Margarete Böhme
Tagebuch einer Verlorenen
Margarete Böhme

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Januar 1903.

Weihnachten und Neujahr verlebte ich diesmal angenehm. Am Weihnachtsabend war mein Graf bei mir; er hatte alle Familieneinladungen abgelehnt, um bei mir zu sein. Ich hatte auch diesmal einen Tannenbaum und bescherte elf armen Kindern von der Straße und freute mich über die glücklichen Gesichter. Am ersten Feiertag war der Graf auch da und am zweiten war ich in der Rönnebergstraße. Silvesterabend stellte sich D . . . nach alter Gewohnheit ein, und den ersten Neujahrstag war ich wieder in Friedenau.

Der Husten bringt mich mehr und mehr herunter. Ich schleppe mich manchmal nur so hin. Wenn es doch nur nichts Schlimmes ist. Trotzdem ich weiß, wie verfehlt und verfahren mein Leben und wie überflüssig meine Existenz ist, und daß mir eigentlich nichts Besseres widerfahren könnte, als rasch und schmerzlos zu sterben, habe ich doch ein unüberwindliches Grauen vor dem Tode.

Denn ich glaube nicht an ein Wiedersehen und an himmlische Gefilde. Wohl an ein zweites Leben, – aber wer sagt mir, daß es besser wird als das erste, ob ich nicht darin noch elender sein werde, als zuvor. Und 300 mir graut vor der Übergangs- und Durchgangsperiode. Für mich ist der Tod nur ein Begriff von Erde, Moder, Würmern, Verwesung, ein grausiges Mysterium der Unterwelt.

* * *


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