Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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In aller Eile. Ein niedliches Erlebnis, das ich flink in mein Buch registrieren muß, weil es schade wäre, wenn es der Nachwelt verloren ginge. Gestern waren Pastors beim Ortsvorsteher zur Kindtaufe, die Jungens machten eine Spritztour nach Lübeck und ich sollte in vierundzwanzig Handtücher Stilstich-Monogramme sticken und nebenbei noch ein halbes Dutzend Paar Strümpfe stopfen. Nachdem ich schon zwei Stunden gestichelt 92 hatte, war mir plötzlich der Fingerhut verloren gegangen, ich suchte und suchte vergebens – und da der Nähtisch wie alle andern Schubfächer und Behälter stets verschlossen ist, machte ich mich auf die Suche nach Fräulein Toni.

Es war alles totenstill im Hause, da auch die Dienstmädchen nicht daheim waren. Meine Hausschuhe mit den von Frau Pastor vorgeschriebenen Filzsohlen machen nicht das geringste Geräusch, so gelangte ich ungehört an die Tür von Tonis Zimmer oben. Ich wollte schon anklopfen, da stutzte ich, weil ich drinnen Lachen, Plaudern, Flüstern höre. »Ha, ha,« denke ich und ziehe mich leise zurück, in die Treppennische, von der aus man die Tür beobachten kann.

Es dauerte und dauerte, schließlich wurde mir die Zeit lang, ich wieder hin und klopfe und rüttle, als ich keine Antwort bekomme. Nichts regt sich, die Tür war verschlossen. »Na, das ist gut,« denke ich, »lieben die sich hinter verschlossenen Türen, das läßt tief blicken,« und dabei überkommt mich eine ganz boshafte Schadenfreude, diese frommen Seelen mal in flagranti zu ertappen. Das Zimmer hat keinen zweiten Ausgang, ich postiere mich daneben und huste jeden Augenblick vernehmlich, damit sie wissen, daß ich da bin. Die Uhr wird sieben, acht, es ist stockfinster. Um halb neun Uhr kommt die Magd zurück. Ich an die Treppe gerannt und gebrüllt, sie muß hinaufkommen, ich hätte furchtbare Angst, es wären Einbrecher in Fräuleins Zimmer, und ich fürchtete, Fräulein Toni sei ermordet. Das Mädel fängt natürlich auch an zu schreien, derweilen wird die Tür geöffnet und wie ich mich umsehe, steht der Vikar hinter mir und schüttelt mich und sagt, ich soll doch den Mund halten. Und der ganze Kerl hat geschlottert vor Angst und ist kreideweiß gewesen, aber ich habe mir den Bauch vor Lachen gehalten und bin dann gleich in Tonis Stube, die stand noch 93 im Finstern und war dabei, die Spreitdecke über ihr Bett zu legen.

»Ich wollte Sie man bloß bitten, mir 'n Fingerhut zu leihen,« sag' ich harmlos, »warum haben Sie denn noch keine Lampe an, Fräulein?«

»Ja – Sie – – Sie – – – Geschöpf,« sagte sie und zittert vor Wut. »Warten Sie man, das will ich Ihnen einreiben . . .«

»Aber was denn? Was hab' ich denn verbrochen?«

Da hat sie Licht angemacht und mir einen Blick zugeworfen – – einen Blick. – – Trotzdem mußte ich lachen, weil auf ihrem Gesicht das ganze zärtlich-lustige Kapitel der letzten Stunde zum Ablesen deutlich geschrieben stand.

Nun kann ich mich freuen.

Heute früh ging die Schikaniererei schon los . . . Schluß . . .! Die Jungens schreien nach mir. . . .

* * *


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