Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Vreneli war übel daran. Diese Zumutungen alle waren nicht in einem Tage zu übersehn, sondern sie wurden alle Tage neu, sollten die Regel für das Tägliche werden, und Vreneli konnte sie wirklich nicht erfüllen, wenn es des Hauses Bestes im Auge hatte, konnte nicht denken: Meinethalben, wenn er es so haben will, so habe er es, es ist seine Sache. Es redete mit der Base. Die Base riet, leise zu tun, nicht viel zu widerreden, und wenn es geredet sein müßte, ohne Hitz, mit Liebe. «Vorschreiben wird er dir nicht, wieviel Butter oder Schmalz du ins Gemüse tun sollst und wieviel Kaffeepulver in die Kanne, wird dir weder die Eier nachzählen noch das Mehl kellenweise messen; so kannst du immer das rechte Maß halten, wie du es vor Gott und Menschen zu verantworten meinst. Verliere den Mut nicht, sonst ist alles verloren. Laß dich auch nicht unterdrücken in Gram und Sorgen, daß du lauter trübselige Gesichter machst und lauter maßleidige Worte von dir gibst. Dann hat es auch gefehlt. Ich meine nicht, du sollest jubilieren wie ein Hagspatz oder ein Buchfink, das klänge wie Trotz und würde Uli ärgern; aber freundlich sollst du sein, lieblich fragen und antworten, kein bös Wort aus deinem Munde lassen. Sieh, in solcher Trübsal sollte die Frau immer die Haussonne vorstellen. Du weißt ja, wie wohl einem Kranken, welcher das Fieber hat oder die Auszehrung, die Sonne tut, wie er sich gestärkt fühlt und halb gesund, wenn er eine Stunde daran gesessen ist. So geht es auch einem Menschen, der an der Seele krank ist und das Bessere in ihm die Auszehrung hat; Freundlichkeit und gute Worte tun ihm doch wohl, sie alleine vermögen zu erhalten das Bessere, bringen wieder gute Stunden, mildes Hauswetter, die vergangene Traulichkeit, habe das vielhundertmal erfahren. Ich sagte Joggeli wohl harte Worte, so hart, wie er sie ertragen mochte, aber waren sie gesagt, so wars vorbei. Ich gab guten Bescheid, zeigte guten Mut, dann war er auch wohl dabei und froh, mit mir ein vertraulich Wort reden zu dürfen. Das machte, daß er mir nicht von Hause schlug und ich immer wußte, was er tat und wollte. Mag einer die Freundlichkeit nicht mehr ertragen, macht sie ihn nur böser oder flieht er sie, dann steht es schlecht, dann hat seine Seele die beste Handhabe verloren, und zumeist schlägt er auch von Hause.»

Die Weiber mögen urteilen, ob der Rat der Base richtig oder unrichtig war; Vreneli glaubte daran und versuchte ihn, wenn er auch schwer war in seiner Ausführung. Das Andauernde, Stätige ist viel schwerer als einzelne Heldentaten, oft Früchte flüchtiger Aufwallungen. Schwer ists, immer liebenswürdig zu bleiben, wenn das Herz voll Leid und Kummer ist. Man stoße sich nicht etwa am Worte liebenswürdig; wir halten dafür, Weib sei Weib, stehe es am Herde oder im Tanzsaale, manöveriere es im Salon oder vor dem Schweinestall, und meinen, es könne und solle allerwärts wahrhaft liebenswürdig sein. Denn die wahre Liebenswürdigkeit hängt nicht am seidenen Kleide oder an himmlisch gekämmten Haaren, sondern am Herzen, welches sich auf einem freundlichen Gesichte spiegelt. Man halte es auch nicht für Heuchelei, wenn man ein freundlich Gesicht macht, während das Herz voll Leid und Kummer ist. Leid und Kummer sind Zustände, welche man immer zu überwältigen, ihr Weitergreifen zu verhindern hat. Jeder Zoll Haut, welche man von ihnen befreit, ist großer Gewinn. Gewinnt man ihnen gegenüber ein ganz freundliches, gesundes Gesicht ab, so hat man nicht bloß ihnen etwas abgenommen, sondern man hat eine Macht gegen sie gewonnen. Denn solange man ein freundlich Gesicht macht, fühlt man Leid und Kummer weniger, sie verlieren ihre Schärfe, milder wird ihr Schmerz. Und die Kraft, welche man zu einem freundlichen Gesichte braucht, ist ja eben auch die Kraft, welche Kummer und Leid verzehrt, welche zu der Stärke führt, welche spricht: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Kömmt einmal der Mensch dazu, diese Kraft zu suchen und zu versuchen, dann ist das Bessere in ihm erwacht, der erste Schritt zur Genesung getan.

Nun ist auf der Welt nichts vollkommen, vor allem alle Anfänge nicht, und nichts Böses weicht aus dem Menschen ohne den hartnäckigsten Widerstand. Es geschah Vreneli, daß das zurückgepreßte Weh unwillkürlich ausbrach, daß es weinen mußte die hellen Tränen, es mochte wollen oder nicht. Dann machte es, wie es sein soll, den Pfarrer und versuchte sich selbst tapfer abzukanzeln, daß es so nötlich tue. Es sei ihnen doch eigentlich gar kein Unglück begegnet, kein Kind sei ihnen gestorben, keine Krankheit habe sie geschlagen, Not sei keine da, wenn auch das Jahr ein ungünstiges sei; das wisse man ja zum voraus und müsse sich darauf gefaßt machen, daß gute Jahre mit bösen wechseln, und sie vermöchten es doch zu ertragen, Rückstände hätten sie ja keine, sondern Geld im Vorrat. Und wenn sie schon Verdruß von den Dienstboten hätten, so sei das allerwärts, wo man solche habe, das sei nicht wohl anders zu machen, in einem andern Jahr sei es vielleicht besser.

Aber es ging Vreneli mit seinem Predigen, wie es vielen andern Pfarrern auch geht; wie schön und richtig es auch predigte, es wollte doch nicht anschlagen, der böse Feind nicht weichen. So sei es wohl, sagte der Teil in ihm, welcher nicht den Pfarrer machte, aber es könne in Gottes Namen nicht helfen. Nicht Geld und Not liege ihm im Herzen, sondern was ganz anderes, es könne fast nicht sagen was. Aber es sei nicht mehr wie ehedem, es sei, als tappten sie im Nebel, wüßten nicht mehr Steg und Weg und fänden ihn nimmermehr. Wie man in einen bösen Luft kommen könne, man geschwollen werde über und über, daß man die Augen nicht mehr sehe, so müßte auch an sie ein böser Luft gekommen sein, aber an ihre Seelen, daß sie einander selbst nicht mehr kennten, und seien sie doch Mann und Frau. Dann liege ihm so schwer auf dem Herzen ein Bangen, es wisse nicht vor was, aber vor einem großen Unglück. Es sei ihm, als stehe vor ihm eine große schwarze Wolke und in der Wolke ein grausig Etwas, es wisse nicht was, aber es erwarte mit Zittern und Beben, daß es herausfahre und ihns verschlinge und alles alles mit. Dieses Weinen, Predigen, Bangen versteckte Vreneli bestmöglichst vor allen, aber am Neujahrstage vermochte es dieses nicht, die Brunnen der Tiefe brachen unwillkürlich auf. Wie der liebe Gott größere und kleinere Lichter gemacht hat am Himmel, welche Tag und Nacht regieren und die Jahre zumessen den Menschenkindern, so hat er auch diesen Menschenkindern ein Gefühl in die Seele gelegt, welches die schwindenden Tage mit Bangen zählt und mit Zagen jedes neu zugemessene Jahr betrittet; denn am Ende der Tage ist der Tod, und im neu angetretenen Jahre kann man treten auf diesen Tod. Es ist überhaupt jedes Jahr, welches kömmt mit seinen 365 Tagen, eine dunkle Wolke, schwanger mit Tod und Not, mit Freude und Lust. Wie diese Wolke tritt in die Zeit hinein, wird es lebendig in ihrem Schoße; die Wolke glüht, speit Blitze aus, zahllos, ununterbrochen, blitzt ins ohnmächtige Menschengeschlecht hinein Not und Tod, Lust und Freude, Millionen fallen, Millionen weinen, Millionen jauchzen auf, verstummen wieder, wenn von entgegengesetzter Seite her millionenfacher Jubel schallt.

Als nun früh am Neujahrsmorgen Vreneli erwachte, berührt sich fühlte von der schwarzen Wolke Rand, war es ihm, als höre es das Schmieden der Blitze, welche fahren sollten durch sein Herz, es füllen mit Not und Tod. Ein unendlich Bangen ergriff ihns, ein unaussprechlich Weh, in lautes Schluchzen brach es unwiderstehlich aus. Uli erwachte darob, fragte bestürzt: «Vreneli, was hast, was fehlt?» Lauter noch schluchzte Vreneli, aber Worte fand es nicht. Uli ward angst, er wollte Licht machen, wollte nach Hoffmannstropfen gehen, endlich konnte Vreneli sagen: «Ach, Uli, mein Uli, es ist mir so bang, so angst, aber Tropfen helfen nichts. Es ist nicht mehr wie ehemals, die böse Welt kam über uns und zwischen uns, und mir ists, als stehe vor uns ein groß groß Unglück; noch ist Nacht darum, ich höre wohl sein Schnauben, aber seine Gestalt sehe ich nicht. Wie soll das gehen, wie wollen wir es ertragen, wenn wir einander nicht mehr verstehen, du so mißtrauisch, so unzufrieden bist mit mir, allen Andern mehr glaubst als mir? Ach Uli, mein Uli, das dauert mich so sehr, drückt mir fast das Herz ab.» Uli war nicht hart, stieß das sich öffnende Herz nicht wieder zu, und warum? Weil Vreneli nicht alle Tage jammerte, weil dieser unwillkürliche Ausbruch der erste dieser Art war, welchen Uli erlebte. Wer alle Tage Pillen schlucken muß, den widern sie entweder so an, daß er das Gesicht jämmerlich verzieht oder kaltblütig schluckt, als ob es gewöhnliche Brotkügelchen wären. Uli war auf eine gewisse Weise freudig erschrocken. Er hatte Vrenelis Freundlichkeit nicht begriffen, sie nicht selten für Gleichgültigkeit, Leichtsinn oder gar Bosheit genommen.

Es geht so, wenn man nicht alle Tage zusammen ein traulich Wort spricht oder nicht in einem Höhern den Einklang findet. Es geht so in der Richtung dieser Zeit, wo jeder Lümmel jeden, der nicht in sein Horn bläst, nicht bloß für einen Esel, sondern für seinen Todfeind hält, in der Richtung dieser Zeit, wo der dreckigste Kuhjunge oder der vierschrötigste Bärenwirt mit Dolch und Pistolen umherfährt und jeden ersticht und dann erschießt, der nicht Gax nachsagt, wenn er Gix vorgesagt; es geht so bei der zunehmenden Dummheit, welche man für Weisheit hält, welche aber nichts ist als die eintönigste Janitscharenmusik, verbunden mit Spießen, Hängen und Kopfrunter, wenn einer einen Ton fehlt. Es reißt eine Intoleranz ein, gegen welche die der Pharisäer ein Liebkosen war, welche alle Gebärden der französischen Revolutionsmänner nachäfft. Es ist aber kurios, wenn mal dieser Wind weht, man heißt ihn den Zeitgeist, so wird alles davon ergriffen mehr oder weniger, jeder in seinem Verhältnis. Wer hat schon einen großen Wirbel in einem Flusse gesehen, oder wenn man will einen Wasserfall, den Rheinfall zum Beispiel? Da kommen die Wasser angezogen, klar, ruhig, majestätisch. Wie sie in Bereich des Wirbels kommen, werden sie unruhig, verlassen den natürlichen Lauf, müssen in den Wirbel hinein, müssen schäumen, sich drehen, müssen auf den Grund. Allmählich löst sich der Zwang, sie werden frei, ziehen weiter, aber noch schäumend, kochend, bis allmählich die Ruhe wiederkehrt, der feierliche Gang, die majestätische Haltung. Solche Wirbel sind auch im Strome der Zeiten, und wenn der Mensch je als Tropfen eines Meers erscheint, so ist es im Zwange dieser Wirbel, und dieser Zwang herrscht nicht bloß in der Mitte der Strömung, wo die hohen Häupter schwimmen, die sogenannten Lichter des Jahrhunderts. Ach nein, und dieses ist eben das Erbärmliche und Demütigende: ins gleiche Loch werden gewirbelt die Größten, die Kuhjungen, die Irländer, die Waadtländer und Hausväter, welchen die Weiber nicht Gix nachsagen wollen, wenn sie Gax vorgesagt, und Hausweiber, welche Zeter schreien, wenn der Mann nicht alle anspuckt, welche ihns angrännen.

Um Politik bekümmerte sich nun Uli nichts, aber der Wirbel hatte ihn doch erfaßt, der Wirt hatte die Verbindung vermittelt. Darum war er diesmal um so teilnehmender und meinte: «Jä, ja lueg, es ist mir auch schon lange bange und es freut mich, daß es dir auch kömmt.» Nun mußte Vreneli freilich sich erläutern, und das ist nicht leicht bei solchen Umständen und bedarf einer zarten Hand. Indessen diese hatte Vreneli, und indem es Ulis Bangen nicht schnöde und radikal zurückwies, sondern in seinem Werte gelten ließ, fand es auch mehr oder weniger Geltung für das seine, fand ein schönes Neujahrkindlein, fand eine freundliche Verständigung, hatte einen milden Tag, und doch wollte die Beklommenheit nicht von ihm weichen, das Weinen war ihm immer zuvorderst. Es war ihm, als sollte es von jemand Abschied nehmen, und wußte nicht von wem. Hatte es das kleine Vreneli auf dem Schoße, so meinte es, es gelte dem, und küßte es, bis auch ihm das Weinen kam. Hatte es den Johannes, so war es ihm ebenso und es machte es ihm gleich. Es ging ihm mit der Base so, ließ sie aber nicht, bis Beide die hellen Tränen weinten und die Base endlich sagte: «Nimm dich zusammen und tue es aus dem Kopf! Du machst mir sonst Angst, solches bedeutet manchmal etwas und manchmal nichts, aber was nützt es, wenn man vorher so ängstet und sich grämt? An der Sache macht man doch nichts. Am besten ists immer, man sei zweg auf alles und nehme unterdessen, was kömmt, mit Dank. Komm, ich habe ein Kaffee zweg, nimm ein Kacheli, es bessert dir dann ums Herz.» Es ist wohl nichts auf der Welt und von der Welt, was einem Weibsbilde so wohl macht und so guten Trost gibt, als ein Kacheli guten Kaffee.


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