Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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LXXX

In den nächsten dreiundzwanzig Tagen wurde Katelijne weiß, mager und dürr, als ob sie von einem innern Feuer verzehrt würde, mehr nagend als das der Narrheit.

Sie sagte nicht mehr: »Das Feuer! Macht ein Loch: die Seele will hinaus«, sondern in täglicher Verzückung, zu Nele redend: »Ich bin Gattin, und du sollst Gattin werden. Er ist schön: lange Haare, heiße Liebe; kalte Knie und kalte Arme.«

Und Soetkin betrachtete sie traurig und glaubte an eine neue Narrheit.

Katelijne fuhr fort: »Drei mal drei sind neun, die heilige Zahl. Der, der in der Nacht glimmende Augen hat wie Katzenaugen, kennt allein das Geheimnis.«

Eines Abends zuckte Soetkin, als sie ihr zuhörte, die Achseln. Aber Katelijne sagte: »Vier und drei, im Saturn ein Unglück; in der Venus die Zahl der Hochzeit. Kalte Arme! Kalte Knie! Das Herz von Feuer!«

Soetkin entgegnete: »Man soll von diesen schlechten heidnischen Götzen nicht sprechen.«

Als dies Katelijne hörte, machte sie das Zeichen des Kreuzes und sagte: »Gesegnet sei der graue Ritter! Nele braucht einen Mann, einen schönen Mann, der das Schwert trägt, einen schwarzen Mann mit blinkendem Gesichte.«

»Ja,« sagte Uilenspiegel, »ein Hackfleisch von Männern, wozu mein Messer die Brühe liefern wird.« Nele sah ihren Freund mit Augen an, die feucht vor Freude waren ob seiner Eifersucht; dann sagte sie: »Ich will keinen.«

Katelijne antwortete: »Wann wird er kommen in seiner grauen Tracht, immerfort anders gestiefelt und gespornt?«

Soetkin sagte: »Bittet Gott für die Verrückte!«

»Uilenspiegel,« sagte Katelijne, »hol uns vier Nößel Doppelbier, während ich die Heetekoeken backe.«

Soetkin fragte, warum sie den Samstag feiere wie die Juden. Katelijne antwortete: »Weil der Teig bereit ist.«

Uilenspiegel stand da, in der Hand den großen Krug aus englischem Zinn, der gerade das Maß hielt. »Mutter, was soll ich tun?« fragte er. »Geh,« sagte Katelijne. Soetkin wollte nicht mehr antworten, weil sie nicht die Herrin im Hause war; sie sagte zu Uilenspiegel: »Geh, mein Sohn.«

Uilenspiegel lief zum Staak und brachte die vier Nößel Doppelbier. Bald verbreitete sich der Duft der Heetekoeken in der Küche, und alle bekamen Hunger, selbst die Schmerzensreiche. Uilenspiegel aß tüchtig. Katelijne hatte ihm einen großen Humpen gegeben und gesagt, weil er als der einzige Mann das Haupt des Hauses sei, müsse er mehr trinken als die andern und nachher singen.

Bei diesen Worten machte sie ein hämisches Gesicht; Uilenspiegel trank zwar, sang aber nicht. Nele weinte, wann sie Soetkin ansah, die bleich und in sich versunken war; nur Katelijne war lustig. Nach dem Mahle stiegen Soetkin und Uilenspiegel auf den Boden, um sich schlafen zu legen; Katelijne und Nele blieben in der Küche, wo ihre Betten standen.

Es war gegen zwei Uhr morgens. Uilenspiegel war auf das schwere Getränk schon seit langem eingeschlafen. Soetkin bat, wie jede Nacht, mit offenen Augen die Jungfrau, ihr Schlaf zu schicken; aber die Jungfrau hörte sie nicht.

Plötzlich vernahm sie den Schrei eines Adlers, und aus der Küche antwortete ein ähnlicher Schrei; dann erklangen in der Ferne, im Felde, andere Schreie, und immer schien es ihr, daß von der Küche aus geantwortet werde. In der Meinung, das seien Nachtvögel, hatte sie weiter keine Acht darauf. Sie hörte Wiehern von Pferden und das Getrampel von eisernen Hufen auf der Straße; sie öffnete das Bodenfenster, und wirklich sah sie zwei gesattelte Pferde stampfen und das Gras der Straßenböschung abweiden. Nun hörte sie die Stimme einer schreienden Frau, die Stimme eines drohenden Mannes, das Klatschen von Schlägen, neuerliche Schreie, das geräuschvolle Schließen einer Tür und auf der Bodentreppe einen ängstlichen Schritt.

Uilenspiegel schnarchte und hörte nichts. Die Tür des Bodens öffnete sich, und Nele trat ein, fast nackt, außer Atem und Tränen weinend; hastig schob sie gegen die Tür einen Tisch, Stühle, eine alte Pfanne, alles was sie an Hausrat finden konnte. Die letzten Sterne waren am Verlöschen, und die Hähne krähten.

Auf den Lärm, den Nele machte, drehte sich Uilenspiegel im Bette um; aber er schlief weiter. Nele warf sich Soetkin an den Hals: »Soetkin, ich habe Furcht, zünde das Licht an.« Soetkin tats; und Nele wimmerte immerfort.

Beim Scheine des Lichtes sah Soetkin, daß Nelens Hemd an der Schulter zerrissen war und daß sich über ihre Stirn, ihre Wangen und ihren Hals blutige Risse zogen, wie die Spuren von Fingernägeln. »Nele,« sagte Soetkin, sie umarmend, »woher kommst du in diesem Zustande?«

Immer noch zitterte und wimmerte das Mädchen; sie sagte: »Bring uns nicht auf den Scheiterhaufen, Soetkin.«

Unterdessen erwachte Uilenspiegel und blinzelte wegen der Helle des Lichtes. Soetkin sagte: »Wer ist unten?« Nele antwortete: »Schweig, es ist der Mann, den sie mir geben will.«

Auf einmal hörten Soetkin und Nele Katelijne schreien, und beiden versagten die Beine. »Er schlägt sie, er schlägt sie meinetwegen,« sagte Nele.

»Wer ist im Hause?« schrie Uilenspiegel und sprang aus dem Bett. Sich die Augen reibend, rannte er durch die Kammer, bis er einen schweren Schürhaken gepackt hatte, der in einem Winkel lag. »Niemand,« sagte Nele, »niemand; geh nicht hinunter, Uilenspiegel.«

Er jedoch hörte nichts, sondern lief zur Tür und warf Stühle, Tisch und Pfanne zur Seite. Unten hörte Katelijne nicht auf zu schreien. Nele und Soetkin hielten Uilenspiegel auf der Treppe fest, Nele seinen Leib umspannend, Soetkin seine Beine umklammernd; und Soetkin bat: »Geh nicht, Uilenspiegel; es sind Teufel!«

»Ja,« antwortete er, »der teuflische Gatte Nelens; ich will ihm den Ehebund mit dem Schürhaken segnen. Eine Hochzeit von Eisen und Blut! Laßt mich hinunter!«

Aber sie ließen noch nicht locker, denn sie waren stark, weil sie sich an dem Geländer hielten. Er riß sie mit sich herunter über die Stufen der Stiege, und sie bekamen Angst, weil sie sich also den Teufeln näherten. Sie vermochten jedoch nichts gegen ihn. Mit Sprüngen und Sätzen sauste er hinunter, wie die Lawine zu Tal fährt; und er trat in die Küche. Beim Morgenscheine sah er Katelijne verstört und bleich, und er hörte sie sagen: »Hansken, warum hast du mich verlassen? Es ist nicht meine Schuld, daß Nele garstig ist.«

Ohne auf sie zu hören, öffnete Uilenspiegel die Tür des Stalles. Als er hier niemand fand, schwang er sich hinaus aufs Feld und von dort auf die Straße; in der Ferne sah er zwei Pferde dahinsprengen und im Nebel verschwinden. Er lief ihnen nach, aber es war vergeblich; denn sie sausten dahin wie der Herbstwind, der die trockenen Blätter fegt.

Wütend vor Zorn und Verzweiflung, kehrte er um; und er murmelte in seine Zähne: »Sie haben sie geschwächt! Sie haben sie geschwächt!« Und eine unheimliche Flamme in seinen funkelnden Augen, betrachtete er Nele, die, am ganzen Leibe zitternd, vor der Witwe und Katelijne stand und sagte: »Nein, Thijl, mein Liebster; nein.«

Und bei diesen Worten sah sie ihm so traurig und offen in die Augen, daß er wußte, sie spreche die Wahrheit. Dann fragte er sie: »Woher sind die Schreie gekommen? Wohin sind diese Männer gegangen? Warum ist dein Hemd an der Schulter und dem Rücken zerrissen? Woher hast du die Kratzwunden an der Stirn und den Wangen?«

»Höre,« sagte sie, »doch bring uns nicht auf den Scheiterhaufen, Uilenspiegel. Katelijne, Gott errette sie vor der Hölle, hat seit dreiundzwanzig Tagen einen Teufel, schwarz gekleidet, gestiefelt und gespornt, zum Freunde. Er hat ein Gesicht, von dem Feuer blinkt, wie man es im Sommer auf den Meereswogen sieht, wann es heiß ist.«

»Warum bist du gegangen, Hansken, mein Liebster?« sagte Katelijne. »Nele ist garstig.«

Aber Nele fuhr fort: »Er schreit wie ein Adler, um seine Anwesenheit zu künden. Meine Mutter hat ihn alle Samstage in der Küche. Sie sagt, seine Küsse seien kalt und sein Körper sei wie Schnee. Er schlägt sie, wenn sie nicht alles tut, was er will. Einmal hat er ihr ein paar Gulden gebracht, aber er hat ihr alle andern genommen.«

Während dieser Erzählung betete Soetkin mit gefalteten Händen für Katelijne. Katelijne sagte freudig: »Mein Leib ist nicht mehr mein eigen, mein Geist ist nicht mehr mein eigen; alles ist sein. Hansken, mein Liebster, führe mich wieder zum Sabbat. Nur Nele will niemals mitkommen; Nele ist garstig.«

»In der Morgendämmerung bricht er auf,« sprach das Mädchen weiter, »und bei Tage erzählt mir die Mutter hundert sonderbare Dinge . . . Aber du darfst mich nicht mit so bösen Augen ansehn, Uilenspiegel. Gestern hat sie mir gesagt, daß mich ein schöner Herr, in Grau gekleidet und Hilbert geheißen, zur Ehe haben wolle und herkommen werde, um sich mir zu zeigen. Ich antwortete, daß ich keinen Mann wolle, weder einen häßlichen, noch einen schönen. Durch die mütterliche Gewalt zwang sie mich, aufzubleiben und sie zu erwarten; denn sie hat nicht all ihre Sinne verloren, wann es sich um ihre Liebschaft handelt. Wir waren halb entkleidet, bereit uns niederzulegen; ich schlief auf dem Stuhl da. Ich wurde nicht wach, als sie eintraten. Plötzlich fühlte ich, daß ich umarmt und auf den Hals geküßt wurde. Und beim Scheine des schimmernden Mondes sah ich ein Gesicht, blinkend wie die Wogenkämme des Meeres im Juli, wann es donnern will, und ich hörte, daß eine tiefe Stimme zu mir sagte: ›Ich bin Hilbert, dein Gatte; sei mein, ich mache dich reich.‹ Das Gesicht dessen, der sprach, hatte einen Fischgeruch. Ich stieß ihn zurück; er wollte mich mit Gewalt nehmen, aber ich hatte die Kraft von zehn Männern wie er. Immerhin zerriß er mir das Hemd und verwundete mich im Gesichte. Immer sagte er: ›Sei mein, ich mache dich reich.‹ ›Ja,‹ – sagte ich, ›wie meine Mutter, der du den letzten Heller nehmen wirst.‹ Nun verdoppelte er seine Gewalt; aber er vermochte nichts gegen mich. Dann, wie er häßlicher war als eine Leiche, grub ich meine Nägel in seine Augen, so stark, daß er vor Schmerz schrie und ich entrinnen und zu Soetkin kommen konnte.«

Katelijne sagte immerfort: »Nele ist garstig. Warum bist du so rasch weggegangen, Hansken, mein Liebster?«

»Wo warst du, elende Mutter,« sagte Soetkin, »als man deinem Kinde die Ehre rauben wollte?«

»Nele ist garstig,« sagte Katelijne. »Ich war bei meinem schwarzen Herrn, als der graue Teufel zu uns kam mit blutigem Gesicht und sagte: ›Komm, Gesell; das Haus ist schlecht: die Männer wollen uns totschlagen, und die Weiber haben Messer an den Fingerspitzen.‹ Dann rannten sie zu ihren Pferden und verschwanden im Nebel. Nele ist garstig.«


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