Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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XXVIII

Sie ließen ihre Esel in Stokhem und betraten bei Einbruch der Dunkelheit die Stadt Antwerpen.

Und Uilenspiegel sagte zu Lamme: »Das ist die große Stadt; hier stapelt die ganze Welt ihre Reichtümer auf: Gold, Silber, Spezerei, Ledertapeten, Gobeline, Tuch, Samt, Wolle und Seide, Bohnen, Erbsen, Korn, Fleisch und Mehl, Häute, Wein aus Löwen, Namur, Luxemburg und Lüttich, Landwein von Brüssel und Aarschot, Wein von Buley, Rheinwein, Wein aus Spanien und Portugal, Traubenöl aus Aarschot, das Landolium heißt, Burgunder, Malvasier und so weiter. Und die Kaie sind überfüllt mit Waren.

Diese Reichtümer der Erde und der Menschenarbeit locken an diesen Ort die schönsten tollen Mädchen, die es gibt.«

»Du wirst zum Träumer,« sagte Lamme.

Uilenspiegel antwortete: »Unter ihnen werde ich die Sieben finden. Es ist mir gesagt worden:

In Elend, Blut und Tränen suche.

Wer verursacht denn mehr Elend als die tollen Mädchen? Sind es nicht sie, bei denen die armen vernarrten Männer ihre schönen blinkenden und klingenden Gulden lassen, ihre Juwelen, Ketten und Ringe, um ohne Wams, in Lumpen und Fetzen, selbst ohne Hemd, den Abschied zu bekommen, während sich die Mädchen von dem Raube volle Wangen und Hüften mästen? Wo ist das rote, klarflüssige Blut, das einst in diesen männlichen Adern rollte? Es ist zu Lauchbrühe geworden. Oder aber schlagen sie sich nicht erbarmungslos mit Messern, Degen und Schwertern um ihrer süßen und reizenden Körper willen? Die Leichen, die man wegträgt, bleich und blutig, sind Leichen armer Liebestoller. Wenn der Vater finster im Lehnstuhl sitzt und schmält, wenn seine weißen Haare noch weißer und starrer werden, wenn aus seinen trockenen Augen, in denen der Kummer um das verlorene Kind brennt, keine Träne mehr rinnen will, wenn die Mutter, still und bleich wie eine Tote, weint, als ob sie sonst nichts mehr als die Schmerzen dieser Welt erschauen sollte, wer ist schuld an dieser Pein? Die tollen Mädchen, die nur sich und das Geld lieben und die Welt, die denkt, arbeitet und nach Weisheit forscht, an dem Gängelbande ihrer Goldgürtel führen. Ja, hier ist es, wo die Sieben sind, und wir. Lamme, wir gehn zu den Mädchen. Vielleicht ist auch deine Frau dort; das wäre ein doppelter Fischzug.«

»Jawohl,« sagte Lamme.

Damals war es im Juni, um das Ende des Sommers, wo die Sonne schon die Blätter der Maronenbäume rötet, wo die Vögel in den Ästen singen und wo keine Mücke so klein ist, daß sie nicht summte vor Behagen wegen der Wärme des Grases.

Lamme irrte an Uilenspiegels Seite durch die Straßen von Antwerpen, den Kopf gesenkt und seinen Leib schleppend wie ein Haus. »Lamme,« sagte Uilenspiegel, »du brütest Schwermut. Weißt du denn nicht, daß es nichts Schädlichers gibt für die Haut? Wenn du in deinem Kummer verharrst, wirst du sie streifenweise verlieren. Das wird hübsch sein, wenn man dich nennen wird: Lamme der Grindige.«

»Ich habe Hunger,« sagte Lamme. »Komm essen,« sagte Uilenspiegel.

Und sie gingen mitsammen in die Oude Trappen; dort aßen sie Soezels und tranken Dobbele Kuite, soviel sie nur hineinbrachten. Und Lamme weinte nicht mehr. Und Uilenspiegel sagte: »Gesegnet sei das gute Bier, das deine Seele so sonnig gemacht hat! Du lachst und schüttelst den Wanst. So sehe ich dich gern, wenn deine Kutteln freudig tanzen.«

»Mein Sohn,« sagte Lamme, »sie würden besser tanzen, wenn ich das Glück hätte, meine Frau wiederzufinden.«

»Gehn wir sie suchen,« sagte Uilenspiegel.

So kamen sie in das Viertel Niederschelde.

»Schau dir«, sagte Uilenspiegel zu Lamme, »dies Häuschen an, ganz aus Holz, mit den schönen Kreuzrahmen und den viereckigen Fensterlein; betrachte diese gelben Vorhänge und diese rote Laterne. Hier, mein Sohn, thront hinter vier Fässern von Bruinbier, Uitzet, Dobbele Kuite und Wein von Amboise eine schöne Bazinne von fünfzig Jahren oder mehr; jedes Jahr, das sie lebt, setzt sie einen neuen Speckring an. Auf dem einen Fasse blinkt eine Kerze, und an den Deckenbalken hängt eine Laterne. Es ist dort hell und dunkel: dunkel für die Liebe, hell fürs Bezahlen.«

»Aber,« sagte Lamme, »das ist ja ein Kloster von Teufelsnonnen, und diese Bazinne ist die Äbtissin.«

»Ja,« sagte Uilenspiegel, »sie ists, die im Namen des Herrn Beelzebub fünfzehn schöne Mädchen von verliebtem Wandel auf der Bahn der Sünde leitet; sie finden bei ihr Obdach und Nahrung, doch dürfen sie hier nicht schlafen.«

»Du kennst das Kloster?« sagte Lamme.

»Ich will hier deine Frau suchen. Komm.«

»Nein,« sagte Lamme, »ich habe mirs überlegt und geh nicht hinein.«

»Ließest du deinen Freund ganz allein mitten unter diesen Astarten?«

»Er soll heraußen bleiben,« sagte Lamme.

»Wenn er aber gehn muß wegen der Sieben und wegen deiner Frau?«

»Ich ginge lieber schlafen.«

»Komm jetzt,« sagte Uilenspiegel, indem er die Tür öffnete und Lamme vor sich hineinstieß. »Sieh, die Bazinne ist hinter ihren Fässern zwischen zwei Kerzen. Der Saal ist groß, die Eichendecke geschwärzt und die Balken räucherig. Rundherum ziehen sich Bänke, und davor stehn Tische mit lahmen Beinen, beladen mit Gläsern, Kannen, Bechern, Humpen, Krügen, Flaschen, Bullen und anderm Trinkerwerkzeug; auch in der Mitte sind Tische und Stühle, und darauf liegen Huiken, das sind Frauenmantel, Goldgürtel, samtene Stelzenschuhe, Dudelsäcke, Schalmeien, Pfeifen. Und im Winkel ist eine Treppe, die ins Obergeschoß führt. Ein kleiner verwachsener Kahlkopf spielt auf dem Klavizimbel, das auf Glasfüßen steht, damit der Ton schriller wird. Tanze, mein Wanst! Fünfzehn schöne tolle Mädchen siehst du in allen möglichen Stellungen, auf den Tischen, auf den Stühlen, ein Bein links, eins rechts, vornübergebeugt, ausgestreckt, lehnend, platt hingeworfen, rücklings liegend oder auf der Seite, wie es jeder paßt, gekleidet in Weiß, in Rot, die Arme nackt wie die Schultern und die Brust bis zur Mitte des Leibes. Es sind ihrer hier von allen Arten, auserlesene! Den einen überschattet das Kerzenlicht, das ihre blonden Locken kost, die blauen Augen, in denen ein feuchter Schimmer glänzt. Andere, deren Augen zur Decke blicken, schmachten zur Fiedel ein deutsches Lied. Wieder andere, rund, braun, üppig, schamlos, trinken den Wein von Amboise aus vollen Bechern, zeigen ihre prallen Arme, nackt bis zur Schulter, und ihr ausgeschnittenes Kleid, aus dem sich die Äpfel ihrer Brüste zwängen, und sprechen sonder Scham aus vollem Munde, die eine nach der andern oder alle zusammen. Horch:«

»Pfui dem Gelde für heut!« so sagten die schönen Mädchen; »Liebe ists, was wir brauchen, Liebe nach unserer Wahl, die Liebe des Kindes, des Jünglings und eines jeden, der uns gefällt, ohne Bezahlung.« – »O kämen sie doch, denen die Natur die männliche Kraft gegeben hat, die den Mann ausmacht, o kämen sie nur aus Liebe zu Gott und zu uns.« – »Gestern war der Tag, wo bezahlt wurde, heute ist der Tag, wo geliebt wird!« – »Wer will trinken von unsern Lippen? sie sind noch feucht von der Flasche. Wein und Küsse, das ist völlige Wonne!« – »Pfui den Witwen, die ganz allein liegen!« – »Wir sind Mädchen! Heut ist der Tag der Nächstenliebe. Den Jungen, den Starken und den Schönen öffnen wir die Arme. Wein her!« – »Liebchen, ist es um den Liebeskampf, daß dein Herz so trommelt in der Brust? Was für ein Schlagwerk! das ist die Uhr der Küsse. Wann kommen sie, die Herzen voll, den Beutel leer? Wittern sie nicht die köstlichen Abenteuer? Was für ein Unterschied ist zwischen einem jungen Geusen und dem Herrn Markgrafen? Der Markgraf zahlt mit Gulden und der junge Geuse mit Liebkosungen. Heil den Geusen! Wer will auf den Kirchhof gehn, die Toten wecken?«

So sprachen die guten, hitzigen und jauchzenden unter den Mädchen eines verliebten Wandels.

Aber es gab auch andere mit schmalen Gesichtern und fleischlosen Schultern, die aus ihrem Körper einen Kramladen der Sparsamkeit machten und Heller für Heller den Preis ihres magern Fleisches aufkritzelten. Die greinten untereinander: »Das ist eine schöne Dummheit von uns, bei diesem beschwerlichen Geschäfte auf den Lohn zu verzichten wegen der hirnrissigen Launen der männertollen Mädchen. Wenn schon sie ein Mondviertel im Kopfe haben, so haben doch wirs nicht, und wir ziehen es vor, uns bezahlen zu lassen, solange wir uns verkaufen können, als in unsern alten Tagen unsere Lumpen wie sie durch die Gosse zu schleifen.« – »Pfui Teufel, umsonst! Die Männer sind häßlich, stinkend, bärbeißig, freßgierig und betrunken. Sie allein bringen die armen Frauen ins Unglück.«

Aber die jungen und schönen hörten nicht auf diese Worte und kümmerten sich nur um ihr Vergnügen und ihr Gelage; und sie sagten: »Hört ihr die Totenglocken von Unserer Frau? Wir sind aus Feuer! Wer will die Kirchhöfe wecken?«

Als Lamme auf einmal so viele Frauen sah, braune und blonde, frische und verblühte, schämte er sich; er senkte die Augen und rief: »Uilenspiegel, wo bist du?«

»Der ist längst dahin, mein Freund,« sagte ein üppiges Mädchen und faßte ihn beim Arme.

»Längst dahin?« sagte Lamme.

»Ja,« sagte sie, »seit dreihundert Jahren, zugleich mit Jacobus de Coster van Maerlandt.«

»Laßt mich,« sagte Lamme, »und kneift mich nicht. Uilenspiegel, wo bist du? Komm deinen Freund retten! Ich geh augenblicklich weg, wenn ihr mich nicht laßt.«

»Du wirst nicht gehn,« sagten sie.

»Uilenspiegel,« jammerte Lamme, »wo bist du, mein Sohn? Frau, zieht mich nicht so bei den Haaren; ich trage keine Perücke, ich versichere es Euch. Zu Hilfe! Sind Euch meine Ohren nicht rot genug, daß Ihr mir das Blut hinaufjagt? Die andere hört wieder nicht auf, mir Nasenstüber zu geben. Ihr tut mir weh! Ach, womit werde ich eingerieben? Ein Spiegel! Ich bin schwarz wie ein Ofenloch. Wenn ihr nicht ein Ende macht, werde ich wild; es ist schlecht von euch, einen armen Mann also zu mißhandeln. Laßt mich! Wenn ihr mich rechts und links und überall an meinen Hosen zieht und mich hin und her schnellt wie ein Weberschiffchen, werdet ihr deswegen dicker werden? Ja, ich werde sicherlich wild.«

»Er wird wild,« sagten sie neckisch, »er wird wild, der gute Mensch. Lach lieber und sing uns ein Lied von Liebe.«

»Von Schlägen will ich euch eins singen, wenn ihr wollt; aber laßt mich.«

»Welche hast du hier lieb?«

»Keine, nicht dich, nicht die andern. Ich werde mich beim Magistrat beschweren, und sie werden euch stäupen lassen.«

»Ei freilich,« sagten sie, »stäupen? Und wenn wir dich gewaltsam küssen vor diesem Stäupen?«

»Mich?« sagte Lamme.

»Dich,« sagten sie alle miteinander.

Und sie alle, die hübschen und die häßlichen, die frischen und die verblühten, die blonden und die braunen, stürzten sich auf Lamme, warfen ihm die Mütze in die Luft, in die Luft den Mantel, und liebkosten ihn und küßten ihn auf Wangen, Nase, Magen, Rücken, was sie nur konnten. Die Bazinne lachte zwischen ihren Kerzen.

»Zu Hilfe!« schrie Lamme. »Zu Hilfe! Uilenspiegel, fege mir das Ungeziefer weg! Laßt mich! Ich will euere Küsse nicht: ich bin verheiratet, potzblut, und alles gehört meiner Frau.«

»Verheiratet?« sagten sie. »Aber deiner Frau muß das zu viel sein: ein Mann von deinem Umfang. Gib uns auch ein wenig. Eine treue Frau, so gehört sichs; ein treuer Mann, das ist ein Kapaun. Gott bewahre dich! Es heißt jetzt eine Wahl treffen, sonst sind wirs, die dich stäupen.«

»Ich tus nicht,« sagte Lamme. »Wähle eine,« sagten sie. »Nein,« sagte er.

»Willst du mich?« sagte eine hübsche blonde; »sieh, ich bin süß und liebe, wer mich liebt.« »Laß mich,« sagte Lamme.

»Willst du mich?« sagte ein reizendes Mädchen mit schwarzen Haaren, braunen Augen und brauner Haut, sonst aber wie von der Hand der Engel gedrechselt. »Ich mag die Pfefferkuchen nicht,« sagte Lamme.

»Und mich? Wirst du nicht mich nehmen?« sagte eine große, die eine fast ganz behaarte Stirn hatte, mit zusammengewachsenen Brauen, mit großen, schwimmenden Augen, mit Lippen, dick wie Aale und ganz rot, und rot auch das Gesicht, den Nacken und die Schultern. »Ich mag keine glühenden Ziegel,« sagte Lamme.

»Nimm mich,« sagte ein Mädchen von sechzehn Jahren mit einem Eichhornmäulchen. »Ich mag die Nußknacker nicht,« sagte Lamme.

»Man muß ihn stäupen,« sagten sie. »Mit schönen Peitschen, die Schwippe aus trockenem Leder, die tapfer um den Leib saust. Die festeste Haut hält das nicht aus. Nehmt gleich zehn. Peitschen von Kärrnern und Eseltreibern.«

»Zu Hilfe, Uilenspiegel!« schrie Lamme. Aber Uilenspiegel antwortete nicht. »Du hast ein schlechtes Herz,« sagte Lamme, indem er sich überall nach seinem Freunde umsah.

Die Peitschen waren gebracht worden; zwei Mädchen machten sich daran, Lamme das Wams auszuziehen. »O weh,« sagte er, »mein armes Schmer, das ich mit so viel Mühe angesetzt habe, sie werden es mir zweifellos ablösen mit ihren striemenden Peitschen. Aber ihr Frauenzimmer ohne Erbarmen, mein Fett wird euch zu nichts nütze sein, nicht einmal zu Brühen.« Sie antworteten: »Wir werden Kerzen draus machen. Ist das nichts, wenn man hell sieht, ohne daß es etwas kostete? Die, die künftighin sagen wird, daß man mit Peitschen Kerzen macht, die wird von jedermann ausgelacht werden; wir werden es aber bis auf den Tod bewähren und derart mehr als eine Wette gewinnen. Tunkt die Schwippen in Essig. So, jetzt ist dein Wams ausgezogen. Auf St. Jakob schlägt die Glocke. Neun Uhr. Beim letzten Schlage, wenn du dann deine Wahl noch nicht getroffen hast, schlagen wir zu.«

Ganz außer sich sagte Lamme: »Habt Mitleid und Barmherzigkeit mit mir; ich habe meiner armen Frau Treue geschworen und werde sie ihr halten, obwohl sie mich schmählich verlassen hat. Uilenspiegel, zu Hilfe, mein Herzenskind!« Aber Uilenspiegel zeigte sich nicht.

»Seht mich,« sagte Lamme zu den tollen Mädchen, »seht mich hier zu euern Füßen. Kann man sich noch mehr demütigen? Ists nicht genug, daß ich euere herrlichen Schönheiten ehre wie die Heiligen? Glücklich der, der als lediger Mann euere Reize genießen kann! Zweifellos ist das das Paradies; aber schlagt mich nicht, ich bitte euch.«

Plötzlich sprach die Bazinne, ohne ihren Platz zwischen den Kerzen zu verlassen, mit einer harten und drohenden Stimme: »Frauen und Mädchen, ich schwöre es euch bei meinem großen Teufel, daß ich, wenn ihr diesen Mann nicht im Augenblick durch Lächeln und Süßigkeit zum Guten, das heißt in euer Bett, führt, daß ich die Nachtwächter holen und euch allesamt hier an seiner Statt stäupen lassen werde. Ihr verdient nicht den Namen von Mädchen eines verliebten Wandels, wenn ihr umsonst den freien Mund und die lüsterne Hand habt und die Augen, deren Blitze die Männer verführen, wie es bei den Weibchen der Glühwürmchen zutrifft, die nur zu diesem Zwecke die Laterne haben. Und ihr werdet ohne Gnade gestäupt werden für euere Albernheit.«

Bei diesen Worten erzitterten die Mädchen, und Lamme wurde lustig. »Also, ihr Frauen,« sagte er, »was für eine Zeitung bringt ihr aus dem Lande des sausenden Leders? Ich selber will die Wache holen. Sie werden ihre Pflicht tun, und ich werde ihnen helfen. Das wird mir ein großes Vergnügen sein.«

Aber da warf sich ein reizendes Kind von fünfzehn Jahren vor Lamme auf die Knie: »Herr, Ihr seht mich vor Euch in demütiger Ergebenheit; wenn Ihr nicht geruht, eine von uns zu wählen, so werde ich geschlagen werden um Euch, Herr. Und die Bazinne dort wird mich in einen schändlichen Keller unter der Schelde stecken, wo das Wasser von der Mauer sickert, und ich werde nichts zu essen bekommen als schwarzes Brot.«

»Wird sie wirklich um mich geschlagen werden, Frau Bazinne?« fragte Lamme. »Bis aufs Blut,« antwortete die.

Lamme betrachtete das Mädchen und sagte: »Ich sehe dich frisch und duftend, und deine Schulter steigt aus deinem Kleide wie ein großes Blatt einer weißen Rose; ich will nicht, daß diese schöne Haut, unter der das Blut so jung rollt, unter der Peitsche leide, und ich will nicht, daß diese Augen, licht von dem Feuer der Jugend, unter den schmerzhaften Streichen weinen, und ich will nicht, daß die Kälte des Verlieses diesen Leib einer Liebesfee erschauern lasse. Drum will ich dich lieber wählen, als dich geschlagen wissen.«

Das Mädchen führte ihn weg. So sündigte er, wie er sein ganzes Leben lang tat, aus Herzensgüte.

Unterdessen standen sich Uilenspiegel und ein großes schönes Mädchen mit braunen Locken gegenüber. Das Mädchen sah Uilenspiegel, ohne ein Wort zu reden, liebäugelnd an, schien aber nichts von ihm wissen zu wollen. »Liebe mich,« sagte er.

»Dich lieben, du lieber Narr,« sagte sie, »wo es nur dein Wunsch der Stunde ist?«

Uilenspiegel antwortete: »Der Vogel, der über dein Haupt hinzieht, singt sein Lied und entfliegt. So auch ich, süßes Herz: willst du, daß wir miteinander singen?«

»Ja,« sagte sie, »ein Lied von Lachen und Tränen.« Und sie warf sich Uilenspiegel an den Hals.

Während beide Freunde vor Wonne die Besinnung verloren in den Armen ihrer Liebsten, da drangen beim Klange einer Pfeife und einer Trommel, einander stoßend, sich drängend, singend, pfeifend, schreiend, heulend, kreischend, eine jauchzende Rotte von Meezenvangers ins Haus. Sie trugen Säcke und Käfige voll dieser kleinen Vögel, und die Uhue, ihr lebendiges Werkzeug, sperrten die Augen auf, die beim Lichte golden glänzten.

Die Meisenfänger, gut ihrer zehn an der Zahl, alle rot, aufgedunsen von Wein und Bier, mit wackelnden Köpfen und die zitternden Beine nachschleifend, schrien mit einer so heisern und gebrochenen Stimme, daß die ängstlichen Mädchen eher Wölfe im Walde als Männer in einer menschlichen Wohnung zu hören meinten.

Immerhin hörten die Mädchen nicht auf, entweder allein oder alle zusammen zu rufen: »Ich will den, den ich liebe.« – »Wir gehören dem, der uns gefällt. Morgen denen, die reich an Gulden sind! Heute denen, die reich an Liebe sind!« Die Meezenvangers antworteten: »Gulden haben wir, und Liebe ebenso; unser sind also die tollen Mädchen. Wer zaudert, ist ein Kapaun. Sie sind die Meisen, wir die Jäger. Drauflos! Brabant und der Herzog!«

Aber die Mädchen sagten kichernd: »Pfui, diese häßlichen Fratzen, die uns fressen wollen. Den Schweinen setzt man keinen Scherbett vor. Wir nehmen, wer uns gefällt, und wollen euch nicht. Ihr Ölfässer, Specksäcke, magern Nägel, rostigen Klingen, ihr stinkt nach Schweiß und Dreck. Macht, daß ihr hinauskommt, ihr werdet auch ohne unser Dazutun verdammt sein.«

Aber die Männer sagten: »Die Welschen sind heute leckermäulig. Ihr zimperlichen Damen, ihr könnt uns wohl geben, was ihr aller Welt verkauft.«

Aber die Mädchen sagten: »Morgen sind wir sklavische Hündinnen und werden euch nehmen; heute sind wir freie Frauen und weigern uns euch.«

Darauf schrien die Männer: »Genug der Worte! Wer hat Durst? Pflücken wir die Äpfel!«

Und mit diesen Worten stürzten sie sich auf sie ohne Unterschied des Alters und der Schönheit. Die schönen Mädchen, die auf ihrem Vorhaben beharrten, warfen ihnen, was ihnen in die Hände kam, an die Köpfe: Stühle, Kannen, Krüge, Becher, Humpen, Flaschen und Bullen; und es war wie ein dichter Schloßenhagel, der sie braun und blau schlug und blendete.

Auf den Lärm kamen Uilenspiegel und Lamme herbei; ihre zitternden Buhlen ließen sie oben an der Treppe stehn. Als Uilenspiegel die Männer in die Frauen dreinschlagen sah, nahm er im Hof einen Besen, von dem er das Reisig wegschnellte, und gab Lamme einen andern; dann hieben sie beide erbarmungslos auf die Meezenvangers ein.

Da dies Spiel die also gepufften Trunkenbolde hart deuchte, hielten sie einen Augenblick inne; das benützten unverzüglich die magern Mädchen, die sich verkaufen wollten und nicht verschenken, selbst nicht an diesem großen Tage der freien Liebe, wie sie die Natur will. Wie die Schlangen glitten sie zwischen die Verletzten, liebkosten sie, verbanden ihnen die Wunden, tranken für sie den Wein von Amboise und leerten ihre Taschen so trefflich von den Gulden und dem andern Gelde, daß ihnen auch nicht ein löcheriger Pfennig verblieb. Als dann die Feierglocke ertönte, wiesen sie ihnen die Tür, durch die sich Uilenspiegel und Lamme schon längst aus dem Staube gemacht hatten.


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