Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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LI

Unterdessen waren die schlechten Zeiten wiedergekommen: Klaas werkte in Betrübnis allein auf dem Felde, weil nicht genügend Arbeit für zwei war; Soetkin war allein in der Hütte und bereitete die Bohnen, ihr tägliches Mahl, immer wieder auf neue Art zu, um die Eßlust ihres Mannes zu reizen. Und sie sang und lachte, damit er sich nicht bekümmere wegen ihres traurigen Gesichtes. Der Storch stand auf einem Beine neben ihr, den Schnabel in den Federn vergraben.

Ein Mann zu Pferde hielt vor der Hütte; er war ganz schwarz gekleidet und sehr hager und sah sehr traurig aus. »Ist jemand zu Hause?« fragte er.

»Gott segne Ew. Trübseligkeit,« antwortete Soetkin; »bin ich vielleicht ein Gespenst, daß Ihr fragt, ob jemand zu Hause ist, wo Ihr doch mich seht?«

»Wo ist dein Vater?« fragte der Reiter.

»Wenn mein Vater Klaas heißt,« antwortete Soetkin, »dann ist er da unten; du siehst ihn Korn säen.«

Der Reiter ging; auch Soetkin ging weg, ganz traurig, weil sie schon das sechste Mal vom Bäcker Brot holen sollte, ohne es zu bezahlen. Als sie mit leeren Händen heimkam, war sie baß verwundert, daß sie Klaas frohlockend und hoffärtig auf dem Pferd des schwarzgekleideten Reiters, das dieser am Zaume führte, zum Hause reiten sah. Klaas drückte stolz einen Ledersack, der wohlgefüllt schien, an seinen Schenkel.

Vom Pferde gestiegen, umarmte er den Mann und tätschelte ihn fröhlich; dann schüttelte er den Sack und schrie: »Mein Bruder Judocus soll leben, der wackere Einsiedler! Gott erhalte ihn bei Freuden, bei Fett, bei Lustigkeit, bei Gesundheit! Das ist Judocus mit seinem Segen, Judocus mit seinem Überflusse, Judocus mit seinen fetten Suppen! Der Storch hat keineswegs gelogen!« Und er stellte den Sack auf den Tisch.

Nun sagte Soetkin weinerlich: »Mann, wir werden heute nicht essen; der Bäcker hat mir kein Brot gegeben.«

»Brot?« sagte Klaas, indem er den Sack öffnete und einen Bach Goldes über den Tisch rinnen ließ; »Brot? Da ist Brot, Butter, Fleisch, Wein, Bier! Da sind Schinken, Markknochen, Reiherpasteten, Fettammern, Masthühner, Kapaune, wie bei den hohen Herren! Bier tonnenweise und Fässer voll Wein! Der wird toll sein, der Bäcker, der uns kein Brot geben wird; wir werden nichts mehr kaufen bei ihm.«

»Aber Mann!« rief Soetkin verdutzt.

»Nun höre«, sagte Klaas, »und sei fröhlich. Katelijne ist, anstatt die Zeit ihrer Verbannung in der Markgrafschaft von Antwerpen zu verbringen, in Begleitung Nelens zu Fuß nach Meiborg gewandelt. Dort hat Nele meinem Bruder Judocus gesagt, daß wir trotz unserer harten Arbeit oft Not leiden. Wie mir der gute Bote da« – Klaas wies mit dem Finger auf den Reiter – »gesagt hat, hat Judocus die heilige römische Kirche verlassen, um sich der Ketzerei Luthers zu ergeben.«

Der schwarze Reiter fiel ein: »Die sind die Ketzer, die dem Dienste der Großen Hure folgen. Denn der Papst treibt in Pflichtvergessenheit Schacher mit den Heiligtümern.«

»Ach,« sagte Soetkin, »sprecht nicht so laut, Herr; Ihr werdet uns alle drei auf den Scheiterhaufen bringen.«

»Dann«, fuhr Klaas fort, »hat Judocus diesem biedern Boten gesagt, er wolle zu den Truppen Friedrichs von Sachsen stoßen und ihm fünfzig wohlausgerüstete Krieger zuführen; da er also ins Feld ziehe, bedürfe er nicht so vielen Geldes, daß es ihm vielleicht in einer bösen Stunde von einem Taugenichts von Landsknecht abgenommen werde. ›Drum‹, hat er gesagt, ›bringe meinem Bruder Klaas samt meinem Segen diese siebenhundert Karlsgulden; sag ihm, daß er wohlleben und seines Seelenheils gedenken soll.‹«

»Ja,« sagte der Reiter, »es ist an der Zeit; denn Gott vergilt dem Menschen nach seinen Werken und handelt mit jeglichem nach den Verdiensten seines Lebens.«

»Herr,« sagte Klaas, »es wird mir doch nicht verwehrt sein, mich einstweilen dieser guten Zeitung zu erfreuen. Laßt es Euch gefallen, hierzubleiben; wir wollen, um sie zu feiern, herrliche Kutteln und gewaltig viele Rostbraten schmausen nebst einem Schinkelein, das so prall und appetitreizend ist, daß mir, als ich es beim Fleischer gesehn habe, ein ganzer See im Munde zusammengelaufen ist.«

»Ach,« sagte der Mann, »die Unsinnigen frönen der Lust, während die Augen Gottes über ihren Pfaden stehn.«

»Also, Bote,« sagte Klaas, »willst du mit uns essen und trinken, oder nicht?«

Der Mann antwortete: »Für die Gläubigen wird dann Zeit sein, ihre Seelen den irdischen Freuden zu ergeben, bis die große Babylon gefallen sein wird!« Soetkin und Klaas bekreuzigten sich; er schickte sich zum Aufbruche an.

Klaas sagte zu ihm: »Da du also darauf bestehst, ohne jegliche Bewirtung zu scheiden, so gib meinem Bruder Judocus den Friedenskuß und wache über ihn in der Schlacht.« »Ich will es tun,« sagte der Mann.

Und er ging von hinnen, während Soetkin zu der Feier des Glücksfalles rüstete. An diesem Tage hatte der Storch zum Essen zwei Gründlinge und einen Stockfischkopf.

Bald verbreitete sich in Damme die Nachricht, daß aus dem armen Klaas durch seinen Bruder Judocus Klaas, er Reiche, geworden war. Und der Dechant sagte, sicherlich habe Katelijne einen Zauber über Judocus geworfen; denn obwohl Klaas von seinem Bruder sicherlich ein schweres Geld bekommen habe, habe er doch nicht einen Deut für Unsere Frau gestiftet.

Klaas und Soetkin waren glücklich, Klaas bei der Feldarbeit oder dem Kohlenhandel, Soetkin als tüchtige Hauswirtin.

Aber Soetkin suchte ohne Unterlaß mit bekümmerten Augen auf den Straßen ihren Sohn Uilenspiegel.

Und alle drei genossen das Gute, das ihnen von Gott kam, und warteten, was ihnen von den Menschen kommen sollte.


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