Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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X

Auf der Wanderung durchs wallonische Land sah Uilenspiegel, daß der Prinz hier keinen Zuzug erhoffen durfte; er kam bis in die Nähe der Stadt Bouillon.

Nach und nach sah er auf dem Wege Bucklige jedes Alters, Geschlechtes und Standes daherkommen. Alle waren mit Rosenkränzen versehn, die sie fromm abkörnten. Und ihre Gebete waren wie das Gequake der Frösche im Weiher an einem warmen Abende.

Da waren bucklige Mütter, die bucklige Kinder trugen, während sich andere Knirpse von derselben Brut an ihren Röcken hielten. Auf den Hügeln gingen Bucklige, und in der Ebene gingen Bucklige. Und überall am hellen Himmel sah Uilenspiegel die Zeichnung ihrer eckigen Umrisse. Er ging auf einen zu und fragte ihn: »Wohin gehn all diese armen Männer, Frauen und Kinder?«

Der Mann antwortete: »Wir gehn zum Grabe des heiligen Remaclus, um ihn zu bitten, daß er uns gebe, was unser Herz ersehnt, und von unserm Rücken seinen Pack der Demütigung nehme.«

Uilenspiegel entgegnete: »Könnte der heilige Remaclus auch mir geben, was mein Herz ersehnt, und von den Rücken der armen Gemeinden den Blutherzog nehmen, der da lastet wie ein Buckel von Blei?«

»Es ist nicht sein Amt, die Buckel der Strafe zu tilgen,« antwortete der Wallfahrer.

»Und tilgt er andere?« fragte Uilenspiegel.

»Ja, wenn die Buckel noch jung sind. Wenn so ein Wunder der Heilung geschieht, dann schlemmen und demmen wir durch die ganze Stadt. Und dem glückseligen Geheilten, der dadurch heilig geworden ist und wirkungsvoll für die andern beten kann, schenkt jeder Pilger eine Silbermünze, oft auch einen Goldgulden.«

Uilenspiegel sagte: »Warum läßt sich der reiche heilige Remaclus seine Heilungen bezahlen wie ein schuftiger Apotheker?«

»Gottloses Losmaul,« antwortete der Pilger, wild seinen Buckel schüttelnd, »er straft die Lästerer!«

»Ach!« wimmerte Uilenspiegel. Und verkrümmt fiel er an dem Fuße eines Baumes nieder.

Der Wallfahrer betrachtete ihn und sagte: »Der heilige Remaclus schlägt gut zu, wenn er schlägt.« Uilenspiegel bog den Rücken, kratzte sich und wimmerte: »Gnade, glorreicher Heiliger! Das ist die Strafe. Ich fühle einen brennenden Schmerz zwischen den Schultern. Ach! o weh! Verzeihung, heiliger Remaclus! Geh, Pilger, geh, laß mich allein hier weinen und bereuen, gleich einem Vatermörder.« Aber der Pilger war schon auf und davon; er war bis auf den Großen Markt von Bouillon gelaufen, wo der Versammlungsort der Buckligen war.

Bebend vor Schrecken brachte er nur abgerissene Worte heraus: »Pilger getroffen, gewachsen wie eine Pappel . . . Pilger ein Lästerer . . . einen Buckel am Rücken . . . einen flammenden Buckel . . .«

Als das die Pilger hörten, stießen sie einen tausendstimmigen Freudenschrei aus und riefen: »Heiliger Remaclus, wenn du Buckel gibst, kannst du sie auch wegnehmen. Nimm unsere Buckel weg, heiliger Remaclus!«

Inzwischen hatte Uilenspiegel seinen Baum verlassen. Als er durch die öde Vorstadt kam, sah er an der niedrigen Tür einer Schenke zwei Blasen an einem Stocke hängen, zwei Schweinsblasen, die dort angebracht waren, um eine Wurstkirmes oder Penskermis, wie man in Brabant sagt, anzuzeigen.

Uilenspiegel nahm eine Blase, las von der Erde eine Schollengräte auf, öffnete sich die Ader, ließ Blut in die Blase, blies sie auf, schloß sie und legte sie sich auf den Rücken und darüber die Schollengräte. Also herausgeputzt, kam er mit gewölbtem Rücken, wackelndem Kopfe und zitternden Beinen, recht als ein Buckliger, auf den Markt.

Der Pilger, der Zeuge seines Sündenfalls gewesen war, bemerkte ihn und schrie: »Da kommt der Lästerer!« Und er wies mit dem Finger auf ihn. Und alle liefen hin, um den Heimgesuchten zu betrachten. Uilenspiegel schüttelte sein Haupt jämmerlich: »Ach, ich verdiene nicht Gnade, noch Mitleid; tötet mich wie einen wütenden Hund.« Und die Buckligen rieben sich die Hände und sagten: »Einer mehr in unserer Brüderschaft.«

Uilenspiegel knurrte zwischen den Zähnen: »Das werdet ihr mir bezahlen, ihr Schufte!« Doch tat er, als ob er alles geduldig ertrüge, und sagte: »Ich will nichts essen, nichts trinken, um meinen Buckel ja nicht zu festigen, bis mich der heilige Remaclus geheilt hat, so wie er mich geschlagen hat.«

Auf das Geschrei von dem Wunder kam der Dechant aus der Kirche. Er war ein großer Mann, panstig und majestätisch. Die Nase im Winde, spaltete er wie ein Schiff die Flut der Buckligen. Man zeigte ihm Uilenspiegel, und er sagte zu ihm: »Du bist es also, armer Schelm, den die Rute des heiligen Remaclus getroffen hat?«

»Ja, Herr Dechant,« antwortete Uilenspiegel, »ich bin es in der Tat, sein demütiger Verehrer, der sich von seinem neuen Buckel heilen lassen will, wenn es dem Heiligen gefällt.« Der Dechant witterte hinter diesen Worten eine Arglist: »Laß mich diesen Buckel befühlen.«

»Befühlt ihn, Herr,« antwortete Uilenspiegel. Der Dechant tats; dann sagte er: »Er ist eines frischen Datums und feucht. Gleichwohl hoffe ich, daß der heilige Remaclus Barmherzigkeit wird walten lassen. Folge mir.«

Uilenspiegel folgte dem Dechant und trat in die Kirche. Die Buckligen, die hinter ihm liefen, schrien: »Der Verfluchte!« »Der Lästerer!« »Wieviel wiegt er, der frische Buckel?« »Willst du ihn als Sack benutzen, um deine Taler hineinzustecken?« »Du hast dich dein ganzes Leben lang lustig gemacht über uns, weil du gerade warst; nun sind wir an der Reihe! Ehre dem heiligen Remaclus!«

Ohne ein Wort zu sagen und gebeugten Hauptes ging Uilenspiegel immerdar hinter dem Dechant her; so kamen sie in eine kleine Kapelle, wo ein ganz aus Marmor gehauenes Grab war und darüber eine große Platte, gleicherweise aus Marmor. Und zwischen dem Grabmale und der Kapellenwand war nicht mehr Raum als die Spanne einer kräftigen Hand. Und eine Menge buckliger Wallfahrer schoben sich, einer hinter dem andern, zwischen der Mauer und der Platte des Grabmals; und an der Platte rieben sie ihre Buckel in tiefer Stille. Auf diese Weise hofften sie ihrer ledig zu werden. Und die, die ihre Buckel rieben, wollten denen, die sie noch nicht gerieben hatten, keinen Platz machen; und sie schlugen aufeinander los, aber ohne Lärm, weil sie der Heiligkeit des Ortes halber nur duckmäuserische Schläge, Schläge der Buckligen, wagten.

Der Dechant befahl Uilenspiegel, auf die Platte des Grabmals zu steigen, damit ihn alle Wallfahrer gut sehn könnten. Uilenspiegel antwortete: »Allein kann ich das nicht.« Der Dechant half ihm hinauf und stellte sich neben ihn und befahl ihm, niederzuknien. Und Uilenspiegel tat es und verblieb, gesenkten Kopfes, in dieser Stellung.

Nach einer kurzen Zeit der Sammlung begann der Dechant zu predigen und sagte mit volltönender Stimme: »Kinder und Brüder in Christo, zu meinen Füßen seht ihr den gottlosesten, nichtsnutzigsten und lästerlichsten Menschen, den je der heilige Remaclus mit seinem Zorne geschlagen hat.« Und Uilenspiegel schlug an seine Brust und sagte: »Confiteor.«

»Einst«, fuhr der Dechant fort, »war er gerade wie der Schaft einer Hellebarde, und er warf sich in die Brust; seht ihn jetzt, bucklig und gekrümmt unter der Wucht der himmlischen Vermaledeiung!« »Confiteor! Nimm meinen Buckel weg,« sagte Uilenspiegel.

»Ja,« fuhr der Dechant fort, »ja, großer Heiliger, heiliger Remaclus, der du seit deinem glorreichen Tode neununddreißig Wunder getan hast, nimm von diesen Schultern die Last, die sie drückt. Auf daß wir dir Lob singen können die Jahrhunderte der Jahrhunderte, in saecula saeculorum. Und Friede sei auf der Erde mit allen Buckligen, die eines guten Willens sind.«

Und die Buckligen sagten im Chore: »Ja, ja, Friede auf der Erde mit allen Buckligen, die eines guten Willens sind: Friede für die Buckel, Urfehd den Verwachsenen und Schirm vor Erniedrigungen. Nimm unsere Buckel weg, heiliger Remaclus!«

Der Dechant befahl Uilenspiegel, vom Grab herabzusteigen und seinen Buckel am Plattenrande zu reiben. Uilenspiegel tat es und sagte dabei ununterbrochen: »Mea culpa, confiteor, nimm meinen Buckel weg.« Und er rieb sich ehrlich vor aller Augen. Und die Umstehenden schrien: »Seht den Buckel, er gibt nach! Seht, er weicht! Rechts schmilzt er zusammen!« »Nein, er kehrt in die Brust zurück; die Buckel schmelzen nicht, sondern sie ziehen sich in die Eingeweide hinunter, woher sie kommen.« »Nein, in den Magen kehren sie zurück, wo sie achtzig Tage lang als Nahrung dienen.« »Das ist das Geschenk des Heiligen an die befreiten Buckligen.« »Wohin kommen die alten Buckel?«

Plötzlich stießen all die Buckligen einen mächtigen Schrei aus: Uilenspiegel hatte seinen Buckel platzen lassen, indem er sich wuchtig an den Plattenrand gepreßt hatte. Alles Blut, das drin gewesen war, rollte in großen Tropfen aus seinem Wamse auf die Marmorfliesen. Und er schrie, sich reckend und die Arme streckend: »Ich bin ledig!«

Und die Buckligen schrien durcheinander: »Gebenedeiter Remaclus, das ist süß für ihn, hart für uns.« »Nimm unsere Buckel weg!« »Ich will dir ein Kalb opfern!« »Ich sieben Hammel!« »Ich die Jagd eines Jahres!« »Ich sechs Schinken!« »Ich schenke mein Haus der Kirche!« »Nimm unsere Buckel weg, heiliger Remaclus!«

Und sie sahen Uilenspiegel mit Neid und Ehrfurcht an. Einer wollte unter sein Wams greifen, aber zu dem sagte der Dechant: »Das ist eine Wunde, zu der das Licht nicht darf.«

Und Uilenspiegel sagte: »Ich werde für euch beten.«

»Ja, Pilger,« sagten die Buckligen, durcheinander schreiend, »ja, Herr, der Ihr wieder gerade seid, wir haben uns über Euch lustig gemacht; aber vergebt uns, wir wußten ja nicht, was wir taten. Christus, der Herr, hat am Kreuze verziehen, schenkt auch Ihr uns Verzeihung.«

»Ich verzeihe euch,« sagte Uilenspiegel gütig.

»Nehmt also«, sagten sie, »diesen Plappart, empfanget diesen Gulden, gestattet uns, diesen Real Euerer Geradheit darzubringen, ihr diesen Cruzado zu opfern, diesen Karolus in ihre Hände zu geben . . .«

»Die Goldstücke braucht man nicht zu sehn,« sagte Uilenspiegel leise zu ihnen, »auf daß euere linke Hand nicht wisse, was die rechte tut.« Und so sprach er wegen des Dechants, der das Geld der Buckligen mit den Augen fraß, ohne zu sehn, ob es Gold oder Silber war.

»Dank Euch, geheiligter Herr,« sagten die Buckligen zu Uilenspiegel. Und stolz nahm er ihre Geschenke hin, als ein Mann, dem zuliebe ein Wunder geschehn ist.

Aber die Geizigen rieben ihre Buckel am Grabmal, ohne ein Wort zu sagen.

Am Abend ging Uilenspiegel in eine Schenke, und dort zechte und praßte er. Bevor er zu Bette ging, kam ihm der Gedanke, der Dechant werde sicherlich seinen Teil an der Beute, wenn nicht alles, haben wollen. Er zählte seinen Gewinn und fand mehr Gold als Silber; denn er hatte reichlich dreihundert Karlsgulden. Da ersah er einen dürren Lorbeerbaum in einem Topfe; er nahm den Baum beim Schopfe, zog ihn samt der Erde heraus und steckte das Gold darunter. All die halben Gulden, die Plapparte und die Groschen legte er auf dem Tische aus.

Der Dechant kam ins Wirtshaus und ging zu Uilenspiegel hinauf. Als ihn der sah, sagte er: »Herr Dechant, was wollt Ihr von mir geringem Menschen?«

»Ich will nur dein Bestes, mein Sohn,« antwortete der.

»Ach,« wimmerte Uilenspiegel, »ist das das, was auf dem Tisch liegt?«

»Das ist es,« entgegnete der Dechant. Dann langte er mit ausgestreckter Hand hin und säuberte den Tisch von allem Silber, das dort war, und ließ es in einen zu diesem Zwecke mitgebrachten Sack gleiten. Und dem armen Uilenspiegel, der sich stellte, als müßte er losschluchzen, gab er einen Gulden.

Dann fragte er ihn um das Werkzeug des Wunders. Uilenspiegel zeigte ihm die Schollengräte und die Blase.

Der Dechant nahm sie an sich, während ihn Uilenspiegel jammernd bat, ihm noch etwas zu geben, indem er sagte, der Weg von Bouillon nach Damme sei weit für ihn armen Fußgänger, und er würde sicherlich Hungers sterben.

Der Dechant ging weg, ohne ein Wort zu erwidern.

Als Uilenspiegel allein war, entschlief er, das Auge auf den Lorbeer geheftet. Um die Morgendämmerung packte er seine Beute zusammen und verließ Bouillon; er wanderte in das Lager des Schweigers, übergab ihm das Geld, erzählte ihm die Geschichte und sagte, das sei die richtige Art, von dem Feinde die Kriegsgelder einzuheben. Und der Prinz gab ihm zehn Gulden.

Was die Schollengräte betrifft, so wurde sie in eine Kristallkapsel gefaßt und in dem Kreuze des Hochaltars in Bouillon angebracht.

Und jedermann in der Stadt wußte, daß das, was das Kreuz umschließe, der Buckel des geheilten Lästerers sei.


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