Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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LXVI

Als sich Uilenspiegel der Stadt Ronsse in Flandern näherte, litt er Hunger und Durst; aber er wollte nicht wimmern, und er versuchte die Leute lachen zu machen, auf daß sie ihm Brot gäben. Aber er lachte nicht recht, und die Leute gingen vorbei, ohne ihm etwas zu geben.

Es war kalt: abwechselnd schneite, regnete und hagelte es auf den Rücken des Landstreichers. Wenn er durch die Flecken schritt, lief ihm das Wasser im Munde zusammen, sobald er nur einen Hund sah, der in einem Winkel an einem Knochen nagte. Er hätte gar gerne einen Gulden ergattert, wußte aber nicht, wieso ihm der Gulden in den Schnappsack fallen könnte.

Suchte er oben, so sah er die Tauben, die vom Dach ihres Schlages weiße Scheibchen auf den Weg fallen ließen; aber es waren keine Gulden. Er suchte unten auf der Straße, aber keine Gulden blühten zwischen den Steinen. Suchte er rechts, so sah er eine häßliche Wolke, die sich wie ein großes Sprengbecken über den Himmel schob; aber er wußte, daß, wenn aus der Wolke etwas herabfallen sollte, es kein Guldenregen sein werde. Suchte er zur Linken, so sah er einen großen Faulenzer von Kastanienbaum in untätigem Leben: »Ach,« sagte er, »warum gibts denn keine Guldenbäume? Das wären gar treffliche Bäume!«

Plötzlich barst die große Wolke, und der Hagel prasselte dicht auf Uilenspiegels Rücken wie Kiesel nieder. »Ach,« sagte er, »ich fühle es wohl, man wirft nicht Steine außer nach irrenden Hunden.« Und er setzte sich in Trab: »Es ist durchaus nicht meine Schuld, daß ich keinen Palast, ja nicht einmal ein Zelt habe als Obdach für meinen dürren Leib. Oh, diese niederträchtigen Schloßen! sie sind hart wie Stückkugeln. Nein, es ist nicht meine Schuld, daß ich meine Lumpen durch die Welt schleife; das geschieht ja nur, weil es mir so gefällt. Warum bin ich nicht Kaiser? Diese Schloßen wollen durchaus in meine Ohren hinein wie böse Reden.« Und er lief. »Arme Nase, du wirst bald durchlöchert sein, so daß du ein Pfeffersieb vorstellen könntest an den Tafeln der Großen dieser Welt, auf die es niemals hagelt.« Er wischte sich die Wangen. »Die werden gute Schaumlöffel abgeben für die Köche, die bei ihren Herden schwitzen. Ach, du nebelhafte Erinnerung an die Brühen von einst! Mich hungert. Du leerer Bauch, klage nicht; ihr traurigen Gedärme, knurrt nicht mehr. Wo versteckst du dich, Fortuna? Leite mich an einen Ort, wos Atzung gibt.«

Noch sprach er so mit sich selber, als sich der Himmel klärte, die Sonne zu schimmern begann und der Hagel wich; Uilenspiegel sagte: »Guten Tag, Frau Sonne, du einzige Freundin, die du mich trocknen kommst!« Aber er lief immerzu, weil ihn noch fröstelte. Plötzlich sah er von weitem einen schwarzweißen Hund, der mit hangender Zunge und die Augen aus dem Kopfe schnurstracks auf ihn zulief.

»Das Tier«, sagte Uilenspiegel, »hat die Tollwut im Leibe.« Er hob hastig einen großen Stein auf und stieg auf einen Baum; als er den ersten Ast erklommen hatte, kam der Hund vorbei, und Uilenspiegel warf ihm den Stein auf den Schädel. Der Hund hielt an und versuchte traurig und ungelenk auf den Baum zu kriechen, um Uilenspiegel zu beißen; aber er vermochte es nicht und verendete.

Uilenspiegel war keineswegs froh, zumal da er sich beim Herabsteigen vom Baume überzeugte, daß der Rachen des Hundes gar nicht trocken war, wie es sonst zutrifft, wenn seinesgleichen von der Wut befallen sind. Als er dann sein Fell betrachtete, sah er, daß es schön war und gut zu verkaufen: er zog es ihm ab, wusch es, hängte es an seinen Stock und ließ es ein wenig an der Sonne trocknen; dann steckte er es in seinen Schnappsack.

Hunger und Durst quälten ihn weiter; er trat bei mehrern Pächtern ein, wagte aber nirgends das Fell zu verkaufen, weil er fürchtete, der Hund habe vielleicht gerade zu diesem Hause gehört. Er bat um Brot; man weigerte es ihm. Die Nacht fiel ein. Seine Beine waren müde, und so betrat er ein kleines Wirtshaus. Dort sah er eine alte Bazinne einen alten hustenden Hund liebkosen, dessen Fell dem des toten ähnlich war.

»Wo kommst du her, Wanderer?« fragte ihn die alte Bazinne.

Uilenspiegel antwortete: »Ich komme aus Rom, wo ich den Hund des Papstes von einer Verschleimung geheilt habe, die ihn in einer außergewöhnlichen Weise belästigt hatte.«

»Du hast also den Papst gesehn?« fragte sie, indem sie ihm ein Glas Bier verzapfte.

»Ach,« sagte Uilenspiegel, das Glas leerend, »es ist mir nur gestattet gewesen, seinen geweihten Fuß und seinen heiligen Pantoffel zu küssen.«

Unterdessen hustete der alte Hund der Bazinne, aber ohne etwas auszuschleimen. »Wann hast du das getan?« fragte die Alte.

»Im vorletzten Monat«, antwortete Uilenspiegel, »kam ich hin; ich war schon erwartet worden und klopfte ans Tor. ›Wer ist da?‹ fragte der erzkardinale, erzgeheime und erzaußerordentliche Kämmerer Seiner Hochheiligen Heiligkeit. ›Ich bin es,‹ antwortete ich, ›gnädiger Herr Kardinal, der ich ausdrücklich deswegen von Flandern herkomme, um den Fuß des Papstes zu küssen und seinen Hund von der Verschleimung zu heilen.‹ ›Ah, du bists, Uilenspiegel,‹ sagte auf der andern Seite der Papst, hinter einer kleinen Tür. ›Mir wäre es sehr lieb, dich zu sehen, aber jetzt ist das unmöglich. Es ist mir nämlich durch die heiligen Dekretalen verboten, Fremden mein Gesicht zu zeigen, wann das heilige Schermesser darüberstreicht.‹ ›O weh,‹ rief ich, ›ich Unglücklicher! Da komme ich aus so weiter Ferne, um den Fuß Euerer Heiligkeit zu küssen und Dero Hund von der Verschleimung zu heilen, und nun soll ich unverrichteter Dinge wieder abziehen?‹ ›Nein,‹ sagte der Heilige Vater; dann hörte ich, wie er rief: ›Erzkämmerer, schiebt meinen Stuhl bis zu der Tür und öffnet unten die kleine Luke.‹ Das geschah, und ich sah durch die Luke einen Fuß, beschuht mit einem goldenen Pantoffel, herauskommen und hörte die Worte, gesprochen mit einer Donnerstimme: ›Das ist der furchtbare Fuß des Fürsten der Fürsten, des Königs der Könige, des Kaisers der Kaiser. Küsse ihn, Christ, küsse den heiligen Pantoffel.‹ Und ich küßte den heiligen Pantoffel, und meine Nase war durchduftet von dem himmlischen Wohlgeruche, den dieser Fuß ausströmte. Dann schloß sich die Luke, und dieselbe furchtbare Stimme hieß mich warten. Wieder öffnete sich die Luke, und heraus trat ein Tier, das, mit aller Ehrfurcht seis gesagt, räudig, triefäugig, vom Husten geplagt und wie ein Schlauch aufgeblasen war und wegen der Mächtigkeit seines Wanstes mit gespreizten Beinen gehn mußte.

Wieder begnadigte mich der Heilige Vater, mit mir zu sprechen: ›Uilenspiegel, du siehst meinen Hund; die Verschleimung und die andern Krankheiten haben ihn befallen, weil er die Knochen der Ketzer nagte, die man ihnen gebrochen hatte. Heile ihn, mein Sohn, es soll nicht dein Schade sein.‹«

»Trink,« sagte die Alte. »Schenk ein,« antwortete Uilenspiegel. Dann fuhr er fort: »Ich brachte den Hund zum Abführen durch einen wundersamen Trank, den ich selbst zusammengebraut hatte. Er seichte drei Tage und drei Nächte ohne Unterlaß und war geheilt.«

»Jezus, God en Maria!« schrie die Alte. »Laß dich küssen, glorreicher Pilgrim, der du den Papst gesehn hast und auch meinen Hund wirst heilen können.« Aber Uilenspiegel scherte sich nicht um die Küsse der Alten: »Wer mit seinen Lippen den heiligen Pantoffel berührt hat, der darf zwei volle Jahre lang keinen Kuß einer Frau empfangen. Gib mir aber vor allem ein paar gute Rostbraten, ein oder zwei Würste und genugsam Bier, so werde ich deinem Hunde die Stimme so klären, daß er die Ave im E-lafa auf dem Chor der Domkirche singen kann.«

»Sprächest du nur wahr,« greinte die Alte; »ich gäbe dir einen Gulden dafür.« »Ich werde es tun,« antwortete Uilenspiegel, »aber erst nach dem Essen.«

Sie setzte alles auf den Tisch, was er verlangt hatte. Er aß und trank nach Herzenslust und hätte schließlich aus der Dankbarkeit seines Schlundes die Alte noch umarmt, wenn nicht seine frühern Worte dawidergestanden hätten. Während er aß, legte ihm der alte Hund die Pfoten auf die Knie, um einen Knochen zu bekommen. Uilenspiegel gab ihm deren mehrere; dann sagte er zur Wirtin: »Wenn einer bei dir äße und nicht bezahlte, was tätest du mit ihm?«

»Ich nähme dem Spitzbuben sein bestes Kleid,« antwortete die Alte. »Recht so,« entgegnete Uilenspiegel; dann nahm er den Hund unter den Arm und ging mit ihm in den Stall. Dort sperrte er ihn mit einem Knochen ein. Er nahm das Fell des toten aus seinem Schnappsacke, kehrte zur Alten zurück und fragte sie, ob sie dabei bleibe, daß sie dem, der sein Mahl nicht bezahle, sein bestes Kleid wegnehme. »Ja,« antwortete sie.

»Gut. Dein Hund hat mit mir gegessen und hat mir nichts bezahlt; ich habe ihm also deiner Vorschrift gemäß seinen besten und einzigen Rock weggenommen.« Und er zeigte ihr das Fell des toten Hundes.

»Ach,« schluchzte die Alte, »das ist grausam von dir, Herr Arzt. Armes Hündlein! Für mich Witwe war er mein Kind. Warum hast du mir den einzigen Freund, den ich auf der Welt hatte, genommen? Nun mag ich meinetwegen sterben.«

»Ich werde ihn wiedererwecken,« sagte Uilenspiegel.

»Wiedererwecken?« sagte sie. »Und er wird mich wieder liebkosen, und er wird mich wieder ansehn, und er wird mich wieder lecken, und er wird wieder, wenn er mich ansieht, mit seinem armen alten Schwanzstumpfe wedeln? Macht das so, Herr Arzt, und Ihr sollt hier umsonst gegessen haben, dieses köstliche Essen, und ich will Euch mehr als einen Gulden in den Kauf geben.«

»Ich werde ihn wiedererwecken,« sagte Uilenspiegel; »aber dazu brauche ich außer warmem Wasser noch Sirup, um die Fugen zu leimen, eine Nadel und Zwirn und etwas Bratentunke. Und ich will allein sein bei der Operation.«

Die Alte gab ihm, was er verlangte; er nahm das Fell des toten Hundes und ging in den Stall. Dort bestrich er die Schnauze des alten Hundes mit der Tunke, was sich der willig gefallen ließ; er zog ihm mit dem Sirup einen dicken Strich über den Bauch, schmierte ihm Sirup unter die Pfoten und goß ihm Tunke auf den Schwanz. Dann stieß er drei laute Schreie aus und rief: »Sta op! sta op! ik beveel het, vuile hond!«

Rasch warf er das Fell des toten Hundes in seinen Schnappsack, gab dem lebenden einen kräftigen Fußtritt und stieß ihn also in die Gaststube.

Als die Alte ihren Hund lebend und sich leckend sah, wollte sie ihn ganz glücklich umarmen; aber Uilenspiegel verwehrte es ihr: »Du darfst den Hund nicht früher liebkosen, als bis er allen Sirup, mit dem er bestrichen ist, mit der Zunge abgewaschen hat; dann erst werden die Nähte des Fells fest sein. Zahle mir nun meine zehn Gulden.«

»Einen hab ich gesagt,« antwortete die Alte.

»Einen für die Operation, neun für die Wiedererweckung,« antwortete Uilenspiegel.

Sie zahlte sie ihm. Im Weggehn warf Uilenspiegel das Fell des toten Hundes in die Stube mit den Worten: »Da, Weib, heb sein altes Fell auf; du wirst es brauchen, um das neue zu flicken, wann es Löcher bekommt.«


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