Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Es ging eine Zeitlang, ehe Uli kam. Seine erste Antwort war gewesen, Joggeli hätte so weit zu Uli als Uli zu Joggeli, und wenn der etwas von ihm wolle, so könne er herkommen. Dem setzte aber die Alte den Kopf zurecht und wusch ihm denselben mit scharfer Lauge, daß Uli begriff, was Waschen heißt. Er hatte vor der Alten Respekt und wußte, daß sie es gut meinte, wenn er auch wohl darüber klagte, sie hielte es immer mit seiner Frau und gebe ihr alle Listen und Ränke an, welche je von Weibern gegen ihre Männer ersinnet worden seien.

Als die beiden Männer wieder zusammengebracht waren, ging es gegen alles Vermuten sehr ruhig zu. Joggeli sagte: Es sei dann nicht halb so bös gemeint gewesen, und ehe man so zornig werde, sollte man doch erst recht sehen, ob es Ernst oder Spaß sei oder halb Ernst und halb Spaß, besonders wenn man schon so lange beisammen gewesen. Uli entschuldigte sich nun auch: Kurz zuvor hätte er etwas nachgerechnet und sei erschrocken, wie böse das Jahr gewesen; er wisse nicht, ob er den Zins aufbringe oder nicht, allweg habe er umsonst sich halbtot gearbeitet. Und jetzt noch mehr Zins! Das sei ihm zu Haupt gefahren, von wegen wenn man sich solche Gedanken mache wie er, so denke man nicht an Spaß, sondern nehme die Sache ernsthaft. So gab ein Wort das andere. Joggeli ließ eine Flasche Wein holen, sagte, wie er dran sei mit dem Gelde und es ihn dünke, Uli könnte in bessern Jahren wohl etwas mehr tun, doch begehre er ihn nicht zu drücken und sehe wohl, daß das vergangene Jahr nicht das beste gewesen, aber Uli solle an die zwei frühern denken, daß Uli zugab, er begehre nicht weiter, es sei ihm hier recht, und wenn wieder gute Jahre kommen, so wolle er sehen, was etwa billig und recht sei. Jetzt wüßte er wirklich nicht wie machen, um den Zins zu geben, er habe ihn noch nicht vorrätig. «Wirst aber einzuziehen haben», sagte Joggeli, dem es angst zu werden anfing. «Das wohl,» antwortete Uli, «und ziemlich viel. Aber es sind gute Leute, welche mir schuldig sind, plagen mag ich sie nicht; wenn ich was zu verkaufen habe, gibt mir niemand darum was sie, und dazu ohne Markten, und wenn es abgeliefert ist, sind sie zufrieden damit und klagen nicht noch sieben Jahre hinterher, wie sie an der Sache verspielt, auch wenn sie das Halbe daran gewonnen, wie es Andere zu treiben pflegen.» «Weiß wohl, wen du meinst,» sagte Joggeli, «sind gute Leute, stark im Handel, kehren ihr Geld; ich muß sagen, anständiger als der Wirt ist mir nicht bald einer, und wenn dir der schuldig ist, so kann ich diesmal vielleicht etwas warten, es ist mir vielleicht sicherer in seinen Händen, als wenn ich es selbst hätte; daneben sieh, was du bekommen kannst, die Welt ist schlimm, man weiß fast nicht mehr, wem trauen.» So kamen sie in die schönste Einigkeit, gaben sich die besten Worte, kurz kamen in die friedseligsten Stimmungen hinein, in welchen man sich das Himmelreich nicht bloß verspricht, sondern verschreibt und nicht daran denkt, was für Stimmungen eintreten könnten, wenn es ans Halten käme.

Achthundert Taler sind ein schönes Geld, und im Raume eines Jahres muß gar mancher Batzen zum andern gelegt werden, bis man es beisammen hat. Uli hatte es nicht beisammen, bei weitem nicht, aber allerdings bei Müller, Wirt usw. bedeutende Summen einzuziehen, das heißt nach seiner Rechnung. Wunder nahm es ihn, ob die andern Rechnungen mit seiner übereinstimmten. Er setzte durchaus keinen Zweifel in ihre Ehrlichkeit, aber er hatte die Erfahrung, daß er im Aufmachen noch kein Hexenmeister sei, daß es sich ihm in den eigenen Rechnungen nie so recht treffen wollte. Darum nahm es ihn wunder, wie seine Rechnung zu den Rechnungen der Andern paßte; er hoffte, da werde es besser gehen. Aber der gute Uli kam einstweilen nicht aus dem Gwunder. «Ja freilich,» sagte ein jeder, «wann du willst, es ist alles aufgemacht, punktum, habe nicht Kummer. Doch die nächste Woche schickt es sich mir nicht.» Der eine mußte um Korn aus oder um Hafer oder um Vieh oder um Bauholz oder hatte sonst was, aber in vierzehn Tagen, drei Wochen oder gar den oder den Tag sollte er mit seinem Buche kommen, da wollten sie sehen, wie sie stünden. «Aber da habe keinen Kummer, keinen Kreuzer wird es fehlen, einmal wenn du recht aufgemacht hast, was allweg sein wird.» Aber vor jenem abgeredeten Tage kam Bescheid, der Müller habe ungsinnet Bescheid bekommen und könne an jenem Tage nicht daheim sein. Oder Uli kam zum Wirte, da hieß es, es sei ein Herr gekommen, ein Weinkäufer, und er habe mit ihm müssen trinken, er habe mögen wollen oder nicht. Es sei ein gar grausam guter Herr, den er nicht habe böse machen dürfen. Nun ging es wieder lange, bis neue Termine bestimmt waren, und als die wieder kamen, gings mit allerlei Variationen wieder so und Uli kam nicht zur Rechnung.

Als er endlich ungeduldig ward und sagte, er müsse auch zu sich sehen, sein Zins sei verfallen und wenn er ihn nicht auf den Tag gebe, so wisse kein Mensch, wie es ihm gehe, lachten sie ihn aus und sprachen ihm gar herzlich zu, er solle doch nicht so dumm sein und meinen, er müsse exakt zahlen. Dem alten Geizhals tue es nur wohl, wenn er ein Jahr oder zwei auf den Zins warten müsse, und kein vernünftiger Mensch meine mehr, daß er alles auf den Tag zahlen müsse, was er schuldig sei. Seit Mannsdenken sei das nicht mehr der Gebrauch, und wer es tue, werde nur ausgelacht. Ja, sagte Uli, hier sei eine Sache so, dort anders; Joggeli sei mißtrauisch, zahle er nicht, so werde er geplagt. «Dem wollte ich das Plagen vertreiben, der müßte mir lernen, was Brauch ist» usw., hieß es von allen Seiten; man machte Uli den Kopf so groß, daß er kaum zur Stubentür aus kam. Indessen so ganz z'leerem abspeisen wollte Uli sich doch nicht lassen. «Ja,» hieß es, «Geld kann ich dir wohl geben, Geld, bewahre, habe ich immer im Hause, wenn ein guter Schick einem zuhanden kömmt, daß man ihn machen kann. Aber meine Meinung ist eben die, daß man das Geld nutzen soll, so gut man kann. So einem alten Geizhals schuldig bleiben, kostet nichts; je mehr man auf diese Weise schuldig bleibt, desto mehr Geld kann man im Handel abträglich anlegen. Hat einmal so ein Batzenklemmer das Geld zwischen seinen fünf Fingern, so ist nichts mehr damit zu machen. Das mußt du lernen, Uli, dein Schade soll es nicht sein, von einem wie du möchten wir den Profit nicht nehmen, bewahre, du sollst deinen Teil daran auch haben. Aber was man so einer hundshärigen Bauernseele ausdrehen kann, das ist sicherlich Gott und Menschen wohlgefällig.» Uli erhielt Geld auf Abschlag, doch ohne zu rechnen, und als er von Rechnen sprach, sagte man ihm: «Du hast nun für einmal Geld, deine Sache ist all aufgemacht, und sobald es sich mir schickt, will ich dir Bescheid machen; dann bring deinen Kalender, die Sache wird bald fertig sein, und viel fehlen wird es kaum zwischen uns.»

In solchem Aufschieben des Rechnens liegt allerdings Spekulation, aber ebenso sehr eine große Schlaffheit der Seele, ein Widerwille, zu irgend einem bestimmten Resultat zu kommen. Ach, und das ist so begreiflich! So eine gemästete Menschenseele, gehöre sie nun einem Wirte, einem Müller oder sonst einem zweibeinigen Geschöpf, welch Schlußresultat soll sie ziehen, und soll es ihr nicht grauen vor demselben, muß sie nicht den Gedanken daran zu entfernen suchen so lange als möglich? Unwillkürlich muß immer als Resultat der Spruch sich vor Augen stellen: Wer auf das Fleisch säet, wird vom Fleisch das ewige Verderben ernten. Und weil es ihnen vor der allerletzten Rechnung graut, graut es ihnen vor allen übrigen; sie mögen nicht, ehrlich können sie nicht bestehen, müssen alle betrügerisch stellen, und am Ende hilft doch alles nicht. Der Krug geht zum Wasser, bis er bricht. Ach es ist so merkwürdig, einen zwei bis drei Zentner schweren Wirt tanzen zu sehen auf allen Ästen herum, dem allerbesten Eichhörnchen zum Trotz! Verwegener werden nach jedem Sprunge die spätern Sprünge; pauz, glaubt man ihn am Boden, auf dem dicken Rücken, aber husch ist er wieder auf den Beinen, tanzt lustiger als nie, bis es doch endlich sein muß und patsch er auf dem Rücken liegt; denn geht der Krug so lange zum Wasser, bis er bricht, so tanzt auch ein Wirt nicht länger, als bis er liegt.

Uli brachte nicht den ganzen Zins auf, wenn er auch alle Schubfächer ausräumte, aber weil Joggeli getan hatte, als sei ihm dies mehr als halb recht, brachte er getrost, was er hatte. Diesmal war die Stimmung bei Joggeli aber anders, er machte ein sauer Gesicht und sprach von nicht warten können, das Geld nutzen zu wollen, denn ihm trage es auch Zins, wenn er es anlegen täte usw. Uli merkte, Joggeli meine, er ziehe Zins von seinen Ausständen, wie es allerdings Manche treiben, tapfer schuldig bleiben und das Geld anderwärts gebrauchen und nutzen. Es treiben dieses schmähliche Spiel große Herren, und zwar mit armen Handwerkern und andern Arbeitern. Die arme Handwerksfrau muß oft das Schlechteste kaufen auf dem Markte, muß die günstigste Zeit zum Einkaufen unbenutzt vorüberlassen, weil das Geld rar ist bei ihr und die Batzen spärlich in ihrem Beutelchen. Den Koch oder die Köchin eines großen Herrn sieht sie das Köstlichste kaufen an Fischen und Geflügel, Geld auswerfen, als ob es Kieselsteine wären, und das Geld gehört eigentlich dem armen Handwerksmann; der große Herr ist ihm schuldig, aber der Mann kann nichts vom Herrn kriegen als grobe Worte, muß darben, während jener schwelgt. Was das Weib denken muß, wenn es die Hände voll Geld sieht und aus seinem Beutelchen den letzten Groschen drückt! Wenn es ein keck Weib ist, so vernimmt es der ganze Markt, wie ein großer Herr am armen Manne den Schelm macht. Wie muß es einem Schneider oder Schuster oder Bäcker zumute sein, der eine bedeutende Ausgabe machen sollte für das Gewerbe, sein Haus, seine Kinder, und die bedeutendsten Ausstände bekommt er nicht ein, denn die Herren spekulieren in Staatspapieren, gerade jetzt sind die Zeiten günstig, wer Geld hat, ist glücklich, spekuliert jetzt, um seine Gläubiger kümmert er sich nicht, und um so weniger, je ärmer sie sind, je nötiger sie das Geld selbst hätten, denn je kleiner die Götter sind, desto weniger sehen sie die, welche niedrig gehen. Die armen Schelme alle können warten; gewinnt der Vornehme, kriegen sie nichts, und verliert er, so kriegen sie noch nichtser, haben ihre Gesellen bezahlt, haben Zeit versäumt, Arbeit gehabt und können dem Herrn nachseufzen, der an der Sonne herumspaziert im Glanze ihres Geldes und ihres Schweißes. Und solch Pack schämt sich nicht, solch Pack tut vornehm, solch Pack begehrt auf, wenn man es an seine Schulden mahnt, ja solch Pack tut sogar auch fromm, aber wahrlich auf eigene Rechnung! Und wie viel Seligkeit wirft den armen Tröpfen die eigne Rechnung ab! Ach, das sind nicht die Unmündigen, denen Gott im Geiste sich geoffenbaret, sonst würden sie wahrlich die faßlichen Worte fassen: Was ihr einem von diesen tut, das habt ihr mir getan.

Doch Uli gehörte unter diese Schächerkinder nicht, er war zu jung und zu arm dazu. Wenn mit dem Gelde, welches Joggeli zu wenig erhielt, spekuliert wurde, taten es reifere Füchse. Übrigens hatte Uli von diesem Mangel an Barschaft viel größeren Schaden als Joggeli, er war ihm ein Hemmschuh in Handel und Wandel. Uli wußte eigentlich wohl, daß ein Bauer immer mit etwas Geld versehen sein muß, wenn es gut gehen soll. Behalten und kaufen können und immer zur gelegenen Zeit ist eine Hauptsache in bäuerischer Staatswirtschaft, aber es ging Uli wie Vielen: Wissen und Halten sind zwei, man kann die besten Grundsätze haben und doch ganz entgegengesetzte Wege gehen. Die sogenannten Grundsätze haben halt keine Kraft, die bewegende Kraft wird entweder durch eigne Triebe regiert oder durch fremde Personen. Uli sollte seinen Kuhstall instand stellen, er hatte den Winter durch weniger Kühe gehabt als sonst, weil er das Heu sparen mußte. Zweihundert Gulden bedurfte er zu gehöriger Ergänzung, zu verkaufen hatte er nichts Erkleckliches; Korn und Hafer hatte er wohl noch, aber er hielt ratsam, bis nach glücklich eingebrachter Ernte nicht zu verkaufen. Es war ihm, als seien Hände und Füße ihm gebunden, ja als liege er krummgeschlossen in einem Loche. Er ward sehr böser Laune, alle Welt sollte schuld daran sein, und wenn alle Welt an einer Sache schuld sein soll, so muß es das Weib entgelten. Eigentlich billig und von Rechts wegen! Denn ist nicht durch das Weib die Sünde in die Welt gekommen und dadurch dieselbe so schlecht und miserabel geworden, daß ein Mann wie Uli nicht einmal zweihundert bare Gulden hat, um mit denselben den Kühen nachgehen zu können nach Herzenslust? Uli war oftmals in der Laune, welche die Suppe kalt haben will, wenn sie heiß ist, und heiß, wenn sie kalt ist; da braucht es wirklich einer eignen und leider noch nicht erfundenen Kunst, wenn man es jemanden recht machen will. Diese Laune ist gewöhnlich der erstgeborne Sohn der Unzufriedenheit mit sich selbst, die man begreiflich nicht an sich selbst ausläßt, das wäre ja dumm, sondern an allen, welche einem über den Weg laufen.

Vreneli litt bitter; es war in der Aufklärung und Bildung weiter gekommen nicht bloß als mancher Schulmeister, sondern sogar als Professoren, es begriff, daß wenn man Mißgeschick habe, mit bösen Launen und Zanken mit Leuten, die dessen sich nicht vermögen, man demselben nicht abhelfe, im Gegenteil neues schaffe. Wie bei unfreundlicher, naßkalter Witterung aller Wachstum stockt, so mehr oder weniger auch die Arbeit bei bösen Launen und launenhaftem Gezänke. Vreneli hatte voll, wie man zu sagen pflegt. Das ist ein eigentümlicher Zustand: das Herz ist voll, die Seele ist voll, der Kopf ist voll, es will zu den Augen aus, man fühlt es im Halse, man fährt mit der Hand bald an die Stirne, bald auf die Brust, als ob man was halten wolle, was zerspringen möchte.


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