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Zehntes Kapitel

Miltouns plötzliche Reise nach London war aus einem Entschlusse hervorgegangen, der langsam seit dem Augenblick gereift war, da er Mrs. Noel zum ersten Mal in dem Steinfliesengang der Burracombe-Farm getroffen hatte. Wenn sie ihn haben wollte – und seit dem vergangenen Abend schien ihm das wahrscheinlich – würde er sie heiraten.

Es wurde schon gesagt, daß, abgesehen von einer einzigen Entgleisung, sein Leben keusch gewesen war, was aber noch nicht heißen will, daß er keiner Leidenschaft fähig war. Das Gegenteil war der Fall. Jene so ängstlich behütete Flamme glomm tief in seinem Innern – ein ersticktes Feuer, das nur wenig Luft zum Brennen hatte. In dem Augenblick, da sein Geist von dem Geist dieser Frau berührt worden, war die Flamme emporgeschossen. Sie erschien ihm als die Verkörperung aller seiner Wünsche. Ihr Haar, ihre Augen, ihre Gestalt; das winzige Grübchen in ihrem Mundwinkel, gerade dort, wo ein Kind sein Fingerchen hinhält; ihre Art, sich zu bewegen: etwas wie unbewußtes Schwanken oder sich der Luft hingeben; der Ton ihrer Stimme, der nicht so sehr dem eigenen Glücksgefühl zu entspringen schien, als dem angeborenen Bedürfnis, andere zu beglücken; und jenes natürliche, durchaus gesunde Verständnis, das nur mitfühlenden Menschen innewohnt, und nur selten bei Frauen von hohem Ehrgeiz oder Enthusiasmus anzutreffen ist – das alles hatte ihm das Herz umstrickt. Nicht nur, daß er von ihr träumte und nach ihr verlangte, er glaubte auch an sie. Sie erfüllte seine Gedanken als eine Frau, die nie unrecht handeln könnte; als eine Frau, die auch als Gattin ihm stets Geliebte bliebe, und als Geliebte stets auch Gefährtin seines Geistes.

Es wurde schon gesagt, daß in Miltouns Gegenwart keiner über Frauen sprach oder gar klatschte, und die Geschichte ihrer Scheidung existierte in seinem Geiste einfach in Form der Überzeugung, daß ihr Unrecht geschehen wäre. Nach seiner Unterredung mit dem Pfarrer hatte er nur noch einmal darauf angespielt, als er einer Dame, die in Monkland Court zu Gast war, auf ihre Worte: »Ach ja, ich erinnere mich genau an ihren Fall. Sie war die arme Frau, die –« »es nicht getan hat, Lady Bonington, davon bin ich überzeugt,« erwidert hatte. Bei dem Ton seiner Stimme hatte jemand verlegen aufgelacht; man ließ das Thema fallen.

Jede Scheidung war gegen seine Überzeugung, er gab jedoch zu, daß in manchen Fällen eine Trennung unerläßlich wäre. Er war nicht der Mann zu fordern oder zu erwarten, daß man ihm Vertrauen schenke. Er selbst hatte seine seelischen Kämpfe keinem einzigen lebenden Wesen anvertraut; und ein nicht seelischer Kampf war für Miltoun von geringem Interesse. Er war jeden Augenblick bereit, sein Leben einzusetzen für die Vervollkommnung der Idealgestalt, die er in seiner Seele aufgerichtet hatte, wie er auch sofort und ohne Bedenken Mrs. Noel mit seinem Leib gedeckt hätte, um sie vor Übel zu bewahren.

Der gleiche Fanatismus, der seine Leidenschaft als eine ganz für sich allein wachsende Blume ansah, ohne im geringsten zu berücksichtigen, ob sie in den konventionellen Garten paßte oder nicht, war auch die treibende Kraft, die ihn nach London führte, um seine Pläne dem Vater mitzuteilen, ehe er davon zu Mrs. Noel sprach. Die Sache sollte schlicht und ordnungsgemäß erledigt werden. Denn er hatte den moralischen Mut derjenigen, die ganz in ihren eigenen Gedanken und Bestrebungen eingesponnen leben. Doch war es vielleicht nicht so sehr aktiver moralischer Mut, als Gleichgültigkeit gegen das, was andere dachten oder taten, die seiner angeborenen Abneigung, die Gefühle anderer zu würdigen, entsprang.

Jenes sonderbare Lächeln des alten Kardinals aus der Tudorzeit, in dem unbeugsames Selbstvertrauen und etwas wie geistiger Hohn lag, spielte um seine Lippen, als er sich vorzustellen versuchte, wie sein Vater die Nachricht aufnehmen würde; gar bald aber dachte er überhaupt nicht mehr daran – er vertiefte sich in die Arbeit, die er auf die Reise mitgenommen hatte. Denn er besaß in hohem Maß die für das öffentliche Leben so dringend erforderliche Gabe, seine ganze Aufmerksamkeit ohne weiteres von einer Sache auf eine andere zu übertragen.

Auf dem Paddington-Bahnhof angekommen fuhr er direkt nach Valleys House.

Dieses ganze Gebäude mit seinem säulengeschmückten Eingang schien eine leise Überraschung zu zeigen, daß es mitten in der Season so wenig bewohnt war. Drei Diener nahmen Miltoun das kleine Gepäck ab; und nachdem er sich gewaschen und erfahren hatte, daß sein Vater zu Hause dinieren würde, machte er einen Spaziergang nach seiner Wohnung im ›Temple‹-Gebäude. Seine schlanke, etwas nachlässig gekleidete Gestalt zog wie gewöhnlich die Blicke anderer auf sich, was er wie gewöhnlich gar nicht merkte. Während er so dahinschlenderte, sann er ernsthaft über ein London, ein England nach, das grundverschieden war von diesem hohlen Durcheinander, diesem Sammelsurium, dieser großen mißtönenden Symphonie in allen Tonarten. Über ein London, ein England der Ordnung und Selbstachtung, befreit und gereinigt von Elendsvierteln, Plutokraten, Reklame, Schundbauten, Sensation, Roheit, Laster und Arbeitslosigkeit. Ein England, wo jedermann an seinem Platze stand und ihn nie verließ, sondern ihn innerhalb seiner Klasse pflichtgetreu ausfüllte. Wo jeder, vom Edelmann bis zum Arbeiter, der Überzeugung nach Anhänger der Oligarchie, in der Praxis ein Gentleman sein sollte. Ein England, so stahlblank und so tüchtig, daß schon sein bloßer Anblick den Frieden erzwingen würde. Ein England, dessen Seele tapfer und vornehm sein sollte, kraft der tapferen und vornehmen Gesinnung einer jeden Einzelseele unter seinen zahllosen Millionen; wo die Stadt ihr Bekenntnis haben sollte und das Land das seine, und alles zufrieden wäre und nirgends eine Klage zu vernehmen.

Und wie er so den ›Strand‹ hinunterging, piepste ein kleiner zerlumpter Junge zwischen seinen Beinen hindurch:

»Blutige Entdeckung in einer Bank – große Sensation! Eextra-Ausgabe!«

Miltoun schenkte diesen Rufen keinerlei Beachtung; und doch hatte dadurch der Wind, der weht, wo immer nur ein Mensch haust, der achtlose, wunderbare, ungeratene Wind seine schön aufgebaute, feierliche Vision zerblasen. Gewaltig blies dieser Wind – das endlose Trachten von Männern und Frauen, das Gebet der ungezählten Scharen zur Göttin der Sensation, des Zufalls und des Wechsels. Ein Wehen von Herz zu Herz, von Lippe zu Lippe, wie die Luft im Frühling sinnend durch den Wald streicht und jedem Busch und Baum Geheimnisse von neuem Leben zuraunt, den leidenschaftlichen Entschluß zu wachsen und zu werden, ganz gleich, was! Ein Seufzer, so ewig wie das ewige Murmeln der See und ebenso wenig zum Schweigen zu bringen, wie es zu plötzlichem Gebrause anschwellen kann!

Miltoun bewegte sich durch den Verkehrsstrom weiter, wobei er ziemlich zerstreut die tatsächlichen Gestalten zahlloser Passanten betrachtete, während er mit den Augen seiner Einbildungskraft die Gestalten sah, die er zu sehen wünschte. In der Nähe der St. Paulskathedrale blieb er vor einem alten Bücherladen stehen. Sein ernstes, blasses, nicht unschönes Gesicht war William Rimall, dem kleinen Eigentümer des Geschäftes, wohl bekannt, der seine jüngste Errungenschaft sogleich herbeitrug: eine More'sche ›Utopia‹. Diese besondere Ausgabe (versicherte er Miltoun) sei nirgend anders aufzutreiben – er habe in seinem Leben nur ein einziges Exemplar davon verkauft, das buchstäblich zerfallen wäre. Das Exemplar da befände sich sogar in besserem Zustand. Es könnte freilich keine zwanzig Jahre mehr dauern – eine Erstausgabe, ein Gelegenheitskauf. More ginge jetzt nicht mehr so gut wie noch vor kurzem.

Miltoun öffnete den Band, und eine kleine Bücherlaus, die auf dem Wort ›Tranibore‹ geschlafen hatte, kroch langsam genau auf den Mittelpunkt der Seite zu.

»Ich sehe, es ist echt,« sagte Miltoun.

»Es ist nicht zum Lesen, Mylord,« warnte ihn der kleine Mann, »man kann kaum noch eine Seite umwenden. Wie gesagt, mein wertvollstes Stück im ganzen Jahr. Wahrhaftig!«

»Schlauer alter Träumer!« brummte Miltoun. »Sogar die Sozialisten von heute sind noch nicht über ihn hinaus.«

Der kleine Mann zwinkerte mit den Augen, als entschuldige er sich für die Ansichten Thomas Mores.

»Ja, er ist einer von denen gewesen,« sagte er. »Ich weiß nicht, ob Eure Lordschaft sich viel um Politik kümmern.«

Miltoun lächelte.

»Ich will ein England sehen, Rimall, das dem England aus Mores Träumen gleicht. Aber ich werde es anders anpacken. Ich werde oben beginnen.«

Der kleine Mann nickte.

»Natürlich, natürlich!« rief er. »Wahrscheinlich kommen wir noch so weit.«

»Wir müssen's, Rimall!« Und Miltoun wandte die Seite um.

Des kleinen Mannes Antlitz bebte.

»Ich glaube kaum, Mylord,« erklärte er, »daß für Ihren Geschmack dieses Buch überzeugend genug ist. Aber ich habe da grade einen höchst seltsamen alten Band – über chinesische Tempel. Er ist rar – doch nicht zu alt. Sie können ihn gründlich durchstudieren. Das ist ein Buch, in dem man schwelgen kann – es wird ganz Ihren Geschmack treffen. Nach einem merkwürdigen Prinzip haben sie diese Dinger gebaut,« fügte er hinzu, wobei er einen Kupferstich des Bandes aufschlug, »in Schichten. Wir in England bauen nicht so.«

Miltoun sah scharf empor; des kleinen Mannes Antlitz zeigte keine Spur von Verständnis.

»Leider nicht, Rimall,« sagte er. »Aber wir sollten es, und wir werden es auch. Das Buch nehme ich.«

Den Finger auf die Abbildung der Pagode legend, setzte er hinzu: »Ein gutes Symbol.«

Die Augen des kleinen Buchhändlers wanderten den Tempel hinab zu dem geheimen Preisvermerk.

»Sehr richtig, Mylord!« meinte er, »ich habe mir ja gedacht, es wird Ihnen gefallen. Für Sie soll es siebenundzwanzig Shilling und sechs Pence kosten.«

Miltoun schob den Gelegenheitskauf in die Tasche und ging. Er begab sich in das ›Temple‹-Gebäude, ließ das Buch in seiner Wohnung zurück und schritt zum Ufer der Mutter Themse hinunter. An jenem Nachmittag war der Sonnengott leidenschaftlich in sie verliebt; mit seinen Küssen hatte er ihr Wärme, Licht und Farbe aufs Antlitz gezaubert. Und alle Bauten an ihren Ufern bis zu den Türmen von Westminster schienen zu lächeln. Ein herrlicher Anblick für einen Liebenden. Eine andere Vision verfolgte Miltoun: eine Frau mit sanften Augen und leiser Stimme, die sich über ihre Blumen beugte. Nichts würde ohne sie vollkommen sein, keine Arbeit Früchte tragen, kein Plan ihn ganz befriedigen können.

Mit kameradschaftlicher Herzlichkeit und leiser Überraschung hieß Lord Valleys seinen Sohn beim Dinner willkommen.

»Hast dich heute freigemacht, lieber Junge? Oder willst du persönlich Zeuge sein, wie Brabrook über uns loszieht? Diesmal kommt er ziemlich spät – wir haben uns diese Ballongeschichte inzwischen vom Halse geschafft – es ist schließlich doch noch gut abgelaufen.«

Und er betrachtete Miltoun mit seinen klaren, grauen Augen, die so kühl, gefaßt und neugierig dreinsahen. ›Was für ein Vogel ist das eigentlich?‹ schienen sie zu fragen. ›Auf keinen Fall das Rebhuhn, das ich von diesem Stamm erwartet hätte!‹

Miltouns Antwort: »Ich bin hergekommen, um dir etwas zu sagen, Vater,« hielt Lord Valleys' Blick eine Sekunde länger fest, als höflich war.

Es wäre unrichtig zu behaupten, daß Lord Valleys vor seinem Sohne Furcht empfand. Furcht lag seinem Charakter fern, doch sah er ihn zweifellos mit einer respektvollen Neugier an, die an Unbehagen grenzte. Die oligarchische Natur von Miltouns Charakter und politischer Überzeugung empörte fast den Mann, den Temperament wie auch Erfahrung gelehrt hatten, ›auf Warten zu reiten‹. Gar oft hatte er die Gelegenheit wahrgenommen, seinen Jockeys diese Weisung zu erteilen, sobald er annahm, daß seine Pferde so am besten gewinnen würden. Und jetzt hätte er gerne diese Weisung seinem Sohn erteilt. Er selbst hatte ja über fünfzig Jahre die gleiche Taktik beobachtet und er hielt dies für den sichersten Weg, jede Möglichkeit auszuschalten, diese wünschenswerte Politik zu ändern – denn etwas in seinem Charakter ließ ihn fürchten, daß er sich im Notfall eher den peinlichsten Unannehmlichkeiten aussetzen würde, als im Hintertreffen zu bleiben. Einen Menschen wie den jungen Harbinger begriff er natürlich – vielseitig, schneidig, fast prahlerisch im Auftreten, wie er es sich in verschwiegenem Augenblick eingestand, ein Mensch, der den neuen Wein (und zwar einen sehr berauschenden) des Wunsches nach Sozialreform geschlürft hatte. Man würde ihm zwar ein wenig die Zügel schießen lassen müssen, sonst aber keine Schwierigkeiten mit ihm haben, er würde nie ausreißen – ein leichtes, gutgebautes Pferd, das man nur an den Straßenecken im Zaum zu halten brauchte. Er würde sich gern reden hören und das Gefühl haben wollen, daß man etwas von ihm halte. Alles recht schön und ganz begreiflich. Aber bei Miltoun (und Lord Valleys fühlte, daß dies nicht nur väterliche Einbildung war) lag die Sache grundverschieden. Sein Sohn hatte eine Art, die Dinge bis zu den letzten Konsequenzen zu verfolgen, die gefährlich war und ihn an seine Schwiegermutter gemahnte. Bisher war Miltoun freilich noch ein Baby in öffentlichen Angelegenheiten; sobald er jedoch einmal zu laufen anfinge, würde ihn der Eifer seiner Überzeugungen im Verein mit seiner Position und wahren Begabung – die nicht, wie bei Harbinger im Schwatzen, sondern in gezügelter, sarkastischer Beredsamkeit bestand – bei dem gegenwärtigen Zustand der Parteien sicherlich mit einem Satz an die Spitze bringen. Und was für Überzeugungen waren es denn? Lord Valleys hatte versucht, sie zu verstehen, aber bisher war es ihm noch nicht gelungen. Und das nahm ihn nicht gerade wunder, da – wie er oft bemerkte – politische Überzeugungen nur dem Anschein nach Verstandessache, in Wirklichkeit aber Äußerungen des Temperamentes waren. Und weil es ihm an Sympathie dafür gebrach, konnte er irgend eine Haltung öffentlichen Angelegenheiten gegenüber, die nicht vollkommen angemessen war und nicht mit den einfachen, gesunden Faktoren des Falles, wie sie ihm erschienen, in Einklang stand, auch ganz unmöglich begreifen. Zwar konnte man ihn nicht gut einen Opportunisten nennen, denn tief in seiner Seele barg sich zweifellos hartnäckige, festgewurzelte Anhänglichkeit an die Tradition einer Klasse, die den Mut als höchstes preist. Dennoch empfand er, daß Miltoun entschieden zu sehr ein ›Überaristokrat‹ war – um kein Haar besser als ein Sozialist in seiner verdammten Art, alles über einen Leisten schlagen zu wollen, mit seinen Ideen, den Leuten Reformen mit Gewalt einzutrichtern und sie mit eiserner Hand zur Annahme zu zwingen. Auch in seiner Art, nach Grundsätzen zu handeln! Ja, er gab sogar zu, nach Grundsätzen zu handeln! Dieser Gedanke weckte in Lord Valleys' Brust stets einen häßlichen Mißklang. Es war fast unanständig, nein, schlimmer noch – lächerlich! Tatsache war, daß der gute Junge den Dingen leider tiefer auf den Grund ging, als es die Politik erforderte – gefährlich das – höchst gefährlich! Vielleicht würde er durch Erfahrung klüger werden! Und in seiner eigenen, langjährigen Erfahrung suchte der Earl of Valleys angestrengt nach einem Politiker, der trotz seiner Betätigung in der Politik derselbe geblieben war, als der er angefangen hatte. Kein einziger fiel ihm ein. Das aber brachte ihm nur wenig Trost, und über einen verspäteten Spargel hinweg suchten seine Augen die seines Sohnes. Aus welchem Grunde war er eigens hergekommen?

Miltouns einleitende Worte verhießen nichts Gutes; er konnte sich nicht erinnern, daß sein Sohn ihm je irgend etwas gesagt hätte. Denn er hatte, obgleich er ein wahrhaft gütiger und nachsichtiger Vater war, sich doch wie so viele andere, die sich mit dem öffentlichen und dem Leben Fremder beschäftigen, ein wenig daran gewöhnt, seinem Sprößling gegenüber in Blick und Haltung die Frage auszudrücken: ›Stammt der von mir?‹ Von seinen vier Kindern erkannte er nur Barbara mit Überzeugung an. Er bewunderte sie; und als ein Mann, der am Leben Geschmack fand, war er einer starken Liebe gar nicht fähig, wo er nicht bewundern konnte. Aber der Letzte in der Welt, jemanden zu drängen oder Vertrauen zu erzwingen, erwartete er ohne ein Zeichen von Unruhe die Mitteilung seines Sohnes.

Miltoun schien es nicht eilig zu haben. Er beschrieb Courtiers Abenteuer, das Lord Valleys höchlich ergötzte.

»Gottesurteil durch Paprika! Das hätte ich ihnen gar nicht zugetraut,« sagte er. »So habt ihr ihn also jetzt in Monkland. Ist Harbinger noch bei euch?«

»Ja. Ich glaube nicht, daß Harbinger viel Ausdauer hat.«

»Politisch?«

Miltoun nickte.

»Ich bin fast dagegen, daß er auf unserer Seite steht – ich glaube nicht, daß er uns irgendwie von Nutzen ist. Du hast doch die Karikatur gesehen? Sie trifft so ziemlich den Nagel auf den Kopf. Dich, Vater, konnte ich unter den alten Weibern nicht erkennen.«

Lord Valleys lächelte unpersönlich.

»Sehr geschickt gemacht. Übrigens – ich hoffe, das ›Eclipse‹-Rennen zu gewinnen.«

Und so wurde die Konversation gezwungen aufrechterhalten, bis der letzte Diener das Gemach verlassen hatte.

Dann sah Miltoun seinem Vater gerade ins Gesicht und sagte ohne weitere Vorbereitung:

»Ich will Mrs. Noel heiraten, Vater.«

Lord Valleys empfing den Hieb mit genau demselben Ausdruck, den er gewohnheitsmäßig zur Schau trug, wenn er seine Pferde unterliegen sah. Dann führte er sein Weinglas an die Lippen und stellte es unberührt wieder hin. Dies war das einzige Zeichen seines Interesses oder Verdrusses.

»Ist das nicht etwas plötzlich?«

Miltoun entgegnete:

»Es ist schon mein Vorsatz gewesen seit dem Augenblick, als ich sie zum ersten Male sah.«

Lord Valleys, der Menschen und Situationen fast ebenso gut zu beurteilen verstand wie Pferde und Vorstehhunde, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sagte mit leisem Hohn:

»Mein lieber Junge, es ist schön von dir, daß du mir das gesagt hast, wenn ich auch – offen gestanden – eine solche Neuigkeit lieber nicht gehört hätte.«

Eine dunkle Glut stieg langsam in Miltouns Wangen. Er hatte seinen Vater unterschätzt; der Mann zeigte Mut und Fassung in einer kritischen Lage.

»Was hast du dagegen einzuwenden, Vater?«

Und plötzlich sah er, wie die Waffel in Lord Valleys' Hand zitterte. Dies brachte in seine Augen keinen Ausdruck der Reue, sondern solch einen glühenden Blick, wie ihn wohl der alte Tudor-Kardinal auf einen Gegner geheftet haben mochte, der ein Zeichen von Schwäche verriet. Auch Lord Valleys sah die Waffel zittern und aß sie.

»Wir sind Männer von Welt,« sagte er.

»Ich nicht,« gab Miltoun zurück.

Mit dem ersten Zeichen wahrer Ungeduld stieß Lord Valleys hervor:

»Meinetwegen! Ich bin einer!«

»Nun – und?« fragte Miltoun.

»Eustace!«

Die Hände überm Knie gefaltet hielt Miltoun dieser Bitte stand, ohne sich zu rühren. Seine Blicke brannten sich noch immer in seines Vaters Antlitz ein. Ein Beben flog durch Lord Valleys' Herz. Welche Intensität des Gefühls in diesem Jungen, daß er beim ersten Schatten eines Widerstands so dreinschauen konnte!

Er streckte die Hand aus, ergriff die Zigarrenkiste, hielt sie geistesabwesend seinem Sohne hin und zog sie rasch wieder zurück.

»Ich vergaß,« sagte er, »du rauchst ja nicht.«

Nachdem er sich eine Zigarre angesteckt hatte, rauchte er ernsthaft, wobei er, eine Falte zwischen den Brauen, gerade vor sich hinsah. Endlich sagte er:

»Sie sieht wie eine Dame aus. Sonst aber weiß ich nichts von ihr.«

Das Lächeln um Miltouns Mund vertiefte sich.

»Warum solltest du noch mehr zu wissen wünschen?«

Lord Valleys zuckte die Achseln. Er gewann seine Philosophie zurück.

»Wie ich unter anderm gehört habe,« sagte er kühl, »handelt es sich da um eine Scheidung. Ich dachte, du teiltest in diesem Punkt die Ansicht der Kirche.«

» Sie hat nichts Unrechtes getan.«

»Du kennst also ihre Geschichte?«

»Nein.«

Ironisch und fast bewundernd zog Lord Valleys die Brauen hoch.

»Ist nicht Vorsicht das bessere Teil der Tapferkeit?«

Miltoun entgegnete:

»Ich glaube, du verstehst meine Gefühle für Mrs. Noel nicht ganz. Sie liegen jenseits deiner Lebensanschauung. Aber nur aus solchen Gefühlen heraus möchte ich heiraten, und wahrscheinlich werde ich auch nie wieder für eine andere Frau so empfinden.«

Von neuem überkam Lord Valleys jenes unheimliche Gefühl von Unsicherheit. War das Wirklichkeit? Und plötzlich empfand er: jawohl, es war Wirklichkeit! Das Antlitz vor ihm war das Antlitz eines Menschen, der sich eher von seinem eigenen Feuer verzehren ließe, als daß er von seiner Richtschnur abwiche. Und das plötzliche Bewußtsein der ganzen Tragweite dieses Zwiespalts ließ ihn keine Worte mehr finden.

»Im Augenblick kann ich nichts weiter sagen,« murmelte er und stand vom Tisch auf.


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