Jeremias Gotthelf
Uli der Pächter
Jeremias Gotthelf

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Vierzehntes Kapitel

Von Verträgen und allerlei Künsten und Kniffen

Drei Jahre waren bald verflossen, seit Uli die Pacht angetreten hatte. Der Akkord war ziemlich vorsichtig geschlossen, dank dem Bodenbauer, welcher in solchen Dingen Erfahrung hatte. Es ist wohl nichts schwerer, als solche Akkorde so abzufassen, daß nicht jeder Artikel ein Tor zu Mißhelligkeiten oder zu einem Prozesse wird. Es gibt Spitzbuben von Lehenherren, hohe und niedere, welche eine eigene Kunstfertigkeit im Abschließen solcher Verträge haben, eine Kunstfertigkeit ähnlich der, welche Katzenhändler haben sollen. Es soll nämlich solche geben, welche so geschickt eine gekaufte Katze zu enthäuten wissen, daß dieselbe lebendig davonläuft und unversehens ihren frühern Eigentümern vor der Türe sitzt. Also Pachtherren gibt es, welche regelmäßig alle ihre Pächter enthäuten, so daß diese sich noch glücklich preisen, wenn sie endlich mit dem nackten Leben entrinnen können. Solche Pachtherren hat man nicht bloß in Irland, sondern auch in der Schweiz, und zwar Liberale von Farbe! Kurios! Oder aber der Akkord wird in holdseliger Stimmung geschlossen. Man ist gut Freund oder verwandt oder hat sich endlich gegenseitig gefunden in süßer Liebe. Der Pächter sagt dem Lehnsherrn, er sei ein Engel, der Lehnsherr sagt dem Pächter, er sei ein halber Engel, sie reden vom ewigen Frieden, und nicht selten ists, daß sie wirklich zu singen anfangen, und wenn sie auch nicht singen wie die Engel im Himmel, so meinen sie es doch. In einer solchen Stimmung findet man hundert Dinge nicht nötig auf das Papier zu bringen. Bald sagt der: «Das versteht sich von selbst, ich müßte mich ja schämen,» bald sagt es der Andere. Ja es würde nichts zu Papier gebracht, wenn es nicht wäre wegen dem allgemeinen Gebrauch oder wegen Leben und Sterben, was aber Beide nicht zu erleben hoffen, wie sie sagen. Ja, aber Stimmungen sind veränderlich, besonders wo Weiber dabei sind und eine Pacht im Spiel, wenn allerlei Produkte zu entrichten sind und allerlei Vettern und Basen ab- und zugehn. Stimmungen sind gar wunderlich; was uns lieblich dünket in einer Stimmung, kömmt in einer andern uns schauerlich vor, der Mensch, mit dem wir sangen in himmlischer Harmonie als wie die Engel, kann uns später als das bockfüßigste Untier erscheinen, mit Lastern gespickt ärger als der alte Hiob mit Eiterbeulen. Dann geht erst das Jammern an. «Ei nein aber, dem hätte ich es doch nicht angesehen, wie man sich doch täuschen, wie ein Mensch sich verstellen kann! Ei nein aber, das hätte ich doch niemand geglaubt!» Nach dem Jammern kömmt das Zanken und endlich das Prozedieren. Wo liegt der Fehler? Gewöhnlich auf beiden Seiten, wie man zu sagen pflegt. In ihrer holdseligen Stimmung hatte jeder dem Andern das Beste verheißen, im Grunde aber jeder auf des Andern Gutmütigkeit spekuliert, von ihr viel größern Vorteil erwartet als von geschriebenen Bedingungen; der ganzen schönen Geschichte lag also eigentlich Eigennutz zugrunde, freilich Vielen unbewußt, und wenn Eigennutz an Eigennutz wächst, so gibt es Reibungen, Zank, und endlich geht es ans Prozedieren.

Nun, auf solch wandelbarem Fundamente ruhte Ulis Akkord nicht, aber nicht durch seine Schuld, sondern der Bodenbauer hatte Vorsehung getan. Einen Punkt hatte er jedoch nicht umgehen können, den Joggeli ausdrücklich begehrte und wider den Uli nichts hatte, weil er ihn für sich selbst vorteilhaft erachtete. Der Akkord war auf sechs Jahre gestellt, aber im dritten Jahre hatten beide Teile das Recht, aufzusagen, wenn es ihnen nicht mehr anständig sei. Joggeli dachte, wenn er sehe, daß es Uli zu gut gehe oder zu schlecht, so könne er zu rechter Zeit das Heft wieder zur Hand nehmen. Uli dachte, wenn es ihm übel gehe, er sein Auskommen nicht hätte, könnte er das Joch abschütteln, ehe er ganz zugrunde gerichtet sei.

Nun ward Joggeli von seinen beiden Kindern gerupft, viel ärger als eine Gans von ihrer Meisterfrau. Eine Frau rupft ihre Gans doch selten mehr als zweimal im Jahre, wartet, bis Flaum und Federn einigermaßen nachgewachsen sind. Der arme Joggeli konnte kaum zählen, wie oft des Jahres an ihm gerupft wurde. Man rupfte und fragte nicht, wie groß Flaum und Federn seien, wenn sich nur irgend was rupfen ließ. In einem so gerupften Menschen entsteht der Trieb, den Schaden einzuholen und wieder zu rupfen. Wenn einer einen Verlust erleidet, sei es im Handel, im Spiel oder durch Nachlässigkeit irgendwie, so entstehen augenblicklich Gedanken, wie die Lücke auszufüllen sei, an wem man sich wieder erholen könne. Da wird die Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit verdammt in Versuchung geführt. Solange es einem gut geht, da ist ehrlich sein leicht, aber wenn das Glück umschlägt, wird der Teufel los. Daß der baumwollene Tochtermann beständig auf den Pachtakkord schimpfte, Joggeli vorwarf, wenn er gehörig aus seinem Gute zöge, hätte er auch mehr und bessere Federn, versteht sich von selbst. Nun war Joggeli dieser Punkt im Vertrage beigefallen. Er dachte, der ließe sich wohl zur Rupfmaschine machen, aber von diesen Gedanken sagte er seiner Frau wohlweislich nichts. Joggeli hatte auch ein Gewissen, aber es merkwürdigerweise nicht auf Gott, sondern auf seine Frau gestellt. Bei allen Kniffen und Schelmereien, welche ihm beifielen, schämte er sich nie vor Gott, sondern er sagte: «Mußt machen, daß sie es nicht merkt; vernimmt sie es, muß ich wieder der wüsteste Hund, der größte Unflat sein,» oder: «Ja, wenn die nicht wäre, da ließe sich was machen, dem wollte ich es zeigen; aber wenn sie es vernehmen würde, weiß der Teufel, wie die täte, ich wäre niemals sicher. Es wird doch besser sein, ich lasse es unterwegs.» Joggeli wird nicht der einzige Mann sein, der ein also gestelltes Gewissen hat, und wir denken, Gott wird nichts darwider haben, sondern hat eben deswegen einem solchen Züttel von Manne eine solche Frau geordnet.

Er begann bei Uli sachte anzuklopfen, wie sie es mit einander hätten, er werde es wissen, daß es jetzt Zeit sei, zu- oder abzusagen; wie er willens sei? Uli hatte allerdings diesen Punkt vergessen, und weil er ihm weiter keine Bedeutung gegeben, so sagte er: Er wisse nichts anders und sei gesinnet zu bleiben, wenn er Joggeli anständig sei und ihm nicht zuwider gedient. Reich werde er nicht dabei, aber wenn er zum Lande recht sehe, es verbessere, daß es mehr Sachen gebe, so gehe es in Zukunft besser und es sei auch Joggelis Nutzen. Klagen wegen Ausnutzen oder schlechter Arbeit oder sonst wolle er nicht, sagte Joggeli, aber Uli gebe schier zu wenig Zins, das dünke ihn und Andere auch. Uli hätte die Pacht um einen hellen Spott. Erst gestern habe ihm einer gesagt, zweihundert Taler mehr wolle er ihm Zins geben und bar vorauszahlen, wenn er wolle.

Da ward Uli zornig und sprach: «So macht es mit ihm,» und ging in den Stall. Da stund Joggeli wie Butter an der Sonne, denn es war nicht wahr, daß ihm jemand etwas geboten. Freilich war es möglich, diesen Augenblick so viel Pacht zu erhalten, aber vielleicht von einem Pächter, der sich mästete und das Gut ermagern ließ. Einen Pächter wie Uli, der zahlte und zum Gut sah, als wäre es sein eigen, verlor Joggeli nicht gerne, so viel Verstand hatte er. Wie ein Kind, welches einen Topf mit Milch umgestoßen und es der Mutter eröffnen will, ohne Schuld daran zu haben, steckelte er endlich heim, setzte sich auf den Ofentritt und sagte endlich: «Mit dem Uli ists nicht mehr auszuhalten, er ist ganz kolderig und so brutal wie ein junger Landjäger.» «Was hast mit ihm?» frug die Mutter, «ihr werdet ja sonst so gut mit einander fertig.» «Gesagt hat er mir,» antwortete Joggeli, «ich könne seinetwegen einen andern Pächter suchen, er begehre das Gut nicht wieder.» «Du wirst ihn böse gemacht haben,» antwortete die Base, «so mir nichts dir nichts hat er dir das nicht gesagt, das weiß ich.» «Nichts habe ich gesagt,» antwortete Joggeli, «gar nichts. Ich habe ihn bloß daran erinnert, daß die drei Jahre da seien, wo wir einander aufsagen könnten, und es nehme mich wunder, was er denke.» «Ah bah,» sagte die Base, «das ist eine Sache, von der ich nichts hören mag.»

Drüben tat Uli wie ein angeschossener Eber; der Streich kam ihm ganz unerwartet, erschien ihm wie eine förmliche Brandschatzung, und gerade jetzt, wo es ihm den Schweiß austrieb, wenn er daran dachte, daß bald der Zins verfallen sei, und er sein vorrätig Geld übersah. Er wollte auf der Stelle fort, andere Schuhe anziehen, um ein ander Gut aus; ein Mann wie er brauche nicht lange zu suchen, er finde was so Gutes als dieses hier! Der Wirt sei gut bekannt in Bern, dort sei mancher Herr schrecklich froh über einen vertrauten Hausknecht oder einen hablichen Pächter, und solche Plätze seien hundertmal besser als ein solch Gut, wo man sich totarbeiten müßte und am Ende nichts davonbringe als dürre Erdäpfelschalen und einen Haufen Kinder. Er möge die Stunde nicht erwarten, wo er wegkäme von dem alten Schelm, der meine, er wolle ihn jetzt ausnutzen, wie er sich von seinen beiden Blutsaugern ausnutzen lasse. Vreneli tat alles Mögliche, um ihn zu besänftigen, aber seine Worte waren Öl ins Feuer. Alles, was es abbrachte, war, daß er erst zu Mittag esse, ehe er gehe; es sei bald gekocht, es wolle pressieren.

Aber Vreneli dachte nicht ans Pressieren, sondern paßte auf die Base, welche um diese Zeit sich gerne unter ihrer Küchentüre sehen ließ. Diesmal ließ sie nicht lange auf sich warten, und alsbald war Vreneli bei ihr und alsbald wußten Beide, woran sie waren. «Er ist immer der gleiche alte Unflat», sagte die Mutter. «Wenn es mal ordentlich geht, ist es ihm nicht wohl, er muß alles untereinanderrühren; wenn er Garn abwindet, so ist ihm nicht wohl, wenn es glatt läuft, er ruht nicht, bis er die Strange verhürschet hat, daß man sie bloß mit Messer und Schere lösen kann. Als Junger soll er die größte Freude daran gehabt haben, den Mägden die Spinnräder zu traktieren, daß sie nicht mehr darüber noch darunter wußten. Aber warte, dem wollen wir diesmal den Marsch machen, denn Ernst ist es ihm nicht. Daneben kann er mich dauern, er muß fort und fort Geld auftreiben und muß daher sehen, woher er es nimmt, und bekömmt er solches, so ist es ihm in acht Tagen wieder abgedreht.» «Ja,» sagte Vreneli, «mich erbarmet er auch, er plagt sich selbst am meisten und merkts nicht. Es gibt viele solche Menschen, welche ihre eigenen Feinde sind und sich immer selbst das Ärgste antun. Es nimmt mich eigentlich nur wunder, warum unser Herrgott, der doch alles so gut gemacht, solche Leute erschaffen hat und immer noch schafft». «Das wirst einmal vernehmen,» antwortete die Base. «Aber ich denke, wenn sie die rechte Salbe brauchten, so würden die Blinden sehend und die Hinkenden wären nicht mehr lahm. Unser Heiland hat nicht umsonst leiblich Blinde und Lahme geheilt, er will damit sagen, daß er auch da sei für die geistig Blinden und die da hinken auf Gottes Wegen, und wenn sie begreifen, daß sie krank sind, und zu ihm kommen, will er sie heilen, das ist seine Barmherzigkeit. Wer nun den wahren Lebensbalsam, die Wundersalbe nicht brauchen will, der wird ein Blinder und Lahmer und hinterläßt die Krankheit seinen Kindern. Verkehrt hat Gott die Menschen nicht erschaffen, aber verkehrt läßt er sie werden und immer verkehrter, je leichter sie zum wahren Lebensbalsam kommen könnten, denn wer des Herren Willen weiß und ihn nicht tut, wird mit doppelten Streichen geschlagen werden. Doch gehe, mach daß Uli nicht pressiert, dann kann er seine Schuhe abziehen und wieder in die Holzböden fahren.»

Rasch brachte die Base Joggeli das Essen auf den Tisch, stellte ihm dann seine Schuhe frisch gesalbet unter den Ofen und seine Kamaschen (Überstrümpfe) dazu. «Habe nichts gesagt, daß ich fort wolle,» sagte Joggeli, «warum stellst mir die Schuhe zurecht?» «Du mußt um einen neuen Pächter aus,» sagte die Base. «Uli will fort, Vreneli hat mir berichtet von einem Herrn, der hinter ihm sei wegen einem bsunderbar guten Platz. Nun will er gehen und sehen, wie die Sache ist, eher als nicht kann die Sache abgemacht werden.» Da tat der alte Gnäppeler sehr zornig, im Grunde aber war er in seinem Herzen sehr erschrocken. So seien die Leute heutzutage, begehrte er auf, kein vernünftig Wort könne man mehr mit ihnen reden. Wenn man ein Wörtchen rede, protzen sie auf, werfen den Bündel vor die Türe. Es werde doch erlaubt sein, seinen Pächter zu fragen, wie sie es mit einander hätten. Was geschrieben sei, sei geschrieben, es nehme ihn wunder, ob es nicht auch für ihn geschrieben sei, und Fragen werde erlaubt sein. «Du hast ja nicht gefragt,» sagte die Frau, «du hast gefordert.» «He nun, so hätte er sich wehren können, das wäre ihm wohl angestanden und erlaubt gewesen, aber nicht so den Kopf zu machen,» zürnte Joggeli. «Nun,» sagte die Frau, «ich war nicht dabei, mach was du willst, ich kann mich darein schicken, habe mich schon in vieles geschickt. Aber such jetzt alsbald einen Pächter, der dir zum Land sieht, die Sach in Ehren hält und zinset auf den Tag.» Es seien viele Leute auf der Welt, sagte Joggeli. Aber rechte zu finden, selb sei schwer, antwortete die Alte, schenkte Kaffee ein und schwieg, während Joggeli allerlei brummte. Noch hatte Joggeli sein erstes Kacheli nicht ausgetrunken, als er sagte: «Geh sieh, ob der Kolder noch daheim ist, er soll hinüberkommen! Dem will ich sagen, was Manier ist und was gekoldert.» «Ich kann gehen, aber ich will mich dann nicht dareingemischt haben, hörst, will nicht schuld sein, wenns doch Lärm gibt,» sagte die Frau. «Und wer sollte dann daran schuld sein,» sagte Joggeli, «etwa ich?» Darauf gab die Frau keine Antwort, sondern ging, Joggeli aber ärgerte sich ingrimmiglich über die verfluchten Weiber, welche alles zwängen wollten und doch an nichts schuld sein. Das komme auch immer ärger, dachte er. Seine Mutter hätte es dem Vater so machen sollen, wohl, der würde er die Faxen vertrieben haben!


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