Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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XXXV

Im freien Felde schüttelte er sich wie ein Vogel, wie ein abgebundener Hund, und sein Herz erquickte sich an den Bäumen, den Wiesen und dem klaren Sonnenscheine.

Als er drei Tage gegangen war, kam er in die Gegend von Brüssel, in die große Gemeinde Uccle. Vor dem Gasthof zur Trompet wurde er angelockt durch den himmlischen Geruch von Schmorfleisch. Einen Betteljungen, der, die Nase in der Luft, gierig den Duft der Brühen einsog, fragte er, wem zu Ehren dieser feierliche Weihrauch zum Himmel steige. Er bekam die Antwort, daß sich hier die Brüder von dem Guten Weingesicht nach der Vesper versammeln sollten, um die Erinnerungsfeier an die einstige Befreiung der Gemeinde durch die Frauen und Mädchen zu begehn.

Uilenspiegel sah von weitem eine Stange, oben einen Papagei, und ringsherum Frauen, die mit Bogen bewaffnet waren; er fragte, ob die Frauen jetzt Bogenschützen würden. Der Bettler antwortete, den Brodem einziehend, daß zu den Zeiten des guten Herzogs die Frauen mit diesen Bogen mehr als hundert Marodeure getötet hätten.

Da Uilenspiegel gerne noch mehr gehört hätte, sagte der Bettler, er könne nicht mehr reden vor lauter Hunger und Durst, außer Uilenspiegel gebe ihm einen Plappart auf Speise und Trank. Aus Mitleid tat es Uilenspiegel. Kaum hatte der Bettler den Plappart, so schoß er, wie der Fuchs in den Hühnerstall, in den Gasthof zur Trompet; siegesfroh kam er heraus mit einer halben Bratwurst und einem großen Stücke Brot.

Plötzlich hörte Uilenspiegel eine liebliche Musik von Handtrommeln und Fiedeln und sah einen großen Schwarm tanzender Weiber, unter ihnen eine schöne Frau, die um den Hals eine Goldkette trug. Der Bettler, der nun nach dem Essen behaglich lachte, sagte Uilenspiegel, die junge schöne Frau sei die Königin des Bogenschießens, sie heiße Mietje und sie sei die Frau von Messire Renonckel, Schöffen der Gemeinde. Dann verlangte er sechs Heller auf einen Trunk; Uilenspiegel gab sie ihm. Nachdem der Bettler also gegessen und getrunken hatte, setzte er sich auf sein Sitzfleisch in die Sonne und reinigte sich die Zähne mit den Nägeln.

Als die Schützinnen Uilenspiegel in seinem Pilgerkleide erblickten, begannen sie um ihn herumzutanzen und sagten: »Guten Tag, hübscher Pilger; kommst du weither, junger Pilger?«

Uilenspiegel antwortete: »Ich komme aus Flandern, dem schönen Lande, das reich ist an verliebten Mädchen.« Und er gedachte traurig Nelens.

»Was war dein Verbrechen?« fragten sie und hielten inne mit ihrem Tanze.

»Ich getraue mich es nicht zu gestehn, so groß ist es. Aber an mir sind noch andere Sachen, die nicht klein sind.«

Sie lachten und fragten ihn, warum er so wandern müsse mit dem Pilgerstabe, dem Bettelsacke und den Muschelschalen. »Weil ich«, antwortete er, die Wahrheit ein wenig beugend, »gesagt habe, daß die Totenmessen den Priestern nützen.«

»Sie bringen ihnen klingendes Geld,« antworteten sie, »aber sie nützen den Seelen im Fegefeuer.«

Uilenspiegel sagte: »Ich war nicht dort.«

Nun fragte ihn die hübscheste Schützin: »Willst du mit uns essen?«

Er sagte: »Ich will mit euch essen, dich essen, dich und alle andern der Reihe nach; denn ihr seid Königsbissen, leckerer zu schmatzen als Fettammern, Drosseln und Schnepfen.«

»Da möge dich Gott nähren!« sagten sie; »das Geflügel ist unbezahlbar.«

»Wie ihr alle, Liebchen.«

Sie sagten: »Das stimmt; aber wir sind überhaupt nicht zu verkaufen.«

»Und zu verschenken?«

»Ja,« erwiderten sie, »Schläge den allzu Kecken. Wenn es sein muß, so dreschen wir dich wie einen Kornschober.«

Er sagte: »Ich tu nicht mit.« Und sie sagten: »Komm essen.«

Er folgte ihnen in den Hof des Gasthauses, fröhlich, ihre frischen Gesichter um sich zu sehn. Plötzlich sah er mit großem Gepränge, mit Fahne, Trompete, Flöte und Trommel, die Brüder vom Guten Weingesicht einziehen, die den lustigen Namen ihrer Kumpanei vollauf verdienten. Als sie über ihn verwunderte Augen machten, sagten ihnen die Frauen, er sei ein Pilger, den sie auf der Straße aufgelesen hätten, um ihn, da sie in ihm ein gutes Weingesicht gefunden hätten, ähnlich ihren Männern und Verlobten, an ihrem Schmause teilnehmen zu lassen. Die Gesellschaft billigte es, und einer sagte: »Pilgernder Pilger, willst du pilgern mitten durch Brühen und Braten?«

Uilenspiegel antwortete: »Ich werde Siebenmeilenstiefel anziehen.«

Als er mit ihnen in den Schmaussaal eintreten wollte, gewahrte er auf der Straße von Paris zwölf einherwandernde Blinde. Sie kamen bei ihm vorbei, und er hörte sie über Hunger und Durst klagen. Uilenspiegel sprach bei sich, daß sie diesen Abend wie die Könige tafeln sollten auf Kosten des Dechants von Uccle, zum Gedächtnis der Totenmessen. Er ging auf sie zu und sagte zu ihnen: »Da sind neun Gulden; geht essen. Spürt ihr den Bratenduft?«

»Ach,« sagten sie, »schon seit einer halben Meile; aber ohne Hoffnung.«

»Nun werdet ihr essen,« sagte Uilenspiegel; »ihr habt ja neun Gulden.« Aber er gab ihnen nicht einen Heller. »Gesegnet seist du!« sagten sie. Und geführt von Uilenspiegel, setzten sie sich rund um einen kleinen Tisch, während sich die Brüder vom Guten Weingesichte mit ihren Frauen und Mädchen an einer großen Tafel niederließen.

Wegen der neun Gulden traten sie mit Sicherheit auf und riefen kühnlich den Wirt: »Wirt, bring uns zu essen und zu trinken von dem Besten, was du hast.« Der Wirt, der von neun Gulden hatte sprechen hören, glaubte, sie hätten sie in ihren Schubsäcken, und fragte sie, was sie wünschten. Und alle auf einmal schrien sie durcheinander: »Erbsen mit Speck, ein Rübenragout mit Rind-, Kalb-, Hammel- und Hühnerfleisch.« – »Sind die Würste für die Hunde gemacht?« – »Wer hat denn vorhin beim Kommen die Blut- und Weißwürste gerochen, ohne sie am Kragen zu packen? Ich würde sie sehn, ach, wenn mir meine armen Augen Lichter abgäben!« – »Wo sind die Koekebakken mit Butter von Anderlecht? Sie singen in der Pfanne, saftig, prasselnd, diese Mütter ausgesoffener Kannen!« – »Wer wird mir Eier mit Schinken oder Schinken mit Eiern, diese zarten Freunde des Schlundes, vor meine Nase bringen?« – »Wo seid ihr, himmlische Soezels, wo in der tapfern Kost Nierchen, Hahnenkämme, Kalbsbröschen, Ochsenschwänze und Hammelfüße herumschwimmen mit gewaltig viel Zwiebeln, Pfeffer, Gewürznelken, Muskatnuß, das ganze geschmort mit drei Kannen Weißwein zur Tunke?« – »Wer wird mir euch bringen, göttliche Schweinswürste, die ihr so gut seid, daß ihr kein Wort sagt, wenn man euch verschlingt? Ihr kommt schnurstracks aus dem Schlaraffenland, dem fetten Lande der glücklichen Faulenzer, der Lecker ewiger Brühen. Aber wo seid ihr, ihr trockenen Blätter des letzten Herbstes?« – »Ich will eine Schöpsenkeule mit Bohnen.« – »Mir die Kopfzier vom Schwein, nämlich Schweinsohren.« – »Mir einen Rosenkranz von Fettammern; die Vaterunser sollen Schnepfen sein und ein fetter Kapaun das Credo.«

Der Wirt antwortete bedächtig: »Ihr bekommt einen Pfannkuchen von sechzig Eiern und als Wegweiser für euere Löffel fünfzig Schwarzwülste, rauchend auf dieses Speisengebirge gepflanzt; und obendrein doppelten Peeterman: der soll der Fluß sein.« Den armen Blinden lief das Wasser im Munde zusammen; und sie sagten: »Bring uns das Gebirge, die Wegweiser und den Fluß!«

Und die Brüder vom Guten Weingesicht und ihre Frauen, die schon mit Uilenspiegel bei Tische saßen, sagten, dieser Tag sei für die Blinden der der unsichtbaren Prasserei und die armen Teufel kämen so um die Hälfte ihres Vergnügens.

Als der Eierkuchen, grünend von Petersilie und Kresse, von dem Wirte und vier Köchen hereingetragen wurde, wollten sich die Blinden daraufstürzen und trafen schon die Anstalten dazu, aber der Wirt legte jedem, nicht ohne Mühe, seinen Teil unversehrt in den Napf. Die Schützinnen wurden gerührt, als sie sie schlingen sahen, schmatzend vor Lust; die Armen hatten Großhunger und schluckten die Würste wie Austern. Der doppelte Peeterman schoß in ihre Kehlen, wie Sturzbäche vom Gebirge.

Nachdem sie ihre Näpfe gesäubert hatten, verlangten sie wieder Koekebakken und Fettammern und neue Fleischgerichte. Der Wirt brachte ihnen aber nur eine große Schüssel mit Rinds-, Kalbs- und Hammelknochen, die in einer guten Brühe schwammen. Jetzt teilte er aber nicht mehr aus. Als sie, ihr Brot in den Händen, die Arme bis zum Ellbogen in die Brühe getaucht hatten, aber nichts sonst fanden als Nippen, Kalbsknochen, Hammelschienbeine, ja selbst etliche Ochsenkinnladen, bildete sich jeglicher ein, sein Nachbar habe das ganze Fleisch, und sie stießen einander wütend die Knochen unter die Nasen.

Nachdem sich die Brüder vom Guten Weingesicht satt gelacht hatten, legten sie gütig einen Teil ihres Essens in die Schüssel der armen Schlucker; wer nun nach einem Kriegsknochen suchte, tappte auf eine Drossel oder ein Hühnchen, eine Leiche oder ihrer zwei, während ihnen die Frauen, ihnen die Köpfe zurückbiegend, Brüsseler Wein zum toll und voll saufen eingossen. Wann die Blinden tasteten, um zu fühlen, woher ihnen diese Nektarströme kämen, erwischten sie nichts als einen Rock, und den wollten sie festhalten. Aber er entschlüpfte ihnen geschmeidig. Sie lachten und tranken, aßen und sangen. Etliche, die die hübschen Weiber witterten, rannten ganz verrückt durch den Saal, behext von der Liebe; aber die mutwilligen Mädchen führten sie irre und sagten ihnen, indem sie sich hinter einem Bruder vom Guten Weingesicht verbargen: »Küß mich!« Sie taten es, aber anstatt einer Frau küßten sie ein bärtiges Mannesgesicht, nicht ohne noch angeschnauzt zu werden.

Die Brüder vom Guten Weingesicht sangen, und sie sangen gleicherweise. Und die fröhlichen Frauen lachten vor herzlicher Freude, als sie ihre Lust sahen.

Als die Stunden der Herrlichkeit vorüber waren, sagte der Baas: »Ihr habt gut gegessen und gut getrunken; ich bekomme sieben Gulden.« Nun schwor jeder einzelne, er habe nicht die Börse, und schob es auf seinen Nachbar. Daraus entstand zwischen ihnen eine Schlacht, in deren Verlauf sie einander mit den Füßen, mit den Fäusten und mit den Köpfen zu stoßen trachteten; aber sie konnten es nicht und ihre Stöße blieben eitel, weil die Brüder vom Guten Weingesicht einen vom andern trennten: die Hiebe gingen alle in die Luft, einen ausgenommen, der unglücklicherweise das Gesicht des Baas traf. Ärgerlich durchsuchte er sie alle, fand aber bei ihnen nichts als ein altes Skapulier, sieben Heller, drei Hosenknöpfe und ihre Rosenkränze. Er wollte sie in das Schweineloch werfen und sie bei Wasser und Brot so lange drin lassen, bis man ihm bezahlt habe, was sie schuldeten.

»Ist es dir recht,« sagte Uilenspiegel, »daß ich für sie bürge?«

»Ja,« antwortete der Baas, »wenn jemand für dich bürgt.«

Die Guten Weingesichter wollten es sofort tun, aber Uilenspiegel lehnte es ab und sagte: »Der Dechant wird mein Bürge sein; ich gehe zu ihm.«

In dem Gedanken an die Totenmessen ging er zum Dechant und erzählte ihm, wie der Baas von der Trompet vom Teufel besessen sei und von nichts anderm spreche als von Schweinen und Blinden, daß die Schweine die Blinden äßen und die Blinden die Schweine äßen, das alles mit unfrommer Anspielung auf Braten und Schmorfleisch; und bei diesen Anfällen habe der Baas alles kurz und klein geschlagen. Er bitte ihn nun, zu kommen und den schlimmen Teufel aus dem armen Menschen auszutreiben. Der Dechant versprachs ihm, sagte aber, sofort könne er nicht kommen; er machte nämlich in diesem Augenblicke die Rechnungen des Kapitels und trachtete dabei seinen Vorteil zu finden.

Da Uilenspiegel sah, daß er ungeduldig war, sagte er, er werde mit der Frau des Baas kommen; der Dechant möge mit ihr selber sprechen. »Kommt alle beide,« sagte der Dechant.

Uilenspiegel ging zum Baas zurück und sagte zu ihm: »Ich komme vom Dechant, er wird für die Blinden gutstehn. Während Ihr auf sie achtgebt, kann die Bazinne mit mir zu ihm gehn, er wird ihr wiederholen, was ich Euch gesagt habe.«

»Geh, Frau,« sagte der Baas.

Die Bazinne ging mit Uilenspiegel zum Dechant, und der rechnete noch immer um seinen Vorteil. Als sie mit Uilenspiegel eintrat, machte er ungeduldig ein Zeichen, sie sollten wieder gehn, und sagte: »Beruhige dich nur; in einem oder zwei Tagen komme ich deinem Manne helfen.« Und auf dem Rückwege zur Trompet sagte Uilenspiegel zu sich: »Er wird hundert Gulden bezahlen, und das soll meine erste Totenmesse sein.«

Und er ging seinen Weg und die Blinden desgleichen.


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