Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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III

Klaas kam zum Kanal von Brügge, nicht weit von der See. Dort tat er den Köder an seine Schnur, warf ihn ins Wasser und ließ sein Netz sinken. Am andern Ufer war ein kleiner gutgekleideter Junge, der schlief auf einer Muschelbank wie ein Klotz. Auf das Geräusch, das Klaas machte, erwachte er und wollte ausreißen, in der Meinung, das sei einer von den städtischen Schergen, der gekommen sei, ihn aus seinem Bette zu treiben und ihn in den Steen zu führen wegen Landstreicherei. Aber seine Furcht verflog, als er Klaas erkannte, der ihn anrief: »Willst du sechs Heller verdienen? Dann jage die Fische hieher.«

Nun trat der Junge, dem sich schon ein kleiner Dickbauch wölbte, ins Wasser, bewaffnete sich mit einem Busche langen Schilfes und trieb die Fische Klaas zu. Als der Fang getan war, zog Klaas Schnur und Netz ein; über die Schleuse gehend, kam er zu dem Knaben. »Du bist der,« sagte er zu ihm, »den man Lamme nennt nach seinem Taufnamen und Goedzak wegen seines sanften Gemütes, und du wohnst in der Reigerstraat hinter Unserer Frau. Wieso mußt du denn, so jung und so gut gekleidet, im Freien schlafen?«

»Ach, Herr Kohlenträger,« antwortete der Junge, »ich habe daheim eine Schwester, um ein Jahr jünger als ich, die schlägt mich heftig aus dem geringsten Anlasse. Ich getraue mich nicht, an ihrem Rücken Vergeltung zu üben, denn ich würde ihr weh tun, Herr. Gestern beim Nachtmahl habe ich Großhunger gehabt und habe eine Schüssel Rindfleisch mit Bohnen ausgefingert, wovon sie gern ihren Teil gehabt hätte. Es war nicht gar viel für mich. Als sie dann sah, wie ich mich leckte wegen des Wohlgeschmacks der Brühe, wurde sie wie verrückt und prügelte mich mit beiden Händen so grimmig, daß ich, braun und blau geschlagen, vom Hause weggelaufen bin.«

Klaas fragte ihn, was sein Vater und seine Mutter getan hätten während dieser Prügelei, und Lamme Goedzak antwortete: »Mein Vater schlug mich auf die rechte Schulter und die Mutter auf die linke, und sie sagten zu mir: ›Wehre dich, Memme!‹ Ich aber wollte kein Mädchen schlagen und bin davongelaufen.«

Plötzlich erbleichte Lamme und begann an allen Gliedern zu zittern. Und Klaas sah eine große Frau kommen und an ihrer Seite ein kleines Mädchen, mager und von boshaftem Aussehn. »Ach,« sagte Lamme, indem er Klaas an den Hosen packte, »seht, meine Mutter und meine Schwester, die mich holen kommen. Nehmt mich in Schutz, Herr Kohlenträger.«

»Halt,« sagte Klaas, »nimm erst diese sieben Heller für deine Mühe, und nun gehn wir ihnen ohne Furcht entgegen.«

Als die zwei Weiber Lamme sahen, liefen sie auf ihn zu und wollten ihn beide prügeln: die Mutter, weil sie besorgt gewesen war, und die Tochter, weil sie dies in der Gewohnheit hatte. Lamme versteckte sich hinter Klaas und schrie: »Ich habe sieben Heller verdient, ich habe sieben Heller verdient, schlagt mich nicht.«

Aber schon schlang die Mutter die Arme um ihn, während die Tochter gewaltsam seine Hände zu öffnen versuchte, um ihm sein Geld zu nehmen. Jedoch Lamme schrie: »Es ist mein, du bekommst es nicht.« Und er schloß die Fäuste.

Immerhin zog Klaas das Mädchen tüchtig bei den Ohren und sagte zu ihr: »Wenn du dich noch einmal unterstehst, Streit zu suchen mit deinem Bruder, der gut und sanft ist wie ein Lamm, werde ich dich in ein schwarzes Kohlenloch stecken, und dort werde nicht mehr ich dich an den Ohren ziehen, sondern der rote Höllenteufel, der dich mit seinen großen Krallen in Stücke reißen wird und mit seinen Zähnen, die wie Gaffeln sind.« Auf diese Rede hin wagte es das Mädchen nicht mehr, Klaas anzusehn oder sich Lamme zu nähern, sondern suchte Zuflucht hinter den Röcken ihrer Mutter. Als sie aber in die Stadt kamen, schrie sie allenthalben: »Der Kohlenträger hat mich geschlagen! Er hat den Teufel in seinem Keller.«

Gleichwohl schlug sie Lamme von nun an nicht mehr. Als sie aber groß war, ließ sie ihn ihre Arbeit tun; der gute Tropf tat es willig.

Klaas verkaufte seinen Fang auf dem Wege an einen Pächter, der auch sonst seine Kundschaft war. Bei der Heimkehr sagte er zu Soetkin: »Da, was ich im Bauche von vier Hechten und neun Karpfen und in einem vollen Korb Aale gefunden habe.« Und er warf zwei Gulden und einen Plappart auf den Tisch. »Warum gehst du nicht tagtäglich fischen, Mann?« fragte Soetkin.

Klaas antwortete: »Um nicht am Ende selbst zum Fische zu werden für das Netz der Gemeindeschergen.«


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