Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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17. März 1903, nachts.

Ich kann nicht schlafen. Die Schwester ist fort; wenn ich ihrer bedarf, soll ich klingeln. Das Nachtlicht brennt. Meine Seele ist voll Todesgrauen.

Meine Kräfte ermatten mehr und mehr . . .

Ist das der Tod, der mich holen will? Kämpft er mir zollbreit jedes Stückchen Leben ab?!

Tausend Gedanken durchzittern meine Seele und brennen in meinem Hirn.

Ich möchte viel schreiben, aber meine Hand ist zu schwach, um lange den Bleistift zu halten. Ich muß oft pausieren.

O, ich fürchte mich so vor der langen schauerlichen 303 Nacht, vor der Auflösung in das schwarze, endlose Nirwana. Wo werde ich wieder erwachen? An welchen Strand wird mich die düstere Todesflut spülen? Wo werde ich antreiben, ich armes Strandgut des Lebens . . .

Werde ich eine Eule sein und lichtscheu und flugträg in spukhaftem Turmgemäuer nisten, um krächzend Unheil zu unken – – Oder wird meine Seele in den Körper eines Panthers fahren, der blutgierig und beutesuchend dahinschleicht – –

Wird meine Wiederkunft im Zeichen des Fluchs oder des Segens stehen?

Alles, alles, nur kein Mensch wieder werden. Nur nicht noch einmal den Jammer durchleben müssen – –

Die Nacht nimmt kein Ende.

Mich dürstet.

Ist das nicht ein Kreuzwort von Golgatha?

Ich glaube. Von ihm, der sich für die Menschheit opferte. Heiliger Gott, wenn du bist, dann lösche den Brand in meiner Seele und auf meinen Lippen.

Ich denke an die Rosen und Lilien daheim in unserem Garten.

Ich habe solche Sehnsucht zurück. Die Jahre zurück – –

Nach Mutter.

Nach den Rosen.

Nach den Gräbern.

Ich kann nicht weiter . . .

* * *


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