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Sechstes Kapitel

Als der unsterbliche Don Quixote sich aufmachte, um alle Glocken der Fröhlichkeit zu läuten, folgte ihm ein einziger Possenreißer. Charles Courtier dagegen war stets von Tausenden begleitet worden, die ganz und gar nicht das Benehmen dieses Mannes ohne jeden Geschäftssinn begreifen konnten. Obwohl aber seine Zeitgenossen aus ihm nicht klug zu werden vermochten, lachten sie ihn auch nicht gerade aus, denn es hieß, daß er tatsächlich ein paar Männer umgebracht und ein paar Frauen geliebt hatte. Eine derartige Kombination fanden sie unwiderstehlich, umsomehr als sie mit einer ebenso kraftvollen wie ritterlichen Erscheinung gepaart war. Als Sohn eines Geistlichen in Oxfordshire, stets das Steckenpferd einer verlorenen Sache reitend, war er seit seinem achtzehnten Jahr fortwährend durch die Welt geritten, ohne auch nur einmal aus dem Sattel zu steigen. Das Geheimnis seiner Ausdauer lag vielleicht in dem mangelnden Bewußtsein, daß er sich überhaupt im Sattel befand. Dieser war ebenso sein natürlicher Platz, wie der Kontorstuhl für andere Sterbliche. Er schlug aus seinem fahrenden Rittertum kein Kapital, da sein Temperament doch zu sehr seinem goldroten Haare ähnlich war, das man mit alles verzehrenden Flammen verglich. Seine Laster waren offenbar: ein gar zu unheilbarer Optimismus; eine derartige Bewunderung des Schönen, daß er manchmal vergessen haben mußte, in welche Frau er am meisten verliebt war; eine zu große Empfindlichkeit; ein zu heißes Herz; Haß aller Lüge und gewohnheitsmäßige Vernachlässigung seiner eigenen Interessen. Unverheiratet, mit vielen Freunden und vielen Feinden, blieb sein Körper stets wie eine Schwertschneide und seine Seele weißglühend.

Daß einer, der zugab, an fünf Kriegen beteiligt gewesen zu sein, sich wegen der Sache des Friedens in eine Ersatzwahl mengen sollte, war nicht einmal so widersinnig, als es aussehen mochte; denn er hatte stets auf Seiten der Verlierenden gekämpft, und im Augenblick schien ihm keine Seite so verloren zu haben, als die des Friedens. Er war kein großer Politiker, auch kein Redner, nicht einmal ein gewandter Plauderer; doch seine bissige Gelassenheit und sein weißglühender Blick verfehlten nie den Eindruck auf eine gewisse Zuhörerschaft.

Es gab jedoch kaum einen Winkel in England, wo Reden zugunsten des Friedens geringere Aussichten hatten als im Wahlkreis von Bucklandbury. Die Behauptung, daß Courtier sich bei der prosaischen, selbständigen, schwerfälligen und dennoch hitzigen Bevölkerung unbeliebt gemacht hätte, wäre unzutreffend gewesen. Er hatte sie in ihren innersten Überzeugungen verletzt und den stärksten Argwohn erregt. So sehr sie sich auch mühten, sie konnten unmöglich begreifen, wo er eigentlich hinaus wollte. Obwohl er wegen seiner Abenteuer und seines Buches »Der Frieden – eine verlorene Sache« in London eine bekannte Erscheinung war, hatte man hier naturgemäß noch nie etwas von ihm gehört; und sein jetziges Abenteuer schien ihnen ein fast lächerliches Beispiel dafür, wie eine phantastische Idee die Nase in offenbare Tatsachen steckte – denn die Idee, daß Nationen miteinander in Frieden leben sollten und könnten, kam ihnen so durchaus phantastisch vor und die Tatsache, daß dies nie der Fall gewesen, so durchaus offenbar!

In Monkland, das ganz zum Gut gehörte, hatte Miltouns Gegner Mr. Humphrey Chilcox natürlich nur wenige Anhänger, und der Empfang, den man dem Kämpen des Friedens bereitete, wandelte sich bald aus Neugier in Spott, aus Spott in Drohungen, bis Courtiers Haltung so herausfordernd und seine Worte so erregt wurden, daß nur das Dazwischentreten und der Einfluß des Pfarrers ihn vor Handgreiflichkeiten bewahrten.

Und dennoch hatte er am Anfang sich unwiderstehlich zu ihnen hingezogen gefühlt. Was für Prachtkerle, wie selbständig sie aussahen! Während er wartete, bis an ihn die Reihe zu sprechen kam, gelangte er zu dem Schlusse, daß sie Männer nach seinem Herzen wären. Denn wenn Courtier sich dessen auch bewußt war, daß eine unpopuläre Idee stets die Majorität gegen sich haben mußte, so dachte er vom Individuum doch nie so schlecht, daß er annahm, es könne zu jener Unglückspartei gehören.

Diese starken, selbständigen Kerle würden sich doch gewiß nicht von den Chauvinisten hinters Licht führen lassen! Es war nur wieder eine Enttäuschung gewesen. Er hatte sie nicht ohne Protest hingenommen; ebenso wenig seine Zuhörerschaft. Ohne ihm verziehen zu haben, gingen sie auseinander; ohne vergessen zu haben, kamen sie wieder zusammen.

Das Wirtshaus im Dorf, ein kleines, weißes Gebäude, dessen kleine Fenster von Schlingpflanzen überwachsen waren, hatte ein einziges Schlafzimmer für einen Gast im obern Stock und ein kleines Wohnzimmer, in dem Courtier seine Mahlzeiten nahm. Der übrige Teil des Hauses bestand nur aus einem mit Steinfliesen belegten Schankraum, dessen rückwärtige Wand eine lange Holzbank einnahm; von dieser ging allnächtlich ein Redeschwall aus, und dann und wann pflegte sich auch eine Gestalt bei allgemeinen ›Gute Nacht!‹-Rufen etwas unsicher zu erheben, unter den Eschen stillzustehen, um sich die Pfeife anzuzünden, und dann langsam nach Hause zu schwanken.

An jenem Abend aber, als die Bäume wie weidendes Vieh knietief im Mondstaub standen, gingen jene, die aus der Schenke kamen, nicht gleich davon; sie trieben sich in den Schatten umher, und bald gesellten sich andere Gestalten zu ihnen, die im hellen Mondlicht hinter dem Wirtshaus verstohlen hervorkrochen. Nicht lange, und weitere Gestalten tauchten aus den Heckenwegen und vom Kirchhofpfade auf, bis dreißig und mehr sich zusammendrängten, und ihr heimliches Gemurmel den seltenen Genuß unerlaubter Freude noch erhöhte. Ruchlose Lustigkeit schien tatsächlich in den tiefen Baumschatten vor dem fahlen Wirtshaus zu lauern, aus dessen einzigem erhellten Fenster der halbsingende Ton einer Männerstimme drang, die laut las. Das Gelächter ward erstickt, das Sprechen zum Flüstern.

»Der übt seine Reden ein.« »Räuchern wir den schlauen alten Fuchs aus!« »Roter Pfeffer ist grad das Rechte.« »Hört nur, wie der Kerl niest! Wir haben die Tür zugenagelt.«

Als sich dann ein Gesicht an dem erhellten Fenster zeigte, unterbrach eine rauhe Lachsalve die Stille.

Man sah, wie der Mann am Fenster sich krampfhaft bemühte, einen Querbalken wegzureißen. Das Gelächter steigerte sich zum Hohngeschrei. Der Gefangene riß das Fenster gewaltsam auf, sprang hinaus, fiel zu Boden, erhob sich, stolperte und fiel wieder hin.

Eine Stimme rief scharf:

»Was ist hier los?«

Aus dem Gewirr der Zurückdrängenden und Davoneilenden konnte man das Geflüster vernehmen: »Seine Lordschaft!« Und im Scharten der Eschen war niemand mehr zu sehen außer der hohen, dunkeln Gestalt eines Mannes und der weißen Erscheinung einer Frau.

»Sind Sie es, Mr. Courtier? Sind Sie verletzt?«

Ein Kichern kam von der auf dem Boden liegenden Gestalt.

»Nur mein Knie. Die Halunken! Wahrhaftig, ich wäre um ein Haar erstickt.«


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