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Sechstes Kapitel


Medizin oder Geheimnisse. – Medizinbeutel. – Ursprung des Wortes »Medizin«. – Die Art, den Medizinbeutel zu machen. – Wert des Medizinbeutels für den Indianer und die zu seiner Anfertigung nötigen Gegenstände. – Ein Doktor oder Medizinmann der Schwarzfüße; seine Heilmethode. – Verschiedene Ämter und Wichtigkeit des Medizinmannes.


Das Wort »Medizin«, das »Geheimnis« bedeutet, spielt eine große Rolle bei den Indianern. Die Pelzhändler in diesem Lande sind fast sämtlich Franzosen und nennen natürlich einen Arzt »Medezin«. Das Indianerland ist aber voll von Ärzten, und da sie sämtlich Zauberer und in viele Geheimnisse eingeweiht sind, oder dies wenigstens behaupten, so ist das Wort »Medizin« auf alle geheimnisvolle oder unerklärliche Dinge angewendet worden. Die Engländer und Amerikaner, die diese Gegenden ebenfalls besuchen und dort Handel treiben, haben das Wort mit einer kleinen Veränderung, aber in derselben Bedeutung, angenommen; sie nennen jene Personen »Medizinmänner«, was etwas mehr umfaßt, als Doktor oder Arzt. Die Ärzte aber sind alle Medizinmänner, da man glaubt, daß sie sämtlich bei der Ausübung ihrer Kunst sich mehr oder weniger mit Geheimnissen oder Zauberei befassen. Dennoch war es notwendig, dem Worte eine noch umfassendere Bedeutung zu geben, da es sowohl unter den Indianern, als unter den jene Gegenden besuchenden Weißen Personen gab, die in den Geheimnissen bewandert waren, ohne von der Anwendung von Arzneien etwas zu verstehen; alle diese werden jetzt mit dem umfassenden Namen »Medizinmänner« bezeichnet. So erschien ich diesem abergläubischen Volke als ein Medizinmann ersten Ranges, weil die Malerei ihnen etwas Unbekanntes und Unerklärliches war und daher von ihnen die »größte Medizin« genannt wurde. Meine mit Perkussionsschlössern versehenen Flinte und Pistolen waren große Medizin und kein Indianer konnte dazu bewogen werden, sie abzufeuern, denn, sagten sie, sie wollten nichts mit des weißen Mannes Medizin zu tun haben.

Die Indianer bedienen sich jedoch nicht des Wortes »Medizin«, sondern jeder Stamm hat ein eigenes Wort dafür, das gleichbedeutend ist mit »Geheimnis« oder »Geheimnismann«.

Der Medizinbeutel ist daher der »Geheimnisbeutel« und man muß seine Bedeutung und Wichtigkeit kennen, da er gewissermaßen der Schlüssel zu dem Leben und dem Charakter der Indianer ist. Diese Beutel werden aus Häuten von Säugetieren, Vögeln oder Amphibien gemacht, und nach dem Geschmack oder der Laune des Verfertigers auf die mannigfaltigste Art verziert oder aufbewahrt. Sie werden gewöhnlich in einem Teile der Kleidung des Indianers befestigt oder in der Hand getragen und sind oft so verziert, daß sie seiner Person zum Schmuck dienen. Sie werden stets mit Gras, Moos oder ähnlichen Dingen ausgestopft und enthalten gewöhnlich gar keine Arzneien, da sie gewissenhaft verschlossen und versiegelt und selten oder nie geöffnet werden. Jeder Indianer im Naturzustande hat seinen Medizinbeutel in irgendeiner Form, dem er die größte Verehrung beweist und von dem er sein ganzes Leben hindurch Sicherheit und Schutz erwartet; man möchte dies in der Tat eine Art Götzendienst nennen, denn zuweilen scheint er ihn wirklich anzubeten. Oft werden als Medizin für einen Mann Feste veranstaltet und Hunde und Pferde geopfert; auch unterwirft der Indianer sich tage-, ja wochenlang strengen Fasten und Bußübungen verschiedener Art, um seine Medizin zu besänftigen, wenn er glaubt, sie beleidigt zu haben.

Längs der Grenze, wo die weißen Männer über diesen albernen und nutzlosen Gebrauch lachen, ist er größtenteils abgeschafft; aber in den Gegenden am oberen Missouri besteht er noch in voller Kraft, und jeder männliche Indianer trägt seinen übernatürlichen Zauber oder Beschützer bei sich, auf den er blickt, wenn er sich im Gefecht oder in anderer Gefahr befindet; in solchen Fällen keinen Medizinbeutel bei sich zu haben, wird für eine üble Vorbedeutung gehalten.

Dieser sonderbare und wichtige Artikel wird auf folgende Weise bereitet. Wenn ein Knabe vierzehn oder fünfzehn Jahre alt ist, so verläßt er auf zwei, drei, vier oder fünf Tage das Zelt seines Vaters, um »seine Medizin zu machen«. Er legt sich dann an einem entfernten, einsamen Orte auf die Erde, ruft den großen Geist an und fastet während dieser ganzen Zeit. Schläft er in dieser Zeit der Enthaltsamkeit und Gefahr ein, so wird das erste Tier (Säugetier, Vogel oder Reptil), von dem er träumt, oder vielleicht geträumt zu haben vorgibt, als dasjenige betrachtet, das der Große Geist zu seinem geheimnisvollen Beschützer für das ganze Leben bestimmt hat. Er kehrt sodann in seines Vaters Zelt zurück, erzählt seinen Erfolg und nachdem er seinen Durst und Hunger gestillt, begibt er sich mit Waffen oder Fallen hinweg, bis er das ihm bestimmte Tier erlegt hat, dessen Haut er ganz aufbewahrt, sie nach Gefallen verziert und als »Glück bringend«, wie er sagt, lebenslänglich bei sich trägt; sie verleiht ihm Stärke im Kampfe und wird bei seinem Tode mit ihm beerdigt als sein schützender Genius, der ihn sicher in die schönen Jagdgefilde leitet, die in der anderen Welt seiner warten.

Der Medizinbeutel ist dem Indianer um keinen Preis feil; wer ihn verkaufte oder weggäbe, würde in seinem Stamme mit ewiger Schande gebrandmarkt werden; auch läßt der Aberglaube des Indianers dies schon nicht zu, da er ihn als Geschenk des Großen Geistes betrachtet. Verliert der Indianer den Medizinbeutel im Gefecht, so ist die Schande, und wenn er noch so tapfer für sein Land kämpft, kaum weniger groß, als wenn er ihn verkauft oder verschenkt hätte. Der Feind, der ihn erbeutet, zeigt ihn seinem Volke als Siegeszeichen, während der, der ihn verloren hat, die Achtung, die anderen jungen Männern seines Stammes gezollt wird, verliert und den Beinamen »ein Mann ohne Medizin« oder »der seine Medizin verloren«, erhält, bis es ihm gelingt, den Verlust zu ersetzen. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn er im Kampfe einem von seiner Hand erlegten Feinde den Medizinbeutel abnimmt. Ist dies geschehen, so hat er die Achtung seines Stammes wiedergewonnen, ja er steht sogar noch höher da, denn ein solcher Beutel wird die »beste Medizin« oder »ehrenvolle Medizin« genannt.

Es ist ein sonderbarer Umstand, daß ein Indianer nur einmal im Leben seine Medizin selbst machen, sie aber durch die Medizin seines Feindes ersetzen kann. Beide Bestimmungen sind ein wichtiger Beweggrund für ihn, im Gefechte tapfer zu streiten: die erste, um seine Medizin zu schützen und zu bewahren, die zweite, damit er, falls er das Unglück hat, sie zu verlieren, sie ersetzen und seinen Ruf wieder erlangen möge.

Ich konnte auf meinen Wanderungen niemals, selbst nicht für die höchsten Preise, einen Medizinbeutel von einem Indianer kaufen, und selbst an der Grenze, wo sie seinem Gebrauch entsagt haben, kann ein weißer Mann wohl den Indianer bewegen, seinen Medizinbeutel abzulegen, aber nicht, ihn zu verkaufen. Der Indianer wird ihn, dem weißen Manne zu Gefallen, und um ihn vor unheiliger Berührung zu schützen, vergraben, aber er wird stets in der Nähe dieses Ortes herumstreifen und ihm seine Verehrung beweisen.

Diese wunderlichen Anhänge an der Kleidung eines Indianers werden aus den Häuten der verschiedensten Tiere gemacht, wie Otter, Biber, Bisamratte, Wiesel, Waschbär, Iltis, Fledermaus, Maulwurf, Maus, Schlange, Frosch, Kröte, Habicht, Adler, Elster, Sperling usw.; zuweilen wird sogar die Haut eines Wolfes dazu genommen, während in anderen Fällen das Tier so klein ist, daß er es unter der Kleidung verbirgt.

Alle Stämme haben ihre Ärzte, die auch Medizinmänner, und zwar die angesehensten sind. Sie werden ordentlich aufgefordert, den Kranken Arznei zu verordnen, wofür man sie bezahlt; manche von ihnen erlangen große Geschicklichkeit in ihrem Fache und eine bedeutende Berühmtheit unter ihrem Volke. Zuerst verordnen sie Wurzeln und Kräuter, von denen sie eine Menge verschiedener Spezies haben, und wenn diese nichts helfen, so schreiten sie zur Anwendung ihres letzten Mittels, nämlich der »Medizin« oder des Geheimnisses. Wenn sie zu diesem Zwecke dem Kranken den letzten Besuch abstatten, so ziehen sie einen auf die wunderlichste Weise zusammengesetzten Anzug an, tanzen über dem Kranken, schütteln ihre schrecklichen Rasseln und singen Zaubergesänge, in der Hoffnung, den Leidenden durch Zauberei zu heilen. Es kommen allerdings Fälle vor, daß der Kranke während der Anwendung dieser albernen Mittel sich wieder erholt, dann sieht man den scharfsinnigen Sohn des indianischen Aeskulap mehrere Tage auf dem Dache eines Wigwams stehen, wie er der gaffenden Menge ohne allzu große Bescheidenheit kund tut, welche erstaunliche Geschicklichkeit er in seiner Kunst erworben, und wie seine »Medizin« durchaus unfehlbar sei. Stirbt dagegen der Kranke, so wechselt der Arzt seine Kleider, vermischt seine Klagen mit denen der Leidtragenden und versichert, es sei der Wille des Großen Geistes gewesen, daß der Kranke sterbe, weshalb seine schwachen Bemühungen, als man ihn gerufen, nicht hätten wirken können; dies genügt dem unwissenden und abergläubischen Volke, und der Ruf und Einfluß des Arztes bleibt ungeschwächt.

Ich hatte Gelegenheit, einer solchen Anwendung der »Medizin« beizuwohnen, als bei dem Fort ein Schwarzfuß-Häuptling von einem Knistenaux-Indianer erschossen worden war; es geschah dies auf folgende Weise:

Es hatten sich mehrere hundert Zuschauer, Indianer und Pelzhändler, um den sterbenden Häuptling versammelt; als es hieß, der Medizinmann komme, mußten die Anwesenden um den Verwundeten einen Kreis von 30-40 Fuß Durchmesser bilden für die wunderbaren Operationen des Doktors, und zugleich wurde ihm so viel Platz gemacht, daß er durch die Menge hindurchgehen konnte, ohne jemand zu berühren. Als dies geschehen war, erschien der Medizinmann mit langsamem und vorsichtigem Schritt in dem Kreise, wo die tiefste Stille herrschte und man nur das leise und zufällige Tönen der Rasseln an seiner Kleidung hörte. Sein Kopf und Körper waren ganz mit der Haut eines gelben Bären bedeckt, dessen Kopf ihm als Maske diente, und dessen Klauen ihm auf die Handgelenke und die Knöchel herabreichten; mit der einen Hand schüttelte er die furchtbare Rassel und in der anderen schwang er seine Medizin-Lanze oder den Zauberstab. Die Mißtöne der Rassel begleitete er mit den Sprüngen und dem Geschrei der Indianer und dem abscheulichen und schreckenerregenden Grunzen, Knurren und Brummen des wütenden Bären, während er in plötzlich herausgestoßenen Kehltönen Zaubersprüche an die guten und bösen Geister richtete, und um den im Todeskampfe liegenden Mann herumtanzte, über ihn hinwegsprang, ihn mit den Füßen stieß und ihn nach allen Richtungen herumzerrte.

Dies währte etwa eine halbe Stunde bis der Verwundete starb, worauf der Medizinmann sich tanzend entfernte und alles, was zu seiner Amtskleidung gehörte, sorgfältig verpackte, um es den profanen Augen zu entziehen.

Dieser Anzug ist das wunderlichste Gemisch von Gegenständen des Tier- und Pflanzenreichs. An der Haut des gelben Bären, der hier selten vorkommt, daher als eine Ausnahme von der regelmäßigen Ordnung der Natur und folglich als große Medizin betrachtet wird, sind Häute von mancherlei Tieren befestigt, die ebenfalls Anomalien oder Mißbildungen, und daher Medizin sind; ferner Häute von Schlangen, Fröschen und Fledermäusen, Schnäbel, Zehen und Schwänze von Vögeln, Hufe von Hirschen, Ziegen und Antilopen – mit einem Worte – etwas von allem, was in diesem Teile der Welt schwimmt, fliegt oder läuft.

Diese Männer, die, wie bereits gesagt, in ihrem Stamme als Würdenträger betrachtet werden, stehen in der höchsten Achtung, jedoch nicht sowohl wegen ihrer Kenntnisse in Materia medica, als vielmehr wegen ihrer Geschicklichkeit in der Zauberei und den Geheimnissen. Sie fehlen keinem Stamme und überall sind die Ärzte zugleich Beschwörer, Zauberer, Wahrsager und, man möchte sagen, auch Oberpriester, da sie alle religiösen Zeremonien beaufsichtigen und leiten. Man betrachtet sie überall als Orakel, sie nehmen an allen Beratungen über Krieg und Frieden teil, und es wird keine öffentliche Handlung unternommen, ohne erst ihre Meinung einzuholen, auf welche stets das größte Gewicht gelegt wird.


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