Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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«Mein Gott, was ist, hat es einem Kinde was gegeben?» frug Vreneli erschreckt. «Das nicht,» sagte Uli, «sie sind alle wohl, haben nur nicht viel nach dir geweint (ein schlechter Beruhigungsgrund), aber da kam einer wegen der Kuh, welche ich letzthin verkauft, sagt mir wüst, droht mir mit einem Prozeß, oder ich soll die Kuh zurücknehmen, Kosten zahlen und der Teufel weiß was alles. Ich habe ihn unsauber vom Hause weggejagt, aber die Sache ist mir doch nicht am rechten Ort. Geht er zu einem Agenten, so habe ich einen Handel am Halse, und wie recht ich auch habe, so weiß man wohl, wie es geht, wenn mal die Hagle die Finger darin haben.» «Was klagt er, was ist?» frug Vreneli. Nun trug Uli die Geschichte vor, soviel er aus des Mannlis Gestürm hätte klug werden können, wie er sagte. Er selbst trug aber auch nicht zu der Verdeutlichung der Geschichte bei, denn es war einer von den zahllosen Händeln, welche sittlich und christlich schlecht sind, wo bloß das formelle Recht in Frage gestellt werden konnte, welches in der Schweiz nach Ordnung verzwickt werden kann, da bei den engen Grenzen der Kantone, wo täglich hinüber und herüber gehandelt wird, gezankt werden kann, nach welchen Gesetzen der Handel geschlossen worden oder nach welchen er entschieden werden solle. Vreneli begriff die Sachlage alsbald und sagte: «Aber Uli, wie kannst du so handeln! Wie oft habe ich dir doch angehalten, du möchtest ehrlich sein und niemand anführen (betrügen soll man ja nicht sagen), auch den fremdesten Menschen nicht! Das bringt nicht Segen, macht einen schlechten Namen, und wie wenig oder nichts trägt es dir ab!»

«Oh,» sagte Uli, «es machte mir wenigstens zehn Taler Unterschied, und zehn Taler sind nicht zu verachten, besonders wenn man sie so nötig hat wie ich, zehn Taler findet man nicht auf der Gasse.» «Aber Uli, was sind zehn Taler, wenn du nun allgemein verbrüllet wirst, wie du einen angeschmiert!» «He,» sagte Uli, «es macht jeder, was er kann. Warum ist er ein Narr und glaubt mir? Ich bin nicht der Erste und werde nicht der Letzte sein, der zu lösen sucht, so viel er kann, dagegen wird wohl kein vernünftiger Mensch viel haben können.»

«He ja,» sagte Vreneli, «das ist so; rühmst du den Handel in einem Wirtshause, so wird dir jedermann beipflichten, sagen, gerade so müsse man es machen, und jeder wird zu erzählen wissen, wie er diesen oder jenen noch zehnmal ärger angeschmiert, und der sei froh gewesen, sich stillzuhalten und zu schweigen, denn machen hätte er nichts können und das Auslachen gefürchtet. Kömmt dann der Handel vor Gericht und verlierst du ihn, so wird es allgemein heißen, es geschehe dir ganz recht, man hätte dir das vorher sagen können. Man hätte aber nicht geglaubt, daß du so schlecht seiest, vor so einem müsse man sich in acht nehmen; werdest aber das Geld nötig haben, es hätte ihnen schon lange geschienen, es gehe nicht am besten. So werden sie reden, Uli, darum mach aus, ich bitte dich um Gottswillen; leide Schaden, er wird nicht groß sein, und wie groß er ist, weißt du. Wie groß er aber werden kann, wenn du prozedierst, das weißt du nicht und davor graut mir.»

«Ho,» sagte Uli, «gesagt ist nicht, daß es einen Handel gebe, er wird sich wohl bedenken, ehe er angreift. Dumm wäre es ja von mir, wenn ich gleich nachsagen wollte, was man mir vorsagt, dafür bin ich doch endlich nicht auf der Welt. Aber das Gescheuteste wäre, man würde von solchen Dingen den Weibern nichts sagen, sie verstehen nichts davon, meinen es doch und halten es gewöhnlich mit allen andern Menschen nur nicht mit dem Manne.»

«Rede doch nicht so!» sagte Vreneli, «es tut mir sonst weh, und ich verdiene es gewißlich nicht. Mit wem wollte ich es halten als mit dir, denn wen habe ich auf der Welt als dich? Wenn es dir gut geht, geht es mir gut, und geht es dir übel, wer muß zuerst aushalten als ich? Aber ich bitte dich, sei doch nicht wie die andern Menschen mit ihrem Gestürm von Mithalten und nicht Mithalten, das hat mich schon oft fast die Wände aufgetrieben. Der hält es mit mir und der hält es nicht mit mir, hört man alle Tage, und wenn ich es höre, möchte ich allemal beten: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun. Wer einem Menschen, der über Vater und Mutter schimpft, über die Meisterleute flucht, die Obrigkeit lästert, schimpfen, fluchen, lästern hilft, ihm den Zorn noch heißer anbläst, den Kopf noch größer macht, von dem heißt es: Das ist ein braver Mensch, hat Verstand, der hält mit mir; oh, wenn die Leute alle so wären, dann wäre es noch zu leben in der Welt! Wenn ich aber einem verirrten Kinde, einer erbosten Magd, einem Taugenichts zuspreche in wahren Treuen, weil ich Erbarmen mit ihnen habe und mit unverblendeten Augen den Ungrund ihres Geschreis sehe und den Ausgang, wenn sie so fortfahren, so schreien sie, ich sei wider sie, halte es mit den Andern, begehren schrecklich auf gegen mich, und großen Verdruß habe ich von meinem Zuspruch. So haben es die Menschen mit dem Mithalten. Wer akkurat ins gleiche Horn bläst, in welches sie blasen, und akkurat in der gleichen Tonart, in welcher sie blasen, von dem sagen sie, der sei ein Guter, halte es mit ihnen, und wer das nicht tut, sondern redet der Sache gemäß, über den erzürnen sie sich, schimpfen; nach einigen Tagen und einigen Jahren sehen sie, wer es eigentlich gut mit ihnen gemeint, das heißt es mit ihnen gehalten. Denn mit einem halten, meine ich, heiße nicht mit einem dumm tun, ihn noch dümmer machen, sondern seinen Vorteil im Auge haben, oder wie es heißt im Eid: Schaden wenden, Nutzen fördern. Nun, lieber Uli, halte ich es fort und fort, in Freud und Leid, in gesunden und kranken Tagen mit dir, wie ich es dir verheißen habe, des sollst du überzeugt sein, aber ich möchte eben auch Schaden wenden und Nutzen fördern, und wo meine Augen anders sehen als deine, da sage ich es dir, und das nimm mir ja nicht übel, vier Augen sehen ja, wie das Sprüchwort sagt, mehr als zwei, und deswegen auch wird der liebe Gott den Ehestand eingesetzt haben.»

«Oh,» meinte Uli, «wegen selbem wird es ihm wohl nicht gewesen sein. Ich weiß eigentlich wohl, daß du es gut meinst, aber gut Meinen und Verstehen sind zwei, und nebendem regieren die Weiber gerne; jedes will den bessern Daumen haben von wegen der Ehre, und die größte Kunst ist das, Meister sein und alles zwängen und doch die Gute sein und vor den Leuten als eine Demutsvolle gelten.»

«Sei nicht böse,» sagte Vreneli, «laß deinen Verdruß mich nicht entgelten, ich meine es so gut. Es ist schlimm, wo über die Meisterschaft geredet wird, denn da ist Streit. Ich meine, das Beste solle immer geschehen, da solle man nicht fragen, welche von den vier Augen, welche Gott zusammengefügt, es gesehen, sondern eben alles prüfen und das Beste erwählen. Und mit dem Verstehen ists so, wie unser Heiland sagt: oft begreift ein Unmündiger, was den Weisen der Welt verborgen bleibt. So weiß sicher oft ein dumm Weib besser, was schlicht und recht ist, als so ein Kabinettskopf und Rechtsfresser in all seiner gestudierten Weisheit.»

«Ho,» sagte Uli, «das kann zuweilen der Fall sein zur Seltenheit, daß eine Frau noch schlauer ist als der schlimmste Rechtsagent, welcher dem Teufel von dem Karren gefallen ist, aber für so eine wirst du dich nicht ausgeben wollen?» «Nein, das nicht,» sagte Vreneli, «aber du willst nicht verstehen, was ich meine, und das geht mir zu Herzen. Ich will nichts mehr sagen als: prozediere nicht, das ist des Teufels ärgster Lockvogel, wer mal anbeißt, den faßt er beim Ohr.» «Und lieb wäre es mir auch,» sagte Uli, «du würdest mir keine Stündelerin, sonst gut Nacht Friede und Hausen. Uha, Kohli! Sollte was füttern, unterdessen können wir eine Flasche trinken, dir wirds auch recht sein, da du so frühe vom Mahl gegangen,» sagte Uli. «Wie du willst,» sagte Vreneli, um nicht zu widersprechen. Es verlangte ihns nach seinen Kindern, schon mehr als zwölf Stunden hatte es sie nicht gesehen und dies noch nie erlebt.

Es war sogenannter Tanzsonntag, das heißt ein Sonntag, wo so gleichsam von Obrigkeits wegen getanzt werden muß. Es besteht nämlich im Kanton Bern ein Gesetz, welches im Jahr sechs Sonntage bestimmt, an welchen allenthalben getanzt werden darf. Das junge Volk legt dies nun oft so aus, als ob wirklich getanzt werden müsse. Diese Auslegung haben schon viele Wirte und noch mehr Väter erfahren. Die Auslegungskunst ist eine ganz eigentümliche. Nun gibt es viele Jungens und Mädchen, welche in Kritik und Auslegungskunst noch viel stärker sind als Strauß und es noch weiter treiben, so daß selbst die Allerstraußigsten (um einen allgemein gewordenen Ausdruck zu brauchen) in ihrer Schule noch entschiedene Fortschritte machen könnten.

Das Wirtshaus war sehr angefüllt, das stampfte und trampelte, als ob da eine Trittmühle für viele hundert Personen angelegt sei. Es war das Wirtshaus, in welchem Ulis Freund wirtschaftete; dies war Vreneli noch unangenehmer als das Stampfen und Trampeln, welches alle Augenblicke das Zusammenbrechen des hölzernen Hauses befürchten ließ. Sie konnten sich kaum durchdrängen, doch sobald der Wirt sie bemerkte, machte er ihnen mit seinem kolossalen Buckel stattlich Raum und verhalf ihnen zu gutem Platz. Es war schade, daß er nicht ein päpstlicher Schweizer geworden, er hätte zu nichts besser getaugt, als an großen Kirchenfesten in Rom Platz zu machen für die rotgestrümpften Herrn Kardinäle. Vreneli war lange nie an einem solchen Sonntage in einem Wirtshause gewesen, um so schärfer ließ es in dem ihm neu gewordenen Gewimmel seine Augen schweifen. Es kam ihm erst vor, als sei es entweder selbst verrückt oder es sei in ein Tollhaus geraten. Es sah da halbbatzige Knechtlein, noch wohlfeilere Mägde, Lehrbuben, sogenannte Bauernsöhne, deren Väter mehr schuldig waren, als der Hof wert war, die seit Jahren unbezahlten Zinse nicht gerechnet, Handwerksbursche, an denen es durch die Woche keinen ganzen Schuh gesehen, ja Bettelpack, welches es oft vor seiner Türe gehabt, durcheinanderwimmeln, in glitzerndem Staate, aufgeschwollen von Hochmut, Trotz und tierischer Lust, vollgefressen und -gesoffen zum Verspritzen, tun, als wäre nicht bloß die ganze Welt die ihre, sondern als hätten sie, wenn sie diese Welt verklopft oder verkegelt hätten, noch sieben siebenmal größere Welten zum Verklopfen und Verkegeln. Es war ihm wie einem, der einen Trupp Flöhe betrachtet durch ein Vergrößerungsglas und sie ihm vorkommen wie langhärige Elefanten. Es waren ganz ungeheuer andere Leute, als es in der Woche gesehen, ein einzig Stück schien die Stube zu füllen. Es duckte und drückte sich bestmöglichst in einer Ecke, und doch fürchtete es, gequetscht und erdrückt, ja durch den Luftzug der aufgerissenen Mäuler durch einen der aufgesperrten Schlünde in einen unterirdischen Schlauch gewirbelt zu werden, so trampelten und himmelsappermenteten sie im ganzen Hause herum. Als es sich ein bißchen gefaßt, da rief es das Bild, welches es heute ins Gemüt gefaßt, hervor, und es war ihm, als hätte es eines Rätsels Lösung, als stelle das Bild sich in den Hintergrund dieser Herrlichkeit, und was im Vordergrund so groß und himmelsappermenterlich sei, werde nach und nach dem Hintergrunde zugedrängt, werde kleiner, dürftiger, erbärmlicher, jämmerlicher, zu einem Stübchen voll halbnackter, gramselnder, hungriger Kinder, zu einem Stübchen voll Elend und Not, ohne Kleider, ohne Brot.

Diese Wandlung der Gegenwart in die Zukunft, dieses Zusammenschrumpfen einiger Jahre in einen Augenblick, diese Art von Vision oder Gesicht, lebendig in der Phantasie, hatte Vreneli selbst der Gegenwart entrückt, so daß ihm entging, wie Uli mit dem Wirte, welcher der vielen Leute ungeachtet Zeit machte, um neben Uli abzusitzen, in ein Gespräch geriet und ihm den Kuhhandel vortrug. Erst als der Wirt mit seiner mächtigen Stimme sagte: «Sei nur ruhig, laß den anlaufen, zeige ihm den Meister, du kannst nicht verlieren; du hast recht, ja, wenn dies nicht erlaubt wäre, wer wollte handeln, das käme mir sauber heraus» usw. Vreneli erschrak sehr, es hätte, weiß kein Mensch was, gegeben, sie wären nicht hier eingekehrt. Es sagte: «Ich habe immer gehört, ein magerer Vergleich sei besser als ein fetter Prozeß, die Sache wirft nicht viel ab, und was ein Prozeß kosten kann, weiß man nicht. Mich dünkt, wenn du es gut mit Uli meintest, so würdest du zu Uli sagen: Vergleicht euch, wenn du auch viel oder wenig leiden mußt, so ists doch besser als prozessieren.» «Das verstehst du nicht, Fraueli,» sagte der Wirt, «das ist Männersache; darin habt ihr gar nicht zu reden, am besten ists, man sage euch nichts davon. Schweine mästen und kochen, Kaffee trinken und alle Jahre ein Kind haben, das ist eure Sache und damit punktum. Du mußt das machen wie ich,» sagte er zu Uli, «meine Frau ist mir lieb und wert, warum nicht; was man nicht ändern kann, darin muß man sich schicken, aber was über die Haushaltung aus geht, von meinem Geschäft, gebe ich nicht Bericht. Warum? Darum: sie versteht es nicht und würde doch meinen, sie müsse das Maul in alles hängen, und was trüg das ab?» Vreneli wurde böse und spitzig. Es meine, sagte es, wenn man hülfe das Geld verdienen, so habe man auch das Recht, ein Wort dazu zu sagen, wie es solle gebraucht werden. Es liefe mancher Lump weniger in der Welt herum, wenn er zu rechter Zeit auf seine Frau gehört hätte. Auf den Männern, welche ihren Weibern nicht alles sagen dürften, halte es nicht viel, gewöhnlich stecke was Verdächtiges dahinter, etwas, was besser wäre, sie täten es nicht. «Ist das gestichelt oder sonst getrümpft?» frug der Wirt. «Nimm es, wie du willst,» antwortete Vreneli, «so viel kann ich dir bloß sagen, es ist mir Ernst damit!» «Du hast eine handliche Frau, Uli, die wäre mir nur zu böse,» sagte der Wirt, «die mußt du nicht Meister werden lassen, sonst bleibt die Kirche nicht mitten im Dorfe. Ein wenig böse schadet nicht, gerade so wie ein Haushund; wenn der nicht bellen kann und im Notfall beißen, so ist nichts mit ihm, aber Bettlerpack und Fremde muß er anbellen und beißen, nicht den Meister, da muß er wedeln mit dem Schwanze und kusch machen.» Da wurde der Wirt abgerufen, sonst hätte er wahrscheinlich erfahren, daß Vreneli wirklich zu den Haushunden gehöre, welche bellen und beißen können.

Auf dem Heimwege versuchte Vreneli noch einige Male, den Kuhhandel zur Sprache zu bringen, aber Uli gab uneinläßlichen Bescheid, sagte endlich: «Hast nicht gehört, was der Wirt gesagt hat? Man solle den Weibern über solche Sachen nicht Bericht geben, sie verstünden sich nicht darauf.» «Verstehst du dich denn darauf?» fragte Vreneli; «du weißt von den Gesetzen und dem Prozedieren gerade so viel als das Kind, welches wir heute getauft, und darum dünkt mich, du solltest dich nicht damit abgeben wollen.» «Darum, weil ich und du davon gleich viel verstehen,» antwortete Uli böse, «kann ich nicht bei dir zu Rate gehen, sondern muß zu jemand gehen, der mehr von der Sache weiß als ich und du, und damit punktum, wie der Wirt sagte.»


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