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Viertes Kapitel

In dem kleinen, weißgestrichenen Wohnzimmer eines strohgedeckten, weißgestrichenen Häuschens zu Monkland saßen zur gleichen Stunde zwei Männer zu beiden Seiten des Kamins und sprachen miteinander; und in einem niedrigen Stuhle zwischen beiden saß eine dunkeläugige Frau zurückgelehnt, die zuhörte, die Spitzen ihrer zarten, magern Finger zusammengepreßt oder sie gegen das Feuer haltend, das sie durchleuchtete. Ein Holzscheit fiel dann und wann zusammen, so daß seine untere glühende Seite sich nach oben kehrte; und der Schein des Feuers und der Lampe schien so sehr in die weißen Wände eingedrungen zu sein, daß sie eine blasse Wärme ausstrahlten. Silbergraue Motten, die aus dem dunkeln Garten hereingeflattert kamen, tanzten fortwährend wie kreiselnde Silbermünzen über einer graugrünen Schale mit tiefroten Rosen; und wie immer durchzog ein Duft von Holzrauch, Heckenröschen und andern Blumen das alte, strohgedeckte Haus.

Der Mann zur Linken war vielleicht vierzig, etwas über Mittelhöhe, kräftig, elastisch, aufrecht, hatte ein sanguinisches Gesicht und blaue Augen, die schon bei geringfügigem Anlaß zu glühen begannen. Sein Haar war ganz hell, fast rot, und sein feuerfarbener Schnurrbart, der wie bei Don Quixote bis zum Kinn hinunterhing, schien sich zu sträuben und Funken zu stieben.

Der Mann zur Rechten war den Dreißig nahe, augenscheinlich groß, muskulös und recht mager. Die Hände um ein Knie geschlungen, saß er etwas zusammengekauert in einem niedern Lehnstuhl, und ein mattes Märtyrer-Lächeln spielte um die Lippen seines schmalen Gesichtes, das mit den pergamentenen, gebräunten, glattrasierten Wangen und den tiefliegenden, lebendigen Augen nicht ohne eine gewisse Schönheit war.

Diese beiden äußerlich so grundverschiedenen Männer sahen einander wie benachbarte Hunde an, die sich schon lange klar darüber sind, daß sie am besten getrennt bleiben, und sich plötzlich an einem Orte treffen, wo sie sich unmöglich balgen können. Und die Frau gab acht, gewissermaßen die Eigentümerin des einen, wobei sie jedoch aus reiner Liebe zu Hunden den andern stets gestreichelt und gehätschelt hatte.

»Demnach, Mr. Courtier,« sagte der Jüngere, dessen trockene, ironische Stimme und dessen Lächeln den leidenschaftlichen Blick in seinen Augen zu rechtfertigen schien, »demnach bedeutet alles, was Sie sagen, nichts weiter als eine Verteidigung des sogenannten liberalen Geistes; und – verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit! – da dieser Geist etwas aus dem Reich der Philosophie und Künste Importiertes ist, versagt er auch in dem Augenblick, da er mit praktischen Angelegenheiten in Berührung tritt.«

Der Mann mit dem roten Schnurrbart lachte; das Lachen hatte einen sonderbaren Klang, so heiter und gleichzeitig so sardonisch.

»Nicht übel!« erklärte er, »und jeder Widerspruch sei mir ferne. Da aber Kompromisse das Rückgrat aller Politik bedeuten, so stehen ihr die Hohenpriester des Kastenwesens und Autoritätsglaubens wie Sie, Lord Miltoun, in jeder Beziehung so ferne wie irgend ein liberaler Gelehrter.«

»Ich kann Ihnen nicht recht geben!«

»Ob Sie mir recht geben oder nicht, Ihre Stellungnahme zu öffentlichen Angelegenheiten ist dem Verhalten der Kirche gegenüber der Ehe und ihrer Scheidung sehr ähnlich; den Wirklichkeiten des Lebens so fernstehend, wie die Jünger der freien Liebe, und ebenso wenig Erfolg versprechend. Mit Ihrem Standpunkt entziehen Sie sich selbst den Boden – er ist zu veraltet und der Wirklichkeit zu fern, die Sie deshalb nie verstehen können. Wer aber nicht versteht, kann auch nie und nimmer regieren. Sie könnten ebenso gut mit den Händen in den Hosentaschen dastehen, als sich bei Ihren Begriffen mit Politik befassen!«

»Ich fürchte, bei aller Achtung voreinander können wir uns doch nicht recht geben.«

»Na, vielleicht mache ich Ihnen tatsächlich ein zu großes Kompliment. Denn schließlich sind und bleiben Sie doch ein Patrizier.«

»Sie sprechen in Rätseln, Mr. Courtier.«

Die dunkeläugige Frau regte sich; ihre Hände bewegten sich wie bittend hin und her, als wollte sie dadurch jede Heftigkeit abwenden.

Der Ältere erhob sich sofort und sagte mit ehrerbietiger Stimme:

»Wir ermüden Mrs. Noel nur. Gute Nacht, Audrey! Höchste Zeit, daß ich gehe.« Vor der dunkeln, offenen Flügeltür in den Garten wandte er sich noch einmal um, um einen letzten Schuß abzufeuern.

»Ich wollte vorhin nur sagen, Lord Miltoun, daß Ihre Klasse die trockenste und praktischeste im Staate ist – sonderbar, wenn das Sie nicht aus Dichterträumen reißen kann. Gute Nacht!« Er schritt auf den Rasen hinaus und verschwand.

Der junge Mann saß unbeweglich da; der Schein des Feuers lag auf seinem Antlitz, so daß ein eigenartiges Leben um seine Lippen zu spielen, aus seinen Augen zu leuchten schien. Plötzlich sagte er:

»Glauben Sie das auch, Mrs. Noel?«

Statt einer Antwort lächelte Audrey Noel, erhob sich und ging zum Fenster hinüber.

»Sehen Sie, das ist meine liebe Kröte! Sie kommt jeden Abend her!«

Auf einer Steinfliese der Veranda, vom vollen Lampenlicht beschienen, saß eine kleine, goldene Kröte. Als Miltoun zu ihr trat, watschelte sie zur Seite und verschwand.

»Wie friedlich Ihr Garten daliegt!« sagte er; dann ergriff er ihre Hand, führte sie ganz sacht an die Lippen und folgte seinem Gegner in die Dunkelheit hinaus.

Frieden schwebte wahrhaftig über jenem Garten. Die Nacht schien zu lauschen – alle Lichter waren ausgelöscht, alle Herzen ruhten. Über jedem Baum und jedem Dach und jeder schlummernden müden Blume stand ein kleiner weißer Stern – so wachte die Nacht, wie eine Mutter über ihrem schlafenden Kinde wacht, sich darüber beugt und in ihrer Liebe ein jedes Haar auf seinem Haupt und jede seiner winzigen Regungen kennt.

Unter dem Lächeln der Nacht schien alles Argumentieren nur kindliches Lallen. Und das Antlitz der Frau, die allein am Fenster zurückblieb, glich ein wenig dem Antlitz dieser duftenden, warmen Nacht. Es war empfindsam, harmonisch; und seine Harmonie war nicht wie bei manchem Antlitz kalt, sondern schien zu leben und zu glühen und zu beben, als wäre sie ein Geist, der seinen Zufluchtsort gefunden.

In ihrem ganz in samtenes Grau gehüllten Garten mit den schwarzen Schatten unter den Eiben schienen nur die weißen Blumen wach und sie nachdenklich zu betrachten. Die Bäume standen still und dunkel. Nicht einmal die Nachtvögel rührten sich. Nur der kleine Bach im Talgrund erhob die Stimme, was sein Vorrecht war, wenn des Tages Stimmen schwiegen.

Es lag Audrey Noel nicht, einem sie umgebenden Geist zu widerstreben; jemand abzuweisen war eine Kunst, die sie nicht übte. Doch obwohl der Geist des Friedens sie umschwebte, schien sie in dieser Nacht nichts davon zu spüren. Ihre Hände zitterten, ihre Wangen brannten; ihre Brust hob sich, und Seufzer flatterten von ihren kaum geöffneten Lippen.


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