Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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LV

Gekleidet in seine Pilgertracht und losgesprochen von seinen Sünden, verließ Uilenspiegel Rom; er zog seine Straße fürbaß und kam nach Bamberg, wo es das beste Gemüse der Welt gibt. Er betrat eine Herberge, deren lustige Wirtin zu ihm sagte: »Gesell, willst du um dein Geld essen?« »Ja,« sagte Uilenspiegel; »aber um wie viel ißt man hier?«

»Man ißt am Herrentisch um sechs Gulden, am Bürgertisch um vier Gulden und am Gesindetisch um zwei.« »Je teuerer, desto besser,« antwortete Uilenspiegel.

Er setzte sich also an den Herrentisch. Als er sich wohlgesättigt und sein Mahl mit Rheinwein befeuchtet hatte, sagte er zur Wirtin: »Gevatterin, ich habe gut gegessen um mein Geld; gib mir die sechs Gulden.« Die Wirtin sagte: »Du machst dich lustig über mich? Bezahle deine Zeche.«

»Liebste Wirtin,« antwortete Uilenspiegel, »Ihr habt doch gar nicht das Gesicht einer schlimmen Schuldenmacherin; ich sehe darin im Gegenteil so viel Treue und Glauben und eine solche Nächstenliebe, daß Ihr mir sicherlich lieber achtzehn Gulden zahlen würdet, als die sechs verweigern, die Ihr mir schuldet. Diese schönen Augen! Es ist die Sonne, die mich mit ihren Strahlen trifft und die Liebesbrunst höher aufschießen läßt, als das Hundsgras in einem vernachlässigten Felde.«

Die Wirtin antwortete: »Ich habe nichts zu tun mit deiner Brunst und nichts mit deinem Hundsgras; zahl und geh.«

»Gehn«, sagte Uilenspiegel, »und dich nimmer sehn? Lieber alsogleich sterben. Wirtin, süße Wirtin, ich bin nicht gewohnt um sechs Gulden zu essen, ich armer Schlucker, der über Berg und Tal ziehen muß; jetzt habe ich mich aber vollgestopft und werde die Zunge aus dem Maule hangen lassen wie ein Hund in der Sonne. Laßt es Euch gefallen, mich zu bezahlen. Die sechs Gulden habe ich ehrlich mit der schweren Arbeit meiner Kinnbacken verdient; gebt sie mir, und ich werde Euch liebkosen, küssen, umarmen mit einer solchen Glut der Dankbarkeit, daß nicht siebenundzwanzig Liebhaber, alle miteinander, den gleichen Anforderungen genügen könnten.«

»Du sprichst ums Geld,« sagte sie. Drauf er: »Willst du, daß ich dich umsonst aufesse?« »Nein,« sagte sie, sich gegen ihn wehrend.

»Ach,« seufzte er, ohne sie auszulassen, »deine Haut ist wie Rahm, dein Haar wie ein gebratener Goldfasan, deine Lippen wie die Kirschen! Gibt es denn eine, die leckerer wäre als du?«

»Das machst du gut, du Taugenichts,« sagte sie lachend, »noch von mir sechs Gulden zu verlangen. Sei zufrieden, daß ich dir umsonst, ohne etwas dafür zu verlangen, zu essen gegeben habe.«

»Wenn du wüßtest,« sagte Uilenspiegel, »wie viel noch Platz ist!«

»Mach fort,« sagte die Wirtin, »bevor mein Mann kommt.«

»Ich will ein milder Gläubiger sein,« antwortete Uilenspiegel; »gib mir nur einen Gulden für den künftigen Durst.« »Da,« sagte sie, »schlimmer Junge.« Und sie gab ihm ihn.

»Darf ich wiederkommen?« fragte Uilenspiegel. »Willst du wohl gehn!« sagte sie.

»Wohl gehn,« sagte Uilenspiegel, »das wäre zu dir gehn, mein Lieb; es heißt aber schlecht gehn, wenn ich von deinen schönen Augen scheiden muß. Wenn du mich behalten wolltest, äße ich alle Tage um nicht mehr als um einen Gulden.« »Brauchts einen Stock?« sagte sie. »Nimm meinen,« antwortete Uilenspiegel.

Sie lachte, aber er mußte wandern.


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