Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Uli mußte dann noch mit ihm zu Abend essen, eine Flasche vom Besten trinken, kurz der Wirt war die Liebe und Güte selbst. Die Wirtin brachte noch was in einem Papier, ein alt Stück Kuchen; das sei für den Gevattersmann, sagte sie, daß Uli ganz glücklich und Rühmens voll nach Hause kam. Es seien doch nicht alle Menschen gleich, sagte er, und wenn man von Einem Unrecht leide, so müsse man sich hüten, auch Andern Böses zuzutrauen, man könnte sich sonst leicht versündigen. «Ich will dem Wirt nichts Böses nachreden,» sagte Vreneli, «aber urteile auch du nicht zu schnell, sondern warte, bis du das Geld hast. Hast du dann einmal dies, dann will ich dir gegen den Wirt gar nichts mehr haben, ich verspreche es dir.» Es ist immer das Gleiche, dachte Uli bei sich selbst; haßt es jemanden, so haßt es ihn, und wen es liebt, den liebt es, und dann ists fertig. Indessen versprach er, sein Urteil nicht abzuschließen und einstweilen vor dem Handeln mit dem Wirte sich zu hüten.

Daß Uli wiederum so viel Glauben zu ihm hatte, freute Vreneli sehr, doch eins freute ihns noch mehr: Ulis Gedanken hatten wieder eine höhere Richtung genommen, verarbeiteten nicht mehr bloß in ewigem und doch mühseligem Kreislauf das Einmaleins, sondern betrachteten Gottes Worte und Wege, forschten nach seinem Willen und bestimmten nach ihm das Tun. Er sprach gerne mit Vreneli über höhere Dinge und erzählte gerne göttliche Fügungen, welche die, die ihn lieben, zur Seligkeit führen, und wie Gott das Verlorne suche und trachte selig zu machen. Er fühlte einen unbestimmten Drang, ein Ungenügen, und dieses verschwand, wenn er mit Vreneli sprach oder las in der heiligen Schrift oder an göttliches Schaffen dachte, die Wunder der Welt betrachtete. Es war dies der geistliche Hunger und Durst, welche begehren nach den Worten, welche aus des Herrn Munde gehen, welche kennen die Speise des Erlösers, das Vollbringen von des Vaters Willen. Es war der eigentliche Zug in ihm erwacht, ohne welchen niemand zum Vater kömmt; das wunderbare, unerklärliche Verlangen ward in ihm stark und mächtig, welches Christus mit den Worten ausdrückte: «Mich verlanget, das Passahmahl mit euch zu essen.» Es verlangte ihn nach dem Pfande, daß er einer sei, der wohl in der Irre gewesen, aber wieder gefunden worden und über den nun Freude im Himmel sei, nach dem Bewußtsein, zu denen zu gehören, welche lebendige Glieder sind am Leibe, dessen Haupt Christus ist.

In gesunden Menschen lebt ein Trieb des Zusammenhaltens, des Einsseins mit Andern, man nennt ihn auch den gesellschaftlichen Trieb. Derselbe kömmt in hunderterlei Gestalten zum Vorschein. Wie oft ists einem Menschen, wenn er doch nur da oder dort eingeladen, in diese oder jene Gesellschaft aufgenommen würde, es ist der höchste Gegenstand seines Sehnens und Strebens. Ist er aufgenommen, ist er mitten unter ihnen, sitzt er am ersehnten Tische, dann fühlt er sich unendlich gehoben; er steht an einem Ziele, er ist glücklich, hoffnungsvoll, er gehört einem Kreise an, der ihm Halt im Leben gibt, eine Stellung verschafft. Ähnlich hat es das Kind mit dem Triebe, in die Kreise der Erwachsenen aufgenommen zu werden, und einmal aufgenommen, wird es nicht fehlen, wenn der Kreis sich sammelt, die Stunde mag es nicht erwarten, lange vor der Zeit steht es draußen und klopfet an. Grade das gleiche Sehnen und Trachten nach der Gemeinschaft ergreifet die, welche Christus angenommen haben. Es zieht sie zu den Brüdern, sie sehnen sich, das Pfand zu erhalten und das Bewußtsein zu stärken, daß sie aufgenommen seien, Christus angehören und vom Vater zu seinen Kindern gezählt werden. Es strömt eine eigene Wonne durch die Berechtigten, wenn sie weilen dürfen in den heiligen Kreisen und empfangen die heiligen Pfänder, und keiner betrachtet die Berechtigung so gleichsam als ein altes Recht, welches man ererbt hat, nichts abträgt, man jedoch nicht erlöschen lassen darf. Davon hat natürlich keinen Begriff, wer den christlichen Zug nicht in sich trägt, nicht geistigen Hunger und Durst hat, sondern bloß fleischliche Triebe und moderne Richtung nach Kneipen, Kaffeehäusern, Spektakeln von allen Sorten, kurz nach etwas Diesseitigem. Solcher Richtungen und Triebe schämt man sich begreiflich nicht, sondern trägt sie offen zur Schau mit großem Gepränge, rühmt sich ihrer mit mächtigem Behagen, betrachtet sie gleichsam als ein Siegel, daß man an der Spitze der Menschheit marschiere munter nach dem Gipfel der Kultur, der freilich einstweilen noch verhüllt im Nebel liegt. Gepränge treiben mit dem Zuge nach oben, mit seiner Freude an der Gemeinschaft kann der Christ nicht, sonst hat er weder den Zug noch kennt er die Gemeinschaft, doch schämen wird er sich derselben nicht, sonst kennt er sie ebenso wenig. Er wird den Hohn der Kinder der Welt nicht scheuen, der Kinder der Welt, welche in ihrem kurzen Sinne keinen Unterschied zu machen wissen zwischen einer veralteten Mode und der Erlösung durch Christum.

Schüchtern tritt man in unbekannte Kreise oder in solche, denen man fremd geworden, und eine gewisse Scheu ist immer zu überwinden, ehe man über ihre Schwelle tritt, und eine Weile gehts, bis das Bewußtsein, daß man hierher gehöre, das Gefühl des Fremdseins überwunden hat. Nun hatte Ulis Entfremdung nicht so lange gedauert, um recht Wurzel zu fassen, sie glich mehr einem Wirbel, in welchem er eine Weile halb bewußtlos herumgetrieben worden, einem Windspiel, einer Wasserhose, welche ihn ergriffen, durch die Luft geführt, ihn wieder hingestellt, daß ihm alle Gebeine knackten, er nicht wußte, wo er war, daß er sich erst langsam zurechtfinden, mühsam seine alte Heimat wieder suchen mußte. Uli hatte das Glück, welches nicht jedem wird, die Brücke ins alte Heimatland in der Nähe zu haben; es war Vreneli. Ulis Abwenden und Weggerissenwerden hatte bei der eingerissenen Lauheit und Gleichgültigkeit wahrscheinlich niemand bemerkt außer eben Vreneli; hatte er nun mit diesem sich verständigt, hatten sie sich gemütlich wiedergefunden, so achtete sich wahrscheinlich niemand seiner, und wer sein Wiedererscheinen bemerkte, fand es sicher sehr natürlich, daß nach so schwerer Krankheit er im Hause Gottes und an des Herrn Tisch erschien, wie ja auch der Kindbetterinnen erster Ausgang ins Haus des Herrn ist und die nächsten Anverwandten, welche einen Geliebten zu Grabe getragen, es nicht versäumen, am nächsten Sonntage in der Kirche zu erscheinen.

In der Mitte des Herbstmonats war es, als Uli mit Vreneli zur Kirche ging. Es war ein feuchter Nebelmorgen, nicht zehn Schritte weit sah man. Kahl wie mitten im Winter waren die armen, zerschlagenen Bäume. Emd lag gemäht in den Matten und harrte traurig der Sonne, um sich trocknen zu lassen. Hier und da, wo man das spärlich gewachsene Gras des Mähens nicht würdig fand, hörte man das Läuten der weidenden Kühe. «Wie doch die Zeit vergeht und was sie alles bringt und nimmt, in wenig Jahren wird es ganz anders um uns und immer nicht so, als wir es uns gedacht», sagte Uli. «Wie lange ist es wohl, daß ich das erstemal hier zur Kirche ging? Es war im Winter und mächtig kalt, es ist mir, als ob es erst gestern gewesen, und doch wird es schon neun Jahre sein oder mehr. Damals dachte ich nicht daran, daß ich jetzt noch da sein werde, damals wiesen mich die Leute auf, daß ich fast noch selben Tages fortgelaufen wäre. Jetzt bin ich noch hier, ein verhagelter Pächter, damals ein munterer Knecht, den es dünkte, die halbe Welt sei sein, jetzt ein geschwächter Mann, der nicht weiß, wo er übers Jahr ist und ob Frau und Kinder zu essen haben oder nicht.» «Bist reuig, daß es so gegangen, daß du nicht am selben Tage fortgelaufen bist?» frug Vreneli mit weicher Stimme. «Nein, wahrhaftig nein,» sagte Uli, «dann hätte ich ja dich nicht und die Kinder nicht, und was will ich mehr auf der Welt! Nein, ich danke Gott aufrichtig, daß er mich so geführt hat und nicht anders. Wenn man alles, was einem begegnet, zu Nutzen anwendet, so soll man nicht reuig werden, und wenn man hineinkömmt, daß das Unglück über den Kopf hinausgeht, so ist das wohl große Pein, aber es setzt sich auch wieder, und wenn man endlich es überstanden hat, so ist man froh darüber und möchte gar nicht, daß es nicht begegnet wäre. Es freut mich nichts mehr, denn es ist mir ein Zeichen, daß die Zucht Gottes bei mir wohl angeschlagen hat, als daß ich so zufrieden bin mit meinem Lebenslauf und Gott aufrichtig danken kann. Ich weiß zwar nicht, wie es gehen wird. Macht Joggeli das Wüsteste, so kündigt er uns, aber wenn wir einander verstehen und helfen, so schadet alles nichts; der liebe Gott, der bis hierher geholfen hat, wird ferner helfen.»

Ulis Vertrauen und Ergebung hatte noch eine Probe zu bestehen. Als er unter die Menschen kam, war es fast, als sei er ein Gespenst, welches aus dem Grabe komme, frech am hellen Tage. Mit weiten Augen glotzten ihn die Leute von ferne an, als sei er eine Giraffe aus Afrika, und kam er näher, so drehten sie sich weg und machten sich auf die Seite. Da waren Wenige, welche ihm standhielten, und noch Wenigere, welche ihm die Hand boten freundlich, ihm Glück wünschten über seine Genesung, ihn bedauerten wegen seinem Unglück. Sie wußten zwar wohl, daß er kein begrabener Mann war, aber es wäre ihnen recht gewesen, er wäre es, dann aber auch im Grabe geblieben. Sie betrachteten ihn als einen verlornen Mann, und von solchen hat man es lieber, wenn sie einem aus den Augen kommen, solche setzen die meisten Leute in die größte Verlegenheit. Bloß die, welche allen feinern Gefühlen abgestumpft sind, die gröbste Selbstsucht für die größte Tugend halten, halten ihnen kaltblütig stand und fertigen sie sackgrob ab. Andere kommen aber eben in große Verlegenheit. Den Einen sagt das Gewissen, sie könnten helfen und sollten helfen, aber sie mögen nicht; Andere fürchten, sie möchten um Hülfe angesprochen werden, sie wollen sie abschlagen, natürlich, aber ihnen fällt nicht gleich eine Ausrede ein; noch Andere glauben, herabgekommene Leute müsse man verachten, man schade der eigenen Ehre und seinem Kredit, wenn man mit ihnen freundlich sei, gut bekannt scheine, aber es drückt sie eine gewisse Unbeholfenheit, mit Manier das alte Verhältnis abzubrechen und ein neues festzustellen. Das Kürzeste und Kommodeste wäre immer in alle Wege, einen solchen Menschen totzuschlagen und sechs Fuß hoch mit Erde zu bedecken, da kriegte man ihn nicht mehr zu Gesichte. Wir sind halt in alle Wege von Natur schwache, schlechte Geschöpfe und zwar ehemals und jetzt, siehe Petrus in Kaiphas Hofe, siehe auf jeder Börse und an jeder Kirchtüre, absonderlich auf den Rathaustreppen. Das sind aber harte Erfahrungen für einen Menschen, der ohne seine Schuld, wie man zu sagen pflegt, obgleich es nur teilweise richtig ist, ins Unglück gekommen, wenn er sieht, wie man ihm ausweicht, ihn aufgibt. Da gibt Mancher sich selbst auch auf. Es braucht Mut dazu, das Vertrauen festzuhalten, wenn man sieht, daß alle keines mehr zu uns haben. An die Stelle des Vertrauens kömmt der Zorn, der Haß und die Rache, und aus einem, der zu retten gewesen, wird ein unversöhnlicher Feind der Menschen.

So geschah es jedoch mit Uli nicht. Er bemerkte das Benehmen der Menschen wohl, und Vreneli fühlte es noch besser, da sogar Bettelweiber sich seiner verschämten und ihm auswichen. Anfangs tat es Uli im Herzen weh, als er aber in die Kirche kam, die Orgel rauschte, die Gemeinde sang, der Pfarrer betete und predigte, die Gemeinde zum heiligen Tische wallte, da vergingen ihm die bittern Gefühle; er vergaß das Tun der Einzelnen, er fühlte nur die Wonne, der Gemeinde Christi anzugehören und Pfänder und Siegel zu empfangen, daß auch ihm seine Sünden vergeben und Gerechtigkeit und ewiges Leben um Jesu willen aus Gnaden geschenket sei. Wenn schon die Einzelnen von ihm wichen, er blieb doch in der Mitte der Gemeinde, blieb teilhaftig der Schätze und Gaben, welche unser große Meister und Herr seiner Gemeinde erworben hat. Was hat das Abwenden Einzelner zu bedeuten, wenn man dabei ein lebendig Glied des großen Ganzen wird, dessen Herr und Meister der ist, von dem sich auch alle gewandt, über den ein toll und töricht Volk das «Kreuzige!» gerufen hat. Aber wenn einer die Gemeinde Gottes verlassen und Fleisch für seinen Arm gehalten hat, und nun wird er auch von den Menschen verlassen, der ist dann allerdings ein armer Verlassener, ein unglücklicher Tropf.

Ein Herz voll reichen Segens trug Uli aus der Kirche, sein Sinn war so mild wie die Sonne, welche den Nebel durchbrochen hatte und gar lieblich schien, er konnte von Herzen sagen: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun. Er konnte wie ein Kind sich freuen und sagen: Weichet nur von mir, ich gehöre euch doch an und es kommt die Zeit, wo ihr mich werdet als Bruder erkennen, euch meiner freuen werdet und mir danken, daß ich nicht Gleiches mit Gleichem vergalt, in Gott die Gemeinschaft festhielt, als die Welt feindselig sich zwischen uns stellen wollte. Als sie alleine auf dem Wege wieder waren und Vreneli frug: «Und was sagst zu den Leuten?», antwortete Uli: «Nicht viel, es ist immer wie immer und wird also bleiben, man kann es zum voraus wissen, und doch tut es anfangs weh, wenn man es selbst erfährt.» Nun erzählte er Vreneli, was ihn getröstet, das freute Vreneli sehr, und einiger als nie kamen sie heim. Es war, als hätten sie neu ihren Bund geschlossen, und mit neuer Kraft und Besonnenheit gingen sie an ihr schweres Tagewerk.

Eine große Freude hatten sie. An einem schönen Morgen kam ein Wägelchen daher, fast anzusehen wie ein Müllerwägelchen, denn Kornsäcke lagen darauf. Den muntern Jungen auf demselben kannten sie nicht, und erst als er den Gruß von Vater und Mutter vermeldete, erkannte ihn Uli als des Bodenbauern Kind, welches ihm aber aus den Augen gewachsen war. Der brachte einige Scheffel vom schönsten Samenkorn und anderes Gesäme. Der Vater habe gesagt, sie könnten es wohl entbehren und hier werde man es brauchen können, berichtete der Junge. Eine solche Gabe in der Not hat nicht bloß einen äußern Wert, sondern einen noch viel größern innern, ist so gleichsam das Ölblatt, welches die Taube dem Noah brachte als das Zeichen, daß Gottes Zorn im Aufhören sei und seine Güte wieder hervorbreche im Grünen und Blühen der Erde. Joggeli ärgerte sich über des Bodenbauern Güte, wahrscheinlich nahm er sie als Vorwurf für sich. Er fragte den Jungen, was das Malter kosten solle? Soviel er wisse, nichts, sagte der Junge, es sei Steuer an den Hagel, wie das so der Brauch sei unter rechten Leuten von je. «Aber Junge, wenn dein Vater sein Korn so billig verkauft, was erbst du dann?» frug Joggeli hämisch. «Gottes Segen, sagt die Mutter», antwortete der Junge. «Ja,» sagte Joggeli, «aber damit hat man nicht gegessen, und nur mit dem kriegst du keine reiche Frau. Wenn mein Vater so gewirtschaftet hätte, es hätte mir angst gemacht.» «Glaubs,» sagte der Junge, «Ihr und der Vater werdet darnach gewesen sein, mir aber macht es nicht angst; habe noch nie gesehen, daß der Vater was Unrechtes getan, und wenn er auch alles weggibt, so ist es seine Sache und nicht meine. Und wenn ich schon nichts erbe, so hat der Vater uns so erzogen, daß wir uns was erwerben können, und nicht zu Tagdieben und um von seiner Sache zu schmarotzen und sie zu verbrauchen.» Das kam Joggeli in die Nase, er kehrte sich, steckelte ins Stöcklein und machte die Türe zu.

Ulis ruhigere Gemütsweise, sein milderes Wesen, welches nicht immer erhitzt war zu Feuer und Flammen im Jagen nach einem unerreichbaren Ziele, einem Wagen gleich, den man ohne Roß und ohne Schmiere dahintreibt, hatte einen wohltätigen Einfluß auf die Arbeiter und das Gesinde. Dasselbe schaffte williger, schickte sich in die Lage, und der Eine oder der Andere sagte: Es sei kurios, er habe geglaubt, erst jetzt hätten sie es recht bös, das sei aber nicht, es sei ein viel besser Dabeisein als vor Hagel und Krankheit. Der Junge wußte nicht, daß für das Dabeisein es viel mehr ankömmt auf die Stimmung im Gemüte als auf das Schmalz im Gemüse. Diese Ruhe muß sein, wenn die notwendige Besonnenheit, welche alleine den Sturm der Umstände siegreich bestehen kann, sich entwickeln soll. Napoleons großer Heldenmut bestund bekanntlich eben in diesem besonnenen Zusammenziehen seiner Kräfte, vermittelst welchem er nirgendwo unnütze Kräfte liegen hatte, sondern alle schlagfertig unter Augen, nicht bloß um Angriffen zu begegnen, sondern am geeignetsten Punkte durch rasches Durchfahren sich Luft zu machen.

Gelehrte, Schulmeister und andere Züchtlinge der modernen Schule werden diese Vergleichung sehr ab Ort finden, denn Krieg und ein Hauswesen, Napoleon und ein Uli scheinen weit außerhalb dem Kreise möglicher Vergleichungen. Wir bemerken einfach, daß nicht bloß jeder Christ ein Kriegsmann sein soll, sondern daß jeder Hausvater einer sein muß, er mag wollen oder nicht, daß die Welt ringsum auf ihn schaut Tag für Tag und daß er gegen diese Welt, bestehend aus Umständen und Persönlichkeiten, stehen muß, wenn er nicht zu Boden getreten sein will, daß er ihr abstreiten muß, was er sein nennen will. Die erlaubten Streitweisen, das wahre Kriegsrecht findet sich in Gottes Gebot und nicht in ochsenhaften Gelüsten. Wahre Grundsätze müssen aber wahr sein, im Kleinen und Großen sich bewähren. Daher meinen wir, Napoleons Kriegsgrundsätze, mit welchen er die halbe Welt bezwang, dann der halben Welt standhielt, bis die Übermacht ihn ohnmächtig machte, seien von jedem Hausvater zu brauchen, der eine Ziege und drei Hühner hat. Es liegt eine so wunderbare Einfachheit darin, daß sicher so mancher Holzhacker wunderbare Triumphe über die Welt feiern würde, wenn er sich die Mühe nehmen täte, dieselben sich zu eigen zu machen. Daß aber menschliche Berechnung und die kaltblütigste Besonnenheit ihre Schranken haben und daß nicht ein Mensch es ist, sondern ein ganz Anderer, der sagt: Bis hieher und nicht weiter, das hat niemand wiederum besser erfahren als eben der Napoleon. Die Anwendung aller in ihm liegenden Kräfte und die Bestimmung der Richtung dieser Anwendung liegen am Menschen, den Ausgang aber bestimmt Gott.

Das sind große Worte für kleine Dinge, aber die kleinsten Dinge sind für den, welcher nicht größere erlebt, groß genug, um mit den größten Worten sie auszudrücken, und die Zahl derer, welche nur sogenannte kleine Dinge erleben, ist unendlich größer als die Zahl der Herkulesse, Alexander und Napoleon. Daher wird dem Volksschriftsteller, welcher nicht für große Helden, nicht einmal für eidgenössische schreibt, erlaubt sein, das sogenannte Kleine, aber den Weisen das Wichtigste, auch mit den gewichtigsten Worten darzustellen, welche ihm zu Gebote stehen.


 << zurück weiter >>