Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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XXVI

Die schöne Frau verließ eines Tages Valladolid, um auf ihr Schloß zu Dudzele in Flandern zu reisen.

Als sie in Begleitung ihres dicken Kellermeisters durch Damme kam, sah sie an der Mauer einer Hütte einen jungen Burschen von fünfzehn Jahren kauern, der den Dudelsack blies. Vor ihm saß ein roter Hund, der, diese Musik nicht schätzend, traurig heulte. Die Sonne blinkte hell. Dem Burschen zur Seite stand ein kleines Mädchen, das sich vor Lachen schüttelte bei jedem Klagelaute des Hundes. Die schöne Dame und der dicke Kellermeister betrachteten, als sie bei der Hütte vorbeikamen, den blasenden Uilenspiegel, die lachende Nele und den heulenden Titus Bibulus Schnuffius. »Du garstiger Bursche,« sagte die Dame zu Uilenspiegel, »möchtest du nicht aufhören, den armen Mops so zum Heulen zu reizen?«

Uilenspiegel sah sie an und blies seinen Dudelsack nur stärker. Und Bibulus Schnuffius heulte noch trauriger, und Nele schüttelte sich noch mehr vor Lachen. Der Kellermeister wurde zornig und sagte zu der Dame, auf Uilenspiegel deutend: »Wenn ich diese elende Brut ein wenig mit meiner Degenscheide striche, hätte der unverschämte Lärm bald ein Ende.«

Uilenspiegel sah den Kellermeister an, nannte ihn Jan Papzak wegen seines Wanstes und fuhr fort, seinen Dudelsack zu blasen. Der Kellermeister ging auf ihn zu und drohte ihm mit der Faust; da fuhr aber Bibulus Schnuffius los auf ihn und biß ihn in das Bein, und der Kellermeister fiel vor Angst um und schrie: »Zu Hilfe!«

Lächelnd sagte die Dame zu Uilenspiegel: »Dudelsackpfeifer, möchtest du mir nicht sagen, ob der Weg von Damme nach Dudzele noch immer derselbe ist?« Uilenspiegel schüttelte, ohne das Blasen einzustellen, den Kopf und sah die Dame an.

»Was hast du mich so anzustarren?« fragte sie. Er aber, immerfort blasend, sperrte seine Augen auf, wie verzückt in Bewunderung.

Sie sagte zu ihm: »Schämst du dich denn nicht, jung wie du bist, die Damen so anzusehn?« Uilenspiegel errötete ein wenig, blies weiter und sah sie unverwandt an.

»Ich habe dich gefragt,« sagte sie wieder, »ob der Weg von Damme nach Dudzele noch immer derselbe ist.« Uilenspiegel antwortete: »Er ist nicht mehr grün, seitdem Ihr ihn des Glückes beraubt habt, Euch tragen zu dürfen.«

»Willst du mich geleiten?« fragte die Dame. Aber Uilenspiegel blieb sitzen und sah sie immerfort an. Und obwohl sie den Schelm in ihm erkannte, vergab sie ihm doch gerne, weil sie wußte, daß sein Spiel nichts sonst als Jugend war. Er erhob sich, um ins Haus zu gehn.

»Wohin gehst du?« fragte sie.

»Meine besten Kleider anziehen.«

»Geh.«

Die Dame setzte sich auf die Bank neben der Tür; der Kellermeister tat wie sie. Sie wollte mit Nele sprechen; aber Nele gab ihr keine Antwort, weil sie eifersüchtig war.

Wohlgewaschen und in Barchent gekleidet, kam Uilenspiegel wieder. Er sah ganz gut aus in seinem Sonntagsstaate, der kleine Mann. Nele fragte ihn: »Du gehst wahrhaftig mit dieser schönen Dame?«

»Ich komme bald zurück,« sagte Uilenspiegel.

»Wenn ich statt deiner ginge?« sagte Nele.

»Nein,« antwortete er; »die Wege sind kotig.«

»Warum,« sagte die Dame ärgerlich und gleicherweise eifersüchtig, »warum, kleines Mädchen, willst du ihn abhalten, mit mir zu gehn?«

Nele antwortete nichts, aber aus ihren Augen rannen große Tränen, und sie betrachtete die schöne Dame traurig und mit Zorn.

Sie machten sich selbviert auf den Weg: die Dame wie eine Königin auf ihrem weißen Zelter, geschirrt mit schwarzem Samt, der Kellermeister, dem beim Gehn der Bauch wackelte, Uilenspiegel, der den Zelter am Zaume führte, und Bibulus Schnuffius an Uilenspiegels Seite, die Rute kühnlich zur Höhe gesträubt.

So gingen und ritten sie eine Zeitlang. Aber Uilenspiegel war nicht wohlgelaunt; stumm wie ein Fisch sog er den feinen Benzoeduft ein, der von der Dame kam, und betrachtete verstohlen ihr schönes Reitzeug, ihre seltsamen Kleinode und Juwelen und auch ihr süßes Gesicht, ihre strahlenden Augen, ihren bloßen Hals und ihr Haar, das die Sonne blitzen ließ wie einen goldenen Schleier. »Warum«, fragte sie, »sprichst du so wenig, kleiner Mann?« Er antwortete nichts.

»Du hast doch nicht deine Zunge so weit in den Schuhen, daß du es nicht träfest, mir eine Botschaft zu bestellen?«

»Freilich,« sagte Uilenspiegel.

»Du mußt mich«, sagte die Dame, »jetzt verlassen und nach Koolkerke gehn, an der andern Leeseite, und dort einem halb in Schwarz und halb in Rot gekleideten Edelmanns sagen, er solle mich heute nicht mehr erwarten, sondern am Sonntag um zehn Uhr nachts auf mein Schloß kommen zur heimlichen Tür.«

»Ich geh nicht,« sagte Uilenspiegel. »Warum nicht?« »Ich geh nicht, nein!«

Die Dame sagte wieder: »Was ists denn, du Gifthahn, was dir diese Unfügsamkeit eingibt?« »Ich geh nicht.« »Wenn ich dir aber einen Gulden gebe?« »Nein.« »Einen Dukaten?« »Nein.« »Einen Karolus?« »Nein,« sagte Uilenspiegel wieder; »und trotzdem«, fuhr er seufzend fort, »hätte ich ihn lieber als eine Miesmuschel in der Tasche meiner Mutter.«

Die Dame lächelte; plötzlich rief sie: »Ich habe meine schöne seidene, perlenbesetzte Geldtasche verloren! In Damme hat sie noch an meinem Gürtel gehangen.«

Uilenspiegel rührte sich nicht, aber der Kellermeister trat zur Dame: »Herrin, schickt nur nicht den jungen Spitzbuben sie suchen; Ihr würdet ihn nicht wiedersehn.«

»Wer soll denn dann gehn?«

»Ich,« antwortete er, »trotz meinen hohen Jahren.« Und er ging.

Es schlug Mittag, die Hitze war groß und tief die Einsamkeit. Uilenspiegel sprach kein Wort, aber er breitete sein neues Wams in dem Schatten einer Linde zum Sitze für die Dame auf, damit sie die Feuchtigkeit des Grases nicht zu scheuen brauche. Er blieb neben ihr stehn, seufzend.

Sie sah ihn an und fühlte Mitleid mit dem blöden Jungen und fragte ihn, ob es ihn nicht ermüde, so lang auf seinen jungen Beinen zu stehn. Er antwortete kein Wort; und als er sich neben sie fallen ließ, wollte sie ihn aufhalten und zog ihn an ihre bloße Brust. Dort lag er so willig, daß sie es für die Sünde der Grausamkeit gehalten hätte, ihm zu sagen, er solle sich ein ander Kissen suchen.

Der Kellermeister kam zurück und sagte, er habe die Geldtasche nicht gefunden. »Ich habe sie gefunden,« sagte die Dame, »als ich vom Pferde gestiegen bin; sie hatte sich ausgehäkelt und war am Steigbügel hangen geblieben.« »Und nun«, sagte sie zu Uilenspiegel, »führe uns gradaus nach Dudzele und sag mir, wie du heißt.«

»Mein Patron«, antwortete er, »ist der heilige Thijlbert, ein Name, der bedeutet: nimm die Beine in die Hand, wenn es etwas Gutes gilt; mein Name ist Klaas und mein Beiname Uilenspiegel. Wenn Ihr Euch in meinem Spiegel betrachten wollt, werdet Ihr sehn, daß in diesem ganzen vlämischen Lande keine Blume leuchtender Schönheit ist wie Euere duftige Lieblichkeit.«

Die Dame errötete vor Vergnügen und zürnte nicht wider Uilenspiegel.

Und Soetkin und Nele weinten während dieser langen Abwesenheit.


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