Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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LIII

Uilenspiegel, der von dem weiten Marsche die Füße blutig hatte, traf im Bistum Mainz einen Karren mit Pilgern; der brachte ihn nach Rom.

Als er bei der Ankunft in der Stadt den Karren verließ, sah er an der Schwelle einer Herbergstür eine hübsche Frau, die lächelte, als sie merkte, er sehe sie an. Diese gute Laune nahm er für ein treffliches Vorzeichen: »Wirtin, willst du einem pilgernden Pilger eine Zuflucht bieten? Denn ich bin am Ziele und will hier die Entbindung von meinen Sünden abwarten.«

»Wir bieten allen denen Zuflucht, die uns bezahlen.«

»Ich habe hundert Dukaten im Beutel«, antwortete Uilenspiegel, der kaum einen hatte, »und möchte den ersten in deiner Gesellschaft loswerden, indem wir eine Flasche alten Römers trinken.«

»Der Wein ist nicht teuer hier an den heiligen Orten,« antwortete sie; »komm herein, du kannst für einen Stüber trinken.«

Sie tranken so lange mitsammen und leerten bei kurzweiligem Plaudern so viel Flaschen, daß sich die Wirtin genötigt sah, ihrer Magd zu sagen, sie solle den Gästen an ihrer Statt einschenken, während sie und Uilenspiegel sich in ein gemarmeltes Hinterzimmer zurückzogen, wo es kühl war wie im Winter. Ihr Haupt an seine Schulter gelehnt, fragte sie ihn, wer er sei. Uilenspiegel antwortete: »Ich bin Herr von Geenland, Graf von Gavergeëten und Baron von Tuchtendeel und habe in Damme, meinem Geburtsort, fünfundzwanzig Morgen Mondschein.«

»Was für ein Land ist das?« fragte sie und tat einen Schluck aus Uilenspiegels Humpen.

»Das ist«, sagte er, »ein Land, wo man das Korn der Einbildungen, der närrischen Hoffnungen und der eiteln Versprechungen sät. Aber du, süße Wirtin mit der ambraduftenden Haut, mit deinen Augen, die blinken wie die Perlen, du bist nicht im Mondschein geboren; die Farbe der Sonne ist es, die das Gold deiner Haare gebräunt hat, und Venus ist es, die dir, ohne Eifersucht, die prallen Schultern, die wogenden Brüste, die runden Arme, die zierlichen Händchen geschenkt hat. Wollen wir heute abend miteinander essen?«

»Schöner vlämischer Pilger,« sagte sie, »warum bist du hiehergekommen?« »Um mit dem Papste zu sprechen,« antwortete Uilenspiegel.

»Ach,« sagte sie und faltete die Hände; »mit dem Papste sprechen! Ich, die ich doch aus dem Lande bin, habe das niemals tun können.« »Ich werde es tun,« sagte Uilenspiegel.

»Aber,« sagte sie, »weißt du, wo er sich aufhält, wie er ist und was seine Lebensarten und Gewohnheiten sind?« »Man hat mir auf dem Wege gesagt,« antwortete Uilenspiegel, »daß er Julius der Dritte heißt und daß er unzüchtig, lustig und ausgelassen ist, gut spricht und über schlagfertige Antworten verfügt. Man hat mir weiter gesagt, daß er eine außergewöhnliche Freundschaft zu einem kleinen Bettelmönch gefaßt hat, einem schwarzen, schmutzigen und ungeschlachten Kerl, der mit einem Affen Almosen heischte, und daß er ihn bei seiner Thronbesteigung zum Kardinal von Monte gemacht hat und daß er krank ist, wann er ihn einmal einen Tag lang nicht sieht.«

»Trink«, sagte sie, »und rede nicht so laut.«

»Man hat mir weiter gesagt,« fuhr Uilenspiegel fort, »daß er wie ein Soldat geflucht hat: ›Al dispetto di Dio, potta di Dio‹, als er einmal bei der Abendtafel einen kalten Pfau vermißt hat, der hätte aufbewahrt werden sollen; und er habe gesagt: ›Ich, der Stellvertreter Gottes, darf doch wohl eines Pfauen halber fluchen, wo sich mein Herr wegen eines Apfels ergrimmt hat!‹ Du siehst, mein Lieb, daß ich den Papst kenne und weiß, wer er ist.«

»Ach,« sagte sie, »sprich nur nicht zu andern so. Aber sehn wirst du ihn auf keinen Fall.«

»Ich werde mit ihm sprechen,« sagte Uilenspiegel.

»Wenn es dir gelingt, gebe ich dir hundert Gulden.«

»Ich habe sie gewonnen,« sagte Uilenspiegel.

Am Morgen lief er trotz seinen matten Beinen in der Stadt herum und erfuhr, daß der Papst an diesem Tage die Messe bei San Giovanni in Laterano lesen werde. Uilenspiegel ging hin und stellte sich so nahe, wie er nur konnte, vor das Gesicht des Papstes; und jedesmal, wann der Papst den Kelch oder die Hostie erhob, kehrte Uilenspiegel dem Altar den Rücken.

Um den Papst war ein ihm dienender Kardinal, braun vom Antlitz, hämisch und dick, der ein Äffchen auf der Schulter trug; der spendete dem Volke das Sakrament mit allerlei unzüchtigen Gebärden. Er machte den Papst auf Uilenspiegels Benehmen aufmerksam, und der Papst schickte sofort, als die Messe zu Ende war, vier wohlberufene Soldaten, wie man sie in diesen kriegerischen Landen kennt, damit sie sich des Pilgers bemächtigten. »Was ist dein Glaube?« fragte ihn der Papst.

»Heiliger Vater,« antwortete Uilenspiegel, »ich habe denselben Glauben wie meine Wirtin.«

Der Papst ließ die Frau holen. »Was glaubst du?« sagte er zu ihr.

»Das, was Euere Heiligkeit glaubt,« antwortete sie.

»Und ich desgleichen,« sagte Uilenspiegel.

Der Papst fragte ihn, warum er dem heiligen Sakramente den Rücken gekehrt habe. »Ich habe mich unwürdig gefühlt,« antwortete Uilenspiegel, »es anzuschauen.«

»Du bist ein Pilger?« fragte ihn der Papst. »Ja,« sagte er, »und ich komme aus Flandern, um die Nachlassung meiner Sünden zu suchen.«

Der Papst segnete ihn, und Uilenspiegel ging mit seiner Wirtin von bannen; die bezahlte ihm die hundert Gulden. Derart beladen, verließ er Rom, um ins vlämische Land zurückzukehren.

Aber er hatte sieben Dukaten für den Ablaß, der auf Pergament geschrieben war, bezahlen müssen.


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