Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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Jeden Mittwoch und Sonnabend ging ich zur Konfirmationsstunde. Zuerst waren mir diese Stunden beim alten Pfarrer greulich, später ging ich gern hin.

Ich war bisher nicht fromm gewesen. Aber der alte Pfarrer hat eine merkwürdig innige Art, einem zu Herzen 27 zu sprechen. Wenn die Stunden aus waren, um sechs, dämmerte es schon, und ich machte dann oft einen Umweg, um über das Gehörte nachzudenken. Es machte einen so tiefen Eindruck auf mich, von der Liebe zu hören, die alle Schuld auslischt und die gnädig alle Gebrechen und Sünden der Menschheit mit ihren sanften Fittichen zudeckt. Ich mußte dann immer an unser schimpfliches Abenteuer vom Grünen Baum und die schreckliche Heimfahrt mit den Viehmenschen denken. Wenn Vater in seiner großen Herzensgüte es auch als Kinderstreich hinstellt, – ich fühle doch, daß es etwas Häßliches war, und ich kann nicht den Gedanken los werden, daß Mutter mich damals gesehen hat und traurig über mich war. Ich besuchte in dieser Zeit auch wieder öfters Mutters Grab, und mir war jedesmal sehr fromm und traurig zumute. Ich nahm mir vor, auch nach meiner Einsegnung jeden Sonntag zur Kirche zu gehen und ein braver, guter Mensch zu werden. Der Pfarrer ist ein reizender alter Herr. Er hat so etwas Liebreiches, Sanftes, Natürlich-Menschliches, gar nichts Gesalbtes, und mir war es manchmal so, als ob er sich an mich immer mit besonderer Innigkeit wandte.

An meinem Konfirmationstag war die ganze Nordmarscher Verwandtschaft da. Sie kamen schon morgens, um mit zur Kirche zu gehen. Ich wurde beim Ankleiden ohnmächtig, ich glaube vor lauter Aufregung, aber ich kam bald wieder zu mir. Vater wollte mir ein Glas Kognak geben, aber ich konnte es nicht trinken. Seit jenem Abend im Grünen Baum habe ich einen entsetzlichen Widerwillen vor Spirituosen.

Es war eine herrliche Feier, der Herr Pfarrer sprach so wunderschöne Worte. Ich saß da wie im Traum, es war mir, als ob die Klänge der Orgel meine Seele aufhöben und sie zu einer anderen Welt emportrügen, und als ob ich da oben Mutter begegnete. Wie wir dann 28 niederknieten und unter dem Geläut der Glocken unser Glaubensbekenntnis ablegten, schluchzte ich laut auf, so überwältigt war ich. Nachher bekamen wir jede unseren Bibelspruch. Der meine lautete: Unser Wandel aber sei im Himmel, von dannen wir warten unseres Heilandes Jesu Christi. – Die Orgel spielte weich und leise, während wir eingesegnet wurden. Nach Schluß der Feier gingen wir zum ersten heiligen Abendmahl. Ich war so tief bewegt wie nie zuvor in meinem Leben, und Vater standen auch Tränen in den Augen, als er mich nach der Feier umarmte und küßte. Dann drängte sich die ganze Sippe um mich herum und beglückwünschte mich, die Onkel und Tanten, die Vettern und Cousinen, ich kam mir wirklich sehr erhaben vor, als Mittelpunkt des ganzen Um und Dran.

Wir aßen im Saal, der nur bei besonderen Gelegenheiten benutzt wird, zu Mittag, und hatten für den Tag eine Kochfrau und einen Aufwärter. Bei Tisch hielt Onkel Lehnsmann eine Rede, in der er meinen Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt feierte. Sonst ging es sehr still während des Essens zu, fast wollte mir scheinen, ein wenig bedrückt, wie bei einer Leichenfeier. Die Reinhard ließ sich nur wenig blicken. Als wir aus der Kirche nach Hause kamen, sah sie ganz verweint aus, was ich darauf schob, daß sie auch gerührt war und ihr hoch anrechnete. Nach Tisch gingen die Herren ins Wohnzimmer, um zu rauchen, und die Frauen tranken in der besten Stube, wo mein Geschenktisch stand, Kaffee.

Ich hatte viele und hübsche Geschenke bekommen. Von Vater eine lange goldene Kette mit einer kleinen Uhr und einen Diamantring, von Tante Frieda einen Schmuck in altertümlicher Goldschmiedekunst, der ein Familienerbstück ist, dann noch zwei Armbänder, drei goldene Ringe, drei Broschen, einen Schmuck in Silberfiligranarbeit, viele Bücher, Blumen und Kleinigkeiten.

29 Wie ich anscheinend ganz vertieft an meinem Tisch stehe und in Geroks Palmblätter lese, höre ich, wie Tante Frieda und Tante Frauke miteinander tuscheln und fange auch glücklich ein paar Worte auf. »Ich wollte, daß Ludwig bald eine brave, tüchtige Frau bekäme,« sagte Tante Frieda, »es wäre ein wahrer Segen für ihn und für Thymi und für uns alle . . .« Tante Frauke, die ganz rot war, seufzte und sagte ». . . ja, es ist ein Skandal für die Familie . . . Meine arme Schwester würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüßte – –«. Weiter verstand ich nichts. Ich kann mir nur denken, daß sie wieder mein Abenteuer in T. durchhechelten, denn sonst wüßte ich nicht, weshalb Mutter sich im Grabe umdrehen sollte. Schön finde ich es nun auch nicht gerade, daß das just an meinem Konfirmationstag wieder aufs Tapet gebracht werden mußte, und daß Tante Frieda Vater deshalb verkuppeln will, ist geradezu lachhaft. Gegen sechs Uhr fuhren die Verwandten weg und auch Tante Frieda empfahl sich.

Um halb sieben, als alle fort waren, kam Meinert und rief mich in die Apotheke.

»Da ist noch jemand, der dir gratulieren will, Thymi,« rief er und lachte.

Ich ging hinüber und fand Osdorff. Der arme Kerl, er hatte mir auch einen Strauß geschickt, den hungert er sich nun von seinem bißchen Taschengeld ab . . . Vater lud ihn ein, drüben ein Glas Wein mit uns zu trinken, nachher kam Meinert auch noch 'rüber und dann wurde es noch recht gemütlich.

Osdorff tut mir wirklich leid. Er ist wieder durchs Einjährigen-Examen gerasselt. Nun soll er es zum Herbst machen und dann noch ein Jahr bei Doktor Bauer bleiben. Was dann aus ihm wird, weiß er selbst noch nicht.

Nun sind schon fünf Wochen seit meiner Konfirmation verstrichen, und Tante Frauke brachte mir dies Buch 30 zum Einschreiben. Ich bin neugierig, ob ich etwas erlebe, was sich des Einschreibens lohnt. Tante Frieda will partout, ich soll in die Pension, aber ich will nicht, und Vater steht zu mir . . .

* * *


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