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Zweites Kapitel

In Ravensham House am Rande von Richmond Park, das die Vorstadtresidenz der Familie Casterley seit der Zeit war, da es in Mode kam, ein Haus zu haben, das in bequemer Entfernung von Westminster lag, stand Lady Casterley vor ein paar japanischen Lilien in einem großen, sich an die Halle anschießenden Gewächshaus. Sie war eine schlanke, kleine alte Dame mit elfenbeinfarbenem Antlitz, schmaler Nase und scharfen Augen, die von zartgerunzelten Lidern halb verschleiert waren. Wie sie so ganz still in dem grauen Kleid und mit dem grauen Haar dastand, machte sie den Eindruck einer kleinen, aus altem, feinem Stahl gearbeiteten Figur. In ihrer ruhigen, spinnendürren Hand hielt sie einen Brief mit offenen, fast gespreizten Schriftzügen:

 

›Monkland Court,
Devon.

Meine liebe Mutter!

Geoffrey fährt morgen im Auto zur Stadt. Er wird bei Dir vorsprechen, wenn er kann. Diese plötzliche Kriegspanik nimmt ihn sehr in Anspruch. Ich selbst werde nicht in die Stadt kommen, ehe Miltouns Wahl nicht vorüber ist. In Wahrheit wage ich nicht, ihn hier allein zu lassen. Er sieht seine ›Anonyma‹ jeden Tag. Dieser Mr. Courtier, der das Buch gegen den Krieg geschrieben hat – ziemlich unverfroren von einem, der ein Glücksritter ist, meinst Du nicht? – hält sich im Gasthof auf und agitiert für den radikalen Kandidaten. Er kennt sie auch – und hoffen wir, um Miltouns willen, nur zu gut – ein anziehender Mensch mit rotem Schnurrbart, recht nett und verrückt. Bertie ist soeben angekommen, er muß mit Miltoun reden und herauszufinden versuchen, wie die Sache liegt. Man kann sich auf Bertie verlassen – er ist recht geschickt. Ich muß zugeben, daß sie eine ganz reizende Frau ist; aber man weiß hier absolut nichts von ihr, nur so viel, daß sie sich von ihrem Gatten hat scheiden lassen. Wie erfährt man nur etwas über andere? Daß Miltoun so entsetzlich anständig ist, macht die Sache nur um so verzwickter. Der Ernst der heranwachsenden Generation ist wirklich bemerkenswert. Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Jugend das Leben so ernst genommen zu haben.‹

 

Lady Casterley ließ das mit einer Adelskrone geschmückte Papier sinken. Der Schatten einer Grimasse huschte über ihr Gesicht – sie hatte die Jugend ihrer Tochter nicht vergessen. Den Brief wieder aufnehmend, las sie weiter:

 

›Ich bin überzeugt, Geoffrey und ich fühlen uns Jahre jünger als Miltoun oder Agatha, obzwar wir sie gezeugt haben. Bei Bertie oder Babs hat man glücklicherweise kein solches Gefühl. Die Kriegspanik ist Miltouns Kandidatur außerordentlich günstig. Auch Claud Harbinger, der bei uns zu Besuch ist, arbeitet für Miltoun; in Wirklichkeit aber, glaube ich, hat er es auf Babs abgesehen. Eigentlich traurig, wenn man bedenkt, daß Babs noch nicht ganz zwanzig ist – bei ihrem Aussehen jedoch kann man wohl kaum etwas anderes erwarten – und Claud ist wirklich ein hübscher Kerl. Es wird jetzt viel von ihm gesprochen; er fängt an, unter den jungen Torys eine Rolle zu spielen.‹

 

Lady Casterley ließ wieder den Brief sinken und lauschte. Ein anhaltendes, gedämpftes Geräusch, wie von entfernten Hoch- und Schmährufen, war in das große Gewächshaus hereingedrungen und vibrierte zwischen den blassen Blättern der Lilienblüten, so daß sie fortwährend Duftwellen in die Luft ausströmten. Sie ging in die Halle, wo ein alter Mann mit bleichem Gesicht und langen, weißen Kotelettes stand.

»Was war das für ein Lärm, Clifton?«

»Ein paar Sozialisten, Mylady, auf dem Weg zu einer Demonstration in Putney; die Leute beschimpfen sie. Gerade vor dem Tor hat sich der Zug gestaut.«

»Halten sie Reden?«

»Sie reden tatsächlich irgend so einen Unsinn, Mylady.«

»Ich will sie hören. Geben Sie mir meinen schwarzen Stock!«

Über den samtdunkeln, flachästigen Zedern, die sich wie Ebenholzpagoden zu beiden Seiten des Fahrwegs erhoben, hing drohend der Himmel in einer großen, violetten Wolke, die durch einen einzigen weißen Streif, der aus dem Horizont in sie hineinragte, unheimliches Leben erhielt. Unter diesem Wolkenbaldachin war auf der Straße eine kleine Schar bestaubter, schäbig aussehender Männer und Frauen versammelt, die einen großen Redner in schwarzem Rock schützend umstanden und durch Hochrufe ermutigten. Ein aus wenigen Männern und Jungen bestehender Pöbel zu beiden Seiten dieser Schar begleitete seine Worte mit unablässigem spöttischen Gejohle.

Lady Casterley und ihr ›Majordomus‹ hatten sechs Schritt von dem kunstvoll verzierten, eisernen Tor halt gemacht und hörten zu. Die unansehnliche, stahlgraue Gestalt mit dem stahlgrauen Haar konnte in ihrer Unbeweglichkeit mehr imponieren als all das Geschrei und Getue des Pöbels. Nur ihre Augen bewegten sich unter den halbgesenkten Lidern; die rechte Hand faßte krampfhaft den Griff ihres Stockes. Des Redners Stimme erhob sich in schrillem Protest gegen die Ausbeutung des ›Volkes‹; sie sank bei den ironischen Bemerkungen über das Christentum; sie forderte leidenschaftlich Befreiung von ›dieser widersinnigen militaristischen Besteuerung‹; sie drohte, daß das Volk sich selbst sein Recht verschaffen würde.

Lady Casterley wandte den Kopf:

»Er schwätzt Blödsinn, Clifton. Es wird gleich regnen. Ich gehe hinein.«

Unter dem steinernen Portal blieb sie stehen. Die violette Wolke war geplatzt; ein blindwütiger Regenguß überflutete die sich rasch verlaufende Menge. Auf Lady Casterleys Lippen erschien ein mattes Lächeln.

»Es wird ihnen gut tun, daß ihr Eifer etwas abgekühlt wird. Sie werden noch naß, Clifton – eilen Sie! Ich erwarte Lord Valleys zum Dinner. Lassen Sie ein Zimmer für ihn zum Umkleiden herrichten. Er kommt im Auto von Monkland.«


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