Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie Gott und gute Leute aus der Klemme helfen

Unterdessen verfiel der Zins, Joggeli wollte keinen Kreuzer daran schenken. Wenn man das Geld nötig hätte wie er, so schenke man nichts, das wäre ja das Dümmste, was er machen könnte. Dann wohl, dann hätte man das Recht, ihn zu bevogten! Wenn er schon wollte, er dürfte nicht, Johannes täte viel zu wüst; er glaube, er risse ihm den Kopf ab, sagte er. Es dünkte Uli streng, er hatte Lust, wenn auch nicht zum Prozedieren, so doch Vermittler anzusprechen, oder wie man hier sagt, eine Freundlichkeit anzustellen. Überdem, meinte er, könnte man ja eine Gegenrechnung machen. Vreneli müsse so viele Zeit mit Joggeli versäumen; sie lieferten mehr, als sie schuldig seien, und Elisi samt seinen Kindern müßten sie ja fast alleine erhalten, die Kinder seien immer bei ihnen und über ihrem Tischkasten, als ob es ihr eigener wäre. Vreneli wehrte: «Wo kein Verstand mehr ist, kann man keinen machen. Bei der Vermittlung käme nichts heraus, wenn die Männer schon einreden würden. Johannes, der Unflat, täte es nicht, der ist zu geldhungrig. Mit dem Rechnen ists ebenso. Sie würden sagen, wenn wir mehr gegeben, als wir schuldig seien, so sei das unsere Sache. Warum wir es getan, warum wir Elisi und seine Kinder nicht fortgejagt? Wenn wir die Guttätigen machen wollten, so sollten wir nicht hintendrein abrechnen wollen, das hätte keine Form. So würde man uns antworten, dann könnten wir prozedieren; vielleicht täten wir es gewinnen, vielleicht verlieren, und wollen wir das?»

So sprach Vreneli. Uli sagte, er wisse, was Prozedieren sei, die Lust dazu habe er verloren. Er habe bloß gemeint, man könnte probieren, so gleichsam an die Türe pochen. «Weißt nicht, Uli,» sagte Vreneli, «daß der Teufel ein Schelm ist? Gibt man ihm einen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand. Und dann ist das: die Sache scheint sich in die Länge zu ziehen, wir können sicherlich dableiben noch ein Jahr und die Aussichten sind prächtig. Wir haben ja Lewat, der alleine macht uns wenigstens den halben Zins, wenn es gut geht. Zudem bedenke, ich habe lange das Gnadenbrot gegessen hier. Es war freilich oft stark gesalzen, doch nicht durch die Base, und wenn ich später auch etwas dafür geleistet, so wußten sie doch dies nicht, als sie anfingen, es mir zu geben, denn ich war ein böser Drache von Mädchen. Wenn wir es jetzt auch nicht überflüssig haben, so haben wir es doch, und wer weiß, ob wir je wieder ein Zeichen tun könnten, daß wir erkennen, was ich empfangen.» «Es wäre recht so,» sagte Uli, «wenn wir nur wüßten, wo nehmen und nicht stehlen.» Ja, sagte Vreneli, stehlen sei eine wüste Sache, das helfe es auch nicht. Aber als das letztemal der Bodenbauer dagewesen sei, habe er gesagt, sie wüßten, wo er wohne. Ja, sagte Uli, das sei alles gut, aber immer und immer wieder Bettlerwege laufen zu sollen, sei er doch endlich satt. Vreneli verstand den Ton besser als die Worte, und in seinem lebendigen Gerechtigkeitsgefühle war es ihm klar, daß Uli allerdings Mehreres habe austreten müssen, was es angegeben, daß ihm das wiederholte Hülfesuchen bei dem Bodenbauer sehr zuwider sein müßte.

Vreneli hatte Vernunft und hielt seinen Mann nicht für einen dummen Schweizermann, zu nichts nutz, als deutschen Jungen und Allerweltsbuben, bankerotten Italienern und herrschsüchtigen Weibern Kastanien aus dem Feuer zu holen, kurz es hielt ihn nicht für einen Neidgauer. «Weißt du was,» sagte Vreneli, «unser jüngstes Kind ist noch nicht eingeschrieben; das älteste bittet schon lange, einmal zur Gotte zu fahren, sie habe ihns eingeladen; nächsten Sonntag nehme ich den Fuchs, er ist ein guter alter Trappi, mit dem darf ich fahren und will suchen, was da zu machen ist. Es ist jedenfalls am anständigsten, man verrichte solche Sachen selbst.» Uli begann keinen edlen Wettstreit, er sagte bloß: «He ja, wenn du meinst.»

Vreneli fuhr wirklich am nächsten Sonntage mit dem alten Fuchs und seinen jungen Kindern. Es war ihm wie einer Henne, wenn sie zum ersten Male ihre Brut zu Felde führt, voll Stolz und Angst. Es waren aber auch drei allerliebste Kinder, mit welchen es ausfuhr. Sie hatten eine ganz absonderliche Freude, und je mehr sie sich freuten, desto wehmütiger ward Vreneli. «Ihr armen Tröpflein,» mußte es immer denken, «ja, freuet euch nur, es ist das erste Mal und wahrscheinlich auch das letzte, daß ihr mit einem Pferde fahren könnt; dann, ihr armen Tröpflein, könnt ihr einander selbst ziehen, wenn ihr fahren wollt.» Seit seiner Hochzeit war es nie da oben gewesen, eine rechte Hausfrau kömmt selten weit vom Hause auf dem Lande, besonders wenn Gott sie alle Jahre mit einem Kinde segnet, in den Schaltjahren mit zweien. Da gab es wohl Vergleichungen zwischen den frühern Reisen zu Bodenbauers und der jetzigen. Es wäre zu wünschen, solche Vergleichungen würde kein Gemüt peinlicher fassen. Die erste Reise war die, auf welcher Uli Vreneli eroberte, die zweite zur Hochzeit, die dritte also die mit drei Kindern, das jüngste war daheim geblieben. Es lag in den äußern Umständen wohl eine Demütigung. Pläne, Hoffnungen sind zu Wasser geworden, verhagelt, fremde Leute müssen um Geld angesprochen werden. Aber ists wiederum doch nicht was Schönes, eine eroberte Würde darin, daß eine Frau mit solchem Vorhaben ausführen darf, mit unbeschwertem Gewissen und in heiterm Vertrauen, die Bitte werde nicht abgeschlagen? Sackerlot, ihr Weiber im Oberland und Seeland, in Baselland und Waadtland, wie Manche unter euch darf sich zu Wagen setzen, mit keinem Vermögen als einem Häuflein Kinder zu einem alten Gläubiger fahren und ihn ersuchen, aufs neue einzustehen, und zwar nicht etwa insgeheim, daß es unser Herrgott selbst nicht einmal vernehmen soll, sondern offen vor Weib und Kindern? Ja, das ist doch etwas Großes, darin liegt ein schönes erobertes Vermögen.

Ja, wie Manche aus aller Herren Ländern könnte mit Titeln vornen und Titeln hinten, zu Fuß, zu Wagen, zu Roß, mit oder ohne Kinder in allen fünf Weltteilen herumfahren, sie kriegte vielleicht mit Betteln einige Kreuzer zusammen, aber anvertrauen, anvertrauen auf ihr ehrlich Gesicht oder ihren ehrlichen Namen würde kein vernünftiger Christenmensch ihr drei Kreuzer! Ja, Mesdames zu Stadt und Land, so schlecht ists mit Tausenden unter euch bestellt: nicht drei Kreuzer auf euer ehrlich Gesicht oder euern ehrlichen Namen! Das ist verdammt wenig, von wegen es sind beide darnach bestellt. Doch tröstet euch, Mesdames, es ist mit den Herren oder Männern, wie man will, noch schlechter bestellt. Wie viele und hochgestellte und hochberühmte schießen im Lande herum wie eingeschlossene Fledermäuse an den Fenstern, suchen Vertrauen und finden keins; ja, nicht einen einzigen Kreuzer kriegen sie auf Gesicht oder Namen, sie mögen schießen, surren, stürmen, so viel und so lange sie wollen. Höchstens vertraut man ihnen das Vaterland an, ein Zeichen, wie hoch man dasselbe achtet! Ja, wenn man alle die sammeln und zusammenstellen würde, Weibervolk und Männervolk, welche Geld borgen möchten und gar keines oder höchstens drei Kreuzer kriegen, man könnte mit ihnen ganz Hinterasien bevölkern und Vorderasien wenigstens halb. Nun, wenn diese Völkerwanderung mal stattfinden sollte, was für die Bequemlichkeit und Ruhe Europas nicht so unpassend wäre (man denke, wie viel Stellen ledig würden in Königstümern, in Republiken, an Höfen, in Wasch- und Ratshäusern), so kann Vreneli daheim bleiben, es bekäm Geld und notabene gern. Das gern ist noch seltener als Geld.

Des Bodenbauers Frau war aber auch eine, wie man sie nicht hinter jeder Haustüre findet. Sie dachte nicht bei sich: Gibt wohl der alte Narr der Jungen da Geld? Wohl, dem wollte ich! Sie rief ihn auch nicht beiseite und sagte ihm: «Probier und gib dieser! Machsts, beim –, ich lasse mich scheiden; das wäre mir wohl, so alt wie du bist, schäm dich und denk an Kinder und Großkinder!» Die Bodenbäurin hatte tiefes Bedauern. «Nur nicht den Mut verlieren,» sagte sie, «es kommt schon noch gut; ein paar Jahre, so könnet ihr euch wieder aufhelfen. Ja freilich, helfen muß man euch. Es ist ja hundertmal nützlicher, man unterstütze brave Leute, wo man noch den Glauben haben kann, das Geld sei nicht zum Fenster hinausgeworfen, als man werfe es in Spekulationen, wo ein paar Spitzbuben reich werden, während man keinen Kreuzer davon wiedersieht. Aber freilich, die Leute sind selbst schuld, daß man nicht so Vielen aufhilft, als man wohl könnte und möchte. So Viele begehren nicht wieder zu zahlen und werden die ärgsten Feinde, wenn man sie mahnt ans Wiedergeben, es ist akkurat, als ob man ihnen ihre eigene Sache stehlen wolle. Und wie wohl käme es so manchem Handwerksmann, der was anfangen möchte und kein Geld hat, wenn das alte Vertrauen noch wäre. Früher, wenn so einer kam, redete ich meinem Mann immer zu, jetzt freilich wehrte ich schon öfter ab. Aber schämen muß ich mich, daß es bei unsern Verwandten, freilich so ganz nahe sind wir ihnen nicht mehr, so geht; darum ist es nur billig, daß wir gut machen, was sie sündigen. Haltet es dem Alten nicht für ungut, denkt, er wisse nicht, was er mache, und daß er in der Klemme ist, und da wird man gerne wüst gegen die Leute, will sich damit helfen und macht die Sache immer schlimmer. Denk an die gute Base und sieh um ihretwillen zum Alten, sie hatte auch nicht gute Zeit bei ihm und tat ihm doch, was sie konnte.»

Das war eine schöne Rede, welche die Bodenbäurin fallen ließ, in Kammern und Parlamenten hört man langweiligere und kommt dazu doch nichts dabei heraus. Der Bodenbauer gab das Geld. «Probiert aber,» sagte er, «und gebt dem Vetter das Papier, welches euch der Wirt gegeben hat, an Zahlungsstatt. Er ist auch schuld, daß Uli sich da eingelassen, und wenn er es schon nicht annimmt für immer, so ist es doch nichts als billig, daß er dem Wirt ein wenig die Faust macht. Ein Handel mehr oder weniger soll ihm nichts machen, und vielleicht trifft er einen glücklichen Augenblick, wo es wieder tropfet beim Wirt.» Vreneli nahm aber auch das Geld nicht leichtfertig, nicht mit den Worten halb Spaß, halb Ernst: «Jetzt habe ichs, jetzt könnt ihr sehen, daß ihr es wieder kriegt», sondern mit einem tiefen Seufzer. «Weiß Gott, wann wir es wieder geben können, aber es soll geschehen, wenn Gott uns das Leben läßt, und sollte ich es mit Kuderspinnen verdienen.» «Das würde dich doch noch blangen», sagte die Bodenbäurin lachend. «Wir wollen hoffen, es werde dir besser gehen. Ihr seid Beide jung, eine Zeit ist nicht alle Zeit, und wer das Unglück brav ertragen hat, der wird dann wohl auch mit dem Glück umzugehen wissen. Je schwerer es dir ist, das Geld zu nehmen, desto leichter, hoffe ich, wird dir das Wiedergeben, oft geht es umgekehrt.»

Sie waren also sozusagen wieder unter Dach, geborgen im Wohlwollen oder in der wohlerworbenen Gunst guter Leute, und konnten ruhig die Tage kommen sehen. Uli glaubte, er sei es ihrer alten Freundschaft schuldig, dem Wirt das Papier zuerst zum Einlösen zu präsentieren, ehe er es in fremde Hände zu geben versuche. Diese Zartheit rechnete ihm aber der Wirt nicht eben hoch an. «Mache du mit dem Wisch, was du kannst. Wenn ihn jemand will, so gib ihn und wirf noch die Kappe nach! Aber Geld begehre nicht von mir, und wenn du mich auf den Kopf stelltest, nicht einen halben Gulden fändest du. Wenn es der eigene Bruder wäre, jetzt könnte ich ihm nichts geben. Mit Betreiben habe keine Kosten, wenn ich dir einen guten Rat geben kann. Machst du mich unglücklich, kriegst du erst nichts. Da sind viele Hunderte vor dir, welche ihre Sache vorab wollen, wenn sie was finden, heißt das. Wartet man mir, ist mir einmal der Schwäher gestorben und hat unser Herrgott mir den Vater abgenommen, er muß ihm nicht lieb sein, er hätte ihn sonst längst begehrt, so gehts dann schon. Aber einstweilen setze man ab! Wenn ich schon wollte, beim besten Willen könnte ich nicht.» Es sei doch hart, meinte Uli, daß er sein Geld so nötig habe und es nicht erhalten könne und vielleicht gar für einen Andern Geld borgen müsse. «Kann dir nicht helfen,» sagte der Wirt, «da siehe du zu,» ging und zeigte sich nicht wieder.

Als Uli den Joggeli zahlte, kam es diesem doch selbst über das Herz, daß er es Uli wüst mache. «Ich würde dir gerne was zurückgeben,» sagte er, «aber ich mangle das Geld gar übel. Das andere Jahr aber, da will ich dir daran denken; sinn daran und mahne mich.» Das künftige Jahr soll gar oft gut machen, was im laufenden gefrevelt worden. Aber kömmt es dem Frevler immer? Mit dem Papier, sagte er, möge er nichts zu tun haben, er wollte, er hätte es sein Lebtag so gehabt. Er solle es dem Johannes zeigen, wenn es dem recht sei, so sei es ihm auch recht. Dem Johannes war es aber begreiflich nicht recht. Er fluchte gar mörderlich Uli an: Ob er auch einer von denen – schelmen sei, welche den Vater um den letzten Kreuzer betrügen wollten! Er wisse ja, der Alte wisse nicht mehr, was er rieche oder schmecke, geschweige denn was er lese, und doch käme er ihm mit einem Papier daher, welches keinen faulen Heller wert sei, er möchte es nicht für eine Pfeife damit anzuzünden.

Uli ward böse. Er habe nichts darwider, daß Joggeli durch Schelme um sein Vermögen gebracht worden seie, aber mit denen lasse er sich noch lange nicht zusammenzählen, eiferte er. Er habe hier nichts gewonnen, das Widerspiel, was er gehabt, lasse er dahinten, und warum? Weil man ihn behandle, wie es vor Gott und Menschen nicht recht sei, zum Dank, daß er den Hof in Aufgang gebracht. Das sei doch wohl nie erhört worden, daß man erst einen Pächter verleite, nicht in die Assekuranz zu tun, um den Beitrag zu ersparen, und hintendrein den Hagelschaden alleine tragen lasse, keinen Kreuzer am Zins schenke. Daß er da Papier hätte statt Geld, sei auch nicht alleine seine Schuld. Er werde sich aber hüten, von einem Wirte Papier anzunehmen, deren Zeug sei mit Schein heutzutage nicht einen faulen Heller wert.

«Wie meinst das?» schnaubte Johannes. «Nimms wie du willst, es ist mir gleich,» sagte Uli. «Potz!» brüllte da Johannes, «ich will dir zeigen, wer du bist; nackt mußt du mir auf die Gasse und vielleicht noch anderswohin!» «Meinst, ich solle dir nach?» sagte Uli, «habe keine Lust dazu, und zwingen wird mich niemand, von wegen ich habe ein reines Gewissen und saubere Finger.» «Wart nur,» sagte der Wirt, schwarzrot im Gesicht, «dir will ich den Marsch machen!» «Mach, was du willst,» sagte Uli, «aber ich denke, es gehe nicht mehr lange, so werden ich und du hier auf der Glungge akkurat gleich viel zu befehlen haben, und wenn ich dann noch was schuldig bin, so bin ich es sicher nicht dir schuldig.»

Sie griffen nicht zusammen, aber großen Zorn hatten Beide zu verwürgen. Johannes konnte dieses nicht trocken tun, er mußte Wein dazu gießen und zwar brav. Er ging daher zum Wirt, dessen Papier er soeben so hart ausgescholten. Derselbe war sein bester Freund geworden, seit Johannes öfters auf der Glungge war. Je ähnlicher ihre Verhältnisse wurden, desto mehr näherten sich ihre Herzen, Keiner konnte dem Andern mit Geld helfen, aber mit Rat, und wenn Einem kein Kniff einfiel, so stolperte der Andere über einen. Ihr Hauptwitz drehte sich um folgende drei Punkte: so viel möglich auf Borg zu kaufen, der Bezahlung auszuweichen oder die Last von einer Achsel auf die andere zu legen, wie man zu sagen pflegt.

Hier erzählte nun Johannes, wie er es dem Uli gemacht und noch ferner es machen wolle. «Du hast recht, nur ausgefahren mit dem,» sagte der Wirt. «Das ist der dümmste Mensch auf Gottes Erdboden, jedes Kind kann ihn zum Narren halten. Man kann ihm angeben, was man will, er glaubt alles, und rühmt man ihn erst, so steht er dir zweg wie ein Hund, den man streichelt. Er ist mir alle Augenblicke vor der Türe und will Geld, aber er kann noch lange kommen und wird doch keines sehen. Da wäre man ja dumm, sein Geld zu verwerfen, um Leute zu bezahlen, welche man nicht zu fürchten hat. Zu denen muß man sehen, welche wissen, wo angreifen, die hat man zu fürchten; aber die, welche man zurückschrecken kann, die kann man unbesorgt springen lassen. Einmal gibt man ihnen gute Worte, ein andermal böse, und laufen sie endlich zu einem Agenten, so steckt man dem was und die Sach bleibt jahrelang am gleichen Orte; der Lümmel kann nichts daran machen und kommt nie darüber, wo es hält. So muß man es solchen Menschen machen. Gott Lob und Dank, es gibt noch viel Solche, sonst wäre unsereiner böse bestellt.»

Was der Wirt da so bündig auseinandersetzte, ist wirklich auch so. Es gibt Leute, welche mit Taschenspielergewandtheit dem Bezahlen auszuweichen wissen, immer noch Kredit finden, eine unbegreifliche Schuldenmasse aufhäufen, ihre Last jahrelang nicht einmal zu fühlen scheinen, bis endlich das künstliche Gebäude schauerlich zusammenbricht. Hinwiederum gibt es Leute, welche verdammt zu sein scheinen, nie zu ihrem Gelde kommen zu können, beständig verlieren. Es sind dieses zumeist noch Leute, welche das Geld sehr nötig hätten, welche der Verlust tief schmerzt, wie zum Beispiel Uli. Es sind zumeist gutmütige, leichtgläubige Leute, welche man traulich zu machen weiß, eben wie Hunde mit Streicheln, Leute, welche entweder keinen Begriff vom Rechtsweg oder nicht Mut haben, ihn zu verfolgen, Leute, welche von den Agenten noch gerupft werden, statt bei ihnen Hülfe zu finden. Für die ärmere Klasse ist in diesem Punkte ein schweres Leiden. Was soll man aber zu einer Gesetzgebung sagen, welche dieser Sorte von Taschendieben ihr Handwerk erleichtert und wohlverstanden auch sichert, während sie den Kredit der ärmeren, aber ehrlichen Klasse zerstört?

Wie wenn es wirbelt in Fluß oder See, die Kreise sich immer enger und enger ziehen, bis endlich eine unwiderstehliche Kraft die Wasser und was sie tragen niederwirbelt auf den Grund, um sie loszulassen, die Wasser in Schaum aufgelöst, tot oder zerbrochen, was sie trugen, so zogen sich Joggelis Prozesse, an denen er nichts begriff, enger und enger zusammen.

So sollte er zum Beispiel einen Eid schwören, er hätte dem Tochtermann die Schuldverschreibung nicht unterschrieben, während er auf der andern Seite bevormundet werden sollte wegen Geistesschwäche, anderer Händel nicht zu gedenken. Den Eid wollte er schwören durchaus gegen den klaren Buchstaben. Aber der Sohn hatte es ihm ausgelegt mit einigen Flüchen. Die Auslegung hatte Joggeli gefaßt und hielt sie fest, und was Pfarrer und Andere sagten, es war alles an eine Mauer geredet. Vreneli machte ihm einmal Vorstellungen, ob er mit einem falschen Eide ins Grab wolle? Um sein Vermögen habe er sich gebracht, ob er nun zu guter Letzt auch seine Seligkeit verwerfen wolle? «Das verstehst du nicht,» antwortete Joggeli, «Weiber sollten in solche Sachen gar nicht reden. Meine Frau selig tat es auch immer, darum kam die Sache endlich so. Johannes hat es mir ausgelegt, daß der Eid mich gar nicht berühre, er wird das besser wissen als du. Ungerechteres könnte es doch nichts geben, als wenn ich so mir nichts dir nichts ein solch Geld zahlen sollte. Das wird mir doch kein rechter Mensch zumuten? Aber du hieltest es immer mit allen Andern gegen mich. Was ich dir zuleide getan, weiß ich nicht. Wenn wir dich nicht angenommen, als dich niemand wollte, so könntest du jetzt sehen, was aus dir geworden. Das wird wahrscheinlich der Dank dafür sein sollen. Ich sagte es der Frau selig immer, was du für eine seiest, aber sie wollte es nie glauben. Jetzt könnte sie es wieder erfahren.»

Was sollte Vreneli darauf sagen? Kömmt einmal ein Mensch in diese Verstocktheit, wird er so kindisch oder hat er sich so tief in einen Wahn festgerannt, so nützen Worte nichts mehr. Die Tränen schossen Vreneli in die Augen. «Ja, wenn die Base noch lebte, es wäre viel anders, und manches, das noch geschehen soll, würde unterbleiben», sagte es. «Ich kann nichts als beten, daß jemand anders weiser sei als Ihr und den Eid Euch nicht zulasse.»

Diesen heillosen Eid, von welchem alle Welt wußte, daß er falsch war, während man dem alten armen Tropf alle Tage einredete, er solle ihn tun, weil er ihn tun könne, so daß er allein es glaubte, er schwöre recht, während er doch am besten wissen sollte, daß er falsch schwur, bejammerte Vreneli unendlich. Es meinte, es sei da was zu machen, nicht bloß mit Beten bei Gott, sondern auch mit Vorstellungen bei Menschen, denn was man selbst ausrichten könne, das überlasse Gott dem eigenen Vermögen. Es lief herum, es lief zum Pfarrer, zu diesem, zu jenem; alle waren seiner Meinung, das Ding sei ein heilloses Spiel. Der Pfarrer meinte, am besten wäre es, wenn der Eid verschoben werden könnte, bis der Streit über Joggelis Zurechnungsfähigkeit entschieden sei. Dieser Aufschub sei sehr wohl möglich, sagte er, wenn das Gericht oder der Richter den guten Willen hätten. Diesen hatte der Richter aber nicht, er war ein Jurist von der gröbern Sorte; er fragte einer Seele gar nichts nach, und ob ein alter Mann einen falschen Eid tue, kümmerte ihn viel weniger, als daß zu den Bratwürsten, welche er besonders liebte, kein Kalbfleisch genommen werde. Der Tag der Eidesleistung blieb angesagt.

Da, einige Tage vor demselben, fand eines Morgens Vreneli den Alten, dem es das Frühstück bringen wollte, sprachlos im Bette, ein Schlagfluß hatte ihm die Zunge und eine Seite gelähmt. Im ersten Augenblick erschrak Vreneli. Dann aber hob es sein Auge auf und sagte leise: «Das hat Gott getan!» Der Arzt wurde geholt, das Möglichste zu Joggelis Wiederherstellung versucht, doch umsonst. Der Schlag wiederholte sich, am dritten Tage war Joggeli eine Leiche. Jetzt waren die Prozesse zu Ende, ein höherer Richter hatte gesprochen. Das habe Gott gewiß der Base zulieb getan, sagte Vreneli zu Uli. Es vergebe dem Vetter von ganzem Herzen alles, was er ihm gesagt und getan, aber sagen müsse es, Gottes Güte habe er nicht verdient, denn keinen Menschen hätte es gekannt, der Gott weniger nachgefragt. «Aber wie es jetzt gehen wird, was meinst, Uli? Wer will die verwickelte Strange Garn lösen, daß eine Elle groß ganz bleibt?» «Weiß Gott, wie es geht,» sagte Uli. «Ich wollte mich in alles gerne schicken, wenn nur der Wirrwarr vorüber wäre und die Ungewißheit einmal aufhörte. Aber ungeduldig wollen wir nicht werden; es ist schon vieles vorübergegangen, das wird auch zu überleben sein.»


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