Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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Berlin, 24. Dezember 1897.

Weihnachtsabend. Da bist du wieder, mein einziger Gesellschafter, Liebes. Ich wüßte sonst nicht, wie ich den Abend totschlüge. Ich fürchte nichts mehr, als die Erinnerungen, die in solchen Stunden auf leisen Sohlen 214 durchs Haus schleichen und einem nach dem Herzen greifen und es weich machen. So richtige Weihnachtsabende habe ich eigentlich nur in meiner fernen kleinen Kindheit gehabt, als meine gute, liebe Mutter noch lebte. Nachher mit den Haushälterinnen war es doch nicht mehr so, und die späteren Jahre – – na, deren will ich mich man lieber gar nicht erinnern. Aber ich war doch nie allein. Jemand war immer bei mir. Zum Beispiel bei der Beidatsch in der Zimmerstraße, wo wir auch eine Tanne hatten und den Abend alle zusammen waren, und ich nachher im Stillen konstatierte, daß an dem Abend keine einzige freche und zotige Redensart gefallen ist. Und voriges Jahr feierten D . . . . und ich Weihnachtsabend zusammen in meiner Wohnung.

Aber diesmal bin ich ganz allein, mein Graf hat seinen Sohn auf Besuch, und sie sind heute zur Christabendfeier bei einem großen Tier in der Wilhelmstraße eingeladen. Er hat mich sehr nobel beschenkt – drüben im Salon liegt alles, ein Gürtelschloß im Sezessionsstil mit Brillanten und Saphiren, das entzückende Teeservice von Raddatz mit den Streurosen, das ich mir so sehr wünschte, einen herrlichen weißen Theatermantel, viele kostbare Kleinigkeiten und einen Tausendmarkschein extra. Er wollte auch, daß ich mir einen Weihnachtsbaum schmücke, aber ich mochte nicht. Wozu? Ich habe heut abend alle Kronen angezündet und die Türen zurückgeschoben und es ist sehr hell, sehr warm, sehr elegant und behaglich bei mir, und ist alles mein eigen. Wenn nur diese schreckliche, erdrückende Stille und Einsamkeit nicht wäre!

Mein Graf will durchaus nicht, daß ich mit jemand verkehre. Es ist ja auch soso, mit meinen früheren Bekannten möchte ich selber nicht zusammen kommen, und anständige Damen würden doch bald heraushaben, auf 215 was meine Existenz beruht. Auf die Dauer ertrage ich dies einsame Leben aber auch nicht.

Ich bin als Privatière angemeldet, bezahle einen ganzen Batzen Steuern und werde im allgemeinen mit großer Hochachtung und Rücksicht behandelt, und der Polizei fällt es natürlich gar nicht ein, mich mit ihrem Interesse zu belästigen. Das ist eben das Ungerechte: Wenn man einen reichen Menschen gefunden hat, dem man sich mit Haut und Haaren verkauft, bleibt man verschont, aber wehe den Unglücklichen, die nicht das »Glück« hatten, solchen Freund zu finden, und die sich bruchstückweise auf der Straße verschachern –

Ja, zuweilen ist mir so, als sei ich eigentlich jetzt schlechter und verächtlicher als zuvor. Damals, als ich nach Berlin kam, hab' ich mir alle erdenkliche Mühe gegeben, einen ehrlichen Erwerb zu finden, weil das andere Leben mich anekelte, da ich aber nichts fand und man doch leben will, blieb mir nichts übrig, als mich fortzuwerfen, und ich habs mit innerem Abscheu getan, wie einen widerwillig gebrachten Tribut dem Moloch Selbsterhaltung. Heute sitze ich im warmen Nest, lasse mich unterhalten, führe ein Leben voll Faulheit und Nichtstun, und leiste als Äquivalent nichts dafür, als daß ich meinem alten Herrn seine nicht allzu anspruchsvolle Liebessehnsucht stille.

Das Leben führt den Menschen über Höhen und Tiefen. Ich wandelte in dunklen Tiefen, nahm einen Anlauf, zur Höhe zu kommen, zu einem freien Ausblick, aber ich war nicht mehr stark genug, mich oben zu halten, der erste Sturm warf mich um, und eh' ichs mich versah, glitt ich wieder abwärts, dahin, wo ich schon war, nur mit dem Unterschied, daß ich nicht mehr so im Morast herumstapfe, daß der Boden, auf dem ich jetzt stehe, eben und trocken ist. Man bekommt die Schuhe nicht schmutzig dabei. Und die Atmosphäre, 216 die ich jetzt atme, stinkt nicht, wie die andere, sie hat für eine feine Nase höchstens den süßlichen Geruch der Fäulnis, der sterbendem Laub und welken Blumen eigen ist.

Es wird und kann nicht so bleiben. Ich habe zu heißes, unruhiges Blut, um in der Einsamkeit und Stille dieses Lebens auszuharren. Ich habe zu viel Zeit zum Grübeln, und das macht mich verrückt. Es wandelt mich oft die Lust an, es der armen Molly nachzutun. Das Leben lohnt sich wahrhaftig nicht der Mühe, die es einem macht. Dann wieder denke ich auch: Halts aus. Allzu lange dauerts doch nicht mehr. Ich werde doch nicht alt. Nimm nur mit, was sich dir noch bietet – – –

Denn ich habe eine so schreckliche Sehnsucht nach Julius. Diese Sehnsucht ist wie ein Fieber. Und der Graf ist so furchtbar mißtrauisch und eifersüchtig, manchmal sagt er, er verreist, und kommt dann doch unversehens, um zu sehen, ob auch niemand bei mir ist, und hat doch keine Ahnung, daß er damit das Gegenteil erreicht. Denn wenn mir jemand vertraut, und sich arglos auf mich verläßt, würde ich es für eine Hundsgemeinheit halten, ihn dennoch zu hintergehen, und mir lieber ein Stück vom Finger abbeißen, als daß ich es täte. Wenn aber jemand mißtrauisch ist und spioniert und schnüffelt, und in Wirklichkeit gar keine Ursache ist, mache ich mir kein Gewissen daraus, meine eigenen Wege zu gehen. Einmal, gleich nach unserer Rückkehr von Wien, habe ich Julius wiedergesehen, und zwar im Wintergarten. Ich saß auf der Terrasse, und er mit seiner Frau und noch einer Dame im Parkett, und ich habe nichts von allen Vorführungen gehört und gesehen, weil ich ihn immer ansehen mußte. Und am anderen Tag bin ich zu ihm in seine Sprechstunde, aber er hat nichts von mir wissen wollen und mir freundlich und ruhig, aber bestimmt auseinandergesetzt, daß er nicht in anderer Leute Revier 217 pirschen geht, und daß ich, da der Graf nur unter der Bedingung, daß ich für ihn allein da bin, für mich sorgt, unter allen Umständen es mir auch an dem Grafen genügen lassen müsse. Ich hörte aber auf nichts und hab' mich ihm buchstäblich an den Hals geworfen, und ich glaube, er hat Mitleid mit mir gehabt, aber nachgegeben hat er nicht, und ich bin trostlos und innerlich zerschlagen von ihm fort und komme noch gar nicht darüber hinweg, denn ich kann nicht ohne ihn leben, und ich sinne und sinne, was ich anstelle, um ihn doch wieder an mich heranzuziehen.

Ich leide in der Sehnsucht nach meinem Geliebten. Ich martere mein Gehirn nach einem Ausweg und finde keinen. Wie ich eben da allein auf dem Sofa saß, malte ich mir aus, wie er jetzt mit den Seinen Weihnachtsabend feiert, wie seine Kinder sich um den Christbaum sammeln und alle so fröhlich sind. Und ich so einsam. – – –

Emmy hat mir aus Dresden ein gesticktes Sofakissen geschickt; das hat mir Freude gemacht, daß sie an mich dachte. Sie bittet mich doch so sehr, mal im Januar nach Dresden zu kommen. Wollen mal sehen, ob der Alte mich beurlaubt. – Ich bin müde, und will ins Bett gehen. Gott sei Dank, daß der Abend 'rum ist. Der Weihnachts- und Silvesterabend sind mir die verhaßtesten im ganzen Jahr.

* * *


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