Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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Sind das trostlose Tage, Wochen, Monate. Das Weihnachtsfest war geradezu schrecklich, obgleich Vater mir eine Menge Sachen schenkte, und Tante Frieda mir einen langen, lieben Brief schrieb. Konni Liesmann sandte mir eine große Marzipantorte und einen Korb mit reizenden Babysachen, alles in rosa Seide, entzückend. Das war wirklich sehr aufmerksam. Zuerst freute ich mich darüber und wurde nicht müde, die mausigen, zuckerigen Sächelchen zu betrachten, es war mir so, als wären das alles Weihnachtspuppensachen. Aber auf einmal fiel es mir ein, daß die Jüpchen und Hemdchen und Mützchen für ein lebendiges Kind bestimmt sind, und daß dieses Kind das meine sein soll. Es ist eigentümlich, ich kann mich noch gar nicht in diese Tatsache hineindenken. Ich mußte weinen. Meine Tränen fielen auf die duftigen Gegenstände. – Ich bin sehr unglücklich. – – –

Silvester war ich ganz allein im Hause. Frau Rammigen war bei Bekannten. Das Dienstmädchen heulte, weil sie meinetwegen heimbleiben sollte. Da sagte ich ihr, sie sollte nur gehen, ich bliebe ganz gern allein, und das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Aber es war doch schrecklich, diese Stille und Einsamkeit in der letzten Nacht des Jahres. Ich ging immer auf und ab im Zimmer, und die Erlebnisse des letzten Jahres huschten wie Spukgebilde an meinen Augen vorüber. Immer sah ich Elisabeth, wie sie auf dem Rasen lag, mit dem verzerrten, toten Gesicht. Und ich dachte wieder zurück an 78 meine liebe Mutter, die so schwer starb, weil sie mich schutzlos zurücklassen mußte, und ich begriff, weshalb sie meinetwegen gar nicht zum Sterben kommen konnte. Ich glaube, die Schatten der kommenden Ereignisse haben damals an ihrem Bett gestanden, und sie hat mit dem Seherblick der Weltscheidenden gewußt, was kommen mußte. Sie haben doch so für mich gebetet, sie und der Pastor, warum hat der liebe Gott diese frommen Bitten nicht erhört und alles anders gefügt? Ich glaube nicht mehr an den lieben Gott. –

Es wäre wohl das beste für mich, wenn ich im Wochenbett stürbe. Doch wünsche ich es nicht. Mir ist so bange vor dem Tod, vor dem Versinken in die ewige Nacht und das ewige Nichts.

Ich möchte gerne leben und glücklich sein. Ob es für mich noch ein Glück in der Welt gibt? Ich glaube doch. Ich bin jung, ich bin schön. Die Welt ist groß und das Leben lang. Man muß nur wollen. Ich denke manchmal, wie das Glück wohl ausschaut. Ich glaube, es sieht aus wie ein schöner, starker Mann, mit weichen Händen und einer schönen, weichen Stimme und mit klugen, klaren, milden Augen. So wünsche ich mir einen Mann. Und etwas Geld muß auch dabei sein, damit ich mich schön anziehn und für ihn schmücken kann. Wenn ich solchem Mann begegne, dann gebe ich mich ihm hin – skrupellos, auch ohne standesamtlichen Zivilversorgungsschein. Denn die Ehe reizt mich gar nicht. So ein zwangsweises Nebeneinanderherleben finde ich furchtbar langweilig, geist- und gefühltötend . . .

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