Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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Vor vier Tagen hat die Konni Liesmann einen kleinen Jungen gekriegt. Um 11 Uhr abends fing sie an zu stöhnen, und es hielt die ganze Nacht an, das Seufzen und Aufschreien und Jammern, bis um 8 Uhr morgens das Kind kam. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht, da wir Wand an Wand schlafen und ich durch die dünne Bretterwand alles mit anhörte. Ich hatte mir nicht gedacht, daß es so schrecklich ist, aber jetzt habe ich mit einem Male eine Höllenangst.

Wenn ich doch nur erst alles überstanden hätte!

Ich muß immer das kleine Kind betrachten. Es sieht zu drollig aus. Etwas unappetitlich, trotz seiner spitzenbesetzten Jüpchen und Steckkissen. Ich möchte es nicht küssen, aber die Konni küßt es wie wahnsinnig. Gestern kam der Herr V. v. V. Er brachte der Konni eine große, mattgoldene Spange mit Brillanten mit, die sie sich schon lange gewünscht hatte. Die Konni schimpfte, daß er nicht zärtlich genug mit dem Kindchen sei, und bei der Gelegenheit erfuhr ich, daß Herr V. v. V. verheiratet und Vater von drei Kindern ist. Merkwürdig! Mit einem verheirateten Mann hätte ich mich an Konnis Stelle doch nicht abgegeben. Überhaupt stößt es mich ab, daß sie immer bloß von Geld spricht und von Versorgung und Geschenken.

Während ich dies schreibe, steht die Tür zu Konnis Stube offen. Sie ruft, was ich schreibe. Ich sage ihr: In mein Tagebuch. Da lacht sie laut und will es absolut lesen. Fällt mir natürlich nicht im Traum ein. Sie lacht noch immer. Alle Schmerzen sind vergessen. Sie ist kreuzfidel zuwege. »Na, wenn ich ein Tagebuch 76 geschrieben hätte – –« und sie schreit vor Lachen, »das wäre interessant, Thymian. Da drin hätte was gestanden, das darfst du glauben – –!«

* * *


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