Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Achtes Kapitel

Wie Zögern wechselt mit Überraschen, aber ebenfalls nicht auf angenehme Weise

So verzögerte sich die Ausführung einige Tage, bis endlich die Mutter nachgab und erkannt wurde, es müsse dem Johannes geschrieben werden, daß er die Sache alsbald verrichte. Aber wer sollte schreiben? Die Mutter konnte nicht, Joggeli war eine Feder ärger zuwider als ein angezündet Schwefelholz unter der Nase. Elisi schmierte endlich einen Bogen voll, von dem aber erkannt wurde, den könne man nicht abgehen lassen, denn der gelehrteste Professor könne nichts daraus machen. Elisi heulte, aber damit entstund kein verständlicher Brief. Joggeli mußte endlich das Wort geben, er wolle morgen selbsten einen machen. Am Morgen fiel es Joggeli plötzlich ein, heute sei der Tag, an welchem der Lehenzins verfallen sei, und nun plagte ihn die Neugierde, ob Uli wohl zahlen werde oder nicht? Er hatte gesehen, daß der Müller Korn geholt, hatte auch die Zahl der Malter gezählt, den Preis zu vernehmen gesucht und daraus geschlossen, Uli werde im Sinn haben zu zahlen. Joggeli hatte nicht Angst, er könne um seine Sache kommen, aber er freute sich auf das Geld. Kinder und alte Leute sind auch darin sich ähnlich, daß sie gerne mit Geld spielen, es zählen, es rollen lassen durch die Finger, Häufchen machen, es durcheinanderwerfen, es transportieren aus einem Sack in den andern Sack. Er vergaß den Brief ganz, sah gleich mit Tagesanbruch erst lange durch die Fensterscheiben, ob Uli nicht anrücke. Später träppelte er ums Haus herum, zeigte sich, in der Erwartung, Uli lasse sich dann auch hervor mit einem großen Bündel Geld. Da kein Uli erschien, trippelte er hinüber zum Hause, kam zu den Knechten, frug wie von ungefähr, ob der Meister daheim sei oder fort? Sie wüßten nichts anders, sagten die Knechte, sie hätten ihn erst noch gesehen und gsunntiget (in Sonntagskleidern) sei er nicht gewesen. Er scheuet sich vor mir, dachte Joggeli, darf oder will sich nicht sehen lassen; entweder hat er das Geld nicht oder er will mich nicht bezahlen, eins ist so schlimm als das Andere, aber wenn es vierzehn Tage geht, so schreibe ich Vetter Johannes, er ist Bürge, er kann zur Sache sehen. Doch trotz diesem Rückhalt hatte er den ganzen Tag keine Ruhe, er trappete herum, als ob er ein Wurmpulver im Leibe hätte, und trotz seinem Trappen sah er Uli den ganzen Tag mit keinem Auge.

Uli lebte, er lebte einen großen Tag, er machte seine Jahresrechnung, zog seine Bilanz, verglich mit der Rechnung die Kasse. Das ist ein Stück Arbeit für einen Uli! Zehn Jucharten Roggen säen in einem Tage ist Kinderspiel dagegen. Ja, Rechnen hat eine Nase, besonders wenn man es nicht wohl kann.

Uli hatte begreiflich das Jahr durch schon gar oft gerechnet, vielleicht nur zu viel, doch so recht bis auf den Grund noch nie, und das sei notwendig, hatte er gehört, besonders für Anfänger. Es sei schon gar Mancher zugrunde gegangen, weil er nie nachgesehen, wie er stehe, ob er vorwärts oder rückwärts gehe. Am Jahrestag seiner Meisterschaft übernahm er nun diese Arbeit. Er zählte zuerst das Geld, welches er hier in einem Bündelchen, dort in einem Körbchen, anderwärts in einem Strumpfe hatte. Ein reicher Bauer hatte ihm gesagt, wenn man viel Geld im Hause habe, müsse man es verteilen; kämen Diebe, so kriegten sie doch niemals alles, sondern nur einen Teil. Das Zählen schon trieb ihm den Schweiß aus, denn so oft er zählte, so oft gestaltete sich die Summe anders. Zu der Gewißheit kam er, daß jedenfalls über tausend Taler seine Kasse enthielt. Nun versuchte er die richtige Summe aus seinem Buche zu finden, das war aber erst ein Hexenwerk, aus welchem noch ein ganz Anderer als Uli nicht gekommen wäre. Uli hatte aufgemacht und hatte nicht aufgemacht. Größere Posten waren aufgeschrieben, aber kleinere begreiflich nicht. Verkaufte Kühe waren aufgemacht, aber von verkauften Kälbern fand man wenig Spuren, von verkauften Ferkeln gar keine; so wollten im Buche sich nicht reimen Ausgaben und Einnahmen, und mit dem vorhandenen Gelde paßte die Bilanz im Buche erst nicht. Im Buche fehlten alle kleinen täglichen Ausgaben, nur die größern Summen stunden da. Wer aber einige Zeit hausgehalten hat, weiß, wie viel Kleines zu was Großem sich summiert. Kurz ins Reine brachte er es nicht, er kam bloß so weit ins Klare, daß er mehr als zweihundert Taler in bar gespart. Das Vieh im Stall war von geringerem Werte als das, welches er übernommen, dagegen besaß er noch ein ziemlich Quantum Korn, weit mehr als für den Hausbedarf bis zur Ernte. Vorräte von allen Sorten, wie sie einer Haushaltung wohl anstehen, hatte Vreneli doch gemacht; seit der Bodenbauer seine Vorlesung über Hausökonomie gehalten, war es von Uli weniger gehindert worden. Was er an Vorräten hatte, schätzte er zu ungefähr hundert Talern, so daß also sein Gewinn oder Arbeitslohn zum wenigsten dreihundert Taler betrug. Zuerst wollte er sich freuen darüber, dieweil das ein so schöner Anfang sei, aber nach und nach flogen ihn allerlei Mücken an. Er fand, daß dies doch eigentlich nichts sei. Es sei ein ausgezeichnet gutes Jahr gewesen, sagte er, und nur dreihundert Taler! Jetzt habe er bar auf der Hand, daß er in ordinären Jahren nichts verdiene, nicht so viel als sein schlechtest Knechtlein. Sollte es aber Fehljahre geben, könne er nicht bloß dreihundert, sondern sechshundert Taler verlieren so gut als einen Batzen! Wo dann die nehmen? Und gesetzt, meinte er endlich, was seien doch dreihundert Taler für so viel Not und Mühe und so große Gefahr, um alles zu kommen! Da müsse man es sein Lebtag böse haben und komme doch zu keinem Vermögen. Dann sei es nicht gesagt, daß man immer gesund bleibe und arbeiten möge wie ein Hund bis in das höchste Alter. Am Ende wäre es besser gewesen, er wäre Knecht geblieben, dachte Uli, so finster kam es ihm ins Gemüt. Der Uli, der vor Jahren dreihundert Taler für ein unerschwinglich Vermögen angesehen hatte, der achtete sie jetzt für nichts und hatte gute Lust, wirbelsinnig zu werden, weil er in einem einzigen Jahre bloß dreihundert Taler verdient. So kann der Mensch sich ändern, so wunderlich kann es ihm in den Kopf kommen.

Vreneli sprach ihm zu und sagte ihm: Er mache ihm recht angst. Das sei Undank gegen Gott, und wo der sei, da zeige Gott gerne, daß die Sache an ihm liege, und wenn man nicht zufrieden sei mit seiner Güte, man sich fügen müsse in seine Strenge. Es wären Tausende, welche Gott auf den Knieen danken würden, wenn sie zu dreihundert Talern kämen. Es sei noch kein großes Vermögen, aber doch ein schöner Anfang, es decke den Rücken und um so getroster könne man der Zukunft warten. Daß es so viel sei, hätte es nicht geglaubt, und wenn nur Uli zufrieden sei, so habe es den festen Glauben, es komme alles gut; aber zu viel auf einmal wollen, das sei vom Bösen, damit verderbe man es gerne bei Gott und bei den Menschen. Zur Beredsamkeit enfaltete Vreneli noch seine ganze Liebenswürdigkeit und brachte es wirklich dahin, daß es aus Ulis Kopf die Mücken ausjagte und dieser, als er sich endlich aufmachte, um Joggeli den Zins zu bringen, ein ganz zufriedenes Gesicht hatte.

Derselbe hatte wirklich schon alle Hoffnung aufgegeben, heute sein Geld zu sehen. Das sei Bosheit vom Uli, sagte er seiner Frau. Derselbe hätte es, er wisse es wohl, aber er wolle ihn nur plagen; doch das solle ihn nichts nützen, je länger er mit dem Gelde warte, desto mehr schlage er ihm mit dem Zinse auf. Er tat noch viel nötlicher als drüben Uli, so daß auch hier das Weib das Mittleramt übernehmen mußte. Er solle sich doch schämen, so nötlich zu tun. Das wäre wohl gut, wenn sie kein Geld mehr hätten oder sonst nicht zu leben. Es könnte sein, daß ihm zuletzt noch lieber wäre, Uli sei ihm das Geld noch schuldig, als daß er es in Händen habe. Es sei heute der erste Tag, wo es verfallen sei, er solle doch denken, wie Viele froh wären, wenn sie den Zins im ersten Jahre erhielten. Selten einem komme es in Sinn, den Zins auf den ersten Tag zu bringen, und Mancher hätte es noch ungern, wenn sein Pächter am ersten Tage käme, als ob der Herr ohne das Geld nicht mehr auskommen könne. «Das ist mir hell gleich,» sagte Joggeli, «wie es Andern dünkt, aber mir hat er versprochen an die Hand zu gehen, und wenn einer was verspricht, sollte er es halten, sonst halte ich nichts mehr auf ihm.» «Du hast mir auch manchmal schon was versprochen und es nicht gehalten,» sagte die Frau. «Ja, das ist was ganz anderes,» sagte Joggeli, «ich bin nicht dein Pächter und du nicht mein Lehenherr,» antwortete Joggeli. «Habe gemeint, Halten sei Halten,» entgegnete die Frau. Da klopfte es. «Sieh doch, Frau, lauf doch, kannst nicht vom Platz, vielleicht ist ers noch, wäre brav von ihm! Aber vielleicht hat er falsches Geld und hat gedacht, wenn es Nacht sei, sehe ich es nicht. Muß die bessere Brille nehmen, wenn er es ist.»

Richtig war es Uli. «Bin wohl spät,» sagte derselbe, «wenn man so viel Geld in allen Winkeln zusammenlesen muß, kann man sich darob versäumen. Aber ich wollte den guten Willen zeigen. Da wärs alles in einem Seckel, es ist ein großer Bündel! Aber wenn es Euch wohl spät ist, so kann ich ja morgen wieder kommen. Es ist eine Zeit, wo man so viel nicht versäumt.» «Nein, nein, bleib, bleib!» sagte Joggeli. «Hat man einmal Geld im Hause, wäre es ja dumm, es wieder forttragen zu lassen. So ein Zinschen ist bald gezählt, und wenn es auch größer wäre, könnte man daran machen, bis man fertig ist.» «Ja,» sagte Uli, «glaube, für Euch sei es nicht viel, Ihr würdet ihn auch noch größer nehmen, aber Geben ist nicht gleich wie Nehmen. Wenn Ihr ihn geben solltet und herausschlagen aus den Steinen, dann würde er Euch mehr als groß genug scheinen und billig und recht, wenn er kleiner wäre und abgemacht würde.» So zählten sie und fochten mit Worten, wie es üblich ist, wenn Pachtzinse gegeben und genommen werden. Joggeli brauchte die schärfere Brille, fand jedoch trotz derselben kein falsches Geld. Die Sache sei recht, sagte er, wie er es erkennen möge. Sollte aber am Tage sich was noch zeigen, so werde Uli nicht dawider sein, es zurückzunehmen. Er glaube nicht, daß was sei, sagte Uli, daneben könne man sich irren, ja freilich. Und wenn Joggeli was finde, ehe er dieses Geld mit dem seinen zusammengetan, so nehme er es schon wieder. «Du wirst doch nicht etwa glauben, daß ich dich betrügen wolle?» fragte Joggeli. «Bewahre,» sagte Uli, «aber man kann sich irren.»

Joggeli tat wirklich das erhaltene Geld nicht zu dem seinen; den Genuß, mit Zählen und Sortieren desselben den folgenden Morgen sich zu verkürzen, ließ er sich nicht rauben. Am folgenden Morgen sagte seine Frau: «Schreibe doch dem Johannes, ehe du was anders anfangst, sonst wird heute wieder nichts daraus; ich muß es sagen, es wäre mir lieb, wenn die Sache an ihren Ort käme, ds Elisi tut so wüst, ich halte es nicht lange mehr aus.» «Freilich, freilich,» antwortete Joggeli, «geschrieben muß werden, aber jetzt muß das Geld gezählt sein, das wirst doch begreifen! Tue ich es mal weg und komme Uli hintendrein mit Irrtum oder falschem Gelde, so will er nichts mehr davon und ich habe das Nachsehen, begreifst?»


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