Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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So war er, ohne daß er es merkte, hinter das Mannli und seinen Agenten gekommen und hörte, wie der Erstere zum Letzteren sagte: «Machet, was Ihr wollt, aber einen solchen Handel zu verspielen, muß man ein Esel oder Schelm sein. Ich habe recht vor Gott und Menschen in aller Ewigkeit, die Ochsen da oben mögen erkennen, was sie wollen. Macht jetzt was Ihr wollt, ich habe kein Geld, habe nichts als ein mager Höflein, Kinder und Schulden, und wenn Ihr die wollt, könnt Ihr sie haben, welche Stunde Ihr wollt, ich will sie Euch noch vors Haus bringen unentgeltlich. Vor und nach kann ich vielleicht was zahlen, aber überstürzt Ihr mich, werfe ich den Schlegel, rufe den Konkurs an. Die Kinder können betteln gehen und ich will stehlen, bis ich an obrigkeitliche Kost komme.»

Da sagte Ulis Agent: «Mit Reden zahlt man niemand, das wäre bequem, ich habe auch noch eine Rechnung, und die wird müssen bezahlt sein; es hat schon Mancher, der nichts haben wollte, gezahlt, wenn man ihn recht angefaßt hat.» Da drehte sich das Bäuerlein um, sah Uli, stund still und sagte: «So, du bist auch da! Hast mich betrogen und jetzt noch den Handel gewonnen, und ich werde mit Weib und Kind dem heiligen Almosen nach müssen! Mein Lebtag hat mich doch kein Mensch so verführt! Meinte, du seiest ein ehrlicher Mann, den Halunken sah ich dir nicht an! Aber ist ein gerechter Gott im Himmel, so treibt er dir dein Schelmenstück zehnfach ein und bald oder läßt es dich bis zum Galgen bringen und jagt dich dann dem Teufel zu, besser verdienst du es nicht!» Als er das gesagt hatte, drehte er sich um, ging rasch seines Weges. Es war Uli, als sehe er ihn mit dem Ärmel über die Augen fahren.

Die Agenten lachten sehr über den Zorn des Bäuerleins und lebten noch manchen Tag wohl daran, ungefähr wie Buben, welche sich am Zappeln von Maikäfern ergötzen, die sie an Faden gebunden haben und denen sie allgemach Flügel und Beine ausreißen. Auf Uli dagegen machte die Rede Eindruck; es lag ein Fluch darin, und solche Worte hielt er nicht für gleichgültig, besonders da sich in seinem Herzen etwas rührte, welches sich mit dem Troste, daß, hätte er nicht recht gehabt, die Richter ihm nicht recht gegeben, durchaus nicht beschwichtigen lassen wollte. Anlügen ist anlügen, ein Gericht mag sagen, was es will.

Es ist eine wunderbare Sache um die Macht des Wortes, nicht umsonst hat so mancher Aberglaube sich damit vermischt; daß zum Beispiel das Wort des Menschen Macht habe über Gott, so daß er müsse töten oder wettern, je nachdem, das Wort die Macht habe, aus den Gräbern die Toten zu rufen und zu öffnen die Schatzkammern der Erde. Aber ein fromm vertrauensvolles Wort zum Vater im Himmel, eine Bitte aus innigem Herzen, was hat sie nicht vermocht und wie oft hat nicht ein Wort geschlagen in das Herz des Sünders wie der Blitzstrahl aus einer Donnerwolke! Wie oft nicht ein Wort das Andenken großer Verstorbenen herbeigerufen, neues Leben geweckt in den Herzen der Enkel! Wie oft ist nicht das Wort in Herzen gedrungen, hat Steine von den Gräbern gesprengt, unter welchen die edelsten Kräfte begraben lagen, und ein junger, schöner Frühling erblühte, wo früher Öde war und totes Gestein! Wie oft ward das Wort nicht zur feurigen Röte, welche den Bösewicht unstät jagte über die Erde! Das Wort ist unendlich mächtiger als das Schwert, und wer es zu führen weiß in starker, weiser Hand, ist viel mächtiger als der mächtigste der Könige. Wenn die Hand erstirbt, welche das Schwert geführt, wird das Schwert mit der Hand begraben, und wie die Hand in Staub zerfällt, so wird vom Rost das Schwert verzehrt. Aber wenn im Tode der Mund sich schließt, aus dem das Wort gegangen, bleibt frei und lebendig das Wort; über dasselbe hat der Tod keine Macht, ins Grab kann es nicht verschlossen werden, und wie man die Knechte Gottes schlagen mag in Banden und Ketten, frei bleibt das Wort Gottes, welches aus ihrem Munde gegangen. Aber auch mächtiger als Dolch und Gift ist das böse Wort, das durch die Herzen fährt und in die Seelen schleicht oder schlüpft. Schlangen und Banditen sind greuliche, scheußliche Dinger, aber viel scheußlicher sind glattzüngige Verführer, welche Gift träufeln in arglose Herzen, sind viele Wortführer des Tages, falsche Propheten des Lügengeistes, der im Paradiese sein heillos Amt begann.

Es war lange über Mittag, als sie zum Wirtshaus kamen; heiß war es zum Ersticken, kein Lüftlein regte sich, zum Himmel heraus hingen schwarze Wolken, Trauerfahnen, welche Gottes Hand heraushängt, wenn er seine Gerichte bereitet. Uli begab sich ins große Gastzimmer; in die innere Stube, wohin die Agenten gingen, wo auch die Richter erwartet werden, gehören die Laien nicht. Er ließ sich etwas zu Mittag geben, er meinte, er sei sehr hungrig, aber der Appetit fehlte ihm, als er begann zu essen. Der Wirt munterte ihn zum Essen auf: «Es ist alles frisch und sauber,» sagte er, «und lange her, seit du etwas im Magen gehabt haben wirst.» Eben das mache es, sagte Uli, daß er nicht essen möge; wenn es über die gewohnte Zeit gehe, so vergehe der Hunger.

Dem war aber nicht so, das Wort des armen Mannli hatte Uli ins Gemüt geschlagen, gärte dort, verdarb ihm den Appetit. Was er auch anderes denken wollte, es stund ihm immer vor der Seele, und wie er auch zum Zorn sich stacheln wollte gegen das Lumpenmannli, welches solche Reden führe, die Rede löschte immer den Zorn, und Bangen war da. Bah, sagte er, solchen Worten müsse man sich nicht achten; Recht sei Recht, und wer recht habe, hätten die Richter gesagt, die sollten es wissen! So tröstete sich Uli, und der Trost hielt doch nicht. Solche Worte sollte man verbieten beim Hängen, zu bedeuten hätten sie nichts, das wisse ja jedes Kind, aber man höre sie doch nicht gerne; alles Fluchen sei ja schon von Gott verboten, und wenn er das daheim forttreibe, vielleicht noch mit seinen Kindern, so könnte ihnen allen das an der Seele schaden, und es wäre doch schrecklich, wenn sich die Kinder dessen entgelten müßten. Man sieht, Uli hatte bereits viel von den Agenten gelernt.

Der Wirt fragte: «Du wirst doch gewonnen haben? Was hast für einen Handel gehabt?» Uli erzählte. «Da hast gewinnen müssen,» sagte der Wirt, «jedes Kind auf der Gasse kanns ja begreifen; aber ich kenne das Mannli, das ist nicht das richtigste, ein böses Tüfelsmannli ist das, es hat auch den Ruhm dafür. Es ist gut, daß der einmal an den Rechten gekommen ist; gerade recht hast du es ihm gemacht, er besinnt sich dann ein andermal, ob er die Leute plagen soll. Brandschatzen hat er dich wollen, und gerade so sollte es allen gehen.» Aber die Worte, welche er ihm hätte drin zugemessen, hätte er doch ungern; er möchte nicht, daß jemand meine, er hätte sie verdient, entgegnete Uli. «Dessen mußt du dich gar nichts achten,» sagte der Wirt, «solche Worte haben gar nichts zu bedeuten; Worte sind Worte und sonst nichts, um einen guten Schoppen will ich dir abnehmen alles, was dir dein Lebtag angewünscht wird. Was meinst, wie bös wäre ein Wirt daran, wenn solche Worte was zu achten wären? Jedes Hagels Bäuerlein, wenn es meint, ich habe an einem Kalb zu viel Profit gehabt oder an einem Leichenmahl zu viel Wein angerechnet, wo es doch gewiß nicht ist, sagt gleich, der Tüfel solle den Wirt holen, und ich habe ihn noch nie gesehen.»

So tröstete der Wirt, und der Trost eines Wirts ist auch gut, warum nicht? Er währt wenigstens so lange als seine Schoppen, und dies ist auch schon was. Durch die ins andere Zimmer einbrechenden Gerichtsmänner wurde der Wirt in seinem Troste unterbrochen, denn wenn Priester und Krieger der Gerechtigkeit einem Wirte zuhanden kommen, gilt so ein Uli nichts mehr, und wenn er Trost noch so nötig hätte. Es war bereits über vier Uhr, als Uli sich auf den Heimweg machte, er förderte rasch seinen Schritt. Der Wein, des Wirts Worte, das Gefühl, gewonnen zu haben, drängten den empfangenen Eindruck in den Hintergrund, machten ihn guten Muts. Es sei schon viel geschwatzt worden in der Welt, dachte er, und habe nicht viel zu bedeuten gehabt.

Schwarz stund im Westen ein Wetter, aber es bewegte sich nicht; in kurzen Flügen flatterten die Schwalben um Bäume und Häuser, still und matt hingen die Blätter an den Zweigen. In den Wiesen sah man in breiten schwarzen Hüten und hohen Holzschuhen die eingefleischten Wässerbauern stehen und den zu erwartenden Wassern die Wege bereiten, denn das Wasser bei Gewitterregen, welches die Straßen fegt und die nicht wohlbewahrten Düngerhaufen umspült, ist für einen rechten Wässerbauer oder vielmehr seine Wiesen das beste Labsal. Wer bei solchen Umständen den Andern am besten um dieses köstliche Labsal betrügen kann, der geht mit den erhabensten Gefühlen, mit dem gehobensten Selbstbewußtsein heim. Das hat wohl auch zu der Sage Anlaß gegeben, daß wer ein Fronfastenkind sei, vor dem Ausbruch der heftigsten Gewitter alte, längst verstorbene Wässerbauern, welche sich gegenseitig ums Wasser betrogen, in den Wiesen wässern sehe, Graben auftun, Bretter einschlagen, dann stehen hinter diesem oder jenem Strauch oder Baume, Feuer schlagend und ihr Pfeifchen rauchend. Man denkt dabei nicht an die Sitte der rechten Wässerbauern, die alten, hundertjährigen, währschaften Röcke ihrer Großväter anzuziehen und uralte Hüte aufzusetzen, da modernes Zeug ins Wasser hinaus nicht taugt. So sieht man von ferne allerdings ein uralt, längst zu Grabe gegangenes Geschlecht in den Wiesen hantieren, und manche Gestalt mag sich vor der andern fürchten, hinter einen Dornstrauch sich bergen. Ginge man den Gestalten zu Leibe, würde man ganz bekannte Gesichter sehen, deren Beine noch auf Erden wandeln, aber in den Schuhen der Väter, gehüllt in ihre Röcke, übend ihre Sitten.

Uli sah diese Gestalten in den Gründen. Muß pressieren, dachte er, werden glauben, es gebe ein starkes Gewitter, muß auch profitieren; bin ich nicht daheim, so macht es mir niemand. Er eilte durch einen Boden oder Tal, welches ein stattlicher Bach bewässerte, und wie es schien, gut. Von weitem sah er etwas, nicht weit vom Weg, welches ihm unheimlich vorkam, daß er dachte, er wollte, er wäre schon vorbei. Es glich einem gestutzten ungeheuren Weidenstrunk, und doch war es keiner, denn es schien sich zu bewegen, oder einem kleinen alten Ofenhaus mit rußichtem Dache, welches auf schwachen Stützen schwankte. Uli ging langsamer. Er hatte noch kein Gespenst gesehen; der Drang, einem zu begegnen, war durchaus nicht groß bei ihm und noch dazu am heiterhellen Tage. Es wäre doch eine strenge Sache, dachte er, wenn man vor ihnen nicht mehr sicher ist, wenn noch die Sonne am Himmel steht. Als er näher kam, schien das Ungetüm zu wachsen, richtete sich auf und stellte sich an eine Wasserschaufel und war anzusehen wie ein Riese aus dem Gebirge oder wie der Rübezahl geschildert wird. Da stund Uli, einen solchen Wassermann hatte er nie gesehen. Da kam das Ungetüm mit der Schaufel auf der Achsel auf ihn zu, und unter einem Hut hervor, den wahrscheinlich ein Spanier im dreißigjährigen Kriege verloren hatte, rief eine Stimme: «Komm nur, komm, fürchte dich nicht, bin kein Gespenst.» Es war die Stimme des Wirts, seines Freundes, unter dem breiten schwarzen Hut hervor, der seine kolossale Gestalt in einen alten Oberrock seines Vaters, der noch viel kolossaler als er gewesen, gehüllt hatte, so daß er allerdings von weitem anzusehen war wie ein Elefant oder ein Rhinozeros, welches auf den hintern Beinen aufrecht stund. Es leichtete Uli, er bekannte, daß er wirklich nicht gewußt, wer da so eine Postur mache, ein solcher Grüsel (grausige Gestalt) sei ihm noch nie vorgekommen. «Und wie ist es gegangen?» frug der Wirt, «hast gewonnen?» Als Uli es bejahte, stimmte der Wirt einen Lobpsalmen an, aber wohlverstanden, auf sich selbst. «Nicht wahr, ich habs gesagt, nicht wahr, es kam besser, daß du mir Gehör gabest als deinem sturmen, aufbegehrischen Fraueli? Ja sieh, geirrt habe ich mich in solchen Sachen noch nie, wie ich sagte, ists noch allemal gegangen. Muß ich einmal aufhören zu wirten, fange ich an zu agenten, und nicht lange soll es gehen, so will ich alle überwunden haben! Komm jetzt, auf den Schrecken hin wollen wir eins nehmen, es soll dich nichts kosten.» Uli dankte, sagte, er müsse pressieren, das Wetter gefalle ihm nicht. Es drohe grausam, und breche es los, so könne es übel gehen, wo es durchfahre. «Komm du nur,» sagte der Wirt, «eine Flasche ist bald getrunken. So bald gehts nicht los, und daran machen kannst du nichts, ob du daheim seiest oder nicht; das fährt durch, wo es will. Uns tut es diesmal nichts, zähle darauf, das fährt obenein den Bergen nach.»


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