülfe die beste sei; es waren wahre Freunde in der Not. Sie sahen mit innigem Mitleid die Verwüstung, wie ihnen seit langem keine vorgekommen, besonders erbarmten sie die armen Bäume, welche jahrelang siechen und fruchtlos bleiben mußten. Auf Vrenelis Antrieb gingen sie allenthalben herum, und Vetter Johannes mußte raten und sagen, was man vorzukehren hätte, um noch so viel möglich Nutzen zu ziehen aus diesem und jenem, was umzufahren sei, was man stehen lassen, was abmähen solle usw. Uli war wohl auch dabei, aber es war fast, als ob er keine Ohren hätte, die Sache ihn nichts anginge. Joggeli trappete auch nach, gab hier und dort verblümte Stiche, die niemanden trafen als Vreneli, welches seine Redeweise am besten kannte. Es lud ihn ein, mit ihnen zu essen, er gab jedoch zur Antwort, sie hätten ihre Sache selbst zu brauchen und niemanden nötig, ihnen dabei zu helfen.

Dem Bauer und der Bäuerin war Ulis Niedergeschlagenheit aufgefallen, nach der Weise bedächtiger Leute hatten sie aber nichts davon gesagt. Nach dem Essen stellte Vreneli nach Landessitte, wo der Wein erst nach dem Essen erscheint, wenn nämlich welcher erscheint, eine Maß auf den Tisch und schenkte ein. «Warum hast doch Kosten,» sagte die Bodenbäurin, «wir haben es nicht nötig und ihr das Geld sonst zu brauchen; daneben wenn ihr was nötig habt, so sprechet zu, wenn wir es haben, so soll es nie Nein heißen. Gerade in solchen Zeiten hat man einander nötig, gehts gut, so kann man es alleine machen.» «So ists,» sagte der Bodenbauer, «und was meine Frau sagt, ist nicht bloß geredet, sondern ist Ernst. Aber sag mir, Uli, was ist mit dir? Dich kenne ich gar nicht wieder, warst sonst doch nicht so verdrückt und ohne Mut; warst wohl manchmal obenaus und ließest wieder die Flügel sinken vor der Zeit, aber wenn du sahest, daß man dir zu helfen begehre, und man dir das Kinn in die Höhe drückte, so warst wieder ein Mann. Aber heute will gar nichts anschlagen bei dir, essen und trinken tust du nichts, reden nichts, und seit einer Weile ists, als hörtest du nichts! Rede, was ists?» «Ich bin nicht zweg,» sagte Uli matt, «es ist mir in allen Gliedern, es ist mir, als wäre ich unter der Erde. Es wäre gut, ich wäre es schon, denn an allem bin ich schuld.» Vreneli wollte unterbrechen, der Bodenbauer fragte, Uli sagte zu Vreneli: «Rede selbst und sag, wie die Sache sich verhält, es tut mir der Kopf so weh! Sage nur alles, es ist am besten, sie wissen, wie es ist.»

Vrenelis Verstand sah alsbald, daß Offenheit hier am Platze sei. Johannes war Bürge, und wenn jemand mit Rat und Tat beistehen konnte, so war er es. Wenn man Beistand will, muß man offen sein; nichts schreckt hülfsbereite Menschen mehr ab, als wenn sie merken, daß man ihnen viel oder die Hauptsache verheimlicht, wodurch jede Hülfe nichts ist als in einen Abgrund geworfene Schätze. Vreneli erzählte klar, aber so schonend als möglich. Als es ihre Finanzzustände auseinandersetzte, berührte es begreiflich auch das Verhältnis mit Wirt und Müller, aber nur leise, so daß, wer nicht die ländlichen Verhältnisse ganz genau kannte, nichts Besonderes bemerkte. Ebenso machte es es mit dem Prozeß, als es aber zu dessen Ende kam und dessen Zusammenhang mit dem Hagelwetter erzählte und wie Uli dies jetzt so schwer nehme, da sagte die Bodenbäurin ein über das andere Mal: «Mein Gott, mein Gott, ist das möglich!», und der Bodenbauer meinte, so was sei doch wirklich seit langem nicht erlebt worden. Aber wenn es so sei, so solle Uli sich eben trösten, denn es sei ein Zeichen, daß Gott es gut mit ihm meine. Eine Züchtigung, und sei es auch ein solch Hagelwetter, sei doch immer besser, als am Galgen zu sterben. Auch vergaß Vreneli nicht zu erwähnen, wie Joggeli keinen Verstand habe, was sie auch an ihm täten. Doch hätte dieses so viel nicht zu bedeuten, denn Ernst würde er von sich aus nicht machen; aber Sohn und Tochtermann seien immer geldbedürftig, ließen sich vielleicht seine Anforderungen abtreten oder beschummelten ihn auf andere Weise, daß sie zwischen Tür und Angel kämen. Es sei Keinem zu trauen, namentlich der Tochtermann sei des Ärgsten fähig, und Joggeli, obgleich beständig aufbegehrend, sei so leicht einzuschüchtern wie ein Huhn, und obgleich alle Menschen tadelnd, in vielen Dingen einfältiger als die dümmste Frau. So sei er nicht immer gewesen, aber das Alter sei da und die Frau fehle ihm.

Johannes ging hinüber zu Joggeli und hatte eine lange Konferenz mit ihm. Diese Konferenz war keine Intervention, auch keine Mystifikation auf die Weise, wie ein übermütiger englischer Junge sie wohl probiert an neugebackenen Diplomaten, sondern sie war bloß ein Sondieren, ein freundlich Bestimmen, ein Zusichern, man sei dann auch noch da, und deswegen solle Joggeli keinen Kummer haben, sondern bloß Geduld, wenn es sein müsse. Das Beste versprach Joggeli, denn Respekt hatte er vor dem Bodenbauer, und als die besten Freunde schieden sie. Darauf hatte Johannes noch eine Privatkonferenz mit Vreneli. «Sieh, Fraueli,» sagte er, «dein Mann ist nicht zweg, das Zeug hat eingeschlagen bei ihm, es ist sich aber auch nicht zu verwundern, so was wird nicht alle Tage erlebt; daneben ists besser, nicht zu viel davon zu reden einstweilen. Laß morgen den Doktor holen, besser wärs, er würde krank, als daß es ihm ins Gemüt schlägt, das ist schwer zu heilen. Du mußt die Zügel fassen, laß alsobald dies und jenes machen, und wenn du mich nötig hast oder Geld willst, so laß es mir sagen. Bös stehts nicht mit euch, aber gut wärs, ihr stündet in keinen Rechnungen; das ist ungut, besonders wenn euer Hausbuch nicht in Ordnung ist, was kaum sein wird. Ich kenne das Hagelwerk und die Hagle, welche auf diese Weise handeln, nie rechnen wollen und endlich, wenn es sein muß, mit Rechnungen ausrücken, vor welchen des Teufels Großmutter sich schämen würde. Du kannst daran nichts machen, mußt warten, bis Uli wieder zweg ist, aber dann muß die Sache abgetrieben sein und ausgemacht bis auf den letzten Kreuzer. Können solche Leute einem nur die Fingerspitze berühren, so wird man ihrer nie los. Dann sage aber Uli alle Tage: Ehrlich währt am längsten, daß er es nie mehr vergißt. Von Joggeli habt ihr einstweilen nichts zu fürchten, daneben kann man auf solche Leute sich nie verlassen, es kömmt immer darauf an, wer zuletzt bei ihnen ist. Sieh gut zu ihm, so viel Verstand hat er noch, daß er dies einsieht.» Vreneli jammerte wegen Uli. Wenn man meine, man habe das größte Unglück erlebt, welches möglich sei, so zeige sich schon ein anderes, noch viel größeres, daß man bitten müsse: Nur das nicht! und versprechen, das Vergangene wolle man gerne ertragen und nicht mehr klagen. So habe es es jetzt; vom Hagelschaden wollte es nun nichts mehr sagen, wenn nur Uli zweg wäre, der mache ihm jetzt den größten Kummer. «Zeige ihn nur nicht und rede nicht zu viel mit ihm von der Sache, es wird schon bessern, aber man muß einige Zeit vorüberlassen. Hast gehört, sei nur nicht verzagt, es war schon Mancher tiefer drin und kam wieder zweg.»

Auf dem Heimwege sagte er seiner Frau: «Es ist doch kurios mit dem Menschen! Daß Uli so einfältig sei und so dumm tun könnte, hätte ich mein Lebtag niemand geglaubt, aber es muß halt alles gelernt sein auf der Welt, und wenn einer auf einem Platze gut ist, so ist es noch lange nicht gesagt, daß man ihn auf einem andern auch wieder brauchen könne. Da war der Uli ein vortrefflicher Knecht, besser war er nicht zu wünschen; jetzt als Pächter macht er dummes Zeug, und wenn man nicht zu ihm sieht, so stellt es ihn auf den Kopf. Es ist halt Mancher ein guter Soldat und ein schlechter Oberst! Ist sparsam, häuslich, hat bös und macht doch alles, was dumm ist und zu nichts führt, macht den guten Mann, handelt mit Händlern, prozediert, hat schlechtes Gesinde, es fehlen nur noch die Juden. Übersteht ers, so zweifle ich nicht daran, es gibt noch ein Mann aus ihm, die Frau ist gut, die hält ihm den Kopf über dem Wasser. Gut ists, daß es zu rechter Zeit so kam, später hätte es doch fehlen können, aber merkwürdig ists, wie unser Herrgott die Menschen faßt.» «Der alte Gott lebt gewiß noch,» sagte die Bäurin; «ich zweiflete zwar nie daran, aber wohl hart hat er es dem armen Uli gemacht. Es ist noch die Frage, ob er es aussteht, er hat zuletzt Sachen gesagt, wo ich nicht wußte, war er noch bei Verstand oder nicht.» «Habe nicht Kummer,» sagte der Bodenbauer, «wen Gott doktert, der geht an diesem Doktern nicht zugrunde; er ist kein junger Pfuscher, der sich im Zeug vergreift und pfundweise gibt, was man bloß lotweise verträgt, er kennt das Maß, was einer ertragen mag und was ihm gut ist, er wird es wohl machen.» «Amen,» sagte die Frau.


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