Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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15. März.

Ich bereue es nicht, hergekommen zu sein. Die Pflege und Bedienung sind vorzüglich. Ich war sehr, sehr krank. Bin noch matt und elend, aber mit Bleistift kann ich doch ein wenig kritzeln. Es macht mir Freude. Die Zeit wird so lang. Grete kommt fast jeden zweiten Tag. Gestern war Kätchen mit hier und brachte mir Blumen. Der Graf besucht mich auch und D . . . war schon da, und Julius kommt manchmal zweimal des Tages.

Sie sind alle gut zu mir. Eine niedliche, junge Schwester pflegt mich. Sie möchte mich gern ein bißchen fromm machen und will mir gern Psalme vorlesen. Aber ich mag nicht.

»Glauben Sie, daß ich bald sterben werde, Schwester?« fragte ich sie heute. Sie wurde rot und verlegen.

»Das kann niemand sagen, der Herr allein weiß es.«

»Sterben ist schrecklich,« sagte ich. »Tot sein ist schön, aber Sterben ist furchtbar.«

»O nein,« sagte sie. »Sterben ist Erlösung, 302 Heimkehr. Der Heiland kommt und holt seine Kinder ins himmlische Vaterhaus . . .«

»Ach, Schwester,« sagte ich, »für Leute meines Schlages gibt es keinen Heiland und kein Vaterhaus. Uns holt der Teufel, wenn es aus ist.«

Sie erschrak.

»Es ist eine große Sünde, an Gottes Gnade zu verzweifeln,« sagte sie unsicher. »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm.«

»Dann war ich immer in Gott,« sagte ich.

* * *


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