Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Dieser Schluß des Tages jammerte Vreneli sehr. Es hatte an diesem Tage so viel erlebt, erfahren, gedacht, es war gleichsam von den allezeit strömenden göttlichen Offenbarungen umflossen gewesen; wie ein schöner Abendstern hatte ihm Ulis Entgegenkommen geleuchtet, und nun zum Ende Ulis Erkalten, Abwenden zu Andern, Zuwenden einer Klippe, an welcher schon das Dasein von Millionen zerschellte. Es weinte bitterlich, weil Uli den Glauben an es ganz verloren hatte und öffentlich ihm gleichsam abschwur. Jedermann hat einen Glauben, es kömmt eben nur darauf an, was, und hauptsächlich, an wen er glaubt. Der Glaube ist abhängig von der Richtung des Gemütes; ein Sprichwort sagt, man glaube, was man gern habe oder was einem in den Kram diene. Man glaubt den Personen, welche reden, was einem in den Kram dient oder was man sonst gerne hört. Wer hat nicht schon Katzen gesehen, wie gerne sie am Kopfe sich krauen lassen, wie behaglich es ihnen wird, wenn jemand ihnen mit Manier den Balg streicht, wie sie sich auf die Seite legen, alle Viere von sich strecken, jetzt das Bein, jetzt ein anderes aufheben, daß man ihnen auch da krauen solle, daß es auch hier dem Balg wohltäte, wenn er gestrichen würde mit Manier. Wer hat nun nicht auch schon erfahren, daß es so viele Menschen akkurat haben wie die Katzen, manierlich Krauen und Streichen lieben und nicht zufrieden werden, bis man ihnen den Balg an allen vier Beinen gestrichen. Wer nun dieses Streichen und Krauen, welches sich begreiflich nach dem Balge richten muß (ein Winterbalg mag mehr ertragen als ein Sommerbalg, so wie auch Stubenkatzen und Feldkatzen anders zu traktieren sind), wohl versteht, der findet Glauben. Tausende erheben sich nicht über diesen Glauben; an alles und an alle dagegen glauben sie nicht, wer oder was ihnen nicht wohl macht, nicht ihre Behaglichkeit vermehrt, was sie beißt oder juckt. Mit Abscheu und Hohn wenden sie sich davon ab, werfen gewaltig, wie Buben mit Steinen, mit Aberglauben, Pfaffen, Jesuiten und altväterischem Gedampe usw. um sich.

Dieser Glaube wurde durch den Teufel schon im Paradiese eingeführt, als er der Eva den Balg strich. Er verträgt aber keine gewisse Erkenntnis, das hat Eva alsbald erfahren; aber bis auf den heutigen Tag sind Millionen nicht klug geworden, haben die Erfahrung von der Eva nicht geerbt, sondern bloß den Balg, der sich gerne streicheln läßt, und die Lust an allem, was wohl macht und behaglich sein läßt. Zum rechten Glauben bedarf es schon rechter Leute, daß heißt ganz anderer als solcher, welchen es nur um das Behagen des Balges zu tun ist. Der rechte Glaube geht vom Unbehagen aus, nicht vom Behagen, nicht vom Gefühle des Wohlseins, sondern vom Gefühl der Armut und des Wehs, will nicht behaglich den Leib pflegen, sondern gesund machen die kranke Seele, erkennt es, der Mensch sei keine Sau, für den Schlamm geboren, sondern ein Wesen, das gereinigt werden müsse, um zum Leben in höhern, reinern Regionen zu gelangen. Dieses Gefühl ist kein angebornes, entstammt nicht dem Fleische. Wie eine Taube aus den Himmelshöhen mag es sich zuweilen niederlassen auf erwählte Himmelskinder, sonst ist es ein Kind der Zucht, der Zucht von Gott, der Zucht von denen, durch deren Hand Gott die Menschen erziehen will. Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er und läßt ihn züchtigen, und diese Zucht wirket die friedsame Frucht der Gerechtigkeit. Die Zucht wirket das Gefühl der Armut und des Krankseins, ist die wahre Augensalbe, welche den Blinden das Gesicht gibt, sie schauen läßt des Übels wahren Sitz, welche die Erfahrung gibt, aus welchem Samen das Gute wächst, aus welchem das Böse, welche eben den Glauben gibt, daß lieb der Herr die hat, welche er züchtigt, weil es nach den Züchtigungen dem Menschen leichter, wohler wird, seine Kräfte sich gestählt, seine Freudigkeit zugenommen hat. Diese Zucht wirkt ganz was anderes als die Unzucht der heutigen großen Pädagogen und anderer Schulmeister. Diese Unzucht führt die Schüler nicht weiter als dazu, Gott und Menschen zu hassen und unter allen Menschen die großen Pädagogen und sonstigen Schulmeister am allermeisten. Man frage nach dem Respekte der Schüler gegen die Lehrer, man frage nach Liebe und Anhänglichkeit, nach Gehorsam und lebendigem Fleiße, nach gläubigem Vertrauen, man suche Trauben auf Dornenbüschen! Unter der Zucht bildet sich der zarte Keim der Erkenntnis dessen aus, was gut und heilsam ist den Menschen, bildet sich die Kenntnis der Menschen aus. Man lernt unterscheiden, wer es gut meint oder gut zu meinen scheint, wer bloß der Katze den Balg zu streichen oder den Menschen an der Seele zu doktern weiß, da bildet sich der Glaube an Gott und seine väterliche Liebe, der Glaube an die Erlösung durch Christum, der gekommen, zu suchen das Verlorne, der durch Leiden gegangen, am Kreuze gestorben, um zu erquicken die Mühseligen, Ruhe zu schaffen für ihre Seelen, der Glaube an den engen Weg mit Dornen besäet, der zum Himmel führt.

Es bildet sich überhaupt der Sinn für die Wahrheit aus, sei sie bitter oder süß, komme sie vom Freund oder Feind, und der Hunger nach der Wahrheit, der in ehrlicher Treue nach Befriedigung strebt, um ein immer erleuchteterer Christ zu werden. Dieser Hunger ist, beiläufig gesagt, was ganz anderes als das Jagen nach was Neuem, bloß um Professor zu werden und nichts weiter! Vom Vater der Lügen und all seinen Propheten wendet man sich mit Abscheu ab und kriegt einen förmlichen Ekel ob allem Balgstreichen und sonstigem Kitzeln des Fleisches. Diese verschiedenen Richtungen treten auf das Klarste ins Leben hinaus, in allen Verhältnissen, in allen Ständen, in allen Altern. Es gibt auch Menschen, welche an jeder Wahrheit zweifeln, Mißtrauen haben gegen jeden ehrlichen Menschen, welche immer sagen: «Weiß nicht, kann sein, wird sein, ist möglich, weiß aber doch nicht»; so bei den klarsten Wahrheiten, welche man mit Pelzhandschuhen greifen könnte. Die gleichen Leute glauben den schlechtesten Leuten, freilich keine tausendjährige Wahrheit, sondern am liebsten die allerneusten und widersinnigsten Lügen, und lügen sie hundertmal im Tage, so glauben sie es hundertmal; waren sie hundertmal in einem Tage schon angeführt, sie ließen zum hundertundersten Male sich noch anführen, natürlich bei gehöriger Bearbeitung des Balges von einem dieser kunstfertigen Gerber. Je mehr das Fleisch im Preise steigt, desto mehr und häufiger tritt diese schauerliche Verkehrtheit zu Tage. Ein ehrlicher Mensch muß des Tages, es kann kein Mensch zählen wie oft, nach dem Kopfe greifen, um zu erfahren, ob er ihn noch habe, und stundenlang grübeln, ob er bei Verstand sei oder nicht, wenn er unter Menschenkindern sich befindet, welche auf dieser Kulturstufe sind: Musterreiter, Posthalter oder gar Schulmeister, Maurer- oder andere Gesellen.

Jetzt kann man sich denken, wie es einer ehrlichen Frau zumute werden muß, wenn sie diese Glaubensrichtung in ihrem Manne sich entwickeln sieht, wenn er ihren wohlgemeintesten Räten, seit tausend und tausend Jahren bewährt (beiläufig gesagt, erschlugen die alten Deutschen in den Hermannsschlachten mit besonderer Vorliebe Schreiber und Rechtsmenschen; werden einen natürlichen Grund gehabt haben!), die Ohren verschließt und den Balgstreichern sich zuwendet; wenn sie sieht, wie er umgarnt wird und eingesponnen gleich einer Fliege im Spinnennetz; wenn sie erfahren muß, wie ihm ein Dünkel eingepflanzt wird absichtlich, um denselben ihr zu entfremden, seine Ohren gleichsam verpicht werden grundsätzlich, ungefähr wie man denen, welche man erschießen will, die Augen verbindet; wenn sie wohl weiß, der Mann liebt sie, aber der Esel, der Mann, läßt sich aufweisen; weiß ferner, wie man sie lächerlich macht, ihm Mißtrauen einflößt, ihre Einsicht verdächtigt, ihr Recht, etwas zur Sache zu sagen, in Abrede stellt. Und doch geht es um ihre Sache, geht um der Kinder Sache, und sie soll, stumm wie ein Fisch, den Esel fuhrwerken lassen je nach der Lust und der Bosheit einiger Spottbuben, welche die Sache bloß so weit angeht wie einbrechende Diebe eine Geldkiste. Das ist wirklich ein hart Ding und besonders für eine Frau, welche glaubt, einen gescheuten Mann geheiratet zu haben, einen Ausbund; der wird auf einmal rappelköpfig, sturm am Hirn, viel ärger, als wenn ein Roß den Koller hat. Wenn sie wirklich aus der Haut fahren täte, es könnte ihr es niemand verübeln; aber was ist erst erlaubt, wenn diese Richtung des Mannes in einem bestimmten Fall klar hervortritt, wenn er an den äußern Rändern des Wirbels schwebt?

Uli verstand von Recht und Gesetz, Formen, Terminen, Kosten usw. gar nichts; er war in diesem Gebiete einem Wanderer gleich, der in stockfinsterer Nacht in einem Urwalde tappet. Wer das erfahren hat, weiß, wie man da dran ist. Wenn nun so ein stockdummer Mensch noch einen stockblinden Glauben hat zu irgend einem der Propheten, welche Lügen predigen, welche der Teufel angestellt hat, die Leute ins Unglück zu reiten, wie ein Stallmeister Stalljungen hat, um die Pferde in die Schwemme zu reiten, so kann man sich etwas davon denken, wie es geht; aber um es so recht zu wissen, muß man solche Leute selbst reden gehört haben, so aus bloßer Phantasie, en théorie, kann man sich dies doch nicht vorstellen. Sie sind akkurat wie Kinder, welchen man die Buchstaben A B C zeigt. Das Lernen des A B C beruht auf dem Glauben, denn daß die wunderlichen Striche diesen und jenen Laut repräsentieren, müssen die Kinder glauben, und wenn sie einmal durch Zucht dazu gebracht sind, daß sie wissen, welches Zeichen den großen A bedeutet, so drücken sie mit ungeheurem Nachdruck den Zeigefinger oder Daumen auf den großen A und schreien gewaltiglich «A» und dünken sich groß absonderlich. Mit Zeit und Weile lernen sie auch B und C kennen, daran glauben, kommen vielleicht noch weiter, dünken sich alle Tage größer und schreien alle Zeichen gewaltiger; aber den Zusammenhang der Zeichen kennen sie noch nicht, und wenn man ihnen denselben schon zeigt, so begreifen sie ihn nicht. Deswegen dünken sie sich nicht minder groß, sondern eben desto größer. Von einem Zusammenhang der Buchstaben wissen sie nichts, darum scheint es ihnen lächerlich; sie wissen, was sie können, und können, was sie wissen, darum scheinen sie sich so wichtig, und wer was mehr weiß, scheint ihnen dumm oder schlecht.

Nun, so ein Uli, der einen Prozeß anfängt und sein Lebtag kein Gesetzbuch gesehen hat, geschweige gelesen, der ist akkurat so ein ABC-Bub, der eine neue Fibel oder Namenbuch, wie wir hier sagen, unter dem Arme hat und zur Mutter läuft mit großem Geschrei: «Mutter, Mutter, das große A, wo ist es, wo das große A?» Zeigt ihm die Mutter das große A, so schreit er wochenlang «A, A,» tut wie ein Elefant in den ersten Hosen. Kriegt der Uli einen Prozeß unter den Arm, so läuft er damit zu den Gelehrten, diese sagen: «A heißt A, und auf das A folgt das B, das kann nicht fehlen, punktum, hier steht es geschrieben, siehst? Der Prozeß ist gewonnen, ich nähme es nicht zum voraus, wenn man mir es schon geben wollte.» Das glaubt nun der Uli steif und fest und bildet sich ein, ein Rechtsgelehrter zu sein, weil er das A auswendig weiß und etwas vom B kennt; wer ihm Zweifel äußert, der hält es nicht mit ihm, mag ihm sein Glück nicht gönnen, ist ein Lumpenhund und meint es mit dem Gegner gut. Es ist ein förmlicher Fanatismus in diesem Glauben, und je blinder und beschränkter er ist, desto leidenschaftlicher, unduldsamer äußert er sich. Wenn so ein Uli könnte, er würde jeden köpfen oder gar hängen lassen, welcher den geringsten Zweifel schimmern lassen würde, als hätte er den besten Handel von der Welt. So ein Uli würde immer so stark verfahren als ehemals der Großinquisitor von Spanien oder die ehemaligen Ketzerriecher und Ketzerrichter in Deutschland. Die Eintönigkeit, wo kein anderer Ton mehr anklingt, die Wut, wenn doch ein anderer zu den Ohren tönet, werden nie aussterben im Menschengeschlechte und zutage treten allemal, wenn man der Katze lange genug den Balg gestrichen hat. Die Erfahrung machte nicht bloß Vreneli, die Erfahrung macht man dato im ganzen Schweizerlande. Was dabei noch sehr merkwürdig ist, ist die Festigkeit des Glaubens, wenn er sich einmal gehörig an eine Person geheftet hat. Wie der Tiroler zum Beispiel an seine Amulette glaubte, welche hieb- und schußfest machen sollten, und daran glaubte, so oft er auch verwundet wurde, indem er allemal einer besondern Ursache oder eigener Schuld die Zulassung der Wunde zuschrieb, wie man einen Schatzgräbertoren siebenmal prellen konnte und zum achtenmal doch noch Glauben fand, gerade so hat es so ein zum Prozeß angedrehter Uli. Es gibt Leute, welche durch rechtskundige Spitzbuben um ihr ganzes Vermögen gekommen sind und dennoch an die Spitzbuben glauben, und wenn sie wieder zum Vermögen kämen, wieder durch sie sich darum bringen ließen. Man möchte manchmal vor Zorn die Wände auf springen oder vor Wehmut sich die Augen aus dem Kopfe weinen, wenn man die altertümliche und volkstümliche Balgstreicherei und ihre Folgen sieht: blinden Glauben, narrochtiges Treiben und endliches Verderben.

Wenn man das Obige begriffen hat, so wird man auch begreifen, wie es Vreneli war, daß Uli in diesen Wirbel gezogen wurde. Der gute Uli begriff nicht, was Menschen zu reden und zu tun imstande sind, wenn in ihren Bereich eine Kuh läuft, welche sie hoffen mit Streicheln und Sanfttun dahin zu bringen, daß sie sich melken läßt. Vreneli versuchte mehr als einmal noch, ihn vom Prozesse abzubringen, denn das Mannli ließ die Sache nicht liegen, wie man Uli, um ihn trotzig zu machen, vorgespiegelt hatte. Aber das half alles nicht, er hatte einmal jetzt den Glauben nicht zu ihm, sondern zu Andern. Vergebens stellte Vreneli ihm vor, es sei bei dem Prozeß nichts zu gewinnen, nur einen kleinen Schaden zu leiden, wenn man den Prozeß unterlasse; verliere man denselben aber, so könne der Schaden leicht zehnmal größer werden, Verdruß und versäuerte Zeit nicht gerechnet. Aber da half alles nichts. «Das verstehst du nicht,» hieß es. «Ja, wenn ich reich wäre und vermöchte zu schenken; aber ich muß zum Kreuzer sehen, es sieht mir sonst niemand dazu.» Wenn dann Vreneli frug: «Aber magst du solche Kreuzer? Hast du nie gehört, daß ein ungerechter Kreuzer zehn gerechte frißt? Und recht hat das Mannli, du magst es mir glauben oder nicht!» «Das verstehst du aber nicht,» sagte Uli, «das eben wird sich zeigen, wer recht hat, darum prozediert man ja. Wenn man es vorher wüßte, so prozedierte man ja nicht. So ists, und weiser als alle Leute wirst doch nicht sein wollen.» Vreneli mußte sich darein ergeben, aber es hielt ihns hart. «Es wird in Gottes Namen sein müssen. Uli wird eins von den Kindern sein, welche sich brennen müssen, um das Feuer fürchten zu lernen; Gott wird sorgen, daß mit der Zeit die Erfahrung kömmt und mit der Erfahrung die Weisheit. Wenn das ist, in Gottes Namen, so prozediere er, und wenn alles drauf muß; wenn nur am Ende die Hauptsache gewonnen wird, so ist alles gut, denn was kann der Mensch geben zum Werte seiner Seele!» So faßte sich Vreneli bestmöglichst, aber schwer; zu diesem Verdruß kam ein Bangen, welches den Verdruß verschlang.


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